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Das Geschäft der Salafisten

Religiöse Radikalisierung wurde schon häufig instrumentalisiert

Von Karin Leukefeld *

Tausende Menschen haben am Montagabend in der koptischen Kathedrale von Kairo an der Trauerfeier für die getöteten koptischen Christen teilgenommen. Live-Bilder des Fernsehsenders ON TV zeigten, wie die blumengeschmückten Särge mit den Namen der 17 Opfer aufgebahrt wurden und viele der Trauernden in Tränen ausbrachen.

»Die Religion gehört Gott und das Vaterland uns allen« lautet ein Motto der arabischen Linken. Doch in Syrien, Tunesien und Ägypten wächst die Angst vor religiösem Einfluss auf die politische Zukunft. Zumeist manifestiert er sich in den Organisationen der Muslimbruderschaft, dem ältesten und größten sunnitisch-muslimischen Zusammenschluss in den arabischen Staaten.

In Syrien und Ägypten ist sie illegal, wird aber toleriert, sofern sie sich nicht politisch betätigt. In Ägypten konnten die Muslimbrüder unter der Präsidentschaft Hosni Mubaraks als Unabhängige kandidieren, inzwischen haben sie eine eigene Partei gegründet. EU und USA haben die Muslimbrüder unter Verweis auf die türkische Regierungspartei AKP - genaugenommen ebenfalls eine Organisation der Muslim-Bruderschaft - offiziell in den Rang »politischer Gesprächspartner« erhoben. Das »türkische Modell« für die Länder des »arabischen Frühlings« wird vom Westen offen favorisiert.

»Im Angesicht des Todes akzeptiere ich das Fieber«, heißt ein irakisches Sprichwort. Und so werden Modelle der Kooperation mit den Muslimbrüdern sowohl in Syrien, in Tunesien als auch in Ägypten erwogen, um eine religiöse Radikalisierung, wie sie zum Beispiel die sogenannten Salafisten betreiben, abzuwehren. Als Salafisten, ?Al-Salaf al-Salih« (die frommen Vorfahren) bezeichnen sich sunnitische Muslime, die unter Verweis auf die ersten Anhänger Mohammeds im 7. Jahrhundert für sich in Anspruch nehmen, den wahren, ursprünglichen Islam zu vertreten. Zunächst wurde lediglich ein strenger sunnitischer Islam praktiziert, heute grenzen sich Salafisten auch bewaffnet gegen schiitische und aufgeklärte sunnitische Muslime ab und bekämpfen die »Verwestlichung« arabischer Staaten.

Ihren Ursprung haben sie in Saudi-Arabien, wo die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen. Die enge Zusammenarbeit des saudischen Königshauses Ibn Saud mit den USA stärkte die Salafisten, doch Riad und Washington lenkten die Gruppe in den 70er und 80er Jahren in den Kampf gegen die sowjetische Armee in Afghanistan. Ausgestattet mit Geld und Waffen zogen salafistische arabische Kämpfer an den Hindukusch, wo sie gemeinsam mit den Taliban, erst der Sowjetunion, dann der NATO schwere Verluste beibrachten.

Auch im Irak von Saddam Hussein gab es Salafisten, die dieser abseits der großen Städte streng kontrollierte. Nach der US-Invasion 2003 entstanden salafistische Widerstandsgruppen, die mit Unterstützung von Kämpfern aus Afghanistan gegen die Besatzer operierten. Salafisten tauchen in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Libanon auf, im Gazastreifen bereiten sie der Hamas Probleme. In Syrien gehören sie zur Oppositionsbewegung, verüben Sabotage und bekämpfen die Armee. In Ägypten waren Salafisten zumeist eingekerkert, wurden aber von Mubarak auch benutzt, um den eigenen Machterhalt abzusichern.

Die Anschläge auf die beiden koptischen Kirchen in Alexandria am Neujahrsabend waren das Werk von Salafisten, wie Rechtsanwalt Hafez Abu Seada von der unabhängigen ägyptischen Menschenrechtsorganisation überzeugt ist. Nach dem Angriff auf die koptische Demonstration am Sonntag vermuten viele, dass der Militär- und Sicherheitsapparat erneut auf diese alte Methode zurückgreift. Die ägyptischen Behörden gaben am Montag die Hinrichtung eines Mannes bekannt, der wegen der Ermordung sechs koptischer Christen vor einer Kirche im Januar 2010 zum Tode verurteilt worden war. Für gewöhnlich machen die ägyptischen Behörden keine Angaben dieser Art.

* Aus: neues deutschland, 12. Oktober 2011


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