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Verteidigungsminister Jung: "Die AWACS-Maschinen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Flugsicherheit" / Schäfer (LINKE): "Mit dem Einsatz von AWACS soll der Luftkrieg optimiert werden"

Der Bundestag debattierte in erster Lesung über den zusätzlichen Einsatz von AWACS-Maschinen in Afghanistan. Die ganze Debatte

In Afghanistan sollen AWACS-Aufklärungsflugzeuge der NATO den gesamten militärischen Flugverkehr koordinieren und Aufgaben zur Unterstützung von Luftoperationen übernehmen. Einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung hat der Bundestag am 17. Juni 2009, in erster Lesung beraten und in die Ausschüsse überwiesen. Über den Antrag will der Bundestag am 3. Juli beschließen.
Die AWACS-Entscheidung stellt nach Auffassung der Friedensbewegung eine Verschärfung des Krieges dar (siehe hierzu: "Friedensbewegung kritisiert geplanten AWACS-Einsatz in Afghanistan"). Im Bundestag gab es - mit Ausnahme der LINKEN - eine große Übereinstimmung, das nicht so sehen zu wollen.
Wir dokumentieren im Folgenden die dreiviertelstündige Debatte. Es sprachen (in dieser Reihenfolge) die folgenden Abgeordneten:



Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht, 226. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2008
Plenarprotokoll 16/226

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

– Drucksache 16/13377 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, das Wort.

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO hat letzten Freitag [12. Juni, Anm. AGF] beschlossen, zur Unterstützung von ISAF ihr luftgestütztes Frühwarnsystem AWACS über Afghanistan einzusetzen. Die Bundesregierung begrüßt, dass nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen angesichts des klaren Bedarfs an verbesserter Luftraumüberwachung über Afghanistan ein Beschluss gefasst werden konnte.

Die derzeit in Afghanistan praktizierte Luftraumüberwachung ist längst hinter dem ständig wachsenden zivilen wie militärischen Flugaufkommen zurückgeblieben. Diese Entwicklung wird anhalten. Prognosen der NATO sehen in naher Zukunft ein weiteres starkes Wachstum um das Drei- bis Fünffache voraus.

Demgegenüber ist die afghanische Regierung auf absehbare Zeit nicht in der Lage, eine funktionsfähige Flugsicherung aufzubauen. Die AWACS-Flugzeuge sind das beste Mittel, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Sie werden im Rahmen von ISAF ausschließlich im afghanischen Luftraum eingesetzt. Sie sollen den gesamten Luftverkehr über Afghanistan sicherer machen. Sie sollen auch die militärische Operationsführung von ISAF unterstützen. Denn auch die Zahl der militärischen Flugbewegungen wird in den nächsten Monaten weiter anwachsen.

Das ist angesichts des Aufwuchses von ISAF-Kräften im laufenden Jahr insbesondere infolge der Absicherung der Präsidentschaftswahlen sowie angesichts zusätzlicher angekündigter US-Truppen absehbar.

Eine verbesserte Luftraumkoordinierung dient auch dem Schutz deutscher Soldaten, sowohl der Piloten und Besatzungen unserer Flugzeuge als auch der Soldaten am Boden, die in Notsituationen auf Unterstützung aus der Luft angewiesen sind.

Der AWACS-Einsatz kommt durch die Verbesserung der Flugsicherheit aber auch dem Schutz der afghanischen Bevölkerung und der zivilen Helfer zugute.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit einige Punkte festhalten, die vielleicht helfen können, bestimmte Diskussionen zu vermeiden, die einer sachlichen Grundlage entbehren. Zunächst werden NATO-AWACS allein im Rahmen von ISAF eingesetzt. Sie haben ausdrücklich nicht die Aufgabe, geplante OEF-Luftoperationen zu koordinieren oder zu führen. Natürlich erfassen sie in ihrer Funktion als sogenannte fliegende Tower neben dem zivilen auch den gesamten militärischen Flugverkehr über Afghanistan, also auch den der OEF. Dies geschieht allerdings mit dem Ziel der Entflechtung. Das macht auch Sinn; denn alles andere würde dem Ziel einer verbesserten und sichereren Luftraumkoordinierung zuwiderlaufen.

Wie bisher bleibt dabei die wechselseitige Nothilfe zwischen Einheiten der beiden Operationen zulässig und ist gerade im Ernstfall für den Schutz der eingesetzten Soldaten unverzichtbar.

(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])

Ich möchte außerdem feststellen: NATO-AWACS haben weder eine Bodenaufklärungs- noch eine Feuerleitfunktion. Sie können lediglich navigatorische Unterstützung leisten. Die Entsendung der AWACS stellt im Übrigen keine dauerhafte Lösung dar. Mittel- und langfristig gilt für die Luftraumüberwachung das Gleiche wie für alle anderen Bereiche des Wiederaufbaus in Afghanistan: Ziel des Engagements der internationalen Gemeinschaft ist es, die afghanische Regierung in die Lage zu versetzen, selbstständig und dauerhaft für Stabilität und Entwicklung im eigenen Land zu sorgen. Dieses Prinzip der Selbstverantwortung soll in Zukunft auch für die Luftsicherheit gelten. Dafür braucht Afghanistan vorläufig aber noch Hilfe von außen. Deshalb engagiert sich die Bundesregierung beim Aufbau der notwendigen Strukturen.

Vor einigen Wochen wurde mit dem Neubau des Flughafens von Masar-i-Scharif begonnen, den wir zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten durchführen. Gemeinsam mit den Niederlanden wird sich Deutschland außerdem am Ausbau des zivilen Teils des Flugfelds in Tarin Kowt in der Provinz Uruzgan beteiligen. Neben diesen Infrastrukturmaßnahmen investieren wir auch in die Aus- und Weiterbildung von Sicherheitspersonal, Fluglotsen, Technikern und Managementpersonal. Erst vor wenigen Tagen konnten wir hierfür Singapur als Kooperationspartner gewinnen.

