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Mursi unterzeichnet Verfassung

Ägypten: 63,8 Prozent stimmten für islamistisches Grundgesetz *

In Ägypten gilt jetzt eine islamistisch geprägte Verfassung. Präsident Mohammed Mursi setzte das Regelwerk am späten Dienstag abend mit seiner Unterschrift in Kraft. Damit ist der Weg für Parlamentswahlen frei, die in rund zwei Monaten stattfinden sollen. Zuvor hatten bei einem Referendum in zwei Durchgängen insgesamt 63,8 Prozent der Wähler für den Verfassungsentwurf votiert. Die Wahlkommission erklärte, es seien keine schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten entdeckt worden. Allerdings lag die Beteiligung nur bei knapp 33 Prozent. Viele Oppositionelle kritisieren die neue Konstitution als zu religiös. So werde es dem Klerus erlaubt, sich in den Gesetzgebungsprozeß einzumischen, außerdem seien Minderheiten nicht ausreichend geschützt.

Die USA riefen Gegner und Befürworter der Verfassung auf, die Spaltung des nordafrikanischen Landes zu überwinden. Mursi habe in dieser Frage eine besondere Verantwortung, sagte ein Sprecher des State Department. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte Mursi am Mittwoch auf, »jetzt auf alle gesellschaftlichen Kräfte zuzugehen und die politischen Kompromisse zu suchen, die alle Ägypter einbinden und auf diesen Weg mitnehmen können«.

Kaum jemand zweifelt jedoch daran, daß es für die Hardliner, sollten sie bei den Parlamentswahlen erneut eine klare Mehrheit für sich verbuchen, keine Hürden mehr auf dem Weg zu ihrem langfristigen Ziel gibt, Ägypten zu einem islamistischen Staat zu machen. Die Salafisten würden darauf bestehen, daß alle Gesetze im Einklang mit dem islamischen Recht stehen, sagt der britische Islamexperte Dschalil Al-Anani. Das gelte besonders für Fragen der Moral, Kultur, persönlichen Freiheiten und nationalen Identität. »Die Salafisten werden von den Muslimbrüdern eine Belohnung für ihre ›Ja‹-Stimmen zum Verfassungsentwurf einfordern«, sagte Al-Anani der Nachrichtenagentur AP. »Die Muslimbrüder wollen unterdessen ihr Image als glaubhafte demokratische Kraft wiederherstellen, nachdem sie zuletzt in unmittelbarer Nähe der Salafisten wahrgenommen wurden.«

Ägypten-Kenner Michael W. Hanna vermutet jedoch, daß die Konservativen wegen der latenten politischen Spannungen nicht mit der Brechstange vorgehen werden. »Bei jeder Art von unpopulärer Gesetzgebung, vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Medien, wird es eine gewaltige Gegenreaktion geben«, meint der Experte von der New Yorker Century-Stiftung. Die seit Monaten anhaltende politische Krise schreckt zunehmend Investoren und Touristen ab und führt auch zu Unruhe in der Bevölkerung. Aus Sorge vor einem Ansturm auf die Geldhäuser verbot die Regierung Einzelpersonen, mehr als umgerechnet 7500 Euro in ausländischen Währungen außer Landes zu bringen oder einzuführen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. Dezember 2013

Weitere Meldungen:

Die oppositionelle Nationale Heilsfront lehnt den Dialog mit der Regierung ab. "Der Präsident redet mit sich selbst", sagte Sprecher Hussein Abdel Ghani. Laut AP seien die meisten Beteiligten des Dialogs entweder islamistische Parteien oder Anhänger der Regierung, die nur als Oppositionelle aufträten. Die Heilsfront werde ihre Opposition gegen die Regierung fortsetzen, "die im Namen der Religion ein repressives Regime aufbauen will".

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Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte in Brüssel, sie nehme zur Kenntnis, dass eine Mehrheit für die Vorlage gestimmt habe. "Ich nehme aber auch zur Kenntnis, dass die Wahlbeteiligung bei 33 Prozent lag." Angesichts der Notwendigkeit, weiteren Konsens in Ägypten zu schaffen, unterstreiche sie ihre frühen Aufrufe an alle Seiten zum Dialog, teilte Ashton weiter mit.




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