"Es gibt kein politisches Ziel, das einen Angriffskrieg rechtfertigt"
Friedensbewegung besorgt über Eskalation im Atomkonflikt mit Iran - "Fahrplan" gegen den drohenden Krieg beschlossen
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Presseerklärungen vom 5. Februar 2006. Die erste wurde im Anschluss an eine Aktionskonferenz der Friedensbewegung in Kassel vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben und legt einen "Fahrplan" der Friedensbewegung für ihr Engagement gegen einen drohenden Irankrieg vor. Die zweite Pressemitteilung stammt von der Bonner Friedenskooperative und enthält einen Appell an Kofi Annan, eine sog. "hochrangige UN-Mediationskommission" einzurichten.
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Das nächste Völkerverbrechen verhindern
Friedensbewegung mobilisiert gegen drohenden Iran-Krieg
-
Aktionskonferenz der Friedensbewegung tagte in Kassel
- USA wollen einen neuen Krieg - Deutschland und EU mit im Boot
- Naher Osten vor der Explosion
- IAEA beugt sich dem Druck des Westens
- Sechs Essentials der Friedensbewegung
- Acht Elemente eines Fahrplans gegen den drohenden Krieg
Kassel, 5. Februar 2006 - Auf einer Aktionskonferenz der
Friedensbewegung in Kassel am Sonntag berieten über 40 Vertreter/innen
von Friedensinitiativen und -organisationen aus ganz Deutschland über
Möglichkeiten, den drohenden Krieg gegen Iran zu verhindern. Eingeladen
zu diesem Treffen hatte der Bundesausschuss Friedensratschlag.
Die Teilnehmer/innen kamen nach intensiver Diskussion übereinstimmend zu
der Auffassung, dass für die politische Klasse der USA ein neuerlicher
völkerrechtswidriger Krieg kein politisches oder rechtliches Problem
darstellt. Die Aussagen des US-Präsidenten in seiner jüngsten Rede zur
Lage der Nation lassen keine andere Interpretation zu als die: Wenn der
Iran nicht die energiepolitische Strategie der USA akzeptiert (kein
geschlossener Brennstoffkreislauf für sog. "Schurkenstaaten"), seien
militärische Maßnahmen nicht mehr auszuschließen. Im Unterschied zur
Situation vor dem Irakkrieg vor drei Jahren hätten sich diesmal auch die Bundesregierung und die EU vollständig hinter den Kurs der USA gestellt und somit als "ultima ratio" einen Krieg fest einkalkuliert. Dieser "transatlantische Schulterschluss" mache einen Krieg wahrscheinlicher und erschwere gleichzeitig die Herstellung einer breiten Protestbewegung.
Einig waren sich die Teilnehmer/innen auch in der Befürchtung, dass ein
Krieg gegen Iran das Pulverfass Naher Osten vollständig destabilisieren und schließlich zur Explosion bringen werde. Die Protestwelle in der arabischen Welt gegen die islamfeindlichen Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten ist da nur ein harmloser Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen.
Die Friedensbewegung bedauert, dass sich die IAEA unter dem Druck der
USA und der EU dazu bereit fand, den Streit um das iranische
Atomprogramm an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen. Auch wenn dies laut
Resolution des IAEA-Gouverneursrats vom 4. Februar 2006 zunächst nur dem
Zweck dient, dem Sicherheitsrat über den Stand der Auseinandersetzungen
Bericht zu erstatten, bedeutet dies doch eine weitere Eskalation des
Konflikts. Die Reaktion aus Teheran ließ denn auch nicht lange auf sich
warten: Der Iran kündigte nicht nur an, mit der Uranaufbereitung
fortzufahren und sie zu steigern (was laut Atomwaffensperrvertrag sogar ihr gutes Recht wäre), sondern zog auch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit der IAEA in Betracht. Präsident Mahmud Ahmadinedschad entzog der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) laut einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens die Erlaubnis zu Atom-Inspektionen auf Grundlage des Zusatzprotokolls zum Atomwaffen-Sperrvertrag. Der Präsident habe die nationale Atombehörde schriftlich darüber informiert, dass sich der Iran nicht an das Zusatzprotokoll gebunden fühle, das er bisher freiwillig erfüllt habe.
Die Friedensbewegung war sich in Kassel über folgende sechs Essentials einig:
-
Es gibt kein politisches Ziel, das einen Angriffskrieg rechtfertigen könne. Das Gewaltverbot der UN-Charta muss auch von den Großmächten eingehalten werden.