Auch die US-Regierung plant, ihre Unterstützung für den Aufbau einer zivilen Flugsicherung auszubauen.

Unsere gemeinsamen Anstrengungen werden dazu führen, dass wir die Verantwortung auch im Luftsicherungsbereich schrittweise an die Afghanen übertragen können. Bis dahin werden die AWACS jedoch dringend benötigt. Deswegen bittet die Bundesregierung Sie herzlich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion.

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag schickt seit einigen Jahren deutsche Soldaten nach Afghanistan. Diese Soldaten sind täglich in Kämpfe verwickelt, diese Soldaten werden verwundet, und einige dieser Soldaten lassen ihr Leben in Afghanistan. Das ist die Realität im Juni 2009. Angesichts dieser Realität haben wir alle meines Erachtens eine große Verantwortung. Wir müssen alles, aber auch alles dafür tun und alle Mittel dafür einsetzen, um unsere Soldaten bei dieser Aufgabe zu unterstützen und sie zu schützen. Wenn AWACS dazu einen Beitrag leisten kann, dann ist das ein sinnvoller Einsatz dieses Systems.

(Beifall bei der FDP)

So weit, so gut, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nun reden wir aber schon ein bisschen länger über diesen AWACS-Einsatz, genauer gesagt seit über einem Jahr. Schon vor über einem Jahr hat die Bundesregierung uns in sehr plastischen und drastischen Farben geschildert, wie wichtig, dringend und notwendig es ist, in diesem Land unmittelbar AWACS zur Luftraumkontrolle und Luftraumsteuerung einzusetzen. Das mag ja alles richtig sein. Aber, liebe Damen und Herren von der Bundesregierung: Wenn das vor einem Jahr so dringend und wichtig war und der Luftverkehr sogar zusammenzubrechen drohte, dann ist nicht zu verstehen, dass zwölf Monate ins Land gehen mussten. Begründet wurde das damit, dass die Franzosen angeblich nicht bereit waren, einen Beitrag von 2 oder 3 Euro zu leisten. Wenn es so dringend und wichtig gewesen wäre, hätte man auch dann etwas tun müssen; denn niemand hätte verantworten können, dass ein Flieger vom Himmel fällt, nur weil sich die Franzosen nicht an der Finanzierung beteiligen. Hier gibt es noch immer eine Grauzone in der Argumentation, die es auszuräumen gilt.

(Beifall bei der FDP)

Durch den Text des Mandates sind wir nun klüger.

Aus dem Mandat geht eindeutig hervor, dass der Einsatz von AWACS unsere Fähigkeiten, die ISAF-Operation zu führen, verbessert. Das heißt, es handelt sich um einen operativen Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates. Ich persönlich finde das gut. Die Bundesregierung hat aber in den vergangenen Monaten den Eindruck erweckt, als ginge es hierbei primär und fast ausschließlich darum, den zivilen Luftverkehr besser zu steuern und zu kontrollieren, das heißt, eine Airsupport-Controlling-Funktion auszuüben. Im Mittelpunkt stand jedoch bisher nicht, dass tatsächlich wertvolle Unterstützung im Rahmen der ISAF-Operation geleistet werden soll. Das ist nun in dem Mandat so beschrieben. Das ist richtig, und das ist gut so. Das unterstützen wir. Daran gibt es keine Kritik. Nachdem wir aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierung, in den letzten Monaten schlechte Erfahrungen mit der Interpretation und Auslegung der „Atalanta“-Mandate gemacht haben, möchte ich Sie deutlich fragen: In dem Mandat ist der Auftrag eindeutig beschrieben, aber mit mehreren Spiegelstrichen; es gibt fünf oder sechs. Bei „Atalanta“ nutzen Sie die Reihenfolge der Aufgabenbeschreibung, um Prioritäten zu setzen. Wenn wir Ihrem Antrag zustimmen sollen, müssen Sie uns folgende Frage beantworten: Gibt es bei den Aufgaben eine Reihenfolge bzw. Prioritäten, oder sind Sie bereit, willens und fähig, alle Aufgaben gleichrangig wahrzunehmen? Das wäre eine wichtige Auskunft für uns. Nicht, dass wir eines Tages wieder erfahren, Sie konzentrierten sich nur auf die ersten beiden Aufgaben, wie Sie es bei „Atalanta“ tun. Wir erwarten, dass Sie das Mandat vollumfänglich ausüben.

(Beifall bei der FDP)

Wir hören – der Herr Staatsminister hat das eben kurz angedeutet –, dass es offensichtlich in der Koalition nach wie vor eine Diskussion darüber gibt, ob eventuell Informationen von AWACS an das „böse“ OEF-Mandat weitergegeben werden können. – Ich weiß, dass Sie, Herr Staatsminister, das nicht gesagt haben. Aber offensichtlich gibt es Diskussions- und Klärungsbedarf. Sonst hätten Sie das nicht angedeutet. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Im Juni 2009 ist diese Diskussion nur noch lächerlich. Selbst der UNO-Sicherheitsrat fordert eine enge Kooperation beider Einsätze. Für OEF und ISAF gelten die gleichen Rules of Engagement, also dieselben Einsatzregeln. Ich erwarte, dass alle Informationen, die das AWACS-System liefern kann, zum Schutz aller Partner und Soldaten in Afghanistan eingesetzt werden können.

