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Überraschungsbesuch in Afghanistan

Verteidigungsminister Thomas de Maizière schaut nach dem rechten - und findet alles ganz gut


Minister: Überraschungsbesuch in Afghanistan

Kundus, Masar-i Scharif, 22.12.2011 *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat am 21. Dezember die deutschen Soldaten in Afghanistan besucht. Es ist zu einer guten Tradition geworden, den Bundeswehrsoldaten kurz vor dem Weihnachtsfest „Danke“ für ihren engagierten Einsatz zu sagen und ihnen ein frohes Fest zu wünschen.

Es ist bereits die vierte Reise des Ministers nach Afghanistan. Er landete zunächst zusammen mit den Obleuten des Verteidigungsausschusses im Bundestag sowie dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, in Kundus. Der Minister bekräftigte in einem ersten Statement die anvisierte Abzugsperspektive.

Er bleibe "gedämpft zuversichtlich" und "die Sicherheitslage ist erstmals besser geworden"“, sagte er unter Verweis auf sinkende Zahlen von sogenannten sicherheitsrelevanten Zwischenfällen. Diese seien 2011 im Norden deutlich gegenüber dem Vorjahr gesunken.

Vor diesem Hintergrund war es möglich, im Dezember das Regionale Wiederaufbauteam in Faisabad im Nordosten des Landes unter zivile Leitung zu stellen.

"Ich bin heute nach Afghanistan geflogen, um meinen persönlichen Respekt zu zollen gegenüber den Soldaten für die Erfüllung ihres Auftrages", betonte de Maizière. "Der Einsatz in Afghanistan mag politisch umstritten sein, die Leistung der Soldaten kann nicht umstritten sein und ist auch nicht umstritten", so der Minister weiter. Nicht zuletzt um ihnen das persönlich zu sagen, sei er gekommen.

Anschließend setzte er seine Reise nach Masar-i Scharif fort, dem größten Bundeswehr-Feldlager am Hindukusch. Auch hier traf de Maizière mit den deutschen Soldaten zusammen.

Vor zehn Jahren hatte das Engagement der deutschen Soldaten im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes am Hindukusch begonnen. Das erste Mandat – verabschiedet vom Deutschen Bundestag – galt ab dem 22. Dezember 2001. Erstmals wollen die Parlamentarier nun eine Verringerung der deutschen Truppenstärke beschließen. Am 26. Januar wollen sie über das neue Mandat abstimmen, das wiederum ein Jahr Gültigkeit haben soll.

Vom 1. Februar 2012 an soll die Zahl der deutschen Soldaten von bisher 5.350 auf 4.900 reduziert werden, bis Ende Januar 2013 soll es eine weitere Verringerung auf 4.400 geben – "soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden", so heißt im Antrag der Bundesregierung.

* Website des Verteidigungsministeriums, 22.12.2011; http://www.bmvg.de

Truppenreduzierung: Kein Grund, Fest zu feiern

Berlin, 19.12.2011 **

Die ersten Bundeswehrsoldaten werden noch nicht vor Weihnachten, sondern erst im Januar aus Afghanistan nach Hause zurückkehren, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière jetzt in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Der Beginn des Bundeswehr-Abzugs ist für ihn auch kein Grund zum Feiern.

"Ich finde nicht, dass man wegen 100 Soldaten ein Abzugsfest feiern kann", sagte de Maizière weiter. Das könne man allenfalls 2014 machen, wenn der Kampfeinsatz der Nato-Truppen endet. Jetzt sei "die Zahl zu klein, um daraus eine große Sache zu machen".

Das Kabinett hatte am 14. Dezember die Pläne für den Abzugsbeginn vorgelegt. Der Bundestag hatte sich einen Tag später in erster Lesung mit dem neuen ISAF-Mandat beschäftigt und will am 26. Januar abstimmen. Rund 100 Soldaten sollen von den derzeit rund 5.000 Soldaten bis Ende Januar abgezogen werden. Das neue Mandat gilt ab dem 1. Februar. In den folgenden zwölf Monaten sollen 500 weitere Soldaten abgezogen werden, sofern es die Sicherheitslage erlaubt.

Abzugsperspektive nicht diskreditieren

2013 und 2014 müssten möglicherweise zusätzliche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden, um den Abzug zu organisieren, so de Maizière im Gespräch mit der dpa. "Ein Abzug ist ein kompliziertes Unternehmen"“, sagte er weiter „"Sie müssen Gerät zurückschaffen, sie müssen Infrastruktur zurückbauen".

Für den Einsatz der zusätzlichen Soldaten werde es entweder ein separates Bundestagsmandat geben, oder die Abzugskräfte würden in einem Gesamtmandat getrennt ausgewiesen, so der Minister. "Wir müssen nach einem Weg suchen, mit dem wir die Abzugsperspektive nicht diskreditieren“, betonte de Maizière. Auch nach Abschluss der Übergabe 2014 müssten deutsche Soldaten etwa zu Ausbildungszwecken im Land bleiben, sagte der Minister.

Auch für die kann der Einsatz nach Einschätzung des Ministers gefährlich werden. "Da wird nicht ein Hort der Stabilität ausbrechen in Afghanistan", sagte er. "Aber es muss natürlich eine ganz andere Form von Einsatz und Gefährdung sein."

Bundeswehr durch den Einsatz erwachsen geworden

Der Minister betonte, dass die Afghanistan-Mission die Bundeswehr schon jetzt erheblich verändert hat. "Eigentlich ist durch den Afghanistan-Einsatz mindestens die Bundeswehr, vielleicht auch die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, erst richtig erwachsen geworden im Bündnis". Als Beleg nannte er, dass US-Soldaten im Norden Afghanistans unter deutschem Kommando im Einsatz sind.

** Website des Verteidigungsministeriums, 19.12.2011; http://www.bmvg.de



Deutschland traut sich

Von Uwe Kalbe ***

In einem Spiegel-online-Interview hat sich Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr geäußert. Immerhin steht angeblich der Abzug bevor, und die Illusion greift um sich, dass es bald vorbei sein könnte mit dem Albtraum am Hindukusch. Man kann den Minister wohl nicht kränken, wenn man ihn mit den Worten zusammenfasst: Es gibt einen Haufen Gründe, sich nicht allzu sehr zu beeilen mit der Heimkehr der Bundeswehr, denn erstens ist der Afghane noch weit entfernt von einer »einigermaßen erträglichen Regierungsführung«. Und zweitens hat der Einsatz ja - abgesehen von seinem gänzlichen Scheitern - eine Menge Nützliches gebracht.

Hierzu gehört nach Auskunft de Maizières, dass nicht nur die Bundeswehr eine Menge lernen konnte in Afghanistan, sondern auch die NATO über Deutschland. Dass sie nämlich in ihm ein »vollwertiges und belastbares Mitglied« hat. Vor der ISAF-Mission habe doch keiner geglaubt, dass »deutsche Soldaten wirklich kämpfen können oder dass ihre Führung sich traut, ihnen den Befehl dafür zu geben«. Seit dem flammenden Inferno am Kundusfluss mit 140 Toten weiß man: Sie traut sich. Und seit de Maizière weiß man, dass Deutschland darauf wieder stolz sein darf. Wenn das Kämpfen nun regierungsamtlich wieder zu den deutschen Tugenden gezählt wird, ist der Abzug womöglich doch näher, als man glaubt. Soldaten werden bald auch anderswo gebraucht.

*** Aus: neues deutschland, 24. Dezember 2011 (Kommentar)


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