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Friedensbewegung: "Struck übt sich im Tarnen und Täuschen"

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag zur neuen Bundeswehrkonzeption von Verteidigungsminister Peter Struck

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zu den neuesten Plänen des Verteidigungsministers.
  • weltweiter Militäreinsatz statt Landesverteidigung
  • Zügiger Aufbau der Einsatzkräfte
  • Einsparungen bei Beschaffungen: Rohrkrepierer
  • Sparankündigungen sind Luftnummer im Superwahljahr
Die Sprecher der Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken (Hamburg) und Dr. Peter Strutynski (Kassel) erklären zur "Konzeption und Weiterentwicklung der Bundeswehr", die gestern von Verteidigungsminister Dr. Peter Struck vorgestellt wurde:

Für Verteidigungsminister Struck ist der afghanische Hindukusch nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Erweiterung des Einsatzgebiets der Bundeswehr. Künftig wäre das Einsatzgebiet "die ganze Welt", sagte er auf der gestrigen Pressekonferenz. Eine solche weltpolitische Unbekümmertheit kann wohl nur ein deutscher Minister haben, der mit der "Gnade der späten Geburt" gesegnet ist. Weiß er doch nicht mehr, dass bereits zweimal in der deutschen Geschichte der Plan, deutsche Soldaten in die ganze Welt zu schicken, verheerende Folgen im In- und Ausland hatte.

Nationale Alleingänge seien künftig ausgeschlossen, beruhigt Struck die kritische Öffentlichkeit; die Bundeswehr werde außer zu Evakuierungsmaßnahmen künftig nur im Rahmen von NATO, EU, UNO und OSZE eingesetzt. Dabei stellen die angriffsfähigen Kriegereinheiten der "Eingreifkräfte" für NATO und EU zusammen 33.000 von 35.000 Soldaten, für die UNO werden lediglich 1.000 Mann bereitgestellt. Für die 80.000 Mann der "Eingreiftruppe" der EU bietet die Bundeswehr mit 18.000 Mann das größte nationale Kontingent, für die schnelle Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force) stellt sie mit 6.000 von 21.000 Soldaten einen gewichtigen Anteil. Mit den 70.000 Soldaten deutscher "Stabilisierungskräfte" sollen sich sogar fünf Regionen rund um den Erdball gleichzeitig kontrollieren lassen, also nicht nur - wie zur Zeit - in Bosnien, Kosovo und Afghanistan. Wir stellen fest, dass sich diese Außen- und Sicherheitspolitik offensichtlich von dem Grundsatz leiten lässt: Je mehr deutsche Soldaten und deutsches Kriegsgerät bei Militärinterventionen eingesetzt werden, desto größer ist der deutsche Einfluss in der Welt.

Die vollmundige Ankündigung des Ministers, bei Ausrüstung und Bewaffnung in den nächsten Jahren bis zu 26 Mrd. EUR einsparen zu wollen, erweist sich bei näherem Hinsehen als Rohrkrepierer:
  • Die beiden einzigen konkreten Projekte, auf welche die Militärs verzichten wollen, ist die Marine-Drohne und der Kauf von ca. 10.000 ungepanzerten LKW. Beide Projekte fallen aber finanziell kaum ins Gewicht, zumal der Verzicht auf die LKW "ausgeglichen" wird durch die Beschaffung geschützter Transporter wie DURO, DINGO und MUNGO sowie des Gepanzerten Transportfahrzeugs GTK.
  • Alle anderen Beschaffungsprogramme einschließlich des überteuerten Eurofighters (hier bleibt es bei der vorgesehenen Stückzahl von 180) werden "vorrangig" weiterverfolgt. Struck hält am Kauf von Marschflugkörpern für die Luftwaffe und für die Marine fest. Selbst das noch vor kurzem vor dem Aus gestandene Luftverteidigungssystem MEADS soll entwickelt werden. Es taugt nicht für die Landesverteidigung, sondern dient lediglich dem Schutz der Bundeswehr im Auslandseinsatz. Die Kosten für MEADS werden auf horrende 10 bis 15 Mrd. Euro geschätzt. Eurofighter, Airbusse für den schnellen weltweiten Transport, Korvetten für den Landbeschuss, Kampf- und neue Transporthubschrauber und die kampfstärksten konventionellen U-Boote sollen für die Bundeswehr gebaut werden. Sie will sich sogar weltumspannende Aufklärungssatelliten leisten. Und die Entwicklung weiterer Fregatten soll vorangetrieben werden. Die Aufgabe der neuen Fregattenklasse 125:
    amphibische Landeoperationen durch Landzielbeschuss unterstützen und ballistische Flugkörper abwehren. Die derzeit im Bau befindlichen drei Fregatten der Klasse 124 sind schon jetzt mit rund 700 Mio. Euro pro Stück annähernd so teuer wie das teuerste Passagierschiff aller Zeiten, die "Queen Mary 2". Die Fregatten F 125 werden diese Kosten noch übertreffen.
Verteidigungsminister Struck nahm nicht einmal die Möglichkeit wahr, Waffen aus dem Arsenal der Bundeswehr zu verbannen, die wegen ihrer unterschiedslosen Wirkung auf die Zivilbevölkerung gegen den Geist des humanitären Kriegsvölkerrechts (Genfer Konventionen) verstoßen. Von der Abschaffung von Streubomben bei Heer und Luftwaffe beispielsweise ist keine Rede, auch lasergelenkte Bomben bleiben im Arsenal. Und die Forschung und Weiterentwicklung von Landminen (außer den durch die Ottawa-Konvention verbotenen Antipersonen-Minen) wird munter weiter finanziert.

Bleiben die Kürzungen beim Personal! Doch der angekündigte Abbau von 35.000 Haushaltsstellen im militärischen und 10.000 Haushaltsstellen im zivilen Bereich sowie der Abbau von rund 100 Bundeswehrstandorten wird nicht zu Einsparungen führen. Vielmehr werden die hier evtl. frei werdenden Mittel zur Deckung des steigenden Bedarfs im investiven Bereich des Verteidigungshaushalts Verwendung finden. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht einen gleichbleibenden Militäretat bis 2005 und ab 2006 eine Erhöhung um rund 800 Mio. EUR vor. Diese Zahlen sind von Struck mit keinem Wort in Frage gestellt worden.

Die "drastischen Kürzungen", die Struck im Wunschzettel der Militärs angeblich vorgenommen hat, bleiben auch nach seinem Auftritt vor der Presse ohne jeden Beleg. Bisher sind sie nichts anderes als eine Luftnummer. In Zeiten des Sozialabbaus zu Beginn eines Superwahljahres müssen eben alle sparen. Der Strucksche Sparwitz ist nur: Die anderen sparen wirklich bzw. verordnen anderen Sparsamkeit - die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger müssen sich sogar vieles buchstäblich vom Mund absparen -, Struck redet nur davon. In der Grundausbildung der Bundeswehr heißt so etwas "Tarnen und Täuschen".

F.d. Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg (abrüstungspolitischer Sprecher)
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)
Hamburg/Kassel, 14. Januar 2004


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