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Im Hungerstreik gegen das Militär

Freunde des ägyptischen Regimekritikers Maikel Nabil Sanad befürchten seinen baldigen Tod

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Ägypten präsentiert sich in diesen Tagen als Land krassester Widersprüche. Während sich das herrschende Militär zum 38. Jahrestag des Beginns des Oktoberkrieges am Donnerstag feiern ließ, droht dem inhaftierten Blogger und Militärkritiker Maikel Nabil Sanad der Tod.

In der nächsten Woche können sich Kandidaten für die ersten Parlamentswahlen nach dem Sturz Husni Mubaraks registrieren lassen. Nach Angaben der Kommission soll in drei Phasen gewählt werden, ab 28. November zunächst in neun der 27 Gouvernements des Landes. Am Dienstag (4. Okt.) hatte die Militärführung nach Protesten der Opposition den neuen Zeitplan verkündet. Außerdem soll ein umstrittener Passus im Wahlgesetz, wonach ein Teil der Parlamentssitze unabhängigen Kandidaten vorbehalten ist, gestrichen werden.

Das ist allerdings nur eine Seite des politischen Geschehens am Nil. Tatsächlich erweisen sich Vertreter der Übergangsregierung gegenüber Kritikern als kaum weniger erbarmungslos als ihre Vorgänger unter Mubarak, wie der Fall Maikel Nabil Sanad zeigt. Im April verurteilte ihn ein Militärgericht wegen eines armeekritischen Artikels auf seinem Blog zu drei Jahren Haft, am 23. August trat er aus Protest gegen seine Inhaftierung und die Bedingungen seiner Haft in den Hungerstreik.

Sanad ist offiziell Ägyptens einziger Wehrdienstverweigerer, er war bereits vor der Revolution mehrfach inhaftiert worden. Am Dienstag hätte über seinen Antrag auf vorzeitige Freilassung entschieden werden sollen, doch das Militärgericht vertagte die Anhörung um eine weitere Woche. »Für Maikel kann das den Tod bedeuten «, sagte sein Bruder Mark. »Er hat angekündigt, ab heute auch wieder in den Durststreik zu treten. « Dafür wurde Sahar Maher, eine Unterstützerin, des Inhaftierten, festgenommen. Sie hatte die kleine Gruppe von Protestierenden vor dem Gerichtsgebäude fotografiert. Sie kam nach drei Stunden Verhör vorübergehend frei, muss sich aber am 11. Oktober zugleich mit Sanad vor dem Gericht verantworten. Die Anklage lautet auf Teilnahme an einer Versammlung an einem Gebäude des Militärs und Fotografieren von militärischem Personal.

Am Donnerstag (6. Okt.) wollte sich Sanads Vater mit dem Gerichtspräsidenten treffen. Er hatte sich am Abend zuvor in einem letzten Versuch, das Leben seines Sohnes zu retten, über Telefon im Fernsehen beim Militär und beim Militärrat entschuldigt. »Mein Sohn ist missverstanden worden«, sagte er. Er habe das Militär nicht kritisieren, sondern nur den Militärrat auf das Fehlverhalten einzelner Offiziere hinweisen wollen, damit es dies unterbinden könne. »Wir stehen auf Seiten des Militärs und werden das Militär gegen jeden verteidigen. Es beschützt Ägypten und die Revolution.«

Der Gerichtspräsident kündigte daraufhin an, er werde sich am Donnerstag mit ihm treffen. Bis Redaktionsschluss lagen keine Informationen vor, ob das Treffen stattgefunden hat. Sanad stammt aus einer koptischen Familie, eine Demonstration von Kopten gegen Angriffe auf zwei Kirchen und für die Freilassung Sanads wurde am Dienstagabend vom Militär brutal aufgelöst, eine unbekannte Zahl von Personen festgenommen. Sanad hat wegen seiner »pro-israelischen « Einstellung kaum Unterstützer. Die Bewegung 6. April, der er angehörte, hat sich von ihm distanziert.

Währenddessen marschierte das Militär erneut auf dem Tahrir- Platz auf – nicht um Proteste zu unterbinden, sondern anlässlich der Feiern zum »Sieg« im Oktoberkrieg. Tags zuvor hatte der Militärrat überraschend angekündigt, dass die Paraden und Feierlichkeiten dieses Jahr auf öffentlichen Plätzen stattfinden werden, unter anderem auf dem Tahrir- Platz. Aktivisten fassten das als Provokation auf, riefen jedoch dazu auf, erst am Freitag erneut zu demonstrieren.

Seit die Generäle am 10. September die Notstandsgesetze wieder in Kraft gesetzt haben, finden täglich Proteste gegen die Herrschaft des Militärs statt, das nach dem Rücktritt Mubaraks am 11. Februar die Macht übernommen hatte. Zudem hat eine Welle von heftigen Streiks das Land erfasst, derzeit demonstrieren unter anderem die Transportarbeiter, die Fluglotsen, Arbeiter wichtiger Ölförderanlagen, Lehrer und Universitätsdozenten. Die Streikenden hatten zunächst Lohnerhöhungen gefordert, wenden sich jetzt aber auch gegen die Notstandsgesetze, die auch Arbeitskämpfe unter Strafe stellen.

Die Demonstration am Freitag (7. Okt.) richtete sich auch gegen den »Pakt« des Militärrats mit 13 großen Parteien. Die hatten ein Abkommen unterzeichnet, in dem die Militärs umstrittene Änderungen des Wahlrechts zurücknehmen, wenn die Parteien von einem Wahlboykott absehen.

Von kleineren Parteien, Aktivisten, aber auch Mitgliedern der Parteien selbst wird der Pakt scharf kritisiert, weil er wichtige Forderungen der Demokratiebewegung wie die nach Rücknahme des Notstandsgesetzes, Abschaffung von Militärtribunalen und Freilassung Inhaftierter ignoriert. Der zugleich veröffentlichte Zeitplan für die Wahlen nährte zudem Befürchtungen, das Militär könnte versuchen, selbst den nächsten Präsidenten zu stellen.

Aus: neues deutschland, 8. Oktober 2011


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