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Hunger greift Immunsysteme an

In Äthiopiens Flüchtlingslagern droht eine Masern-Epidemie

Von Kristin Palitza, Kapstadt *

Die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika spitzt sich weiter zu. Auch in Äthiopien sind die Flüchtlingslager inzwischen überfüllt. Wie in Kenia überqueren hier täglich rund 2000 somalische Hungerflüchtlinge die Grenze. Jetzt droht der Ausbruch von Masern.

Das medizinisches Personal kann dem Bedarf kaum nachkommen. Bei ihrer Ankunft in der Grenzstadt Dolo Ado, im Südosten Äthiopiens, sind Erwachsene und Kinder völlig erschöpft. Der gesundheitliche Zustand der Menschen ist extrem schlecht. Ihre Immunsysteme sind schwach.

40 Prozent aller Flüchtlingskinder sind laut Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mangelernährt. Viele von ihnen leiden an Atemerkrankungen und Durchfall. »Unsere Mittel sind bald erschöpft«, erklärte der Krisenmanager von Ärzte ohne Grenzen, Jérôme Souquet, die Lage in Äthiopiens Flüchtlingslagern um Dolo Ado. »Wir haben nicht genug Wasser und Sanitäranlagen für alle Menschen. Selbst Lebensmittel sind ein Problem.« Daher sei das Risiko groß, dass Krankheiten in den Lagern ausbrechen.

Ärzte ohne Grenzen hat bereits mehrere Masernfälle in Dolo Ados Zeltdörfern diagnostiziert. »Flüchtlinge sind extrem anfällig für übertragbare Krankheiten. Die Lage wird dadurch verschlimmert, dass Somalier nicht geimpft sind, da es aufgrund der politischen Lage so gut wie keine Krankenversorgung gibt«, sagte Souquet. »Es besteht die Gefahr eines Epidemieausbruchs.« Nach Angaben der Organisation hat Somalia gegenwärtig nicht einmal vier Ärzte pro eine Million Einwohner.

Der Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats, Kisut Gebre Egzjabher, bestätigte die Gefahr eines Masern-Ausbruchs: »Während wir auf Laborergebnisse warten, hat unser medizinisches Personal begonnen, Vorkehrungen zu treffen, um eine Epidemie zu verhindern.«

Der Flüchtlingsstrom wird nicht abflauen, solange es keinen oder nur wenig Zugang zu Somalia gibt. »Wir haben so gut wie keine handfeste Information über die wirkliche Lage der Menschen innerhalb Somalias. Es ist daher extrem schwierig zu wissen, was uns in den nächsten Wochen und Monaten erwartet, und entsprechend zu planen«, sagte Souquet.

Rund 200 000 Somalier sollen bereits nach Äthiopien geflohen sein. Allein in Dolo Ado leben 100 000 Flüchtlinge in zwei Lagern, die ursprünglich für 45 000 Menschen angelegt worden waren. Ein drittes Lager, das eröffnet wurde, um den Flüchtlingsstrom aufzufangen, hat mit 25 000 Menschen bereits seine geplante Kapazität erreicht.

Bis Ende der Woche sollen Tausende in ein viertes, neu errichtetes Lager verlegt werden. »Aufgrund beschränkter Geldmittel gab es Verzögerungen. Doch jetzt haben wir sanitäre Infrastruktur und Wasserzufuhr zumindest für 3000 Menschen in dem neuen Lager einrichten können«, erklärte UNHCR-Sprecher Egzjabher.

Auch die Lage der 4,8 Millionen Äthiopier ist kritisch. »Es hat ein Massensterben von Vieh eingesetzt, die Herden sind um rund 50 Prozent reduziert, die Weiden sind übersät mit Kadavern«, sagte Ursula Langkamp, Regionalkoordinatorin der Welthungerhilfe in Addis Abeba. »So haben die Menschen kein Geld, um sich Nahrungsmittel zu kaufen.« Gleichzeitig seien Preise für Nahrungsmittel bis zu 80 Prozent gestiegen. Bis zur Ernte im November werde sich die Krise weiter verschärfen.

Uganda könnte als nächstes Land mit alarmierender Mangelernährung zu tun bekommen. In Teilen Nordugandas, die ebenfalls von Dürre betroffen sind, leiden bereits 600 000 Menschen an Nahrungsmittelunsicherheit, berichtete die Welternährungsorganisation FAO. »Verschlechterte Lebensbedingungen aufgrund der Dürre müssen streng beobachtet werden. Sie breiten sich wie ein Lauffeuer aus«, warnte FAO-Sprecherin Sandra Aviles.

Die Vereinten Nationen glauben, die Zahl der Hungernden am Horn von Afrika werde bald 15 Millionen übertreffen. Obwohl Spendengelder stetig fließen, um den Hungernden zu helfen, reichen die Mittel nicht aus, um mit dem ständig wachsenden Bedarf mitzuhalten. »Die Geschichten, die wir sehen und hören, sind grausam. Wir dürfen keine Mühe scheuen, die Leiden zu mindern«, sagte UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos.

Da sich die Krise mit jeder Woche verschlimmert, steigt auch die Summe, die benötigt wird, um die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Letzte Woche erhöhte die UNO ihre Spendenaufrufe um 420 Millionen Euro. Die Finanzierungslücke weitet sich damit auf gut eine Milliarde Euro aus.

Die Afrikanische Union will am 25. August eine Geberkonferenz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba abhalten, um zusätzliche Spenden zu sammeln.

* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2011

Ostafrika-Hilfe: Niebel weist Kritik zurück

Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) hat Kritik an einem zu geringen Engagement der Bundesregierung bei der Hungerkatastrophe in Afrika zurückgewiesen. Die bisher genannten Summen für den Einsatz seien korrekt berechnet worden, sagte Niebel. Zum einen gebe es 30 Millionen Euro für die bilaterale Zusammenarbeit mit der von der Hungersnot betroffenen Staaten. Des weiteren stammten etwa 20 Prozent der EU-Hilfe von der deutschen Seite. Zudem sei Deutschland an den Hilfen des Welternährungsfonds beteiligt, so dass sich die deutsche Hilfe für die Hungernden auf insgesamt ungefähr 100 Million Euro belaufe.
Nachrichtenagenturen, 4. August 2011




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