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Kollekte für Afghanistan

Ergebnisse der Berliner Konferenz im Spiegel der Medien - Kommentare

Die Internationale Afghanistan-Konferenz, die vom 31. März bis 1. April in Berlin stattfand, war mit über Vertretern aus mehr als 50 Ländern gut besucht und fand ein überragendes Echo in den Medien. Große Beachtung fand auch die "Berliner Erklärung" zum Abschluss der Konferenz. Ob sie gehalten hat, was sich viele von ihr versprachen, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einer Reihe von Kommentaren und Leitartikeln, die am Tag nach der Konferenz in den Berliner und überregionalen Zeitungen erschienen sind.



Für Richard Meng (Frankfurter Rundschau: "Langer Atem") stehen die Mühen des Wiederaufbaus und die Unsicherheit der politischen Verhältnisse in Afghanistan im Mittelpunkt des Interesses. Geld allein wird's nicht richten:

Ohne Geld kein Wiederaufbau, ohne Wiederaufbau auf Dauer keine Sicherheit, ohne Sicherheit keine Demokratie, ohne echte demokratische Fortschritte auch keine dauerhafte internationale Finanzierung: Vielleicht ist es das wichtigste Ergebnis der Berliner Afghanistan-Konferenz - der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Elementen des internationalen Engagements ist zwingend.
(...) In diesem Zusammenhang hilft nur langer Atem. Aber es ist auch nach diesem Festival der guten Absichten offen, bei wem er wie lange reicht. Afghanistan bleibt, gerade in der fragilen Übergangszeit, ein Ernstfall der Weltpolitik. Ein Zukunftslaboratorium zugleich weit über Zentralasien hinaus (...)
(...) So mögen die Optimisten von Berlin also mit sich zufrieden sein oder nicht. Von der vagen Zusage dieser oder jener Milliarde hängt weniger ab als von der Entschlossenheit zum zivilen Aufbau. Selten war das Wort von den Taten passender, die den Worten folgen müssen. Und selten die Realisierung eines Projekts so überaus riskant.

Aus: Frankfurter Rundschau, 2. April 2004


"Fehlstaat" ist der Leitartikel von Arne Perras in der Süddeutschen Zeitung überschrieben. Die Konferenzereignisse von Berlin dürften nicht vergessen machen, meint Perras, dass es um die Sicherheit und Zukunft Afghanistans noch nicht eben zum besten bestellt ist. Ob indessen seine Empfehlungen, die vor allem auch eine Stärkung des militärischen Faktors vorsehen, in eine bessere Richtung weisen, muss sich erst zeigen. Militär ist doch immer das erste, was der "Weltgemeinschaft", sprich der NATO einfällt. Und Sicherheit ist nur selten daraus erwachsen. Perras sieht das anders:

(...) Zwar hat die Übergangsregierung von Präsident Hamid Karsai bislang durchgehalten, aber drei seiner Minister haben bereits ihr Leben verloren, was symptomatisch ist für die tödlichen Intrigen, die den von der Weltgemeinschaft gestützten Protostaat mit Sitz in Kabul bedrohen. Denn viel mehr als ein brüchiger Rumpf ist bislang nicht geschaffen worden. In vielen Provinzen herrschen immer noch lokale Fürsten und Warlords, die ihre eigene Agenda besitzen - und auch die militärische Macht, um ihren Staat im Staate gegen die Ansprüche Kabuls zu verteidigen.
Zugleich kommt der Aufbau der Nationalarmee nur schleppend voran. Auch Gegenden, die bislang als vergleichsweise ruhig galten, sind vor Gewalt nicht sicher. So wurde in der westafghanischen Stadt Herat, die von dem mächtigen Provinzfürsten Ismail Khan kontrolliert wird, kürzlich heftig gekämpft. Khans Gegenspieler, ein abtrünniger Kommandeur, soll gute Kontakte nach Kabul gepflegt haben. (...)
Andere Gebiete im Süden und Osten des Landes sind noch gefährlicher, weil sich dort die Taliban neu gruppieren. Sie werden weiterhin versuchen, Hamid Karsai, den sie als Statthalter des Westens schmähen, aus dem Weg zu räumen und Chaos zu stiften. (...)
Den US-Truppen ist es bislang nicht gelungen, die Taliban auszuschalten. Dies liegt zum einen daran, dass diese Gruppen im Grenzgebiet zu Pakistan Unterschlupf finden, trotz aller Anti-Terror-Operationen der pakistanischen Armee. Zum anderen aber haben die Taliban auch innerhalb Afghanistans noch Rückhalt, weil die Paschtunen, die größte Bevölkerungsgruppe, sich bei der Machtverteilung benachteiligt sieht. Viele von ihnen fühlen sich als Verlierer des Krieges, auch wenn Karsai Geschick bewiesen hat, dieses Defizit auszugleichen. Seine Macht ist begrenzt, weil die mächtige Tadschikenfraktion in Kabul argwöhnisch darüber wacht, dass sie nicht in den Hintergrund gedrängt wird.