- Kein Krieg gegen Iran! Kooperation statt Eskalation. Stopp aller Kriegsvorbnereitungen gegen Iran - Beendigung aller direkten oder indirekten Drohungen gegen Israel.
- Der Atomwaffensperrvertrag muss eingehalten werden. Der Iran wird aufgefordert, seine Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde fortzusetzen (Art. 3 NPT) und weiterhin Inspektionen zuzulassen.
- Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) muss auch von den Atomwaffen besitzenden Staaten eingehalten werden. Das heißt: Atomwaffen müssen abgerüstet werden (Art. 6 NPT).
- Entschärfung des Konflikts zwischen dem Iran und anderen Regionalmächten durch die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, so wie es die Resolution der IAEA vom 5. Februar 2006 vorsieht (Gov 2006/14, Ziffer m).
- Keine deutsche Beteiligung an einer Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran. Jede völkerrechts- und grundgesetzwidrige Kriegsvorbereitung wäre ein Fall für den Generalbundesanwalt (siehe dessen Schreiben vom 26. Januar 2006; Az. 3 ARP 8/06-3). Die Bundesregierung sollte gegenüber der US-Regierung klar stellen, dass auch die US-amerikanischen Militärbasen in Deutschland nicht für die Führung eines Angrifsskrieges genutzt werden dürfen.
Die Versammlung in Kassel schlägt der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung, den Gewerkschaften und Kirchen, den Universitäten und Schulen einen "Fahrplan" vor, der aus Informations- und Aktionselementen besteht und in gemeinsame bundesweite und internationale Antikriegs-Proteste münden soll. Dabei kann sich die
Friedensbewegung auf eine in der Bevölkerung weit verbreitete
Antikriegs-Haltung stützen.
Die acht Elemente des "Fahrplans" sind:
-
Appell der Friedensbewegung an die Internationale Atomenergiebehörde, keinen Konfrontationskurs einzuschlagen, sondern den Iran als gleichberechtigtes Mitglied zu behandeln (Keine "double standards"!).
- Appell der Friedensbewegung an den UN-Sicherheitsrat, kein
Sanktionsregime gegen Iran zu beschließen und nicht mit militärischen
Zwangsmaßnahmen zu drohen. Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta verbietet nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern ausdrücklich auch deren Androhung.
- Bundesweite Informationskampagne: "1.001 Veranstaltungen gegen den
Krieg" (Februar/März).
- Besuche bei Wahlkreis-Bundestagsabgeordneten, um sie mit den Forderungen der Friedensbewegung zu konfrontieren (Internationaler Appell von Parlamentarier/innen zur Abschaffung der Atomwaffen).
- Am 11./12. März wird unter Beteiligung der US-amerikanischen Antikriegs-Aktivistin Cindy Sheehan am US-Stützpunkt in Landstuhl/Ramstein ein Zeltlager (Camp "Casey", benannt nach dem im Irak getöteten Sohn von Cindy Sheehan) errichtet werden: ein Ort des Protestes gegen den Krieg.
- Dezentrale Aktionen anlässlich des 3. Jahrestags des Beginns des
Irakkriegs. Vom Weltsozialforum wurde der 18. März als weltweiter
Aktionstag gegen den Krieg vorgeschlagen.
- Ostermärsche 2006: Neben den zum Teil bereits beschlossenen
inhaltlichen Schwerpunkten soll überall der drohende Iran-Krieg einen
zentralen Platz bei den dezentralen Ostermärschen einnehmen.
- Vorbereitung einer Anzeigenaktion in großen überregionalen Tages- und
Wochenzeitungen und einer Kinowerbung.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
P.S.: Wichtige Dokumente, auf die in dieser Pressemitteilung verwiesen wird, sind auf der Website der AG Friedensforschung an der Uni Kassel erhältlich:
PM: Irankrise/Sicherheitskonferenz/Appell an Kofi Annan
Bonn, München, 5.02.2006
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
Deutsche Friedensorganisationen haben einen Appell an Kofi Annan zur
Einrichtung einer hochrangigen UN-Mediationskommission im Iran-
Atomkonflikt initiiert, für dessen Unterstützung jetzt auch bei
internationalen Organisationen geworben wird.
Die Friedensforscher Hans-Peter Dürr und Mohssen Massarrat haben den
Text während der (alternativen) Sicherheitskonferenz in München
vorgestellt. Der Appell ist Ausdruck der großen Sorge innerhalb der
Friedensbewegung, dass Schritt um Schritt der Weg in eine nicht mehr
zu kontrollierende Eskalation gegangen wird. Deshalb der Ruf nach
einem Moratorium und einer Pause bei den Drohungen und
Gegendrohungen.
