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Diktator an der Spree

Ägyptens Autokrat auf Deutschland-Tour: In Berlin wird Al-Sisi von Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck empfangen. Ausbau der Kooperation bei Flüchtlingsabwehr

Von Sofian Philip Naceur *

Ägyptens autoritär regierender Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi wird am morgigen Mittwoch für einen dreitägigen Besuch in Berlin erwartet. Trotz massiver Kritik an der Deutschland-Visite des Despoten vom Nil aus den Reihen der Opposition, aber auch von Parteikollegen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), hält die Bundesregierung am geplanten Staatsbesuch fest und will die wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die Kooperation mit Ägypten in Sicherheits- und Migrationsfragen weiter vorantreiben und festigen. Neben einem Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck und Merkel am Mittwoch stehen insbesondere Gespräche mit Vertretern der deutschen Industrie auf dem Programm des seit rund einem Jahr amtierenden ägyptischen Autokraten.

Dabei könnte der Zeitpunkt von Al-Sisis Visite in Berlin fragwürdiger nicht sein. Die Menschenrechtslage im Land ist angespannter denn je. Ägyptens Exekutive und Judikative machen regelrecht Jagd auf Oppositionelle aus dem islamistischen und dem linksliberalen Lager. Auch die Zivilgesellschaft im Land steht unter Druck wie selten zuvor. Ägypten sei heute eine »Republik der Angst«, eine Gewaltenteilung gebe es nicht, das Justizsystem sei politisiert und von ägyptischen Sicherheitsorganen dominiert, sagte der Chef der ägyptischen Menschenrechtsorganisation »Cairo Institute for Human Rights Studies«, Bahey Eldin Hassan, vergangene Woche im Rahmen einer Sitzung des Menschenrechtsunterausschusses der EU in Brüssel. Er brachte das Thema Menschenrechtsverstöße am Nil damit auch auf EU-Ebene wieder auf die Agenda.

Al-Sisi regiert derzeit faktisch im Alleingang. Ein gewähltes Parlament gibt es nicht. Die für März geplanten Wahlen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Regime spielt auf Zeit und nutzt die Gelegenheit zu einer vollständigen Restaurierung der alten Machtverhältnisse im Land. Gesetze werden faktisch ohne jedwede parlamentarische Kontrolle von Al-Sisi und den von ihm einberufenen Komitees entworfen und in Kraft gesetzt. Der Militär- und Polizeiapparat zieht derweil weiterhin im Hintergrund die Fäden und setzt momentan auf eine Intensivierung der Kooperation mit der EU. Nach Al-Sisis Amtsantritt im Sommer 2014 standen zunächst die Beziehungen zu Ägyptens Verbündeten auf der arabischen Halbinsel im Fokus der Außenpolitik. Seit Jahresbeginn jedoch verstärkt Kairo seine Bemühungen, in Europa politisch wieder Fuß zu fassen. Nach Al-Sisis Staatsbesuchen in Griechenland und Spanien ist der in Berlin zweifelsohne der wirtschaftspolitisch bedeutsamste.

Ägypten erhofft sich von Al-Sisis Visite an der Spree vor allem Impulse für seine seit Beginn der ägyptischen Revolution 2011 am Boden liegende Wirtschaft. Doch auch führende deutsche Unternehmen setzen wieder vermehrt auf Ägypten als Investitionsland und wollen nach vier turbulenten und politisch instabilen Jahren ihre Aktivitäten am Nil stark ausbauen. Al-Sisis Besuch in der deutschen Hauptstadt sei der Höhepunkt des Jahres, sagte der Vorsitzende der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo, Ulrich Huth, der ägyptischen Tageszeitung Daily News Egypt. Hauptziel sei, Ägypten wieder in den Fokus der deutsche Industrie zu rücken. Wirtschaftspolitische Fragen dürften daher bei den geplanten Konsultationen ägyptischer und deutscher Offizieller und Vertretern der Privatwirtschaft bestimmend sein.

