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Gewerkschaften in Gründung

Die Arbeiterbewegung in Ägypten ist im Aufbruch und weiß noch nicht genau wohin

Von Gesa von Leesen *

In Ägypten formieren sich Woche für Woche mehr und mehr unabhängige Gewerkschaften. Die Umstände dieser Gründungen sind schwierig, schließlich verbieten die noch geltenden Gesetze eigentlich freie Gewerkschaften. Doch die Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten. Der DGB will sie unterstützen, denn ohne unabhängige Gewerkschaften ist kein demokratischer Staat zu machen.

Im smogverhangenen Kairo verlangsamen knapp 40 Grad das Tempo auf den Straßen. Durch das dichte Gedränge auf engen Bürgersteigen geht es zum Treffen mit unabhängigen Gewerkschaftern, das die Friedrich-Ebert-Stiftung ermöglicht hat. In dem Altbau aus der vorletzten Jahrhundertwende zieren Plakate die Wand. Darauf Demonstranten vom Tahrirplatz, über denen sich eine Faust reckt, die einen Schraubenschlüssel umfasst. Es ist der Aufruf zum diesjährigen 1. Mai. »Unser erster richtiger, freier 1. Mai«, betont einer der Gewerkschaftsvertreter stolz.

Nach und nach trudeln knapp ein Dutzend Männer ein, auch eine junge Frau kommt. Sie vertritt die Gewerkschaft für die Angestellten des Mehrwertsteueramtes. Die gebe es seit Mai dieses Jahres und sei bereits in zehn Landkreisen vertreten, erzählt sie. Auch Vertreter der Grundsteueramtsgewerkschaft sind gekommen, mehrere Männer sind für die Rentnergewerkschaft da und zwei deutlich jüngere Männer stellen ihre Gewerkschaft für Gesundheitstechniker vor. Die wurde bereits im Oktober 2010 gegründet, also mehrere Monate vor den großen Demonstrationen auf dem Tahrirplatz. Alaa El-Batawy erzählt, dass es für seine Branche vorher gar keine Gewerkschaft gegeben habe. Inzwischen zähle man 20 000 Mitglieder und fordere außer der Anerkennung als Gewerkschaft bessere Löhne und eine eigene Fakultät für die Ausbildung. »Die ist bei uns einfach zu schlecht«, sagt El-Batawy.

Die Macht der alten Mächte

Der junge Techniker unterscheidet sich deutlich von den älteren Herren, die ebenfalls in der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung aktiv sind. Diese diskutieren vor allem die Rolle des alten systemtreuen Gewerkschaftsdachverbandes ETUF, der förmlich gleichgeschaltet die Interessen der Regierung Hosni Mubaraks vertrat statt die der Arbeiter. Ende der 50er Jahre hatten die ägyptischen Behörden verfügt, dass der ägyptische Gewerkschaftsbund die einzige Gewerkschaftsstruktur im Land zu sein habe. Als Mubarak-Organisation stellte er sich gegen die Revolutionäre auf dem Tahrirplatz, knüppelte Demonstranten nieder. Die unabhängigen Gewerkschaften, die seit etwa zwei Jahren in Ägypten für – im Westen weitgehend unbemerkte – Unruhen durch Streiks sorgten, waren dagegen von Anfang an auf dem Tahrirplatz dabei.

Im Mubarak-Ägypten gab es nur die staatliche Gewerkschaft und die auch nur in staatlichen Betrieben. In der Privatwirtschaft waren Gewerkschaften verboten. Im Grunde sind sie es weiterhin, denn die alten Gesetze sind noch nicht geändert. Aber der vom Militärrat eingesetzte Arbeitsminister Ahmend El-Boray sei ihnen gegenüber offen, erzählen die unabhängigen Gewerkschafter.

Der DGB hilft beim Aufbau

Der eigentliche Gegner ist für sie der alte Dachverband ETUF, der vor allem in den großen Industriebetrieben über ein wichtiges Machtmittel verfügt: Er verwaltet die Zusatzrentenkassen. »Wenn jetzt einer dort austritt und zu uns kommt, verliert er Geld«, erklärt ein Vertreter der Rentnergewerkschaft.

Die neuen Gewerkschafter Ägyptens ringen mit den alten Mächten. Zwar wurde ein neuer Dachverband gegründet, doch wie man sich konkret organisieren will, wird noch diskutiert. Soll man mit »sauberen« Leuten von der ETUF zusammenarbeiten oder nicht? Wie kann man die Menschen vom Gewerkschaftsgedanken überzeugen, nachdem sie jahrzehntelang nur falsche Arbeitnehmervertretung kennen gelernt haben?

All das war auch Thema bei einem Besuch ägyptischer unabhängiger Gewerkschafter in Berlin. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des DGB besuchten sie Betriebe, trafen deutsche Gewerkschafter und auch den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer. Der versprach Hilfen – von Beratung bis zum Kopiergerät werde schließlich alles mögliche benötigt.

Madiha Morsy von der Grundsteuerbehörden-Gewerkschaft bittet in Berlin vor allem um politische Unterstützung. Mit Blick auf die Toten vom Tahrirplatz sagt er: »Es ist schwer vorstellbar, was die Vertreter des ETUF uns angetan haben. Es ist wichtig, dass Sie uns helfen, damit die ETUF verboten wird.« Das könnte schwierig für den DGB werden. Eine machtvolle Demonstration auf dem Tahrirplatz dürfte die derzeit Mächtigen da eher beeindrucken.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2011


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