Der Text wird u.a. getragen von der Ärzteorganisation IPPNW, der
deutschen Sektion von Pax Christi, dem Komitee für Grundrechte und
Demokratie und dem Friedensbündnis "Kooperation für den Frieden".
Wir übermitteln anbei auf Bitte von Herrn Massarrat den Text des
Appells im Wortlaut.
Der Text und die (bisher erfassten) ca. 200 UnterstützerInnen finden
sich auch im Internet unter:
www.friedenskooperative.de
Freundliche Grüße
Manfred Stenner (Geschäftsführer des Netzwerk Friedenkooperative)
Appell an Kofi Annan
Für ein Moratorium und eine hochrangige UN-Mediationskommission im Iran-Atomkonflikt, um die Eskalation zu unterbrechen
Seit Mitte Januar spitzt sich der Konflikt zwischen Iran und dem
Westen beängstigend zu. Drohungen und Gegendrohungen steigern sich.
Bald kann die Konfrontation aus dem Ruder laufen und in Sanktionen
und Gewalt mit schwerwiegenden Folgen für den Weltfrieden einmünden.
Um eine weitere Eskalation zu verhindern, muss im Konflikt ein
Moratorium eingelegt werden, um den Konfliktparteien Zeit zum
sorgfältigen Überdenken ihrer Ziele und Verhaltensweisen zu geben,
und um neue Vorschläge und Verfahren zu entwickeln. Um dieses zu
erreichen, schlagen wir vor, dass der UN-Generalsekretär von seinem
Recht, jederzeit eine UN-Kommission ins Leben zu rufen, Gebrauch
macht.
Wir bitten deshalb den UN-Generalsekretär, sobald wie möglich, eine
internationale UN-Mediations-Kommission von Persönlichkeiten mit
hoher und weitreichender Reputation einzuberufen. Sie soll unter
seinem Vorsitz Vorschläge für eine friedliche Lösung des Konflikts
ausarbeiten und diese innerhalb eines halben Jahres der
Weltöffentlichkeit unterbreiten.
Die Kommission sollte mit erfahrenen Politikern ohne Amtsfunktionen
sowie mit Persönlichkeiten mit hoher moralischer Autorität besetzt
werden. Wir nennen beispielhaft einige Persönlichkeiten, die unseres
Erachtens in diese Kommission berufen werden könnten:
-
Martti Ahtisaari (ehem. Staatspräsident von Finnland)
-
Gro Harlem Brundtland (ehem. Premierministerin Norwegens)
-
Bill Clinton (ehem. Präsident der Vereinigten Staaten)
-
Michael Gorbatschow (ehem. Präsident der Sowjetunion)
-
Mohammad Khatami (ehem. Präsident der Islamischen Republik Iran)
-
Nelson Mandela (Ehem. Präsident von Südafrika)
-
Avi Primor (ehem. Botschafter Israels in Deutschland)
-
Mary Robinson (ehem. Präsidentin Irlands)
-
Gerhard Schröder (ehem. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland)
-
Großayatollah Sistani (schiitisches Oberhaupt im Irak)
Die Kommission bittet die iranische Regierung, während des Zeitraums
ihrer Beratungen im Sinne eines Moratoriums, dieAnreicherung von
Uran und weitere Forschungsarbeiten im Bereich der
Nukleartechnologie auszusetzen. Alle Konfliktparteien werden
aufgefordert, jegliche Drohungen gegen einander zu unterlassen.
Der Vorschlag eines Moratoriums verbunden mit einer solchen
hochrangigen Mediations-Kommission sollte für alle Seiten annehmbar
sein, zumal in dieser Zeit keine zusätzlichen Bedrohungselemente
entstehen würden.
Unser Vorschlag ist mit der Hoffnung verbunden, dass durch dieses
Verfahren nicht nur eine friedliche Lösung für den Iran-Atomkonflikt
erarbeitet wird, sondern darüber hinaus für die ganze Region des
Mittleren und Nahen Ostens sich Möglichkeiten für multinationale
Konsultationen eröffnen, die weit über den jetzigen Nuklearkonflikt
hinaus gehen.
In diesem Sinne bitten die Unterzeichner UN-Generalsekretär Kofi
Annan die Initiative für Moratorium und Mediation zu ergreifen.
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