(Beifall bei der FDP)

Wir alle wissen: AWACS kann sehr weit blicken, auch über das Land Afghanistan hinaus, zum Beispiel in den Iran und nach Pakistan. Da wir auf beide Länder dringend angewiesen sind, wenn es darum geht, die Stabilisierung der Region voranzutreiben, schlage ich der Bundesregierung vor – vielleicht hat sie es schon gemacht –, im Vorhinein diese beiden Länder über den Sinn und den Umfang der AWACS-Mission offensiv zu informieren, um sie einzubinden, sie an Bord zu halten und deutlich zu machen, dass wir nichts tun, was eventuell ihren Interessen zuwiderläuft.

Die Regierung hat bisher die Luftkontrollfunktion in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellt. Das Mandat klärt hier auf; das begrüße ich. Der Herr Staatsminister hat über Bemühungen gesprochen, zivile Kontrollfunktionen in Afghanistan aufzubauen. Das reicht uns aber nicht aus. Denn natürlich wollen wir auch gerne wissen: Wie lange müssen wir mit unseren Kapazitäten die Luftkontrollfunktion in Afghanistan aufrechterhalten? Das heißt, ich hätte von der Bundesregierung gerne etwas konkreter gewusst, in welchem Zeitraum wir die dringend notwendige Luftkontrollfunktion in Afghanistan aufgebaut haben werden. Hierzu erwarten wir noch mehr Informationen von der Bundesregierung.

Wir, die FDP-Fraktion, erkennen die Sinnhaftigkeit dieses AWACS-Einsatzes. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie dieses Mandat offensiv und ehrlich vertritt und ausübt. Wir erwarten zudem die Beantwortung unserer offenen Fragen. Dann können Sie mit unserer Zustimmung in der nächsten Woche rechnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am Freitag im NATO-Rat die Entscheidung getroffen, dass wir uns mit NATO-AWACS-Maschinen in Afghanistan engagieren. Lieber Kollege Stinner, ich will Ihnen gleich eine Antwort auf Ihre Frage geben. Im NATO-Rat gilt das Konsensprinzip. Sie wissen, dass dieser Konsens über eine längere Zeit leider nicht hergestellt werden konnte. Ich bin dankbar dafür, dass die Vorbehalte Frankreichs hinsichtlich der Finanzierung jetzt ausgeräumt werden konnten. Daran hat dankenswerterweise auch unsere Bundeskanzlerin mitgewirkt. Ich will Ihnen klar und deutlich sagen, dass wir uns darauf verständigt haben, die Zusatzausgaben für den Einsatz in Afghanistan innerhalb der Gemeinschaft aufzuteilen. Wir teilen den Betrag nach dem Schlüssel auf, der für unsere Beitragszahlungen für die NATO gilt. So zahlen wir beispielsweise rund 16 Prozent und die Franzosen rund 11 Prozent. Das ist die Grundlage. Deshalb haben wir die Möglichkeit gehabt, diese Entscheidung am Freitag [12. Juni, Anm. AGF]zu treffen.

Ich halte es für richtig und gut, dass wir diese Entscheidung jetzt endlich getroffen haben, weil der Luftverkehr in Afghanistan tagtäglich zunimmt. Sie konnten heute in der Zeitung lesen, dass im Rahmen des zivilen Luftverkehrs eine direkte Flugverbindung von Kabul nach Frankfurt eingerichtet worden ist. Wir haben aber ein unmittelbares Interesse an dem Einsatz auch im Hinblick auf unsere Soldatinnen und Soldaten; denn 51 Prozent der Flüge für den Transport von Material und Personal in Afghanistan, und zwar in Gesamt-Afghanistan, führen wir durch. Die Luftaufklärung für Gesamt- Afghanistan wird durch unsere Tornados geleistet. Sie wissen, dass unsere amerikanischen Freunde sehr deutlich signalisiert haben, sich weiter zu engagieren, was weitere Lufttransporte nach sich zieht, sodass wir ein eminentes Interesse daran haben, wegen der noch nicht vorhandenen Sicherheitsstrukturen in Afghanistan die Flugsicherung durch NATO-AWACS-Maschinen zu gewährleisten.

Eine Flugsicherung ist auch im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten und dient ihrem Schutz. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.

Ich möchte einen zweiten Aspekt vortragen. Die vier AWACS-Maschinen sollen zunächst – auch das gehört zum Mandat – in Konya in der Türkei stationiert werden. Wir haben aber das Ziel, sie näher an Afghanistan heranzubringen. Das heißt, es finden Verhandlungen mit Staaten der Golfregion statt, um die Flugzeuge in Zukunft dort stationieren zu können. Im Übrigen, Herr Kollege Stinner, werden selbstverständlich die Aufgaben wahrgenommen, die im Mandat beschrieben worden sind. Ich will nicht ablenken, aber das hat mit der Operation „Atalanta“ nichts zu tun; denn das ist ein europäischer Auftrag. Die Verantwortlichkeiten werden klar und deutlich, wie beschrieben, im Rahmen der NATO wahrgenommen.

Dritter Punkt: Es wird ein Luftlagebild erstellt, die Luftverkehrsbewegungen werden entflochten, und der zivile und der militärische Flugverkehr werden koordiniert. Weiterhin wichtig sind die Koordination der Luftbetankung, die Relaisfunktion im Kommunikations- und Datenaustausch für alle militärischen Luftraumnutzer und die Unterstützung von Luftoperationen der ISAF. Es ist richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Beschluss im Hinblick auf die Kooperation von ISAF und OEF gefasst hat. Das ergibt sich gerade aus dem gesamten Luftverkehr und der entsprechenden Flugsicherung. Ich möchte aber hervorheben, dass AWACS-Flugzeuge nicht die Funktion und auch nicht die Fähigkeit zur Bodenaufklärung haben. Sie haben auch keine Feuerleitfähigkeit für Luft-Boden-Einsätze. Daher gibt es schon eine Unterscheidung. Das ist auch richtig so, wenn der entsprechende Auftrag erfüllt werden soll.

