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Eskalation in Kairo

Israelische Botschaft in Ägypten gestürmt. Vier Tote und tausend Verletzte bei Protesten. Muslimbrüder fordern Überprüfung der Beziehungen zum Nachbarland

Von Karin Leukefeld *

Nach Massenprotesten an der israelischen Botschaft in der ägyptischen Hauptstadt Kairo in der Nacht zum Samstag (10. Sept.) hat Is­rael bis auf den Konsul die gesamte diplomatische Belegschaft abgezogen. Der Botschafter und seine Familie seien mit der Luftwaffe ausgeflogen worden, hieß es. Mehr als 80 Personen– Mitarbeiter, Angehörige und Sicherheitskräfte – wurden evakuiert. Sechs Personen seien während der Proteste von ägyptischen Eliteeinheiten aus der Botschaft »gerettet« worden. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dankte am Wochenende in einer Fernsehansprache auch US-Präsident Barack Obama für dessen nicht näher bezeichnete Unterstützung bei der Evakuierung.

Nach dem Freitagsgebet (9. Sept.) hatten Zehntausende Ägpyter auf dem zentralen Tahrir-Platz die Militärführung des Landes aufgefordert, die politische Macht an eine zivile Regierung abzugeben. Von dort waren Hunderte Demonstranten vor das Botschaftsgebäude gezogen. Trotz der Anwesenheit schwerbewaffneter Sicherheitskräfte konnten rund 30 Personen die Sicherheitsmauer um die Botschaft überwinden, Filmaufnahmen zeigten einige Männer, die an der Fassade des Gebäudes emporkletterten, einer entfernte unter dem Beifall der Demonstranten die israelische Fahne. Andere hätten Dokumente aus dem Fenster geworfen, berichteten Reporter vor Ort. In der Umgebung der Botschaft seien Fahrzeuge in Flammen aufgegangen.

Zunächst nur zögerlich, ging die Polizei schließlich mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Menge vor, die sich zur Wehr setzte. Manche Kommentatoren vermuteten in dem Verhalten eine Art »Ventil« für den Zorn der Menschen, die sich nach der Ausweisung des israelischen Botschafters aus der Türkei fragten, warum Ägypten sich nicht ebenso verhalte. Der Zorn hatte sich erstmals Mitte August gegen die Botschaft in Kairo entladen, nachdem israelische Soldaten bei einer Verfolgungsjagd im Grenzgebiet auf dem Sinai fünf ägyptische Grenzbeamte getötet hatten. Unmittelbar nach dem Sturz von Hosni Mubarak hatte der Militärrat im Februar erklärt, den 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel einzuhalten. Das hatte der Armee die Fortsetzung der Milliarden US-Dollar schweren Militärhilfe gesichert.

Bis zu 1000 Ägypter sollen bei den Auseinandersetzungen in der Nacht zum Samstag verletzt worden sein, mindestens vier Menschen wurden laut AFP getötet. 17 Personen wurden nach offiziellen Angaben verhaftet und einem Sondergericht vorgeführt. Der Militärrat kündigte ein hartes Durchgreifen an.

Organisatoren der Freitagsproteste auf dem Tahrir-Platz kritisierten die Ausschreitungen an der israelischen Botschaft. Ein Sprecher der Jugendbewegung »6. April« befürchtet laut der Tageszeitung Al Masri Al Youm »negative Auswirkungen auf die Ziele der Revolutionsbewegung«. Die ägyptischen Muslimbrüder sprachen sich dagegen für eine »Überprüfung« der Beziehungen zu Israel aus. Sie forderten, die dem Nachbarland zu Vorzugspreisen gewährten Erdgaslieferungen einzustellen.

Israels Premier Benjamin Netanjahu versicherte am Sonntag (11. Sept.) inzwischen, sein Land halte an dem Friedensvertrag mit Ägypten fest. Sobald die Sicherheitslage es erlaube, werde der Botschafter zurückkehren. Geheimdienstminister Dan Meridor bezeichnete dagegen die Vorkommnisse im israelischen Rundfunk als »Angriff auf den Frieden zwischen Israel und Ägypten und die Stabilität in Nahost«. Das US-Außenministerium betonte, daß sowohl Israel als auch Ägypten »Schlüsselpartner und Verbündete« der USA seien.

