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"Kapitalismus, Krise und Krieg. Den Kreislauf durchbrechen"

Fragen vor dem 16. bundesweiten und internationalen Friedensratschlag an Dr. Peter Strutynski *


Frage: Aktuell - vom 20.-28. 11. - führt die Friedensbewegung die bundesweite Abstimmung „Bundeswehr in Afghanistan? - Nein!“ durch. Was ist das Ziel, welche Beteiligung und welche Resonanz in der Bevölkerung erwartet ihr? Gibt es erste Erfahrungen?

Strutynski: Mit den Abstimmungsaktionen wollen wir zweierlei erreichen: Einmal wollen wir mit dem Thema in die aktuelle Diskussion um die Perspektiven des Afghanistan-Krieges eingreifen. Der herrschende Diskurs soll der Öffentlichkeit Sand doch nur in die Augen streuen. Die politische Klasse übertrifft sich geradezu in „Abzugs“-.Plänen und „Exit-Strategien“. Doch alle Politikersprüche – die LINKE ist davon ausgenommen – von der „Afghanisierung“ des Konflikts, d.h. von der Übertragung von „Verantwortung“ auf die afghanischen Sicherheitskräfte können nicht davon ablenken, dass uns, oder besser: der leidgeprüften afghanischen Bevölkerung eine Verstärkung der Invasionstruppen bevor steht. Garniert wird das mit dem abgestandenen Versprechen, mehr Augenmerk auf die zivile Aufbauhilfe zu werfen. Zum anderen muss die Friedensbewegung selbst wieder mehr in Bewegung geraten. Es war in den letzten zwei bis drei Jahren schon etwas frustrierend zu erleben, dass man zwar eindeutige Meinungsmehrheiten für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hinter sich hat, dass sich dies aber nicht als Protest gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung auf der Straße äußert. Druck muss aber von dort kommen – sonst wird der Krieg auch noch ins zehnte Jahr gehen. Wir hielten die Abstimmungsaktionen für eine Möglichkeit, mit geringen personellen Mitteln viele Menschen im ganzen Land anzusprechen.

Wie in jedem Jahr wird auch 2009 der inzwischen 16. Friedensratschlag in Kassel stattfinden. Das Motto lautet: „Kapitalismus, Krise und Krieg. Den Kreislauf durchbrechen!“ Was sind diesmal die Schwerpunkte?

„Kapitalismus, Krise und Krieg“: Das sind die Schwerpunkte. In den letzten anderthalb Jahren hat der weltweite Kapitalismus eine seiner schwersten Krisen seit Bestehen erlebt und ich vermag nicht zu sagen, ob der Tiefpunkt der Rezession bereits erreicht ist. Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise werden nicht nur in den hoch entwickelten Industrieländern, sondern in ganz besonderer Weise in der Dritten Welt zu spüren sein. Der Anstieg der Hungerbevölkerung auf über eine Milliarde Menschen, die Verteuerung bestimmter Existenzmittel und die Umlenkung staatlicher Hilfen auf die Sanierung von Banken und Industriekonzernen wird die Kluft zwischenArm und Reich in der Welt weiter vertiefen und den Kampf um Absatzmärkte, lebenswichtige Rohstoffe und Energien verschärfen. Verlierer sind die verarmten Menschen in den Entwicklungsländern, die weder Jobs noch die nötigen Lebensmittel zum Überleben haben, und die arbeitenden oder erwerbslosen Menschen in der Ersten Welt, die in der Krise zum Spielball der Transnationalen Konzerne geworden sind und von der künftigen Sparpolitik der öffentlichen Hände zusätzlich bedroht werden.

Welche Bedrohung stellt die Krise der Weltwirtschaft für den Weltfrieden dar: unmittelbar, mittel und langfristig? Wird Krieg „der“ Ausweg aus der Krise?

Der Weltfrieden ist heute schon massiv bedroht, ja, er existiert doch eigentlich schon gar nicht mehr. Seit dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation – die der Menschheit als Ganzes zumindest einen stabilen Zustand des Nicht-Kriegs ermöglichte – erleben wir zahlreiche regionale inner- und zwischenstaatliche bewaffnete Kriege und Konflikte mit Millionen von Toten und Abermillionen Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen. Hinzu kommen die Untergrabung nationaler Wirtschaftssysteme und die Zerstörung sozialer und kultureller Gemeinschaften. Für viele Warlords in Bürgerkriegsgesellschaften, für viele Kriegshaufen, die – mit einer Kalaschnikow oder einem Gewehr von Heckler & Koch bewaffnet - auf eigene Rechnung Krieg führen, bedeuten schwache Staaten und die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols die trügerische Chance, durch Krieg zu überleben. Die „reiche Welt“ reagiert darauf mit der militärischen Sicherung „ihrer“ strategischen Rohstoffe, sei’s im Nahen und Mittleren Osten, sei’s in Zentralasien und im Kaukasus, sei’s am Horn von Afrika. Einen Ausweg aus der Krise stellen all diese Kriege natürlich nicht dar. Krieg ist niemals ein Ausweg.

Vor einem Jahr waren die Stimmen unüberhörbar, die mit dem Wechsel in der US-Präsidentschaft große Hoffnungen verbanden. Was ist von diesen geblieben?