Die Heimatbasis für AWACS-Flugzeuge ist, wie Sie wissen, Geilenkirchen. Der Anteil deutscher Soldaten im Verband beträgt 40 Prozent.

Das Mandat sieht bis zu 300 Soldaten für diesen Auftrag vor. Warum? Etwa 100 Kräfte werden im unmittelbaren Einsatz sein. Wir werden auch für Kontingentwechsel usw. Vorsorge treffen müssen. Außerdem brauchen wir in den Regionen – ich habe gerade davon gesprochen, dass wir eine Verlegung in die Golfregion beabsichtigen – entsprechende Absicherungen. Notwendig sind dort eine ausreichende Logistik und Unterstützung im Bereich der Sanität. Das Mandat ermöglicht einen Einsatz von bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten. Das schafft Flexibilität und gewährleistet die Erfüllung unseres Auftrages.

Ich will hier einen weiteren Aspekt vortragen: Wenn Sie diesem Mandat zustimmen, gilt es bis Dezember 2009 und damit bis zum Ablauf des Afghanistan- Mandats. Dann können wir über das Afghanistan- Mandat grundsätzlich neu entscheiden. Auf uns kommen bis Dezember dieses Jahres einsatzbedingte Zusatzausgaben von ungefähr 4,2 Millionen Euro zu.

Ich möchte hervorheben: Mit diesen AWACS-Maschinen können wir einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung von Flugsicherheit – sie ist in Afghanistan noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden – und damit zur Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten leisten. Richtig ist allerdings: Dort müssen die entsprechenden Strukturen aufgebaut werden. Ich selbst habe den Spatenstich zum Bau der Landebahn in Masar-i-Scharif durchgeführt. Ich verweise auch auf die Entwicklung in Uruzgan. Auch wenn ich Ihnen keinen definitiven Zeitpunkt nennen kann, bis wann diese Strukturen aufgebaut sind, denke ich, dass wir auch auf diesem Gebiet vorankommen.

Eines ist allerdings klar: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen Beitrag zu unserer Sicherheit. Sie gewährleisten damit Stabilisierung durch den Einsatz von Leib und Leben. Gerade im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bevölkerung ist das von entscheidender Bedeutung. Ich plädiere dafür, unseren Soldatinnen und Soldaten angesichts ihres schwierigen Einsatzes in Afghanistan dadurch zusätzlichen Schutz zu gewährleisten, dass wir die Flugsicherheit durch die NATO-AWACS-Maschinen verbessern. Das ist ein wichtiger Beitrag, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten schon sehr genau besprechen, worüber wir entscheiden. Ich glaube, das Mandat lässt keinen Zweifel daran: Bei der Entsendung von AWACS geht es am allerwenigsten um die zivile Flugsicherung. Zivile Flugsicherung erfolgt gemeinhin durch Radarsysteme am Boden. Das gilt im Übrigen auch für gebirgige Länder wie die Schweiz und Österreich.

Wenn man schon so lange in Afghanistan ist, hätte man dort auch mehr tun können. Die AWACS-Diskussion wird seit einem Jahr geführt. Man hätte die zivile Luftraumüberwachung folglich schon früher auf den Weg bringen können. Der Beweis ist noch nicht erbracht, dass ausgerechnet die AWACS – und nur sie – für diese Flugsicherung notwendig sind.

Es gibt natürlich einen Zusammenhang: Eine starke Zunahme militärischer Luftoperationen bedeutet ein höheres Risiko für die zivile Luftfahrt. Das negiere ich überhaupt nicht. Aber mir scheint, das ist genau des Pudels Kern. Die jetzige Entscheidung der NATO, AWACS zu entsenden, ist in erster Linie ein Resultat des in den letzten drei Jahren intensivierten Krieges, dessen Ende noch lange nicht absehbar ist. Im Gegenteil: Wir erleben eine weitere Verschärfung.

Der Herr Minister hat gesagt: Die AWACS erstellen ein Luftlagebild; sie können als Relaisstationen gewisse Koordinierungen übernehmen. Die besondere Qualität besteht aber darin, dass sie Kampfflugzeuge in ihre Einsatzgebiete einweisen und Störenfriede abweisen bzw. des Platzes verweisen können. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die AWACS unmittelbar Feuerleitzentralen sind. Ich finde, die Diskussion darüber ist ein Ablenkungsmanöver, auch wenn sie diese Aufgabe durchaus übernehmen könnten. Aber darüber brauchen wir jetzt gar nicht zu streiten.

Der Einsatz der AWACS dient, was ihre besondere Rolle bei den ISAF-Luftoperationen angeht, der Optimierung dieser Einsätze. Diese Optimierungsnotwendigkeit ist der Intensivierung des Krieges am Boden geschuldet. Das ist der Zusammenhang.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich hat es auch mit der Aufstockung der NATOTruppen zu tun. Vor allem die US-amerikanischen Truppen nehmen zu. Darunter sind auch mehr Kampfverbände als bisher. Es läuft darauf hinaus, dass demnächst über 100 000 auswärtige Soldaten in diesem Land sind. Mit anderen Worten: Man stellt sich auf eine verschärfte Aufstandsbekämpfung mit militärischen Mitteln ein. Die deutsche QRF ist ja seit Monaten quasi im Dauereinsatz.

Gleichzeitig ist dann aber die Bilanz dieser militärischen Eskalation zu prüfen. Im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir eine Verdoppelung der Gewaltakte gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Auch von der UNO werden zwei Drittel des Landes als nicht mehr sicher bezeichnet.