Bislang ist es also zu früh, Nation Building in Afghanistan als Modell zu preisen. Zu viel Fortschritts-Rhetorik geht an der Realität vorbei. Seit dem Abkommen vom Petersberg vor mehr als zwei Jahren ist vieles versäumt worden, vor allem im militärischen Bereich. (...)
Weil die internationale Schutztruppe Isaf vor allem damit beschäftigt ist, Kabul zu schützen, und die Weltgemeinschaft bislang davor zurückschreckt, größere Kontingente in den Provinzen zu stationieren, hat sich die Macht der Warlords festigen können. Dass die Nato sich jetzt zum Abschluss der Berliner Konferenz verpflichtet, weitere so genannte Wiederaufbauteams (PRTs) für das Land bereitzustellen, war lange überfällig.
(...) Es wird nicht reichen, Mohnfelder einfach niederzubrennen. Nur wenn die Machtverhältnisse auf dem Land aufgebrochen werden, nur wenn die Bauern auf eine sichere Alternative setzen können, ohne den Zorn ihrer Drogen-Patrone fürchten zu müssen, kann der Umbau der Wirtschaft gelingen. Dies ist der schwierigste Umbruchprozess, den Afghanistan zu bewältigen hat.
Ohne die ökonomische Wende aber ist das Experiment Nation Building zum Scheitern verurteilt. Das politische Gerüst, an dem nun gebaut wird, braucht ein wirtschaftliches Fundament ohne Opium. (...)

Aus: Süddeutsche Zeitung, 2. April 2004


Auch Hans Monath (Berliner "Tagesspiegel") sieht im "Nation Building" die vordringlichste Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Das wird seiner Meinung nach viel Zeit brauchen - eine ganze Generation. So lange wird auch die Bundeswehr in Afghanistan bleiben müssen. Warum der Kommentar dann aber den Titel trägt "Modell Petersberg", ist schleierhaft. Ein Modell sollte etwas sein, das sich in vergleichbaren Situationen anwenden lässt. Afghanistan ist nur eines von sehr vielen Ländern, die Hilfe brauchen. Zehntausende von Soldaten eine Generation lang lassen sich aber nicht in beliebig viele Länder schicken. Doch lassen wir Hans Monath seine Argumente vortragen:

