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Wie "Rommel" doch nach Kairo kam

Entwicklungshilfe für Ägypten: Deutsche Söldner der Spitzenklasse machten sich am Nil nützlich

Von René Heilig *

Das Bundeswirtschaftsministerium hat Anfang dieser Woche angewiesen, die Bearbeitung der Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Ägypten bis auf Weiteres auszusetzen. Abgerundet wurde diese »rasche« Entscheidung mit dem Hinweis: Die Bundesregierung entscheidet über Rüstungsexporte jeweils im Einzelfall und im Lichte der aktuellen Situation. Wie schon unter Adenauer. Westdeutschland war mitschuldig daran, dass es Hitlers »Wüstenfüchse« doch noch bis Kairo geschafft haben.

Der britische Auslandsnachrichtendienst MI6 leistete sich manchen Schnitzer. Mit seinem Verdacht gegen den Meeresbiologen Hans Hass hat er sich Anfang der 50er Jahre gnadenlos blamiert. Hass, im sogenannten Dritten Reich als Tauchpionier beachtet, bekam für seinen Streifen »Abenteuer im Roten Meer« beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Venedig einen Preis. Alles Tarnung, sagte der MI6. Hass ist Agent! Kampfschwimmer! Er hat im Krieg die italienische Elite gedrillt, die vor Alexandria das britische Schlachtschiff »Queen Elisabeth« versenkt habt. Und nun, Anfang der 50er Jahre, drillt er die Froschmänner der Ägypter.

Bald stellte sich heraus, dass Hass nie Soldaten ausgebildet hat. Doch an dem Gerücht, das den MI6 alarmiert hatte, war etwas dran. Ehemalige Dönitz-Offiziere bildeten in der Tat ägyptische Kampfschwimmer aus. Die Schulung lag in den Händen eines Kapitän zur See Theodor Freiherr von Bechtolsheim. Der war – so weiß Geheimdienst-Fachmann Erich Schmidt-Eenboom – in Hitlers Marine nicht nur tapferer Seemann, sondern als Verbindungsoffizier der Kriegsmarine zum Reichssicherheitshauptamt auch SS-kompatibel.

Was Hitler und seinem Lieblings-Feldmarschall Erwin Rommel nicht gelang – nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zogen deutsche Militärs und Geheimdienstler unter freudigem Schulterklopfen in Kairo ein. Die Stimmung in Ägypten war antibritisch, antiisraelisch und den Deutschen wohl gesonnen. Dort und in anderen arabischen Staaten waren Kriegsverbrecher noch Helden. Es wäre spannend nachzulesen, was sich im BND-Archiv über die geheimen Nahost-Operationen findet. Immerhin besorgte SS-Kommando-Führer Otto Skorzeny im Auftrag der Organisation Gehlen das Schleusen der Experten und hielt sich mehrfach in Ägypten auf.

Unter König Faruk I wie unter Staatschef Gamal Abdel Nasser, der sich als Anführer junger Offiziere 1952 an die Macht geputscht hatte, sogen Ägyptens Geheimdienste, die Armee und die Rüstungsindustrie deutsche Fachleute schwammgleich auf. Ehemalige Gestapo-Verbrecher bildeten nicht nur arabische Folterknechte aus. Die Deutschen führten defacto sogar diverse ägyptische Dienste. Ganz oben in der Rangfolge der Verbrecher stand Alois Brunner, die rechte Hand Eichmanns. Aus Leopold Gleim, Gestapo-Führer in Polen, wurde Oberst Namaknashr. SS-Hauptsturmführer Buble, der in Minsk wütete, hieß fortan Ben Amman. Zu ihm gesellte sich Joachim Deumling, der das Einsatzkommando 10b in Kroatien führte.

Auch rund 600 Offiziere der Wehrmacht sowie der SS waren am Nil. Hitlers Artillerie-General Wilhelm Farmbacher stand an der Spitze der deutschen Militär-Berater. Sie formten Kairos Militär. Für einige war der Job nur eine Warteposition für die Bundeswehr.

In den Militärfabriken 36 und 135 bei Heluan, eine halbe Autostunde von Kairo entfernt, fertigten deutsche Spezialisten Düsenflugzeuge und Raketen. Durch eigene Entwicklungen versuchte die Regierung Ägyptens, die gestärkt aus der Suez-Krise von 1956 hervorgegangen war, das faktische Embargo der westlichen Großmächte zu umgehen

Dafür wurden heimlich jede Menge Lieferverträge eingefädelt. Die Bundesregierung sagte dem Entwicklungsland Ägypten über Milliarde D-Mark zu und übernahm Kredit-Bürgschaften. Die Rüstung boomte. Der ehemalige Generaldirektor der Reichswerke »Hermann Göring«, Dr. Wilhelm Voß, baute am Nil Waffenfabriken. Willi Messerschmitt ließ den Strahl-Trainer HA-200, den er zuvor in Spanien konstruiert hatte, mit Teilen aus deutschen Werken am Nil in Serie bauen. Die HA-300, ein moderner Jet, wurde über der Wüste erprobt. Kurt Tank, einst Chefkonstrukteur von Focke-Wulf arbeitete ebenfalls in Ägypten.

