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Armee auf Eskalationskurs

Ägypten: Mursi in Untersuchungshaft. Ausschreitungen bei Demonstrationen *

Der Kampf um Ägyptens politische Zukunft wird weiterhin auf der Straße ausgetragen. Sowohl Anhänger als auch Gegner des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi hatten am Freitag in Kairo zu Großdemonstrationen aufgerufen. Bereits am Nachmittag kam es dabei zu ersten Ausschreitungen. Im Stadtteil Schubra bewarfen sich Anhänger der gegnerischen Parteien mit Steinen, wie auf Livebildern des Fernsehsenders ONTV zu sehen war. Militärchef und Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi, dessen Truppen Mursi Anfang Juli abgesetzt hatten, hatte am Mittwoch zu Massendemonstrationen aufgerufen, mit denen das Volk gegen »Terrorismus und Gewalt« auftreten und seine Unterstützung für den Kurs der Übergangsregierung ausdrücken soll. Die Muslimbrüder, aus deren Reihen Mursi stammt, bezeichneten Al-Sisis Ansprache dagegen als »Einladung zum Bürgerkrieg«. Bei den Protesten sind bereits weit über 100 Menschen ums Leben gekommen.

Die Justiz goß am Freitag weiteres Öl ins Feuer. Sie verhängte gegen Mursi, den die Armee ohnehin seit drei Wochen ohne Anklage festhält, eine 15tägige Untersuchungshaft. Insgesamt 600 Muslimbrüder haben die Behörden seit dem Sturz der demokratisch gewählten islamistischen Regierung am 3. Juli verhaftet. Darunter sind zahlreiche Führungskader der Bruderschaft. Gebrochen wurde der Widerstand der Islamisten damit allerdings nicht. Die schwören noch immer, so lange zu protestieren, bis Mursi wieder im Amt sei. Allerdings wird es immer unwahrscheinlicher, daß sie ihr Ziel erreichen. Die unter dem Einfluß der Militärs stehenden Richter werfen dem Expräsidenten nun Verschwörung mit der radikalen Hamas und die Tötung von Soldaten vor. Das berichtete die Nachrichtenagentur Mena am Freitag. Selbst sein Gefängnisausbruch während der Revolution 2011 gegen den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak wird Mursi nun zur Last gelegt. Die Vorwürfe »klingen wie eine Rache des alten Regimes«, das damit seine »machtvolle Rückkehr« signalisiere, schlußfolgerte der Sprecher der Bruderschaft, Gehad Al-Haddad.

Auch im Ausland wird die Kritik an den Militärs lauter. Die Hamas sprach von einer »gefährlichen Entwicklung«. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, er beobachte die Situation mit »zunehmender Sorge«. Er hatte am Donnerstag in New York gefordert, Mursi und andere hochrangige Muslimbrüder sofort freizulassen oder eine transparente Untersuchung ihrer Fälle zu gewährleisten. Auch Deutschland und die USA hatten Mursis Freilassung gefordert. Washington bezeichnet Mursis Absetzung durch die Militärs aber weiterhin nicht als Putsch, weil es dann seine Zahlungen an das ägyptische Militär von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich einstellen müßte. Aus Regierungskreisen verlautete, die Gesetze schrieben nicht vor, daß sich die USA formell äußern müßten. Zudem sei es nicht im Interesse der USA sich festzulegen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. Juli 2013


Versöhnungsdrohung

Von Roland Etzel **

Die Botschaft der ägyptischen Generäle an die Muslimbrüder ist grotesk: »Versöhnt euch mit uns, sonst ... Ihr habt 48 Stunden.« Es ist nichts weniger als Nötigung zur freiwilligen politischen Unterwerfung. Ägypten wäre dann, was die Muslimbrüder als massenwirksamste poltische Bewegung in Ägypten betrifft, wieder sehr nah dran an deren rechtlichem Status bis Februar 2011, also der Mubarak-Zeit. Vielleicht gäbe es jetzt bei faktischer politischer Kapitulation ein paar Ministerämter für sie, zunächst. Aber nicht den Ministerpräsidenten und schon gar nicht den Posten des Staatsoberhauptes.

Dabei hat niemand die Rechtmäßigkeit der Wahlsiege der muslimischen Parteien oder des Präsidenten Mursi ernsthaft zu bezweifeln gewagt, auch nicht ihre heutige Gegner. Es fragt sich also, wie die Militärs aus dieser Legitimationsklemme heraus kommen wollen – wenn sie das wollen. Doch so wie sich der Chef des Militärrates, General Sisi, derzeit spreizt, vermittelt er den Eindruck, als sei dies seine größte Sorge nicht. Wohin wollen die Militärs aber politisch?

Sisi, die Sphinx mit den Generalstressen, spielt auf Zeit. Der 2012 von keinem anderen als Präsident Mursi eingesetzte Verteidigungsminister kann sich darin sonnen, dass die Rebellen auf Kairos Tahrir-Platz vom Muslim Mursi als ihrem Feindbild noch nicht abgelassen haben. Dass die Armee an der blutigen Zuspitzung des ägyptische Machtkampfes nicht unschuldig ist, scheint momentan vergessen zu sein.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Juli 2013 (Kommentar)


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