Hunger neben reicher Ernte
Im dürregeplagten Äthiopien erhofft sich die Regierung von der Landverpachtung an ausländische Investoren einen Modernisierungsschub / Kritiker sprechen von Ausverkauf
Von Philipp Hedemann, Addis Abeba *
Während Millionen Menschen am Horn von Afrika hungern, wird im Westen Äthiopiens Buschland von ausländischen Investoren in Großfarmen umgewandelt. Hier werden auch mit Hilfe von Kindern Ernten erzielt, die größenteils in den Export gehen.
Nur Reds Kopf lugt aus dem Grün hervor. Der Junge kniet bei knapp 40 Grad inmitten eines Zuckerrohrfeldes und jätet Unkraut. Ein Inder steht über ihm, passt auf, dass er auch nichts übersieht. Red ist acht Jahre alt. Umgerechnet 83 Cent verdient er, wenn er einen Tag auf dem Feld im Westen Äthiopiens schuftet. Das ist billiger als Pflanzenschutzmittel. Aufgrund einer verheerenden Dürre sind in Äthiopien über 4,5 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfslieferungen angewiesen. Doch der indische Farmpächter will in spätestens drei Jahren Millionen verdienen, indem er in Äthiopien produzierte Lebensmittel exportiert. Im zwölftärmsten Land der Welt hat der Wettlauf um landwirtschaftliche Produktionsflächen erst begonnen. Das Ausmaß der sozialen und ökologischen Risiken ist nicht absehbar.
»Noch ist hier überall Wildnis, aber bald werden wir Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen«, tönt Karmjeet Singh Sekhon, als er sich in einem Toyota-Pick-Up kutschieren lässt. Rechts und links der Piste brennt das bislang unberührte Buschland. Der 68-Jährige Inder ist Manager der gigantischen Karuturi-Farm, die sich auf einer Fläche von bald 300 000 Hektar im Westen Äthiopiens erstreckt. Beschleunigt durch den Anstieg und die Schwankungen der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt und Hungerrevolten begann 2008 ein beispielsloser Run auf landwirtschaftliche Produktionsflächen in Afrika, Südamerika und Asien. Ein Weltbank-Report sagt, dass im Jahr 2009 weltweit 45 Millionen Hektar Land verpachtet wurden. Zwischen 1998 und 2008 waren es vier Millionen Hektar pro Jahr. Man geht davon aus, dass in Entwicklungsländern bis 2030 jedes Jahr weitere sechs Millionen Hektar Farmland verpachtet werden, zwei Drittel davon in Sub-Sahara-Afrika und Südamerika.
Vor allem Länder wie Indien und die Golfstaaten wollen so den Hunger ihrer wachsenden Bevölkerungen stillen oder Ernten für den Weltmarkt erzielen. Mais, Reis, Weizen, Soja, Sorghum, Sesam, Zuckerrohr und Ölpflanzen für die Biospritproduktion stehen hoch im Kurs. Die Weltbank sieht darin Gefahr und Chance zugleich. »Die Landakquisitionen bergen ein großes Risiko. Der Schleier der Geheimhaltung, der auf diesen Land-Deals liegt, muss gelüftet werden, damit die armen Leute nicht den ultimativen Preis zahlen und ihr Land verlieren«, sagt Weltbank-Direktorin Ngozi Okonjo-Iweala. Bei einer Hungersnot in Äthiopien starben vor 26 Jahren über eine Million Menschen. Der Großteil der aktuell verteilten Notnahrung wird importiert.
In Äthiopien leben rund 85 Prozent der über 80 Millionen Einwohner von der Landwirtschaft, doch die Erträge gehören zu den geringsten weltweit. Meist werden die kargen Felder wie vor hunderten von Jahren mit einem vom Ochsen gezogenen Holzpflug bestellt. Die äthiopische Regierung erhofft sich von der Verpachtung einen Modernisierungsschub. In Äthiopien gehört alles Land dem Staat. Dreiviertel davon sollen für die Landwirtschaft geeignet sein, bislang wird nur ein kleiner Teil bestellt. 3,6 Millionen Hektar überwiegend im Westen des Landes hat die Regierung jetzt für Investoren ausgezeichnet. Umgerechnet rund 4,62 Euro zahlen die Investoren pro Hektar und Jahr. Kritiker sprechen von einem Ausverkauf der Dritten Welt. Doch Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi lässt die Kritik nicht gelten. Wer ausländische Konzerne des Landgrabbings bezichtige, sei schlecht informiert, meint er. »Wir möchten nicht die Schönheit unseres Landes bewundern, während wir verhungern«, sagt Zenawi. Kein Wunder, dass die äthiopische Regierung zum Liebling der internationalen Agro-Investmentfirmen avanciert.
Doch nicht alle wollen den vermeintlichen Fortschritt. Bauer Ojwato steht auf seinem knapp einem Hektar großen Feld. Eine Minute braucht er, um sein Feld abzulaufen. Mehrere Stunden braucht Farm-Manager Sekhon, um per Geländewagen die Farm abzufahren. Ojwato macht es wütend, dass die neben seinem Feld angebauten Lebensmittel exportiert werden sollen, während er auf Hilfslieferungen angewiesen ist. »Die Ausländer haben versprochen, Strom, Wasser und Krankenhäuser zu bringen. Doch nur ein paar von uns erhielten schlechtbezahlte Arbeit«, sagt der Bauer. Esayas Kebede von der äthiopischen Regierung meint, niemand werde gezwungen, für den Lohn von rund einem Euro pro Tag bei den Indern zu arbeiten. Dennoch schuften Kinder auf den Feldern. »Manchmal kommen nur fünf von sechzig Schülern zum Unterricht. Die anderen arbeiten auf den Feldern«, sagt Tigaba Tekle, stellvertretender Leiter einer Schule, die an die Karuturi-Farm angrenzt.
Offiziell werden für Großfarmen nur ungenutzte Flächen genutzt, Menschenrechtsgruppen befürchten aber, dass es zu Zwangsumsiedlungen kommt. Und tatsächlich findet in Westäthiopien derzeit ein staatliches Umsiedlungsprogramm statt. Auch wenn kein expliziter Zusammenhang zwischen den Großfarmen und den Umsiedlungen besteht, vermuten die Betroffenen genau das. Offiziell finden alle Umsiedlungen freiwillig statt, sollen der Bevölkerung besseren Zugang zu Infrastruktur gewähren. Die Realität sieht anders aus. Brandfälle lassen vermuten, dass dem »freiwilligen« Umsiedlungsprogramm Nachdruck verliehen werden soll. Und auch Umweltschützer haben ein Problem mit den Großfarmen. »Die ökologischen Folgen von Brandrodung und intensiver Bewässerung sind nicht abzusehen«, schimpft Girma Gumata, Mitarbeiter des an die Karuturi-Farm angrenzenden Nationalparks. Wie in der Serengeti ziehen jedes Jahr rund eine Millionen Antilopen durch den Park. Noch weiß niemand, wie die Tiere mit den Zäunen zurechtkommen werden.
Farm-Manager Sekhon, der sich lieber Bauer als Investor nennt, macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Antilopen ziemlich egal sind. Für ihn muss es mit der Farm vorangehen, denn er hinkt dem Zeitplan hinterher. Und dafür müssen der kleine Red und seine Freunde weiter Unkraut zupfen.
* Aus: Neues Deutschland, 2. August 2011
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