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35 Prozent mehr für die Hirse

In Äthiopien freut der Anstieg der Getreidepreise die Landwirte, doch das Leben wird spürbar teurer

Von Philipp Hedemann, Addis Abeba *

Die Ernteausfälle in den USA lassen die Weltmarktpreise für Getreide in die Höhe schnellen. In den Entwicklungsländern könnte dies bald zu Hungerrevolten führen. In Äthiopien hat sich zwar in den vergangenen Jahren viel verbessert, aber trotzdem wird Nahrung zum teuren Gut.

Ayichulu Modjos gehört zu den Ausnahmen in Äthiopien. Schmatzend quillt die feuchte Erde unter seinen Schuhen hervor, als der Bauer seine kräftigen Maispflanzen begutachtet. Vorgestern hat es zuletzt geregnet, heute scheint die Sonne bei 25 Grad vom leichtbewölkten Himmel. Man kann dem Mais auf dem Feld im äthiopischen Mojo fast beim Wachsen zusehen, Bauer Modjo rechnet mit einer guten Ernte.

Im Fernsehen hingegen hat er die Bilder vom vertrocknenden Mais in den USA gesehen. »Oft hatten wir nicht genug, und die Amerikaner hatten viel mehr, als sie essen konnten. Wie kann es sein, dass in einem so großen, modernen und reichen Land die Ernte vertrocknet«, fragt sich der Bauer, über dessen Gürtel sich ein kleines Bäuchlein wölbt. In diesem Land immer noch ein seltener Anblick und das untrügliche Zeichen eines gewissen Wohlstands.

Landwirte profitieren von höheren Preisen

Eine monatelange Dürre betrifft derzeit mehr als 80 Prozent der US-amerikanischen Mais- und Weizenanbaugebiete; Experten befürchten, dass die Farmer, die mittlerweile rund 40 Prozent ihrer Maisernte in die Bioethanol-Erzeugung stecken, nur halb so viel wie in durchschnittlichen Jahren ernten werden. Normalerweise versorgen die USA knapp ein Fünftel des Weltmarktes mit Getreide, die Ernteausfälle im größten Erzeugerland lassen derzeit die Weltmarktpreise für Agrarrohstoffe in die Höhe schießen.

Verbraucher in den reichen Ländern bekommen solche Börsenpreisschwankungen meist kaum zu spüren, doch in Entwicklungsländern, in denen vielen Menschen bis zu zwei Drittel ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, machen sich die Preissteigerungen sofort schmerzlich bemerkbar. Der staatlich ausgezeichnete äthiopische Vorzeigebauer Ayichulu Modjo, der 20 Rinder, fünf Esel und ein Motorrad besitzt und von einer Entwicklungshilfeorganisation aus den USA regelmäßig Schulungen in moderner Landwirtschaft und Lagerhaltung bekommt, profitiert dagegen davon. Im vergangenen Jahr verkaufte er 100 Kilo der äthiopischen Hirseart Teff für umgerechnet 50 Euro, in diesem Jahr bekommt er dafür über 70 Euro. Eine Preissteigerung von über 35 Prozent.

Modjos Mehreinkünfte durch die steigenden Lebensmittelpreise werden vom gleichen Phänomen allerdings gleich wieder aufgefressen. »Ich habe sieben Kinder, vier von ihnen studieren. Sie rufen fast jeden Morgen an und sagen, dass sie mehr Geld brauchen, weil sie sich das teure Essen in der Stadt nicht mehr leisten können«, berichtet der Familienvater. Nach seinen Angaben müssen seine Töchter und Söhne mittlerweile umgerechnet acht Cent für ein kleines Brot ausgeben, vor einem Jahr waren es keine fünf. Für Injera die landestypischen Sauerteigfladen mit Linsensoße müssen sie jetzt 1,55 Euro hinlegen, vor einem Jahr waren es noch rund 65 Cent. Modjo kann seinen Kindern das Geld für die gestiegenen Lebenshaltungskosten geben, viele Väter oder Mütter in Entwicklungsländern können es jedoch nicht. Experten befürchten, dass der gestiegene Weltmarktpreis bereits wie vor vier Jahren zu Hungerrevolten führen könnte.

Um sich besser vor Schwankungen auf dem Weltmarkt zu schützen, raten Agrarökonomen Entwicklungsländern seit Jahren, mehr eigene Vorräte anzulegen. In Äthiopien hat sich die Lagerhaltung seit der verheerenden Dürre, bei der 1984/85 mehr als eine Million Menschen starben, deutlich verbessert. Doch: »Hier sind nach wie vor Millionen Menschen von Lebensmittelimporten abhängig. Solange das so ist, werden Schwankungen auf dem Weltmarkt auch Auswirkungen auf die Preise in Äthiopien haben«, sagt ein Experte der Regierung in Addis Abeba, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der kürzlich verstorbene Premierminister Meles Zenawi hatte vor zwei Jahren angekündigt, dass Äthiopien spätestens in fünf Jahren unabhängig von ausländischen Lebensmittellieferungen sein werde. Internationale Beobachter befürchten jedoch, dass das Versprechen nicht eingehalten werden kann.

Lagerhaltung der Ernte hat sich verbessert

Dabei hat Äthiopien, das bis 1991 von Diktator Mengistu Haile Mariam heruntergewirtschaftet wurde, in den vergangenen 21 Jahren unbestreitbare Fortschritte in der Landwirtschaft gemacht. »Früher haben die Kommunisten oft gewaltsam die Ernte eingetrieben. Manchmal ist dann alles in den Lagerhäusern vergammelt«, erzählt der 47-jährige Modjo. Weil er sich noch an den durch Menschen gemachten Hunger erinnern kann, hortet er seine Teffernte lieber zu Hause, anstatt sie im Schuppen der nahe gelegenen Kooperative einzulagern. »Früher haben auch bei uns manchmal Regen, Mäuse oder Insekten Teile der Ernte zerstört, aber seit wir Wellblechdächer, Planen und Chemikalien haben, verschimmelt kaum noch etwas«, sagt der Landwirt. Zum Beweis lässt er eine Handvoll trockene Teffkörner durch seine Hand rieseln. Obwohl seine Speicher im Garten und in seinem Haus neun Monate nach der jüngsten Ernte noch gut gefüllt sind, macht sich der Bauer Sorgen: »Wenn die Amerikaner jetzt so große Probleme im eigenen Land haben, ziehen sie ihre Landwirtschaftsexperten hier vielleicht ab und wir kriegen keine Hilfe mehr.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. September 2012


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