(...) Es ist ziemlich schwer, ein durch Krieg und Bürgerkrieg ruiniertes Land zu sanieren, das noch immer Rückzugsräume für islamistische Terroristen bietet und dessen Bewohner heute die weltweit größte Opiumproduktion betreiben.
Trotzdem ist es in Berlin gelungen, die Aussichten für die Zukunft Afghanistans weiter zu verbessern. Schon lange hatte Kabul mehr Finanzhilfe erbeten. In Berlin wurde sie zugesagt. Schon lange hatten Karsai und die Vereinten Nationen die Ausweitung des Isaf-Einsatzes über Kabul hinaus gefordert – am liebsten auf alle Provinzen, um die Autorität der Zentralregierung zu stärken. Doch erst zweieinhalb Jahre nach der ersten Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg gibt es einen deutlichen Schub nach vorn: Wie die Nato-Staaten scheinen nun mehrere Länder bereit zu sein, ihre Missionen aufzustocken und die Zahl der Aufbauteams mit militärischen und zivilen Aufgaben zu erhöhen.
Das entspringt der Einsicht, dass nur der frei wählen kann, der nicht bedroht wird und so eine echte Wahl hat. Regionale Warlords zeigen kein Interesse, ihre Macht mit Kabul zu teilen. (...)
(...) Von seiner Kultur, seiner Geografie und mit seinen vielen Ethnien und Nachbarn ist Afghanistan ein unvergleichliches Land. Aber trotzdem ist der Wiederaufbau, an dem in Berlin gearbeitet wurde, auf dem Weg, zu einem Modell zu werden: Diplomaten sprechen in Anspielung auf den Ort der ersten Afghanistan-Konferenz von einem „Petersberg type process“ – einem Stabilisierungsprozess, der unter UN-Regie mit Rücksicht auf örtliche Traditionen einen Ausgleich zwischen den Ethnien eines zerstörten Landes organisiert und alle Nachbarstaaten in die Bemühungen einbindet. Diesen Ansatz hat die Berliner Konferenz verfolgt, indem sie die Anrainer Afghanistans dazu bewegte, sich zur Blockade des Drogenhandels zu verpflichten. (...)
Eines hat Berlin freilich auch gezeigt: Wenn der Prozess des Wiederaufbaus denn tatsächlich ein Erfolg und damit zu einem Modell werden sollte, braucht er Zeit, viel Zeit. „Nation building“ ist eine Aufgabe, die der Anstrengungen fast einer ganzen Generation bedarf. Weshalb vielleicht auch noch in zehn Jahren Bundeswehrsoldaten in Kabul oder Kundus Dienst tun müssen.

Aus: Tagesspiegel, 2. März 2004


Martina Doering betont in ihrem Kommentar für die Berliner Zeitung die zivilen Komponenten des Wiederaufbaus und die Verantwortung der Afghanen. Letztlich werde es von ihnen abhängen, ob der Stabilisierungsprozess gelingen kann. Geld allein wird nicht ausreichen. Und schließlich stellt sie auch das Denkmal Hamid Karzai in Frage: Ist der freundliche Präsident, anderswo "Bürgermeister von Kabul" genannt, wirklich der richtige Mann, um den Friedensprozess voran zu bringen?

