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Die Anklagebänke füllen sich

Ägyptens Militärs wollen ihre politischen Konkurrenten Mursi, Badia und Baradei vor Gericht bringen

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Der Vorsitzende der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, ist festgenommen worden. An seine Stelle ist der bisherige Stellvertreter Mahmud Ezzat getreten. Ex-Präsident Mursi droht derweil eine Mordanklage. Und Friedensnobelpreisträger Baradei soll wegen seines Rücktritts als Vizepräsident der Prozess gemacht werden.

Letzte Meldung:

Mubarak kann Gefängnis verlassen
Der frühere ägyptische Präsident Hosni Mubarak kann das Gefängnis verlassen. Das entschieden juristische Berater des Strafgerichts Nord-Kairo am Mittwoch, den 21. August. Ein Justizbeamter sagte, der 85jährige könne für die weitere Dauer der gegen ihn laufenden Prozesse zu Hause wohnen. Unklarheit bestand darüber, ob die Staatsanwaltschaft noch Einspruch gegen die Haftverschonung einlegen kann. Mubaraks Anwalt Farid Al-Dib sagte dem Fernsehsender Al-Hayat, sein Mandant werde nicht mehr am Mittwoch, aber vielleicht schon am Donnerstag das Gefängnis verlassen können. Im Tora-Gefängnis bei Kairo würden die Entlassungspapiere vorbereitet, hieß es.



Vor den Kiosken Kairos lagern am Morgen die Lieferanten die Stapel mit den Zeitungen. Die Nachricht des Tages: Der Überfall auf einen Polizeikonvoi auf der Halbinsel Sinai. »Al-Akhbar« macht mit den Passbildern der 25 getöteten Polizisten auf, nennt das Ereignis »Muslimbrüder-Massaker«.

Ungefähr zur gleichen Zeit stürmen Sondereinheiten der Polizei in Nasr City, einige Kilometer außerhalb der ägyptischen Hauptstadt, ein Wohnhaus. Ihr Ziel: Mohammed Badia, der Vorsitzende der Muslimbruderschaft. Wenig später zeigen ägyptische Fernsehsender Bilder von einem mit einer Galabijah bekleideten Mann, der – bewacht von uniformierten Bewaffneten – bewegungslos auf einem Sofa sitzt. Das sei Badia, und er werde sich ab Sonntag für die Tötung von acht Demonstranten außerhalb des Kairoer Hauptquartiers der Muslimbrüder Ende Juni verantworten müssen, heißt es. Da man der Organisation auch die Verantwortung für den Überfall auf dem Sinai zuschreibt, dürfte es weitere Anklagen geben.

Auch Mohammed Mursi, um dessen Absetzung als Präsident sich die Ereignisse der vergangenen Wochen drehten, drohen zunehmend ernstere Anklagen. Er wurde am Dienstag wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Die Staatsanwaltschaft gibt ihm eine Mitschuld am Tod von elf Menschen vor, die Ende 2012 gegen ein von ihm verhängtes Verfassungsdekret demonstriert hatten, das die Befugnisse der Justiz beschnitten und seine Macht ausgebaut hätte. Das Dekret wurde später wegen der anhaltenden Proteste zurückgenommen. An die Stelle Badias tritt nun Mahmud Ezzat, sein bisheriger Vize. In der Führung der Organisation war er der Mann, der die politische Richtung von Muslimbruderschaft und Freiheits- und Gerechtigkeitspartei miteinander koordinierte. Ali Kamal, einer der Anwälte Badias, bezeichnete die Vorwürfe gegen seinen Mandanten und andere mit ihm angeklagte Mitglieder der Führung als »frei erfunden«.

Wie wenig fundiert solche Anklagen sind, zeigt sich am Beispiel des Mursi-Vorgängers Husni Mubarak. Nachdem ihm ursprünglich die Todesstrafe drohte, wird jetzt damit gerechnet, dass sich der ehemalige Präsident bereits am heutigen Mittwoch wieder auf freiem Fuß befinden könnte. Viele Ägypter sehen darin eine politische Entscheidung.