»Flugzeugwerk in Nordafrika sucht Fachkräfte jeder Art« – mit solchen großformatigen Anzeigen in überregionalen bundesdeutschen Blättern lockte Diktator Nasser Hitlers Spezialisten. Antwort auf Bewerbungen kam aus der Schweiz. Der Schweizer Diplomingenieur und Waffenhändler Hasan Sayed Kamil hatte zusammen mit dem ägyptischen Kriegsministerium in der Alpenrepublik zwei Tarnfirmen gegründet: die Mechanical Corporation (Meco) und die MTP-AG (Maschinen, Turbinen, Pumpen). Sie regelten den Nachschub an Personal und Material.

Nachdem die Sowjetunion den Junkers-Spezialisten und SS-Mann Ferdinand Brandner entlassen hatte, suchte der exzellente Turbinen-Konstrukteur einen neuen Job. Der Österreicher unterschrieb einen Fünfjahresvertrag mit der Regierung der Vereinigten Arabischen Republik, der ihn zum Chef der künftigen ägyptischen Flugzeugproduktion machte. Der »Spiegel« recherchierte damals: »Die führenden Köpfe beziehen Monatsgehälter von über 7000 Schweizer Franken. Die Hälfte der Gagen wird in Ägypten in Landeswährung ausgezahlt; der Rest fließt in Franken auf eidgenössische Bankkonten. Ein jährlicher Urlaub von zwei Monaten ist in den Verträgen ebenso vereinbart wie der freie Transport von Familie, Mobiliar und Auto nach Ägypten.« Die Kinder der Waffenschmiede besuchten die evangelische Deutsche Oberschule in Kairo. Als Arzt des Vertrauens bot sich Dr. Hanns Eisele an. Der KZ-Mediziner von Dachau und Buchenwald war von alliierten Militärgerichten zweimal zum Tode verurteilt, doch bereits 1952 entlassen worden.

Auch der als Pionier der Raketentechnik bekannte Professor Eugen Sänger siedelte nach Ägypten um. Doch er bekam, als Israels Geheimdienste die Witterung aufgenommen hatten, kalte Füße. Die »Sänger-Knaben« indessen arbeiteten unter der Leitung von Professor Wolfgang Pilz weiter und bauten zwei Raketentypen: »El-Kahir« (Der Eroberer) und die kleinere »El-Safir« (Der Sieger). In der arabischen Wüste, 75 Kilometer nordwestlich von Kairo, war ein spezielles »Peenemünde« eingerichtet worden. Drei Tage vor der alljährlichen Revolutionsparade im Juli 1962 lud Nasser die Weltpresse dorthin zum Feuerzauber ein.

Die Bestückung des Gefechtskopfes war den Konstrukteuren ebenso egal wie die Startrichtung. Die zielte eindeutig gegen Israel. Vor allem durch seinen Agenten Johann Wolfgang Lotz, der getarnt als Ex-Offizier des Afrikakorps bei den deutschen Kameraden ein und aus ging und sich so auch der Gunst hoher ägyptischer Offiziere erfreute, wusste Israels Geheimdienst Mossad viel von dem, was in Ägypten vorging.

Außenministerin Golda Meir beschwor im israelischen Parlament den Bonner Staat: »Die deutsche Regierung kann nicht untätig bleiben, wenn 18 Jahre nach dem Sturz des Hitler-Regimes, das Millionen von Juden vernichtete, wieder einmal Angehörige dieses Volkes für Handlungen verantwortlich sind, die der Zerstörung des Staates Israel dienen.« Bonn reagierte hektisch, aber heimlich, versuchte Israel mit neuen Wiedergutmachungspakten zu beruhigen, drohte den Deutschen mit Passentzug und der Streichung von Stellen, die einige an deutschen Instituten weiter bekleideten.

Im übrigen sah man zu, wie der israelische Geheimdienst ein Attentat nach dem anderen verübte. Am 7. Juli 1962 stürzte ein Charterflugzeug des Schweizer Meco-Chefs ab. Kamil war nicht an Bord, seine Frau Helene, Herzogin zu Mecklenburg, aber fand den Tod. Am 11. September 1962 verschwand Heinz Krug, Chef der Dealerfirma Intra spurlos. 1962 explodierten Bomben in deutschen Niederlassungen ägyptischer Im- und Exportfirmen. Bei Lörrach lieferte sich ein Wissenschaftler ein Feuergefecht mit einem Killerkommando. Professor Pilz erhielt eine Briefbombe, die seine Sekretärin schwer verletzte. SS-Gangster Brunner wurde beim Öffnen eines Briefes fast getötet und floh mit Wissen des BND nach Syrien.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2011


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