Die afghanische Regierung von Hamid Karsai braucht drei Dinge: Geld, Geld und nochmals Geld. Das ist weder eine neue, noch eine überraschende Erkenntnis. Aber Geberländer, Organisationen und Institutionen scheinen die internationale Afghanistan-Konferenz in Berlin benötigt zu haben, um sich wieder daran zu erinnern. Im Vorfeld und im Verlauf dieser Veranstaltung jedenfalls überboten sie sich mit Zusagen und Ankündigungen. Deutschland griff in die Tasche und versprach 320 Millionen Euro. Die Asiatische Entwicklungsbank sagte eine Milliarde zu. Die EU will sich mit 445 Millionen Euro beteiligen, die US-Regierung ihre Hilfe von 1,5 Milliarden auf drei Milliarden Dollar verdoppeln. Alles in allem kann das von Bürgerkrieg, Taliban-Herrschaft und einem Anti-Terror-Feldzug zerstörte Land bis Ende nächsten Jahres mit 4,4 Milliarden US-Dollar und in den darauf folgenden drei Jahren mit 8,2 Milliarden Dollar rechnen.
Das ist im Verhältnis zu den 18,3 Milliarden Dollar, die die USA allein in diesem Jahr für Irak ausgeben wollen, zwar nicht viel. Gemessen aber daran, was der Kabuler Präsident Hamid Karsai als Finanzbedarf für den Wiederaufbau präsentiert hat - nämlich 27,5 Milliarden Dollar - ist das Ergebnis der Berliner Spendensammelaktion nicht schlecht. (...)
(...) Für die Europäer soll Afghanistan den Beweis liefern, dass der Schwerpunkt des Anti-Terror-Kampfes auf nicht-militärischem Gebiet liegen muss. Soldaten-Kontingente sind zwar notwendig, um die Wiederaufbauaktivitäten zu schützen. Ausschlaggebend aber ist, ob es gelingt, ein robustes Staatswesen zu schaffen, die Wirtschaft in Gang zu bringen, die Infrastruktur aufzubauen. Insbesondere Deutschland hat über Afghanistan seine neue Rolle in der Welt definiert.
(...) In Anbetracht dieser Interessen aber scheinen einige wichtige Fragen völlig in den Hintergrund gedrängt worden zu sein. Eine davon ist, ob der elegante, im Westen so überaus geschätzte Hamid Karzai tatsächlich der richtige Mann für das Afghanistan-Projekt ist. Er hat die Loja Dschirga einberufen, das Land hat jetzt eine provisorische Verfassung. Aber ist er auch der Mann, der die Kriegsherren entmachten und deren Milizen entwaffnen will, um diese Verfassung durchzusetzen? Bisher jedenfalls stützt er sich auf einen Teil eben dieser Kriegsherren und Milizen, den anderen Teil lässt er in Ruhe. Anerkennt die Mehrheit der Afghanen diesen vom Westen auserkorenen und als Präsidenten präsentierten Mann tatsächlich - mitsamt dem vom ihm repräsentierten Modell für das zukünftige Afghanistan?
Das demokratische, geeinte, stabile Afghanistan ist ein Wunschtraum der Amerikaner, der Europäer und vielleicht auch einiger Nachbarstaaten. Dafür geben sie ihr Geld aus. Ob sich der Traum erfüllt, werden die Afghanen entscheiden.

Aus: Berliner Zeitung, 02.04.2004


Manfred Pantförder kommentiert für die Berliner Morgenpost. Für ihn ist das, was in Berlin angeschoben wurde, ein löbliches Modell - jetzt muss Karsai zeigen, ob er seine Hausaufgabe in Afghanistan machen kann:

Berlin ist für die afghanische Regierung ein gutes Pflaster. Zum zweiten Mal hat eine internationale Konferenz an der Spree stattgefunden, die dem zentralasiatischen Land die Zusicherung gibt, dass die Hilfe beim Wiederaufbau anhält. (...)
Noch immer ist Hamid Karsai, der in Berlin gern gesehene, charismatische Präsident Afghanistans, nicht viel mehr als ein Bürgermeister von Kabul. Außerhalb der Hauptstadt ist die Sicherheitslage angespannt. Deshalb hat die Berliner Konferenz auch weitere militärische Unterstützung zugesagt. Dies ist umso dringlicher, als im September erstmals freie Wahlen in Afghanistan anstehen. Diese sind ein wichtiger Gradmesser auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie, denn bislang bestimmten traditionelle Ratsversammlungen die Politik, nicht das Volk. (...) Das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ist noch immer ein Niemandsland, das sich der Kontrolle der Amerikaner weitgehend entzieht. Die Verknüpfung von militärischer Präsenz und ziviler Hilfe, wie sie in Afghanistan im Rahmen der Wiederaufbauteams praktiziert wird - die Bundeswehr ist daran in Kundus beteiligt -, kann, wenn sie denn dauerhaft gelingt, Modell für andere Krisenherde sein. (...)
Gut ausgestattet fliegt Karsai von Deutschland nach Kabul zurück. Dort muss der Paschtune selbst verstärkt seine Hausaufgaben erledigen. Dazu zählt vor allem der Kampf gegen den Mohnanbau und Drogenhandel. Mit dem Erlös aus dem illegalen Geschäft füllen sich einzelne Provinzfürsten die Kriegskasse. Kabul hatte in der Vergangenheit wenig dagegen unternommen und damit die internationale Gebergemeinschaft unter Druck gesetzt, großzügig Finanzhilfe zu gewähren. Diese Vorleistung ist in Berlin erbracht worden. Das in ihn gesetzte Vertrauen muss Karsai jetzt mit Erfolgen auch rechtfertigen.