In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Luftangriffe mit einer erheblichen Zahl ziviler Opfer – jüngstes Beispiel: die Bombardierung von Balabuluk Anfang Mai 2009, bei der möglicherweise über hundert Zivilisten zu Tode gekommen sind –, obwohl Präzisionswaffen eingesetzt werden. Es wird ja nicht unterschiedslos bombardiert. Allerdings kann man auch mit Präzisionswaffen solche Folgen herbeiführen. Mit dem Einsatz von AWACS soll dieser Luftkrieg optimiert werden. Wir wiederholen an dieser Stelle: Ein Mehr an Falschem kann nicht zu Gutem führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Grundsatzauseinandersetzung müssen wir an dieser Stelle führen. Es geht nicht darum, ob diese Systeme Feuerleitfunktionen haben und ob sie dieses oder jenes können. Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Unterstützung des Luftkriegs finde ich sehr subtil. So etwas lesen wir dann in den Vorlagen der Bundesregierung. Dort heißt es auch, OEF sei von Katar unmittelbar gesteuert, während ISAF nur über die Operationszentrale in Katar koordiniert werde.

Das alles sind doch nur Vernebelungsversuche. Es geht darum, dass die Lufteinsätze von OEF und ISAF sich heute wechselseitig ergänzen. Die Realität am Boden sieht auch so aus. Dort gibt es nun einmal eine enge Verzahnung.

Man kann auch argumentieren, dass es militärisch widersinnig wäre, AWACS nicht für beide Missionen zu nutzen. Wenn man das tut, muss man natürlich auch wissen, wie es um die völkerrechtlichen Grundlagen von OEF bestellt ist. Herr Kollege Stinner hat diese Debatte als lachhaft bezeichnet. Das finden wir überhaupt nicht. Dieses Thema steht nach wie vor im Raum, weil OEF nicht UNO-mandatiert ist.

Außerdem muss man sich die Frage stellen, inwieweit man bei diesem Prozedere möglicherweise in einem bestimmten Maße Kontrolle aus der Hand gibt. Diesen Fall hatten wir beim Einsatz von US-Spezialkräften im Einsatzgebiet der Bundeswehr. Dann ist man froh, wenn man hinterher informiert wird.

Lassen Sie mich als letzten Punkt noch die Frage der Ausdehnung der Kampfzone nach Pakistan ansprechen. Richtig ist, dass das Mandat das Einsatzgebiet Afghanistan festschreibt. Zur Koordinierung der militärischen Luftbewegungen gehören aber ohne Zweifel auch die Drohnen. Sie stellen in meinen Augen sogar ein besonders kritisches Element dar. Wird denn die NATO mit AWACS nicht assistieren, wenn Drohnen von afghanischem Boden woandershin geschickt werden? Diese Frage muss die Bundesregierung sehr verbindlich und ganz präzise klären.

Das ist für uns wichtig, weil es in diesem Zusammenhang um die Grundfrage geht, ob man eine Exit-Strategie versucht – also einen Ausweg, der natürlich eine politische Verhandlungslösung einschließen muss – oder sich einfach weiter in dieses Kriegsgeschehen verstricken will, und zwar mit unabsehbaren Folgen. Das ist die Frage, die hier bei der AWACS-Entscheidung ansteht. Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Entsendung der AWACS-Aufklärungsflugzeuge geht es um zwei Schlüsselfragen. Erstens: Sind sie notwendig und dringlich für die Flugsicherheit in Afghanistan insgesamt? Zweitens – diese Frage hat Kollege Paul Schäfer auch angesprochen –: Sind sie insgesamt ein Beitrag zu mehr Sicherheit oder insgesamt ein Beitrag zur Konflikteskalation?

Kollege Schäfer hat dazu aufgerufen, genau hinzusehen. Hinterher hat er diesen Anspruch allerdings nicht mehr eingelöst, sondern nur noch auf die eine Seite geschaut.

Ich versuche jetzt, tatsächlich genau hinzusehen.

Der Auftrag ist schon genannt worden. Daher komme ich direkt zum Bedarf. Wir wissen, dass es in Afghanistan keine landesweite Luftraumüberwachung gibt, sondern nur Bodenstationen in Kabul, Kandahar und Helmand sowie ein wenig im Osten. Die Station in Kabul hat auch nur eine begrenzte Reichweite. Die Überwachung geht bis zu den Bergen, also maximal 20 bis 30 Kilometer. Danach kommt der Radarschatten; danach ist Schluss. Zurzeit sind allerdings auch schon einige amerikanische AWACS-Flugzeuge im Einsatz, die aber nur begrenzte Tageszeiten abdecken.

Das Flugaufkommen ist in allen Bereichen stark gestiegen. Meines Wissens finden zurzeit täglich bis zu 70 Luft-Boden-Einsätze der alliierten Streitkräfte, einschließlich Show of Force, statt. Die genaue Zahl der UNAMA- und ISAF-Flüge sowie der sonstigen Flüge liegt mir nicht vor; aber ich wette, dass ihre Zahl deutlich darüber liegt. Man muss sich nur anschauen, wie hoch das Flugaufkommen am Flughafen von Kabul ständig ist. Zurzeit fliegen 15 zivile Fluggesellschaften insgesamt 62 Flugplätze und Flugpisten in Afghanistan an.

Einige von uns wissen, wie diese Pisten aussehen. Die Landwege sind inzwischen sehr gefährlich, sodass viele, die für verschiedene Hilfsorganisationen der UN tätig sind, nur mit dem Flugzeug die Möglichkeit haben, schnell ihr Ziel zu erreichen. Die angekündigte zivile und militärische Verstärkung der Vereinigten Staaten wird das Flugaufkommen noch um einiges erhöhen.

Dazu zwei Impressionen: Als wir in der letzten Woche mit einigen Kollegen in Afghanistan waren, startete oder landete in Kabul alle paar Minuten ein Flugzeug. Die Flugzeuge, die wir gesehen haben, schienen überwiegend zivil genutzt zu werden.