Dabei bleiben Investitionen in Ägypten auch weiterhin hochriskant und sie sind auch politisch brisant. So zeigte die internationale Investorenkonferenz im ägyptischen Badeort Scharm Al-Scheikh auf der Sinai-Halbinsel im März, dass sich Ägyptens Regime zwar sehr bemüht, internationale Geldgeber wieder zurück ins Land zu locken, aber keinerlei erfolgversprechende Rezepte vorzuweisen hat, wie das Land politisch, sozial und wirtschaftlich zu stabilisieren und zu befrieden sei. Im Norden der Sinai-Halbinsel operierende gewalttätige Extremistengruppen haben ihre Aktivitäten inzwischen auf das gesamte Land ausgedehnt. Sie verüben regelmäßig Bombenanschläge auf Einrichtungen von Polizei und Militär. Und die Menschenrechtslage in Ägypten ist katastrophal. Deutschland verhandelt dennoch weiter mit Kairo über einen Ausbau der polizeilichen Kooperation und will die Zusammenarbeit in den Bereichen Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung ausweiten. Berlin geht es dabei auch um eine stärkere Einbindung Ägyptens in die Bemühungen der EU, die sogenannte illegale Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Wie so oft, setzt die Bundesregierung im Umgang mit den autokratisch regierten Staaten Nordafrikas also auch im Falle Ägyptens auf Pragmatismus.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 02. Juni 2015


»Komplize eines brutalen Regimes«

Linke kritisiert Bundesregierung für Kooperation mit ägyptischem Repressionsapparat **

Der am morgigen Mittwoch beginnende Staatsbesuch von Ägyptens Staatschef Abdel Fattah Al-Sisi in Berlin sorgte bereits im Vorfeld für einigen Wirbel im politischen Berlin. Nicht nur die Linksfraktion im Bundestag und die Grünen machen mobil gegen die Visite des ägyptischen Despoten an der Spree, sondern auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). »Statt der seit Langem erwarteten Terminierung von Parlamentswahlen erleben wir seit Monaten eine systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen mit Massenverhaftungen, Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen und einer unfassbaren Anzahl von Todesurteilen, darunter der ehemalige Parlamentspräsident Katatni«, schrieb der CDU-Politiker an Ägyptens Botschafter in Berlin. Vor diesem Hintergrund gäbe es derzeit keinerlei Grundlage für ein Gespräch mit Präsident Al-Sisi, so Lammert weiter. Der Deutschen Welle sagte er, es sei durchaus richtig, dass Regierungen in jedem Falle miteinander Kontakt halten, Parlamente könnten jedoch »nur dort miteinander kooperieren, wo es sie gibt. In Ägypten gibt’s keins.«

Ägyptische Offizielle reagierten ausweichend auf Lammerts Absage. Der Botschafter in Berlin, Mohamed Hegazy, sagte der Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, ein Treffen mit dem Bundestagspräsidenten sei von ägyptischer Seite nicht angefragt worden und spielte damit die politische Ohrfeige Lammerts herunter.

Die Linksfraktion im Bundestag fordert die Absage des Al-Sisi-Besuchs in Berlin. Es gelte, die »geplanten Kooperationen deutscher Polizeibehörden und Geheimdienste zu annullieren«, so der Abgeordnete Andrej Hunko. Sein Büro war federführend bei einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung, die erst im Mai neue Details zu den Verhandlungen zwischen Kairo und Berlin über ein Polizeiabkommen ans Licht brachte. Demnach will die Bundesregierung unter Beteiligung deutscher Polizei- und Geheimdienstbehörden ihre polizeilichen Ausbildungshilfen in Ägypten massiv intensivieren und dabei auch enger mit Ägypten in der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zusammenarbeiten. Deutschland geht es dabei vor allem um eine Ausweitung der Kooperation im Kampf gegen die sogenannte illegale Migration. Die ist der Bundesregierung derart wichtig, dass sie auch mit Ägyptens Polizeiapparat, der für systematische Folter, Willkür und Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich gemacht wird, zusammenarbeiten will. »Die willfährige Zusammenarbeit mit der repressiven ägyptischen Polizei fällt verfolgten Aktivisten, Bloggern, Homosexuellen und politischen Gruppen in den Rücken«, so Hunko. »Besonders zynisch sehe ich die Mitteilung der Bundesregierung, die Unterstützung erst zu stoppen wenn Beweise für einen ›Missbrauch des vermittelten Wissens‹ vorlägen. Ein Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen würde Hunderte Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Justizwillkür zutage fördern«, erklärt der Linke-Abgeordnete in einer Stellungnahme weiter. Die Bundesregierung mache sich zum »Komplizen des brutalen Regimes« in Ägypten, wenn sie an ihrer geplanten polizeilichen Kooperation festhalte.




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