Aus: Berliner Morgenpost, 02.04.2004


Gewohnt skeptisch geht der Kommentator Gerd Schumann in der "jungen Welt" ans Werk. Er sieht am Hindukusch "rundum Fragezeichen".

Alle an der Berliner Konferenz, der dritten zu Afghanistan nach dem Krieg, Beteiligten beschwören »die Fortschritte am Hindukusch« (Süddeutsche Zeitung, 1.4.2004). Welche gemeint sind – Fragezeichen angesichts der »Sicherheitslage« und eines immensen Massenelends. Selbst vielzitierte Freiheiten – wie Zugang zu Bildung für Mädchen – präsentieren sich zwei Jahre nach den Taliban nüchtern betrachtet als kümmerlich.
Opulent dagegen erscheinen die zugesagten Gelder der »Geber« mit roundabout acht Milliarden Dollar. Auf den ersten Blick zumindest und unter Vernachlässigung des wahren Bedarfs. Den zweiten Blick prägen unverbindliche Willensbekundungen sowie schwer kalkulierbare Posten wie der Einsatz von NGOs. Auf den dritten dann fällt das Fehlen einer detaillierten Auflistung in Auge. Wofür werden die »Hilfs«gelder eingesetzt: »Wiederaufbau« von Kasernen? »Ausbildung« von Polizei und Armee«? »Infrastruktur« zum besseren Transport von Mannschaften und Militärgerät? Und: Wer bezahlt die neue afghanische Rüstung? Die Geber? Bei wem wird sie bestellt? Bei den Gebern?
Hamid Karsai schweigt dazu im Auftrag seiner Washingtoner Herrschaft, die derweil im Chor mit den übrigen Konferenzoffiziellen aufgeregt über den Mohnanbau schnattert. Nun brauchte der Weltimperialismus unter Führung der USA den Krieg gegen Afghanistan zumindest nicht wegen der Droge Opium vom Zaune zu brechen: Die war unter den Taliban nicht nur verboten, sondern hatte zudem keine Zukunft.
Zukunft haben dagegen wieder die zuvor chancenlosen Feudalherren des Nordens, allesamt keine Waisenknaben in Sachen Frauenrechte und islamischer Rechtssprechung, aber eben als US-Bündnispartner benötigt: Sie haben zwar ihre Funktion als den Angriffskrieg legitimierende Feigenblätter verloren, dafür jedoch genug Schlagkraft erlangt, um den internationalen Besatzungstruppen das Leben schwerzumachen.
Und Bin Laden? Der wird weiter gebraucht für Bushs endlosen Krieg. Dieser diente ursprünglich einer weltweit abgesicherten Verfügbarkeit des Öls für das westliche Imperium. Mittlerweile lief er nicht nur im Irak aus dem Ruder. Siehe Berliner Konferenz.

Aus: junge Welt, 02.04.2004


Auch Sven Hansen sieht in der taz ("Der Frieden ist nicht sicher") viele Fragezeichen. Immerhin konstatiert er optimistisch, dass Afghanistan seit dem 11.9. zum Thema geworden ist und der Westen ein wirkliches Interesse daran hat, das Land zu stabilisieren. Bedauern äußert er hingegen darüber, dass wahrscheinlich nicht genug fremde Truppen nach Afghanistan gebracht werden.

