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Tränengas auf dem Platz der Befreiung

Enttäuschte Ägypter protestieren am Jahrestag der Revolution *

Anlässlich des zweiten Jahrestages des Beginns der Volksaufstands in Ägypten versammelten sich am Freitag Tausende Menschen auf dem Kairoer Tahrirplatz. »Nieder mit der Macht des Führers«, rief die Menge mit Blick auf den Chef der islamistischen Muslimbruderschaft, aus der Präsident Mursi hervorgegangen ist. tahrir

Zwei Jahre nach dem Beginn der Massenproteste gegen Präsident Husni Mubarak haben Tausende Ägypter gegen die aktuelle islamische Regierung protestiert. Von zahlreichen Plätzen und Moscheen aus marschierten die Demonstranten am Freitag in der Hauptstadt Kairo zum geschichtsträchtigen Tahrir(Befreiungs)-Platz, wo die zentrale Kundgebung stattfinden sollte. Abseits des Platzes kam es zu vereinzelten Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei und.

Bereits am Vorabend hatte es in der Umgebung des Platzes Gewalt zwischen Polizisten und Regierungsgegnern gegeben, die eine Betonmauer vor dem Regierungsviertel niederreißen wollten. Dabei waren 16 Personen verletzt worden. Der aus den Muslimbrüdern hervorgegangene Präsident Mohammed Mursi hatte am Donnerstag von einer »Konterrevolution« gesprochen. Er behauptete, die Proteste würden von »Überbleibseln des Mubarak-Regimes« gesteuert. Die Demonstranten werfen Mursi vor, er habe die Ziele der Revolution verraten, die am 25. Januar 2011 begonnen und 17 Tage später zum Rücktritt Mubaraks geführt hatte.

Auch bei einer Protestaktion in der Hafenstadt Alexandria haben sich Gegner der Regierung Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Das ägyptische Nachrichtenportal »youm7« meldete am Freitag, die Polizei habe gegen die Demonstranten, die sich vor dem Strafgericht versammelt hatten, Tränengas eingesetzt. Aus der Menge der Protestierenden flogen daraufhin Steine auf die Polizeibeamten.

In Ismailia am Suez-Kanal steckten Demonstranten die örtliche Parteizentrale der Muslimbrüder in Brand. Am Nachmittag stieg schwarzer Rauch aus der Zentrale auf. In Suez und Al-Arisch auf der Sinai-Halbinsel protestierten ebenfalls Anhänger von Oppositionsparteien »für soziale Gerechtigkeit« und gegen »die Herrschaft der Muslimbrüder«.

Zahllose Übergriffe von Geheimdienst und Polizei der Mubarak-Regierungen bis hin zu schwersten Verbrechen sind noch immer ungesühnt. Die Internationale Föderation für Menschenrechte hatte sich in dieser Woche erneut besorgt zur Menschenrechtssituation in Ägypten geäußert. Die Organisation kritisierte vor allem, dass Polizeioffiziere, die Demonstranten töten, meist straffrei ausgehen.

Allerdings wird auch beklagt, dass es seit dem Sturz Mubaraks Rückschritte auf dem Gebiet der Frauenrechte und der Meinungsfreiheit gegeben habe.

In einer ägyptischen Kaserne haben Soldaten der Ordnungspolizei gegen entwürdigende Behandlung durch Vorgesetzte rebelliert. Nach einer Massenschlägerei, bei der auch Steine flogen, wurden laut Angaben von Krankenhausmitarbeitern 20 junge Soldaten verletzt. Sie wurden in der Nacht zum Donnerstag ins Krankenhaus gebracht. Abdelhalim al-Gamal von der salafistischen Partei des Lichts, die bei den Parlamentswahlen im Dezember 2011 zweitstärkste Kraft geworden war, forderte eine Aufklärung der Vorfälle in der Kaserne Al-Dschubail im Bezirk Tora auf der Sinai-Halbinsel.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 26. Januar 2013


Revolution weiterführen

Ägypten: Spannungen beim Gedenken an 25. Januar, dem Beginn der Proteste, die zum Sturz des Diktators Mubarak führten

Von Karin Leukefeld, Damaskus *


Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen wurde am Freitag in Ägypten mit Demonstrationen, Versammlungen und Reden an den Beginn der Revolution des 25. Januar 2011 erinnert. Das Gedenken fand allerdings unter sehr verschiedenen Vorzeichen statt. Während die regierende Muslimbruderschaft lediglich zu einer Versammlung in einer Moschee in unmittelbarer Nähe des Amtssitzes von Präsident Mohamed Mursi aufgerufen hatte, mobilisierten Oppositionsgruppen landesweit zu Protesten gegen den Präsidenten.