Die andere Impression: Überflug über den Hindukusch. Ich hatte die Gelegenheit, im Cockpit zu sitzen. Wolken kamen auf. Die Piloten können nur nach Sichtflugregeln agieren. Also mussten alle vier im Cockpit an den Fenstern schauen, ob irgendwo eine Maschine ankommt.

Ich fasse zusammen: Gerade im Winter, Frühling, Herbst ist die Flugmöglichkeit enorm eingeschränkt, weil man sich an die Regeln für Sichtflug halten muss. Manche Orte werden dann tagelang nicht erreicht. Zum anderen hat es inzwischen etliche Beinaheunfälle gegeben. Da kann ich nur sagen: Bisher hat man viel Glück gehabt. So viel zur Bedarfslage.

Ich komme nun zu den problematischen Fragen. In Afghanistan besteht der gefährliche Unsinn mehrerer nebeneinander agierender Militäroperationen. Das hat immer wieder zu Friktionen geführt. Kai Eide hat noch vor kurzem gerade den Bodeneinsatz im Rahmen der Operation Enduring Freedom so scharf wie nie zuvor kritisiert.

Es stellt sich die Frage, wie man im Hinblick auf die anderen Operationen mit den Erkenntnissen von AWACS umgeht. Beim Luftlagebild macht es nur Sinn – das ist völlig klar –, alles, was sich im Luftraum bewegt, zu erfassen und die Informationen weiterzugeben.

Zur Frage der Führungsfähigkeit haben Sie, Herr Staatsminister, eben schon etwas gesagt: Die Frage der Führungsfähigkeit sollte sich nur auf die ISAF-Flugzeuge beziehen. Da stellt sich die Frage, warum nicht auch die Zivilen einbezogen werden sollten, die auch wichtige Aufgaben erfüllen. Handelt es um eine Interpretation der Bundesregierung, wenn man hier Enduring Freedom außen vor lässt? Geht es bei der Frage der Führungsfähigkeit wirklich nur um das ISAF-Mandat, nicht um Enduring Freedom? Bei der ISAF wird das teilweise anders gesehen.

Auf die Möglichkeit, einen Beitrag zu den Luft- Boden-Einsätzen zu leisten, ist inhaltlich eingegangen worden. Eigentlich sind die technischen Möglichkeiten dazu nicht vorhanden.

Paul Schäfer hat die Frage der Zuweisung von Einsatzräumen angesprochen. Es ist unbestreitbar, dass eine solche Zuweisung notwendig ist. Hier stellt sich die allgemeinere Frage: Ist der Einsatz von AWACS ein Beitrag zur Eskalation der Kämpfe in der Luft und am Boden?

Hier darf man nicht außer acht lassen, was sich auf amerikanischer Seite tut: Die Amerikaner – das ist richtig – verstärken ihre militärischen und zivilen Kräfte; aber – das stimmt mich hoffnungsvoll – es hat einen inhaltlichen Wandel der Strategie gegeben, so wie er hier im Parlament öfter eingefordert wurde: Man nimmt nicht mehr die Bekämpfung des Gegners in den Fokus, sondern den Schutz der Bevölkerung.

(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

General Petraeus sagt jetzt eindeutig: Der Schutz der Bevölkerung ist das A und O, der Dreh- und Angelpunkt; wenn wir ihn nicht in den Mittelpunkt stellen, können wir alles andere vergessen.

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Frage der Zivilopfer in der Führung auf amerikanischer Seite nun viel kritischer gesehen wird. Es wird viel massiver etwas dagegen getan, dass es Zivilopfer gibt. Das wird nicht mehr nur als eine Frage der Einsatzregeln, sondern als Frage der Strategie betrachtet. Das stellt eine erhebliche Veränderung dar.

Den letzten Punkt haben Sie schon angesprochen – die Bundesregierung muss sich hier noch einbringen –: die verschiedenen Maßnahmen im Zusammenhang mit Masar und Uruzgan.

Insgesamt ist eine Perspektive dafür notwendig, wann realistisch und mit Ehrgeiz auch eine zivile Flugsicherung aufgebaut werden kann; denn es wäre unsinnig, einen teuren AWACS-Einsatz als Dauerlösung zu installieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wollen auch Sie sicherlich nicht. Insofern muss Klarheit her.

Ich danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Afghanistan eine NATO-Mission. Ich bin froh, dass diese jetzt auch erkennbar zusammenwächst.

Kollege Nachtwei hat es angesprochen. Die Verstärkung der Amerikaner im Süden ist nicht nur eine zahlenmäßige Veränderung, sondern es soll auch qualitativ anders werden. Der deutsche Ansatz im Norden wird inzwischen von den NATO-Partnern für richtig gehalten und übernommen. Auch im Norden gehen wir mittlerweile mit ausgebildeten Kräften der afghanischen Nationalarmee dorthin, wo Taliban sind. Ich hoffe, dass wir so Konvergenz der Strategie der NATO in Afghanistan erreichen.

Wenn es eine NATO-Mission ist, dann muss dieser Mission das zur Verfügung stehen, was die NATO hat. Die NATO hat ein gemeinsames Aufklärungs- und Führungsmittel für Luftverkehr, für Luftoperationen, und das sind die AWACS-Maschinen, die in Geilenkirchen bei Aachen in Deutschland stationiert sind. Wenn diese für eine NATO-Operation notwendig sind, ist es absolut richtig, dass wir dieses NATO-Mittel der NATO auch zur Verfügung stellen.