Die finanziellen Hilfszusagen der Berliner Afghanistankonferenz sind substanziell. Sie zeigen, dass die internationale Gemeinschaft sich ihrer Verpflichtungen bewusst ist. Auch hat sie die Lektion der Vergangenheit gelernt - zumindest in finanzieller Hinsicht. Viele schauten weg, als das Land am Hindukusch in Gewalt und Chaos versank. Dies rächte sich am 11. September 2001. Seitdem ist klar, dass zerfallende Staaten eine Heimat für Terroristen sind. Afghanistan steht seitdem oben auf der Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft. Sie kann sich aus dem Land nur zurückziehen, wenn sie dort ein funktionierendes Staatswesen aufbaut.
In Afghanistan hat sich seit dem Sturz der Taliban viel getan. Doch unumkehrbar ist der Prozess hin zu mehr Demokratie und Menschenrechten noch längst nicht. Denn eine nennenswerte Entwaffnung der Bevölkerung fand bisher nicht statt. Nach wie vor ist das Hauptproblem - die Warlords und ihre Milizen - nicht gelöst. Sich mit ihnen anzulegen, wagte die internationale Gemeinschaft bisher nicht. Vielmehr paktierten die USA mit ihnen, um sie gegen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer einzuspannen. Da die Teilnehmerstaaten der Berliner Konferenz sich nicht zur Entsendung von substanziell mehr Friedenstruppen durchringen konnten, dürfte die Instabiliät in Afghanistan noch lange bleiben.
Die Gratwanderung zwischen partiellem Wiederaufbau und andauernder Instabilität durch Kriegsfürsten und Drogenbarone wird deshalb nach der Berliner Konferenz weitergehen. Die Hilfszusagen ermöglichen zwar Wiederaufbauprojekte, doch sicherheitspolitisch ist keine Wende in Sicht. Vielmehr dürften einige Warlords ihre Macht noch mittels Wahlen legitimieren und dann noch schwerer zu entmachten sein.
"Der Westen hat die Uhr, und wir haben die Zeit", lautet ein Spruch der Taliban. Sie hoffen darauf, dass die internationale Gemeinschaft die Geduld verliert und sich wieder aus Afghanistan zurückzieht. (...)

Aus: taz, 2. April 2004


Am Schluss noch ein kurzer Kommentar aus dem "Neuen Deutschland". Jochen Reinert sieht darin zwar "offene Taschen" der westlichen Geberländer, aber auch deren unterschiedliche Interessen, die sich nicht in erster Linie auf eine Stabilisierung des Landes richten:

Eine einzige Zahl hat die Delegierten der Berliner Afghanistan-Konferenz mehr alarmiert als alle Meldungen der letzten Tage über bewaffnete Auseinandersetzungen. Nur 1,5 der 10,5 Millionen Wahlberechtigten haben sich bisher für die wichtigste Übung des Friedens- und Demokratieprozesses am Hindukusch registrieren lassen. Und von ihnen sind wiederum nur etwa 440.000 Frauen.
Wohl auch deshalb haben die »Geber« aus 56 Ländern ihre Taschen geöffnet, für die nächsten drei Jahre 8,2 Milliarden locker gemacht. Und nicht wenige von ihnen haben die Entsendung von mehr Soldaten als »Wahlhelfer« versprochen. Gewiss sind nicht wenige dieser Länder bzw. deren Afghanistan-Experten ehrlich besorgt um das Wohl und Wehe der Afghanen und die Stabilität in diesem nach wie vor sehr unruhigen Weltteil. Doch etliche der »Geber« haben viel weiter gespannte Interessen, die man bei allen schönen Reden auf die Konferenz nicht vergessen sollte.
Die USA sind mit 2,9 Milliarden Dollar zwar der größte Spender 2004/06 für Ziviles, aber sie stehen auch für den Löwenanteil der 12 Milliarden Dollar, die laut Weltbank alljährlich für die Militäreinsätze am Hindukusch hingeblättert werden. Bei dieser Investition ist ein halbwegs befriedetes Afghanistan eher Nebensache. Washington geht es um mehr: regionale militärische Dominanz und Zugriff auf Energiequellen.
Aus: Neues Deutschland, 02.04.2004


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