Barack Obama hat in dem knappen Jahr seiner Amtszeit lernen müssen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten trotz seiner formalen Machtfülle nicht allmächtig ist. In der Innenpolitik wurde sein Gesundheitsgesetz fast bis zur Unkenntlichkeit verwässert, in der Außenpolitik überwiegt die Kontinuität der US-amerikanischen Machtpolitik. Lediglich der Ton hat sich geändert: Obama pflegt einen wohltuenden diplomatischen Umgang mit dem „Rest der Welt“ – und ich sage ganz offen: Das ist nach den acht Jahren Rambo-Politik à la Bush kein geringer Fortschritt. In der Sache aber tritt Obama auf der Stelle: Kein Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt, keine realistische Wende in der Iran-Politik, kein Ende des Irak-Konflikts und eine dramatische Verschärfung des Afghanistan-Krieges. Und mit besonderer Sorge sehr ich das vor kurzem ausgehandelte Abkommen mit Kolumbien zur Nutzung von Militärstützpunkten.

Präsident Obama will bald eine "neue" Afghanistan-Strategie verkünden. Was erwarten Sie?

Es wird wohl auf einen Kompromiss mit der Forderung des US-Kommandeurs in Afghanistan, General Stanley McChristal hinauslaufen, der eine weitere Verstärkung der US-Truppen von 40.000 gefordert hatte (nachdem Obama die Truppen bereits um 21.000 erhöht hatte). Obama muss zumindest nach außen den Schein aufrecht erhalten, dass sich das Militär an die Weisungen der Politik zu halten hat und nicht umgekehrt. Daher wird seine „Strategie“ darin bestehen, weniger als die geforderten 40.000 zu entsenden und daneben ein stärkeres ziviles Engagement einzufordern. Zugleich aber wird er den Druck auf die NATO-Verbündeten erhöhen, ihrerseits mehr Truppen zu stellen. Und schließlich scheint er entschlossen, sich mit jedwedem Warlord und Kriegsverbrecher in Afghanistan zu verbünden, der nur eine Eigenschaft mitbringen muss: Er darf kein Taliban oder Al Kaida sein.

Wie es seiner Art entspricht sorgt der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg für frischen Wind im Amt. Wieviel davon ist heiße Luft und was wirklich neue Politik?

Auch zu Guttenberg wird bei all seiner Forschheit bald an seine Grenzen stoßen. Und die Grenzen bilden die afghanischen Realitäten. Sie sind gekennzeichnet von einer zunehmenden Verelendung der Bevölkerung außerhalb der Städte sowie einem wachsenden militärischen und politischen Widerstand jeglicher Art gegen die fremde Besatzung. Und selbst wenn in Afghanistan durch den Einsatz extremer Militärmacht eine vorübergehende Entspannung eintreten sollte, wird der Krieg im Nachbarland mit noch größerer Intensität weiter gehen.

Das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan ist bleibt der neuralgische Punkt der Kriegspolitik der Bundesregierung. Dazu hört man Widersprüchliches: Ausstieg, neue Truppen, Kritik an Karsai, Lob der afghanischen „Demokratie“. Was ist real, was sind Nebelkerzen? Kann es in Afghanistan Frieden in absehbarer Zeit geben?

Erstens: Es wird keinen Frieden geben, solange die NATO in Afghanistan ist. Zweitens: Die „Wiederwahl“ Karsais war für alle erkennbar eine Farce und kein „Sieg der Demokratie“. Drittens: Karsai ist geschwächt und steht vor einer unlösbaren Aufgabe: Er muss im eigenen Land seine Macht behaupten, was nur mit der sukzessiven Machtteilung mit konkurrierenden Warlords geht. Und er muss gegenüber dem Westen und der Weltöffentlichkeit den Schein von „good governance“ (einer „guten Regierungsführung“) aufrecht erhalten. Andernfalls verlieren das Regime und der Krieg noch mehr an Unterstützung bei den über 40 Staaten, die sich in unterschiedlicher Weise an der Besatzung Afghanistans beteiligen. Viertens: Alle Abzugsvorschläge aus dem Regierungslager und dem etablierten Oppositionslager sind Mogelpackungen. Sie sprechen von Abzug und nennen weder Truppenzahlen noch Zeiträume.

Eine der ersten Äußerungen zu Guttenbergs im Amt war die Leugnung und Rechtfertigung des Kriegsverbrechens des Obersten Klein, der eine unbekannte Anzahl von Zivilisten umbringen ließ. Wie wird sich die Friedensbewegung in die Aufarbeitung dieses Vorfalls einschalten. Auch juristisch?

Juristen sollten ihren Job machen, die Friedensbewegung den ihren. Eine Entschädigungsklage im Namen der Opfer des Massakers ist bereits eingereicht. Und das ist gut so. Den völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan werden wir mit juristischen Mitteln nicht stoppen können (das ging nicht einmal beim Krieg gegen Jugoslawien 1999, als die völkerrechtliche Situation noch viel eindeutiger war). Wir müssen auf die öffentliche Meinung und auf die außerparlamentarische politische Bewegung setzen. Fortschritte hier helfen auch der Fraktion der Linken und den zahlreichen Kriegsskeptikern anderer Oppositionsfraktionen, im Bundestag Nein zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes zu sagen. Bei der nächsten Abstimmung werden es so viele sein wie nie zuvor. Und das ist doch auch schon etwas.

Die Fragen stellte Adi Reiher.

* Dieses Interview erschien am 27. November 2009 in der Sozialistischen Wochenzeitung "unsere zeit"


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