Doch tatsächlich ist es so, dass viele der Anklagen, die in diesen Tagen erhoben werden, vor allem dazu dienen, die Betroffenen in Haft zu halten, solange es geht, wie ein ehemaliger, mittlerweile im Ausland lebender Staatsanwalt hinter vorgehaltener Hand sagt. Man sei an Weisungen aus der Politik gebunden und wisse sehr gut, dass viele der Anklagen »watteweich« sind. »Vor Gericht gilt vor allem bei einer Mordanklage die Beweislast nach internationalen Standards. Man muss den Leuten die Beteiligung nachweisen«, sagt er. »Das ist auch der Grund, warum das Mordurteil gegen Mubarak wieder einkassiert wurde. Bizarr finde ich, dass ein Verfassungsrichter da mitspielt.« Gemeint ist Übergangspräsident Adli Mansur.

Dessen ehemaligem Stellvertreter droht übrigens ebenfalls ein Verfahren. Die Staatsanwaltschaft klagte Mohammed al-Baradei am Dienstag wegen »Vertrauensbruchs« an, nachdem ein Juraprofessor Anzeige erstattet hatte. Er habe, so die Begründung, durch seinen Rücktritt in der vergangenen Woche international den Eindruck erweckt, Ägyptens Sicherheitskräfte hätten bei der Räumung zweier Protestlager in Kairo unverhältnismäßige Gewalt angewandt. Viel zu befürchten hat der Friedensnobelpreisträger nicht: Er ist mittlerweile nach Wien geflogen und es ist unklar, ob er vor Gericht erscheinen wird.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 21. August 2013


Oberhaupt der Muslimbrüder verhaftet

Ägypten: Islamisten wollen »Kampagne gegen Militärputsch« fortsetzen. Saudi-Arabien unterstützt neues Regime **

Die neuen ägyptischen Machthaber haben zu einem weiteren Schlag gegen ihre Vorgänger ausgeholt. Polizisten verhafteten das Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, am Montag abend in einer Wohnung in Kairo, in der er sich versteckt hatte. Ihm wird vorgeworfen, zu Gewalt aufgerufen zu haben. Die Islamisten-Bewegung will ihren Kampf dennoch fortsetzen: Ein Sprecher teilte am Dienstag mit, Badia sei letztlich auch nur eines von vielen Mitgliedern der Bruderschaft, die tief in der ägyptischen Gesellschaft verankert sei. Die »Kampagne gegen den Militärputsch« werde weitergehen. Mahmud Essat, ein Stellvertreter Badias, wurde zum »temporären Oberhaupt« der Bewegung ernannt.

Nicht nur Badia, sondern auch Mohamed ElBaradei droht Ungemach durch die ägyptische Justiz. Das Nachrichtenportal Al-Ahram berichtete, ein Prozeß gegen den Friedensnobelpreisträger werde in Kairo am 19. September beginnen. Der Kläger: ein Jura-Professor. Dieser sei der Ansicht, ElBaradei habe durch seinen Rücktritt als Vizepräsident das in ihn gesetzte »Vertrauen verraten«. Fraglich ist, ob ElBaradei zu dem Termin erscheinen wird. Er ist am Sonntag nach Österreich ausgereist.

Seit der Räumung der Protestlager in Kairo am vergangenen Mittwoch sind mehrere Dutzend Führungspersönlichkeiten der Muslimbruderschaft verhaftet worden. Zudem wurden Hunderte Anhänger der Bewegung festgenommen, die für die Rückkehr von Präsident Mohammed Mursi demonstriert hatten.

Der ägyptische Militärchef Abdelfattah Al-Sisi verläßt sich derweil auf Saudi-Arabien: Die Zeitung Al-Sharq Al-Awsat berichtete am Dienstag, Al-Sisi habe sich in einem Telefonat mit dem saudischen Kronprinzen Salman bin Abdelasis Al-Saud für die Unterstützung des Königreichs bedankt. Außenminister Prinz Saud Al-Faisal hatte zuvor erklärt, die arabischen Staaten könnten, falls westliche Hilfen eingestellt werden sollten, diese ausgleichen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. August 2013


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