Mubaraks "Totenschein für die Verfassung"
Ägyptens Parlament stimmte für umstrittene Änderungen
Von Gisela Kremberg *
Ägyptens Präsident Husni Mubarak hat jetzt in einer Nacht- und Nebelaktion die von ihm geforderten
Verfassungsänderungen durch das Parlament peitschen lassen.
Die Nationaldemokratische Partei (NDP) von Husni Mubarak hat im Parlament ohnehin eine Drei-
Viertel-Mehrheit. Da auch noch über 100 Abgeordnete, darunter die 88 Mitglieder der oppositionellen
Muslimbruderschaft, der Abstimmung über die Verfassungsänderungen aus Protest fernblieben, gab
es am Ende eine deutliche Mehrheit von 315 der 454 Stimmen für die Vorschläge des Präsidenten.
Die Möglichkeit, einzelne Punkte zu diskutieren, hatten die Abgeordneten nicht. Sie konnten nur für
oder gegen das Paket votieren. 2005, vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, wurde noch
um die Inhalte gestritten. Damals ging es der »Bewegung für Veränderung« und der Bewegung
»Kifaya« (Es reicht!) um mehr Demokratie bei Wahlen, um mehrere Präsidentschaftskandidaten und
gegen die Fortsetzung der Mubarak-Despotie.
In dieser Woche standen 34 Änderungsvorschläge zur Abstimmung, die von Mubarak höchstselbst
und seiner NDP eingebracht wurden. Die Änderungen sind deutlich mehr als kosmetische
Reformen. Sie zielen in ihrer Mehrheit darauf ab, Bürgerrechte weiter einzuschränken, und bedeuten
unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung letztlich eine gravierende Ermächtigung von
Präsident, Polizei- und Militärapparat. Die Neufassung des Artikels 179 etwa macht den Weg frei für
ein Antiterrorgesetz und schafft den Rahmen für zahlreiche Eingriffe in die individuellen Freiheitsund
Bürgerrechte. Weitere Verfassungsänderungen (Artikel 41-45) räumen der Polizei u.a. mehr
Befugnisse ein, legalisieren das Abhören und Kontrollieren von privater telefonischer, brieflicher und
Internetkommunikation. Der Präsident erhält das Recht, unter Umgehung von ordentlichen Gerichten
verdächtige Personen vor Sonder- und Militärgerichte zu stellen.
Damit verschärft sich der Charakter der Notstandsgesetzgebung, die seit 1981 immer weiter
ausgeweitet wurde und mehr und mehr das gesellschaftliche Leben Ägyptens reglementiert und
dominiert. Wie Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Beauftragte von Amnesty International für
den Nahen Osten und Nordafrika, dieser Tage feststellte, würden mit den 34 Novellierungen der
Verfassung mehr als je zuvor in den 26 Jahren Mubarak-Herrschaft die Menschenrechte ausgehöhlt.
Der Präsident setze damit die falschen Signale: Statt Folter, das Verschwindenlassen von Personen
oder unfaire Gerichtsprozesse endlich zu beenden, versuche Mubarak durch übereilte
Abstimmungen grundlegende Menschenrechte außer Kraft zu setzen und seine unumschränkte
Macht weiter zu stärken.
Mit den Änderungen in Artikel 88 soll nur noch eine allgemeine Überwachung der Wahlen durch eine
unabhängige Wahlkommission gegeben sein. Bisher wurde jede Wahlurne von Beamten bewacht
und die gesamte Wahl unter richterlicher Aufsicht gestellt. So will die Regierung künftig Erfolge wie
die der Muslimbruderschaft bei den letzten Wahlen verhindern und eigenen Wahlbetrug, wie den im
Dezember 2005 durch zwei hohe Richter aufgedeckten, besser vertuschen. Außerdem sollen die
Gründung von politischen Parteien und alle politischen Aktivitäten auf der Basis religiöser
Überzeugungen und Bekenntnisse verboten werden – während die islamische Scharia als wichtige
juristische Referenz durch die Verfassungsänderungen unangetastet bleibt.
Die Opposition aus Muslimbruderschaft, die trotz Verbotes bei den letzten Wahlen fast 20 Prozent
der Sitze über »unabhängige« Kandidaten erobern konnte, aus linken und liberalen Gruppierungen
spricht von den letzten Schritten hin zum Polizeistaat und ruft schon seit Wochen zum Boykott auf.
Diese Boykottaufrufe wurden nun angesichts der nächtlichen Parlamentsabstimmung sowie des vom
4. April auf den kommenden Montag (26. März) vorgezogenen Referendums zu den Verfassungsänderungen
durch alle oppositionellen Kräfte erneuert. Schon am Wochenende (17./18. März) löste die Polizei in Kairo
Protestdemonstrationen auf, 23 Teilnehmer wurden wegen Angriffen auf die Staatsgewalt
festgenommen. Hamdeen el Sabahi von der Karama-Partei bezeichnete Mubaraks Änderungen als
»Totenschein für die Verfassung« und das Referendum als ihr »öffentliches Begräbnis«.
* Aus: Neues Deutschland, 22. März 2007
Zurück zur Ägypten-Seite
Zurück zur Homepage