* Aus: junge Welt, 12. September 2011


Sturm auf israelische Botschaft in Kairo

Trotz Zerstörungen in der Vertretung schlägt Netanjahu versöhnliche Töne an

Von Juliane Schumacher, Kairo **


Nach der gewaltsamen Erstürmung ihrer Botschaft in Kairo bemüht sich die israelische Regierung um Entspannung. Israel halte weiter am Frieden mit seinem ägyptischen Nachbarn fest, versicherte Ministerpräsident Netanjahu am Samstagabend (10. Sept.). Die ägyptische Militärregierung setzte das Notstandsgesetz wieder in Kraft.

Am Freitag (9. Sept.) hatten mehrere tausend Demonstranten eine Mauer vor der Botschaft eingerissen; eine Gruppe drang ins Gebäude ein, legte Feuer und warf Papiere aus dem Fenster. Bei anschließenden Straßenschlachten mit Polizei und Militär kamen mindestens vier Menschen ums Leben, über 1000 wurden verletzt.

Der Aktion vorausgegangen waren friedliche Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz in Kairo und in anderen Städten. Zehntausende zumeist junge Protestierende hatten ein Ende der Militärherrschaft gefordert und einen Zeitplan für Wahlen. Am späten Nachmittag waren rund 3000 der Demonstranten zur israelischen Botschaft gezogen und bauten dort die vor der Vertretung errichtete Mauer ab. Diese Aktion war geplant und angekündigt. Unklar ist dagegen, wer die etwa 30 Personen waren, die in das Gebäude eindrangen und die Botschaft verwüsteten und warum das Militär, das in großer Anzahl vor Ort war, sie nicht stoppte.

Erst nach rund sieben Stunden griffen Polizei und Militär ein. Die folgenden Straßenschlachten dauerten bis zum frühen Morgen. Das Militär setzte Tränengas ein und schoss scharf, die Protestierenden warfen Steine und Molotowcocktails. Ein nahes Polizeiquartier wurde in Brand gesetzt, ebenso ein Teil des Zoos und der saudischen Botschaft. Am Nachmittag hatte es auch Angriffe auf das Innenministerium gegeben, bei denen im Gebäude ein Feuer ausbrach. Soldaten evakuierten sechs Israelis, die sich noch im Gebäude befanden. Noch in der Nacht flog Israel den Botschafter, seine Familie und weitere israelische Staatsbürger aus.

Premierminister Netanjahu war am Samstag um Entspannung bemüht und betonte, Israel halte am Friedensvertrag mit Ägypten fest. In einer Ansprache dankte er den ägyptischen Sicherheitskräften und kündigte an, erneut einen Botschafter zu entsenden, sobald die Sicherheitslage es zulasse. Ein Konsul bleibe an geheimem Ort vorerst im Land.

Netanjahus Vertrauter, Umweltminister Gilad Erdan, sagte am Sonntag, die israelische Regierung werde alles für die Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen tun. Ähnlich äußerte sich Heimatschutzminister Matan Vilnai im Armeerundfunk. Er hob hervor, dass die ägyptischen Einsatzkräfte ein »Blutbad verhindert« hätten – auch wenn sie »vielleicht etwas verspätet« eingriffen. Von Ägypten gab es keine offizielle Stellungnahme. Es hatte in der Nacht jedoch Telefonate zwischen Israel und Ägypten gegeben, in die auch die USA involviert gewesen sein sollen.

Unter den jungen Protestierenden war der Angriff auf die Botschaft höchst umstritten. Während ein Teil der Akteure ihn verteidigte, lehnte ein anderer ihn heftig ab. Die islamischen Gruppen begrüßten ihn, lehnten die Angriffe auf Polizei und Militär aber ab. Die ägyptische Militärregierung führte die Vorfälle am Samstag auf die prekäre Sicherheitslage zurück und kündigte an, die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. Das Notstandsgesetz wird in vollem Umfang in Kraft gesetzt. Damit sind willkürliche Verhaftungen möglich, Demonstrationen nur mit Genehmigung erlaubt. Am Sonntag stürmten Regierungskräfte 16 internationale Fernsehsender, darunter Al Dschasira Ägypten und verhafteten Mitarbeiter.

Das lange erwartete Verhör von Armeechef Hussein Tantawi im Prozess gegen Ex-Präsident Hosni Mubarak am Sonntag sagte der General unter Verweis auf die Sicherheitslage ab. Es soll jetzt am 24. September stattfinden.

** Aus: Neues Deutschland, 12. September 2011


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