Bei einer Rede am Donnerstag anläßlich des Geburtstages des Propheten Mohammad hatte Mursi dazu aufgerufen, den Jahrestag des Beginns der Revolution »zivilisiert und friedlich« zu begehen. Das Innenministerium hatte die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen, martialisch gekleidete Einsatzkräfte waren auf den Straßen im Einsatz.

Mohammed ElBaradei, einer der bekannten Oppositionsführer, forderte am Donnerstag per Internetvideo alle Oppositionellen auf, »überall in Ägypten zu beweisen, daß die Revolution weitergeht und zu Ende gebracht werden muß.« Man dürfe »nicht aufhören, bis alle Forderungen erfüllt« seien, so ElBaradei. Die Opposition wirft Mursi und der Muslimbruderschaft vor, sich ähnlich repressiv und autoritär zu gebärden, wie die Vorgängerregierung von Hosni Mubarak. Die Opposition protestiert zudem gegen Preiserhöhungen und Mißstände bei Gerichtsverfahren.

Alte und neue Regierungsgegner hatten sich bereits am Donnerstag abend auf dem Tahrir-Platz versammelt, wo es in der Nacht zu Ausschreitungen mit der Polizei gekommen war. Demonstranten hatten offenbar versucht, eine Betonsperre zu entfernen, die von den Sicherheitskräften aufgebaut worden war, um den Zugang zum nahe gelegenen Parlamentsgebäude zu blockieren. Die Demonstranten begründeten ihre Aktion damit, daß die Sperre die Menschenmassen behindern würden, die am Freitag auf dem Tahrir-Platz erwartet würden. Die Polizei setzte Tränengas ein, einige Demonstranten bewarfen die Polizei daraufhin mit Steinen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Am Freitag morgen hatte sich die Lage auf dem Tahrir-Platz wieder beruhigt, blieb aber angespannt.

Nach dem Freitagsgebet gingen landesweit Hunderttausende gegen die Muslimbruderschaft und deren politische Partei »Freiheit und Gerechtigkeit« auf die Straßen. Proteste gab es in vielen Provinzen. In Alexandria wurde ein Zeltlager von Demonstranten errichtet. Zwei Gruppen von komplett in Schwarz gekleideten und maskierten Demonstranten mit dem Namen »Ultra-Freiheitskämpfer« blockierten an zwei verschiedenen Orten in Alexandria Vorstadtzüge. In Kairo hatten Polizeikräfte am Freitag morgen eine Blockade aus brennenden Autoreifen auf der Zufahrtsstraße zum Präsidentenpalast in Heliopolis beseitigt. Vier Protestzüge zum Präsidentenpalast waren für Freitag angekündet.

Wohl kaum ein Demonstrant, der vor zwei Jahren dem Aufruf der ägyptischen Webseite »Wir sind alle Khalid Said« gefolgt und sich am 25. Januar, dem offiziellen Nationalen Feiertag der Polizei, zum Tahrir-Platz in Kairo aufgemacht hatte, dürfte im Traum daran gedacht haben, was aus der Aktion werden würde. Drei Wochen später trat der langjährige Präsident Hosni Mubarak ab und nach einer turbulenten Periode politischen Aufbruchs setzten sich Militär und Muslimbruderschaft als die neuen Herrschenden durch. Die ersten Parlamentswahlen 2012 dominierten die islamischen Muslimbrüder und ihre radikalen Vetter, die Salafisten. Kurz darauf setzte sich Mohamed Mursi bei den Präsidentschaftswahlen durch. Wirtschaftlich hängt Ägypten derzeit am Tropf des Golfstaates Katar. Dort macht man aus seiner Neigung für die Muslimbruderschaft kein Geheimnis mehr.

** Aus: junge Welt, Samstag, 26. Januar 2013


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