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Warnung vor "Spaltung der Revolution"

Protagonisten des ägyptischen Volksaufstandes informieren in der BRD über aktuelle Situation im Land

Von Florian Möllendorf *

Horreya – Die Revolution hat erst begonnen« ist der Titel einer Informations- und Diskussionsveranstaltung, mit der drei Kairoer Aktivisten auf Einladung der »Projektgruppe Horreya« (dt.: Freiheit) und des Jugendclubs Courage Köln e.V. aktuell auf Vortragsreise durch die Bundesrepublik sind. Kennengelernt haben die deutschen Organisatoren Mohamed Moghazy, Mostafa Al-Gamal und Mohamed Fhamy im März 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Auftakt der Informationsreise war, unterstützt vom Mehringhof e.V. und dem Verlag Assoziation A, vergangene Woche im Mehringhof in Berlin-Kreuzberg. Anhand von Erzählungen, Fotos und Filmausschnitten zeichneten die Ägypter ein Bild des Volksaufstandes, der am 11. Februar 2011 zum Sturz des damaligen Machthabers Hosni Mubarak führte, und informierten über die aktuelle Situation sowie Perspektiven der ägyptischen Revolution.

Ihr Ziel hat die Bewegung mit dem Rücktritt Mubaraks aus Sicht der Aktivisten nicht erreicht. Zwar sei der Sturz des Despoten nach dreißig Jahren Diktatur ein Erfolg gewesen. Die Forderungen nach einem Ende des Regimes und tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen habe man bislang jedoch nicht umsetzen können. Als Haupthemmnis einer demokratischen Entwicklung des Nillandes betrachten sie den Militärrat, der seit dem Sturz Mubaraks an der Macht ist und versuche, die Revolution zu ersticken.

Gegen Forderungen nach politischer und wirtschaftlicher Teilhabe gingen Militär und Sicherheitspolizei mit unverminderter Gewalt vor. Zudem wurden seit Januar 2011 nach Angaben des Kairoer Medienkollektivs »Mosireen« 12000 Menschen verhaftet und vor Militärgerichten teilweise zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Journalisten dokumentieren mit Hilfe von Zeugenaussagen und Videomaterial Menschenrechtsverletzungen des ägyptischen Militärrates und helfen Angehörigen bei der Suche nach Familienmitgliedern. Laut »Mosireen« werden Festgenommene häufig ohne Wissen der Familie in Schnellverfahren verurteilt und in Militärgefängnisse verschleppt.

»Der Militärrat hat die Menschen vom Tahrir verraten und sich gegen die Ziele der Revolution gewandt«, erklärte Mostafa Al-Gamal. In dem Verfassungsreferendum, bei dem die Militärs das ägyptische Volk im vergangenen März über die Veränderung von einzelnen Paragraphen der alten Verfassung abstimmen ließen, sieht der Blogger eine wesentliche Ursache für das Scheitern des demokratischen Aufbruchs. »Die Verfassungsänderungen spiegeln nicht die Forderungen der Revolution wieder. Sie dienen dem Militärrat einzig und allein dazu, seine Herrschaft zu festigen und ihr einen demokratischen Schein zu verleihen«, so Al-Gamal weiter.

Für einen wirklich demokratischen Neuanfang brauche das Land eine vollkommen neue Verfassung, die die Macht eines zukünftigen Präsidenten grundsätzlich einschränke. Scharfe Kritik übte Al-Gamal auch an der Muslimbruderschaft, die er als »Werkzeug des Militärrates« bezeichnete. Wie dieser versuche die islamische Bewegung, die als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorgegangen war, die Gesellschaft zu spalten, indem sie die sozialen Unterschiede betone. Daß es nicht gelungen sei, das Referendum zu verhindern, sei eine schwere Niederlage. »Auf dem Tahrir-Platz war die ägyptische Gesellschaft für kurze Zeit vereint. Das Märzreferendum war der Anfang der Spaltung der Revolution.«

Mohamed Moghazy erinnerte daran, daß anfänglich überwiegend Intellektuelle und Angehörige der ägyptischen Mittel- und Oberschicht auf die Straße gingen. Für einen Sturz Mubaraks sei jedoch »das politische Erwachen« der breiten Masse nötig gewesen. Um auch die Menschen aus unteren Schichten gegen das Regime in Bewegung zu setzen, gründeten sich im ganzen Land sogenannte Volkskomitees zur Verteidigung der Revolu­tion. Diese basisdemokratischen Räte organisierten Demonstrationen in den Armenvierteln der Stadt und mobilisierten Arbeiter, Studenten, Angestellte und Gewerkschafter zu gemeinsamen Streiks. »Für die Verwirklichung der sozialen Forderungen der Revolution müssen die Menschen die Grenzen der sozialen Schichten überwinden und gemeinsam für eine tiefgreifende Umwandlung der Gesellschaft kämpfen«, erklärte Moghazy. Man werde solange auf die Straße gehen, bis die Ziele der Revolution erfüllt seien. Denn: »Die Ägypter haben keine Angst mehr!«

* Aus: junge Welt, 1. März 2012


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