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Berlin zeigt sich unzufrieden mit Kabul

Bundesregierung in Lagebericht: Konflikt mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen

Die Bundesregierung ist unzufrieden mit der Führung Afghanistans unter Präsident Hamid Karsai. Das geht aus einem Lagebericht hervor.

Die Fortschritte bei der Regierungsführung in Kabul seien weiterhin gering, heißt es nach Informationen der »Süddeutschen Zeitung« im ersten umfassenden Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Lage am Hindukusch. Der Report werde am heutigen Montag (13. Dez.) allen Bundestagsabgeordneten vorgelegt. Das Parlament soll im Januar über die Mandatsverlängerung für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan entscheiden.

Der Bericht komme zu dem Schluss, dass der Konflikt mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen sei, schreibt die Zeitung. Die Voraussetzungen für die nötigen Verhandlungen mit den Aufständischen seien geschaffen. Der Fortschrittsbericht befasst sich mit den Themen Sicherheit, Staatsaufbau und Regierungsführung sowie Wiederaufbau und Entwicklung.

Im Dokument heißt es laut »Focus«: »Im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung beabsichtigt die Bundesregierung einzelne nicht mehr benötigte Fähigkeiten soweit die Lage dies erlaubt ab Ende 2011/ 2012 zu reduzieren.« Der Bericht lobe, dass mit dem Übergabeprozess ein »Durchbruch für die künftige Entwicklung des internationalen Afghanistan-Engagements gelungen« sei. Die Bundestagsabgeordneten wollten das Papier als Entscheidungsgrundlage zur Mandatsverlängerung. Donnerstag will Außenminister Guido Westerwelle in einer Regierungserklärung dafür werben.

Der »Spiegel« berichtete unterdessen, der Oberkommandeur der ISAF-Truppen, US-General David Petraeus, habe nun doch deutsche Unterstützung bei der Überwachung des Luftraums in Afghanistan durch AWACS-Flugzeuge angefordert. Bis zu hundert Bundeswehrsoldaten müssten helfen, um den Einsatz der fliegenden Radarstationen über Afghanistan zu ermöglichen, schrieb das Magazin. Die Bundesregierung versuchte dem Bericht zufolge, die Anfrage zu verhindern, um eine peinliche Absage zu vermeiden. In Berlin befürchtet man, die AWACS-Mission sei politisch schwer durchzusetzen, weil dazu vermutlich ein neues Bundestagsmandat nötig wäre.

Bei einem Anschlag in Südafghanistan sind am Sonntag (12. Dez.) sieben NATO-Soldaten getötet worden. Das teilte die Schutztruppe ISAF mit, machte jedoch keine Angaben zu den Umständen des Vorfalls und zur Nationalität der Getöteten. Für die ausländischen Truppen ist es einer der blutigsten Anschläge seit dem Einmarsch 2001. In der Provinz Helmand starben 15 Zivilisten bei einem Anschlag.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Dezember 2010


Westerwelles Fortschrittsbericht

Lob für deutsche Soldaten in Afghanistan, Schelte für Präsident Hamid Karsai **

Ein »Fortschrittsbericht« über die Lage in Afghanistan soll den deutschen Bundestagsabgeordneten, die Mandatsverlängerung für den Bundeswehreinsatz am Hindukusch erleichtern. Das Papier des Auswärtigen Amtes, den die Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsressorts zugestimmt haben, soll den Parlamentariern am heutigen Montag (13. Dez.) vorgelegt werden. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) habe auf eine »ungeschminkte und ehrliche Bestandsaufnahme« gedrungen, hieß es im Auswärtigen Amt. Am Donnerstag (16. Dez.) will er in einer Regierungserklärung für ein erneutes Kriegsmandat werben. Der Bundestag wird voraussichtlich im Januar darüber entscheiden.

Obwohl in dem Bericht laut Süddeutscher Zeitung festgestellt wird, daß der »Konflikt in Afghanistan« mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist, wird das Mandat von 5000 deutschen Soldaten plus einer Reserve von 350 Mann nicht in Frage gestellt. Im Kern bestätigt das Papier die beim NATO-Gipfel in Lissabon beschlossene Abzugsvision. Bis 2014 sollen die Afghanen die Sicherheitsverantwortung im Land übernehmen. Mehr oder weniger. Der »Fortschrittsbericht« bekräftigt, daß Afghanistan auch danach massiv auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen sein wird. Die Bundeswehr werde nach 2014 weiter »durch Ausbildungskräfte und Schlüsselfähigkeiten« vertreten sein.

Folgerichtig gibt es in dem Papier viel Lob für die deutsche Truppe. »Erhebliche Fortschritte« sieht die Regierung bei den Bemühungen zum Aufbau der Afghan National Army und der Polizei. Zahlenmäßig sei man dem Zeitplan sogar voraus. »Deutlich besser als in anderen Landesteilen« sei zudem die Sicherheitslage im Bundeswehrgebiet im Norden Afghanistans – gleichwohl sie sich seit 2006 kontinuierlich verschlechtert habe. Positiv vermerkt der Bericht auch, daß die Bundeswehr nach einem Schwenk hin zu einem wesentlich robusteren Einsatz gegen die Taliban, inklusive dem Einsatz schwerer Waffen im Herbst 2010, »beachtliche Anfangserfolge« erzielen konnte.

Schlechte Noten bekommt hingegen die Regierung von Präsident Hamid Karsai. »Nach wie vor sind die Fortschritte im Bereich gute Regierungsführung allerdings gering«, heißt es in dem Bericht. Neben den mangelnden Bemühungen um Korruptionsbekämpfung wird vor allem der schleppende Aufbau des Justizwesens kritisiert. Man kann Karsai so schnell nicht allein lassen. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, 13. Dezember 2010


Petraeus' Wunschzettel

Von René Heilig ***

General Petraeus hat einen Brief an die Bundesregierung geschrieben. Noch ist er nicht da, denn der Dienstweg ist lang – vom Kabuler ISAF-Hauptquartier zum Allied Joint Forces Headquarters in Brunssum (Niederlande), dann über das Supreme Allied Headquarters (SHAPE) in Mons (Belgien) ins NATO-Hauptquartier nach Brüssel. Von dort gelangt er nach Berlin. Inzwischen könnte sich der Wunschzettel des US-Generals, auf dem deutsch-bemannte AWACS-Maschinen für Afghanistan vermerkt sind, erledigt haben. Er ist ohnehin nicht so ernst gemeint.

Doch die Anfrage gibt der schwarz-gelben Regierung in Berlin die Möglichkeit, abermals ihren Afghanistan-Friedens- und -Ausstiegswillen zu beteuern. Sie wird darauf verweisen, dass sie die Obergrenzen-Hürde von 5000 Soldaten auch im nächsten Mandat nicht übersteigen kann und will. Jeder Mann in der Luft, so wird Berlin weiter argumentieren, wäre ein Ausbilder zu wenig am Boden. Und nichts ist doch wichtiger als rasche und gründliche Entwicklungshilfe für die afghanischen Armee.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Die deutschen »Lehrmeister« stehen inzwischen selbst unter so schwerem Beschuss, dass sie jeden Mann brauchen, um den Rückzug zu decken und zu kaschieren, dass der Westen sich letztlich auf der Flucht vor dem eigenen Größenwahn befindet.

*** Aus: Neues Deutschland, 13. Dezember 2010 (Kommentar)




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