Im Übrigen wird eine Koordination des Luftverkehrs auch bisher schon vorgenommen, aber nicht durch die NATO, sondern, Kollege Schäfer, durch OEF in Katar. Wenn wir die NATO-Verantwortung in Afghanistan stärken wollen, ist es doch geradezu ein Vorteil, eine neue Qualität, wenn die NATO selbst diese Aufgabe übernehmen kann, weil sie die technischen Mittel dafür hat. Das heißt natürlich, dass auch Flugzeuge, die für OEF fliegen, auf dem Schirm der NATO-AWACS-Maschinen sein werden, aber es geht nicht darum, ihnen Ziele zuzuweisen, sondern es geht darum, den Luftverkehr zu regeln.

Es nützt nichts – ich glaube, jeder hat darauf hingewiesen –, immer wieder Andeutungen zu machen, dass damit irgendwie ein Bodenkrieg verbunden sein könnte. Wir sind nicht dagegen, dass Ziele am Boden aufgeklärt werden, aber das machen zum Beispiel die Tornados, die wir der NATO-Mission in Afghanistan zur Verfügung gestellt haben. Die klären am Boden auf. Für die Luftaufklärung sind die AWACS-Maschinen jetzt eine zusätzliche technische Möglichkeit.

Die Notwendigkeit dazu ist dargelegt worden. Der Luftverkehr in Afghanistan nimmt nicht ab, sondern zu. Auch die angekündigte US-Verstärkung – dass über 10 000 zusätzliche Soldaten da sein werden, begrüßen wir – wird zu mehr Flugbewegungen in Afghanistan führen. Es werden Flugplätze für zivile Nutzung ausgebaut. Wir haben selbst beobachten können – Kollege Nachtwei hat es beschrieben –: Der zivile Luftverkehr nimmt zu. Das ist ein gutes Zeichen für Afghanistan.

Wenn man auf dem direkten Weg von Deutschland nach Afghanistan fliegen kann, ist das doch eine ganz andere Situation als in den letzten Jahren, als es fast nur militärische Möglichkeiten gab, Afghanistan zu erreichen. Das geht inzwischen auch zivil. Das muss immer mehr werden. Das muss sicher sein. Für diese Sicherheit will und soll ISAF sorgen.

Selbstverständlich muss das später zivil betrieben werden. Das ist keine Dauerlösung; völlig klar. Aber solange die NATO Verantwortung in Afghanistan hat, ist es nicht egal, wie das Problem gelöst ist. Man kann nicht sagen: Wenn es nicht gelöst ist, ist es auch gut. – Wir leisten einen Beitrag zur Sicherheit Afghanistans, auch auf diesem Gebiet.

Stationiert wird das System zunächst in der Türkei, in Konya, einem vorbereiteten Stützpunkt für die AWACS-Maschinen. Es gibt übrigens vier solcher Stützpunkte auf NATO-Gebiet. Die Türkei ist NATO-Gebiet. Wenn ich die Unterlagen, die uns zugegangen sind, richtig verstanden habe, wird erwogen, zu einem späteren Zeitpunkt auf die arabische Halbinsel zu gehen, also näher ans Einsatzgebiet heran. Es ist vernünftig, wenn man das mit einem Partner in der Region koordinieren kann.

Ich möchte ausdrücklich das aufgreifen, was Kollege Stinner in Bezug auf die Nachbarn Afghanistans gesagt hat. Das Einsatzgebiet der AWACS-Maschinen geht natürlich über das Staatsgebiet Afghanistans hinaus. Darüber sollte man mit den Nachbarn Afghanistans reden, damit keine Missverständnisse entstehen können. Die gleiche Klarheit, die wir hier im Bundestag haben wollen und bekommen, müssen auch die Nachbarn des ISAF-Stationierungslandes haben.

Was die Kosten angeht, so hat es ein Jahr gedauert, sich mit Frankreich über dessen Beitrag zu diesem gemeinsamen NATO-Projekt zu einigen. Das ist ein bisschen enttäuschend. Die Ankündigung Frankreichs, in der NATO wieder voll dabei sein zu wollen, ist ja von allen Partnern, auch von uns, positiv aufgenommen worden. Es kann aber nicht sein, dass Frankreich sein Dabeisein gleich wieder zum Blockieren benutzt. Wer dabei sein will, der soll sich auch konstruktiv verhalten. Bei dem Beitrag, den Frankreich leisten sollte, ist es nicht um große Summen gegangen, sondern eher um einen symbolischen Beitrag, den Frankreich leisten kann und nun auch leistet. Die Verhandlungen der Bundesregierung waren also erfolgreich.

Wir sind damit einverstanden, dass die Entsendung von bis zu 300 zusätzlichen Soldaten für diesen Einsatz im Rahmen von ISAF vom Bundestag beschlossen wird und nicht noch einmal an der Obergrenze, die wir für die bisherige ISAF-Mission, nämlich 4 500 Soldaten, beschlossen haben, geknabbert wird. Es handelt sich zwar um einen weiten Rahmen, und wir hoffen, dass wir ihn nicht ausschöpfen müssen, aber ein bisschen Luft im Mandat ist sinnvoll. Dieser Spielraum sollte nicht durch die Anrechnung des zusätzlichen Personals, das wir jetzt für die AWACS-Mission benötigen, eingeengt werden, zumal die Soldaten ja gar nicht in Afghanistan stationiert werden.

Zu dem Argument, das man gelegentlich in der Öffentlichkeit hört, es komme immer noch ein Einsatz und noch ein Einsatz hinzu, möchte ich sagen: Das mag, wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt, manchmal so aussehen; aber das liegt daran, dass die Einsätze, die abgeschlossen werden, niemanden mehr interessieren.

Schauen wir uns einmal den Balkan an: In Mazedonien sind wir längst nicht mehr. Das Mandat in Bosnien-Herzegowina wird in ganz absehbarer Zeit ablaufen; da sind heute noch 130 deutsche Soldaten. Für das Mandat im Kosovo hat der NATO-Rat jetzt einen Plan zur Reduzierung beschlossen, der als Ziel den kompletten Abzug vorsieht. Das ist letztendlich immer das Ziel solcher Einsätze. Wir haben einen langen Atem gebraucht, wir haben es aber durchgehalten, und jetzt sind diese Länder in der Lage, ihre Sicherheit selbst zu organisieren.

