Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ägyptens Absturz

Dem Mittelmeerland ist die wichtigste Einnahmequelle weggebrochen, die Tourismusindustrie liegt am Boden. Scharfe Sicherheitsmaßnahmen sollen Anschläge verhindern

Von Peter Wolter *

Die beiden Revolutionen, die seit 2011 die Präsidenten Hosni Mubarak und Muhammed Mursi hinweggefegt haben, führen Ägypten immer weiter in die Krise. Schlimmste Folge ist der Einbruch in der Tourismusbranche, der wichtigsten Einnahmequelle des Landes: Nach Recherchen der Kairoer Zeitung Al-Ahram sind dem Land dadurch in nur drei Jahren umgerechnet etwa 60 Milliarden Dollar (44 Milliarden Euro) an Einnahmen verlorengegangen. Kein Wunder: Berichte über Terroranschläge animieren kaum zum Reisen.

Nach dem Sturz Mubaraks am 25. Februar 2011 mußte die Branche einen massiven Besucherrückgang verkraften. Als die Armee dann am 3. Juli des vergangenen Jahres auch seinen Nachfolger Mursi absetzte, kam es in diversen Teilen des Landes zu blutigen Zusammenstößen mit Sympathisanten. Schießereien in Kairo wurden weltweit im Fernsehen übertragen – die Folge war verheerend: Im September warnte das Auswärtige Amt in Berlin vor Reisen nach Ägypten, Europas größter Tourismuskonzern, die TUI, sowie die deutsche Thomas Cook strichen bis Mitte September alle Reisen in dieses Land. Warnungen kamen auch aus dem Außenministerium Rußlands, von wo das größte Kontingent aller Ägypten-Urlauber kommt. Ähnliche Warnungen und Reisehinweise gab es in Großbritannien, den USA und selbst den arabischen Golfstaaten.

Der Tourismussektor Ägptens hatte erst 2008 eine größere Krise überstanden, konnte aber 2010 wieder mit umgerechnet 12,5 Milliarden Dollar elf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Damals kamen fast 15 Millionen Urlauber. Nach dem Sturz Mubaraks sank der Branchenumsatz auf 8,7 Milliarden Dollar, um dann leicht anzusteigen. Doch die Umstände der Absetzung Mursis bedingten einen erneuten steilen Knick abwärts in der Umsatzkurve.

Ägypten stehe vor einem »Desaster«, zitierte Al-Ahram den Tourismusminister des Landes, Hisham Zazou. Nach Berechnungen des staatlichen Statistikbüros CAPMAS ging im August die Zahl der Touristen gegenüber dem Vorjahr um 45,6 Prozent auf insgesamt 564517 zurück. Im Juli waren es noch minus 24,5 Prozent Rückgang gewesen.

Elhami Al-Zayat, Vorsitzender der ägyptischen Tourismusvereinigung, wurde von Al-Ahram mit der Aussage zitiert, die Zahl der Urlauber sei im September im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent zurückgegangen. »Und 2012 war wahrhaftig kein gutes Jahr für unsere Branche.« Die riesigen Hotelanlagen am Roten Meer und auf der Sinai-Halbinsel seien mit einem Minus von 60 und 70 Prozent am wenigsten betroffen. Schlimm sei es in größeren Städten wie Assuan und Luxor, vor allem aber in Kairo.

Besonders trifft es die Flotte der Hotelschiffe, die Kreuzfahrten auf dem Nil anbieten, verbunden mit der Besichtigung von Tempelanlagen, Königsgräbern und Ausflügen in die Wüste. Diese vor allem in Luxor und Assuan beheimatete Flotte bietet 42000 Hotelbetten – allerdings sind nur noch wenige dieser Schiffe unterwegs, 283 liegen laut Al-Yazat völlig still. Die wenigen, die fahren, sind oft nicht einmal zur Hälfte ausgelastet. Leidtragend ist vor allem die Bevölkerung: Von den jetzt unbeschäftigten Besatzungen und Bedienungen der Hotelschiffe sind viele Angehörige abhängig. »40 Prozent der Beschäftigten in der Tourismusbranche haben seit der Revolution vom 25. Januar 2011 ihren Job verloren«, zitierte Al-Ahram einen Unternehmer.

Daß Ägypten die gegenwärtige Krise durchhalten kann, verdankt es auch den Golfstaaten: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Kuwait sind mit Milliarden-Darlehen eingesprungen. Die gegenwärtige Militärregierung ist ganz offensichtlich bemüht, jeden weiteren Rückgang im Bereich des Tourismus zu vermeiden – jeder Terroranschlag in einem ägyptischen Badeort würde erneut weltweite Schlagzeilen machen. Die Urlaubsgebiete sind daher gesichert wie in einem Bürgerkrieg: Vereinzelt fallen Posten mit Maschinenpistolen auf, viele Straßen können nur durch Militärsperren passiert werden, so manche Fahrten über Land sind nur in bewachten Konvois möglich. Koptische, katholische und anglikanische Kirchen werden mit Panzerfahrzeugen und teilweise gar von Soldaten mit Maschinengewehren bewacht. Wie in der Sicherheitsschleuse am Flughafen werden sogar an Museumseingängen Handtaschen und Tüten gescannt – unvergessen ist der Anschlag von Luxor im Jahre 1997, bei dem islamistische Fanatiker 62 Touristen umbrachten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. Januar 2014


Zurück zur Ägypten-Seite

Zur Ägypten-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage