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Wütende Trauer in Alexandria

Nach Attentat auf Kirche Straßenschlachten zwischen aufgebrachten Kopten und der Polizei

Von Karin Leukefeld *

Nach dem tödlichen Anschlag auf eine Kirche im ägyptischen Alexandria haben Tausende Menschen an der Beisetzung der 21 Opfer teilgenommen. Mindestens 5000 Trauernde kamen am Samstag zu der Zeremonie im Kloster Marmina in King Mariut, einem Vorort von Alexandria.

Angesichts zunehmender Auseinandersetzungen zwischen Kopten - den ägyptischen Christen - und ägyptischen Sicherheitskräften warnen Medien in Ägypten bereits vor einem Bürgerkrieg, sollten Kopten und Muslime gegeneinander in Stellung gehen. Wütend hatten Trauernde am Samstag selbst den Sekretär von Koptenpatriarch Schenuda III., Bischof Juanes, niedergeschrien, als er das Beileid von Staatschef Hosni Mubarak übermitteln wollte. "Nein, nein, nein", skandierte die Menge aufgebracht.

Bei dem tödlichen Anschlag auf eine Kirche in der nordägyptischen Hafenstadt waren in der Neujahrsnacht 21 Menschen getötet und Krankenhausberichten zufolge mindestens 79 Menschen verletzt worden. Die Wucht der durch eine Autobombe ausgelösten Detonation war so stark, dass auch eine unmittelbar neben der Kirche gelegene Moschee beschädigt wurde. Unmittelbar danach hatte der Gouverneur von Alexandria die Terrororganisation Al Qaida verantwortlich gemacht. Präsident Mubarak erklärte in einer Fernsehansprache, die Tat trage die Züge "ausländischer Hände", eine Umschreibung für Al Qaida. Er werde "der Schlange den Kopf abhacken" und den "Terrorismus niederschlagen", so Mubarak weiter. Angesichts der Bedrohung sollten "Christen und Muslime zusammenstehen".

Doch die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen jungen Kopten und Sicherheitskräften machen deutlich, dass die Betroffenen den offiziellen Erklärungen nicht glauben. Bei wütenden Straßenschlachten um die Kirche entblößten einige der christlichen Demonstranten ihren Oberkörper, drohten wütend mit Eisenstangen und riefen Parolen wie: "Mit unserer Seele und unserem Blut werden wir das Heilige Kreuz erlösen" und "Oh, Mubarak, das Herz der Kopten brennt".

Die Tageszeitung "Al-Masri Al-Yaoum" forderte derweil die Regierung auf, "den Stier bei den Hörnern zu packen" und sich endlich den sozialen, politischen und kulturellen Aspekten des Konflikts zu stellen. Die Regierung müsse Diskriminierung und Ungleichbehandlung der Kopten in Ägypten beenden, hieß es in anderen Medien. Dann hätten diejenigen, die einen "religiösen Bürgerkrieg" schüren wollten, keine Chance. Die Zeitung "Al-Shorouk" schrieb, die ägyptischen Christen hätten zwar allen Grund, wütend zu sein, doch sollten sie nicht in die Falle der Anstifter tappen. Das Blatt warnte vor einem Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Christen, der das Land in einen "Sumpf" führen würde, "wie Libanon 1975".

Die Kopten sind die größte christliche Glaubensgemeinschaft in Ägypten und machen zehn Prozent der 80 Millionen Einwohner aus. Obwohl Ägypten sich gern als westlich orientierter säkularer Staat darstellt, gilt laut Verfassung offiziell die Scharia, das islamische Recht. Eine Fülle von Sonderregelungen schränkt die Christen in der Religionsausübung ein, wobei die Schikanen im ländlichen Bereich ungleich größer sind als in den Metropolen. Markanter Ausdruck der Ungleichbehandlung ist, dass der Bau einer Kirche stets der Genehmigung des Präsidenten bedarf. Moscheen hingegen dürfen frei und überall gebaut werden.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2011


Das System Mubarak

Von Roland Etzel **

Der Rauch hatte sich kaum verzogen nach dem Attentat auf die Kirche in Alexandria, da zeigte Präsident Mubarak bereits auf "die Täter", die er in "ausländischen Elementen" zu erkennen meinte. Belege dafür blieb er schuldig. Wer immer aber die Hintermänner des Attentäters sind, dem Streben des Präsidenten, sein bröckelndes Machtsystem in ein viertes Jahrzehnt zu führen, haben sie nicht unbedingt geschadet. Sie liefern ihm sogar eine Handhabe, warum es den seit 1981 geltenden Ausnahmezustand und damit so manchen Willkürparagrafen aufrechtzuerhalten gelte. Nach Mubaraks Erklärungen scheint es jetzt geradezu zwingende Vernunft, dass der nächste Präsident - in diesem Jahr zu wählen - wieder Mubarak heißen muss. Offen ließ er nur noch, ob erneut Vater Hosni oder doch schon Filius Gamal.

Ohne die Milliarden aus dem Westen würde das System Mubarak in Ägypten eher heute als morgen implodieren. Darüber ist man sich im Westen völlig im klaren. Solange man aber über keinen demokratisch eingefärbten Ersatzmann für den Thron in Kairo verfügt, wird wohl oder übel zu allen Plagen geschwiegen, die der Pharaonachfolger seiner Bevölkerung seit vielen Jahren zumutet. Er ist nun mal der wertvollste arabische Verbündete in der Region. Deshalb ist das Lamento hiesiger Politik über das Attentat wohl am ehrlichsten, wenn es die Sorge um das Systems Mubarak betrifft.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2011


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