Das ist auch das Ziel des Einsatzes in Afghanistan.

Es findet keine Überdehnung der Möglichkeiten der Bundeswehr statt. Heute sind gut 7 000 Soldaten in Auslandseinsätzen, zu Spitzenzeiten waren es 10 000. Die Bundeswehr kann also durchaus das leisten, was wir heute zusätzlich beschließen wollen.

Ich hoffe, dass wir in der nächsten Sitzungswoche diese eigentlich überfällige Mission beschließen können. Wir hätten das schon vor fast einem Jahr tun können. Es lag nicht an uns, dass es nicht dazu gekommen ist. Es ist aber eine weitere sinnvolle Hilfe für dieses gebeutelte Land, für Afghanistan.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund von der CDU/CSU-Fraktion.

Manfred Grund (CDU/CSU):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des Luftraums von Afghanistan ist tatsächlich überfällig. Die NATO hat die Notwendigkeit schon seit langem gesehen. Strittig war bisher die Finanzierung. Dafür wurde jetzt eine Lösung über die Gemeinschaftsfinanzierung unter Beteiligung aller NATOStaaten gefunden. Infolgedessen hat der Nordatlantikrat am 12. Juni die Entsendung von AWACS-Maschinen nach Konya in der Türkei zum Einsatz über Afghanistan beschlossen. Der Einsatz soll im Rahmen der ISAF-Mission erfolgen. Angestrebt wird eine spätere Verlegung der Maschinen an einen Ort, der näher am Einsatzgebiet liegt. Darüber verhandelt die NATO noch. Auch für den Einsatz von Konya aus sind noch Überfluggenehmigungen auszuhandeln.

Für uns geht es heute darum, den Weg rechtlich frei zu machen, damit die Einsätze baldmöglichst beginnen können. Das Mandat ist zunächst bis zum 13. Dezember befristet. Das hat den Vorteil, dass der dann neu gewählte Bundestag die Möglichkeit hat, über die Fortsetzung dieses Einsatzes im Zusammenhang mit der Fortsetzung des ISAF-Mandates zu entscheiden.

Es ist eine Tatsache – das wurde hier auch mehrfach angesprochen –, dass die zivile wie auch die militärische Luftraumüberwachung in Afghanistan bislang unzureichend ist. Es geht uns nicht nur um eine Überwachung für militärische Zwecke, sondern wir setzen uns auch für einen zügigen Auf- und Ausbau der zivilen Luftraumüberwachung ein. Das braucht aber Zeit und nicht unerhebliche Mittel. Außerdem verfügen AWACS-Flugzeuge über Fähigkeiten, die stationäre Anlagen kaum zu bieten vermögen. Aufgrund der Größe und der geografischen Beschaffenheit des Landes können Anlagen am Boden derzeit nämlich kaum eine ähnlich großräumige und lückenlose Luftraumüberwachung gewährleisten, wie sie von AWACS-Flugzeugen aus möglich ist.

Es ist selbstverständlich, dass dieser Einsatz auch eine militärische Bedeutung hat; denn mit dem Anwachsen der ISAF-Mission, dem Aufwuchs der in Afghanistan stationierten Truppen und ihrer Operationen, steigt auch der Koordinierungsbedarf im Luftverkehr. Doch dient der Einsatz der AWACS-Flugzeuge grundsätzlich der Sicherheit aller vom Luftverkehr in Afghanistan Betroffenen. Aber nochmals: Es gibt keine Unterstützung für Angriffe. Dies ist politisch nicht gewollt und technisch auch nicht möglich.

Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge soll der Koordinierung des zivilen und des militärischen Flugverkehrs dienen. Dementsprechend sollen die gewonnenen Luftraumbilder auch zivilen Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Dieser Einsatz wird dem Schutz unserer Bundeswehrpiloten dienen. Zugleich aber wird auch die Sicherheit im Luftverkehr insgesamt und damit auch die Sicherheit der Zivilbevölkerung erhöht. Um es noch einmal zu sagen: Zu Kampfeinsätzen wird der Einsatz unmittelbar nicht beitragen. Die Taliban verfügen in aller Regel nicht über Geräte, die von den Radaranlagen der Flugzeuge aufgeklärt werden könnten.

Die Besatzungen der AWACS-Flugzeuge der NATO bilden eine vollständig integrierte Truppe. Ihre Angehörigen werden von den einzelnen Mitgliedstaaten entsandt. Der Anteil der deutschen Soldaten an den Besatzungen der AWACS-Aufklärungsflugzeuge beträgt etwa 40 Prozent. Kein beteiligtes Land kann sich aus einem solchen Einsatz zurückziehen, ohne ihn nicht infrage zu stellen oder unmöglich zu machen.

Zuletzt hatte eine Bundesregierung 2003 der Entsendung von AWACS-Flugzeugen zugestimmt – damals in die Türkei während des Irak-Krieges. Danach hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch solche Entscheidungen der Zustimmung des Bundestages bedürfen.

Es sollte aber auch klar sein, dass bündnispolitischen Rücksichten dabei ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Auch deshalb ist dieser Antrag nicht geeignet, um erneut das grundsätzliche Für und Wider des Afghanistan-Engagements zu erörtern.

Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge wird einen signifikanten Beitrag zur Luftraumüberwachung in Afghanistan leisten. Er wird zum Schutz unserer Piloten beitragen. Er wird aber auch die Sicherheit für die zivilen Helfer und die Sicherheit für die Bevölkerung erhöhen.

Deshalb werden wir dem Antrag zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/13377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.


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