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Linkes Angebot fällig

Wie rechts ist die "Friedensbewegung 2014"? Die Linke und die Friedensbewegung müssen genau hinsehen und eigene Versäumnisse überdenken

Von Ulla Jelpke *

Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise trat im März scheinbar aus dem Nichts eine neue »Friedensbewegung 2014« auf den Plan, die zuerst an wenigen Orten, inzwischen in bis zu 60 Städten, »Montagsmahnwachen« für den Frieden veranstaltet. Aufgegriffen werden dabei Losungen und Symbole sowohl der traditionellen Friedensbewegung wie der Protestbewegung, die zum Ende der DDR führte sowie der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV. Der relativ große Zuspruch – teilweise beteiligen sich mehrere tausend Menschen an den Mahnwachen – hat bei Anhängern der »alten« Friedensbewegung und Linken ein zwiespältiges Echo ausgelöst.

Linke Jugendorganisationen, darunter auch die Linksjugend Magdeburg, warnten vor einer »Mischung aus verschwörungsideologischem Denken, rechtsesoterischer Lyrik, zutiefst antisemitischer Bildsprache und Truther-Propaganda«. Jutta Ditfurth bezeichnete die Friedensmahnwachen als eine neurechte, antisemitische und völkische Bewegung, was ihr einen massiven Shitstorm mit teils offener Gewaltandrohung einbrachte. Der Sprecher des Bundesaussschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, bezeichnet die »Friedensbewegung 2014« gar als »Erfindung« der NPD.

Einschätzung schwierig

Andere Linke hingegen fordern eine »solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen«. Abgeordnete der Linkspartei, unter ihnen Andrej Hunko und Heike Hänsel, aber auch Aktive aus der Friedensbewegung wie Laura von Wimmersberg (Friedenskoordination Berlin) und Torsten Schleip (Bundessprecher der DFG-VK), weisen darauf hin, daß die »neue« Bewegung in einigen Städten »mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen« habe. Wolfgang Gehrcke und Diether Dehm fordern in einem eigenen Aufruf, man möge »genau hinschauen« und »wenn möglich, den Kontakt, Debatte und Kooperation« suchen und mobilisieren damit praktisch zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen.

Tatsächlich fällt eine politische Einschätzung der Bewegung schwer, weil sie von allem etwas hat – es gibt (jedenfalls mittlerweile) Distanzierungen vom rechten Rand, es gibt aber auch jede Menge aufklärungsfeindliche Esoterik und immer wieder Statements, die antisemitische Ressentiments zumindest befördern. Falsch ist die Behauptung, die NPD habe die Bewegung erfunden. Sie hat sich angehängt, und das nicht ohne Grund: Denn die ersten Äußerungen der Montags-Protagonisten waren wütende, verschwörungstheoretische Angriffe etwa auf die Federal Reserve Bank in den USA (Fed), die für alle (!) Kriege auf der Welt in den letzten 100 Jahren verantwortlich gemacht wurde. Regelmäßig wurde in diesem Zusammenhang auf Montagsmahnwachen und deren Internetauftritte auch auf die Bankiersfamilie Rothschild verwiesen – eine beliebte Chiffre für eine angebliche jüdische Verschwörung.

Als eine Art Mobilisierungsvideo für die neue Montagsbewegung diente ein Video unter dem Titel »Anonymous – Nachricht an die deutsche Bevölkerung«. Die Macher des Videos, die sich zu Unrecht mit dem Namen der Hackergruppe Anonymous schmückten, suggerierten darin, Deutschland sei ein »besetztes Land« und beklagen Masseneinwanderung, Feminismus und ein durch Gehirnwäsche verursachtes »deutsches Schuldbewußtsein«.

Undurchsichtig erscheinen – zumindest von außen – die Organisationsstrukturen und Verantwortlichen für die bundesweite Bewegung. Auf einer Facebookseite zeichnet immer wieder eine »Hauptorga Mahnwachen«. Das einzige bundesweit bekannte Gesicht dieser Hauptorga ist der Eventmanager und Fallschirmtrainer Lars Mährholz, der zugleich als Anmelder der Berliner Montagsmahnwachen auftritt und mittlerweile als regelrechter Guru der Bewegung firmiert. Der übrige Organisationskreis bleibt überwiegend im Hintergrund.

Mährholz, der bis zu seinem Aufruf zur ersten Montagsmahnwache politisch nicht in Erscheinung getreten war, führte in einem Interview mit der Berliner Redaktion des Senders »Stimme Rußlands« am 7. April aus: »Woran liegen alle Kriege in der Geschichte in den letzten 100 Jahren? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das halt alles ’n bißchen auseinanderklamüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, daß die amerikanische Federal Reserve, die amerikanische Notenbank – das ist eine Privatbank, daß sie seit über hundert Jahren die Fäden auf diesem Planeten zieht.« Damit werden klassische antisemitische Argumentationsmuster vom Unwesen dieser – in »jüdischem Besitz« befindlichen – Bank reproduziert.

Bei dieser Behauptung blieb er auch nach heftiger Kritik: In einem Videostatement erklärte Mährholz, https://www.youtube.com/watch?v=CEMl_Jgv6BE&list=PL7KDgVubf8lpoHg5SxxaOZQ-GP8PDVjRi#t=23 die Aussage, daß die Federal Reserve an sämtlichen Kriegen der letzten 100 Jahre schuld sei, sei »so falsch gar nicht«. In dieses antisemitische Horn stoßen auch Forderungen wie nach dem »Verbot des Schuldgeldystems und des Zinzeszins weltweit«, wie sie auf der Facebookseite der Montagsmahnwachen aufgestellt werden.

Redner und Unterstützer

Zu den Unterstützern der Bewegung gehört auch der sattsam bekannte Jürgen Elsässer, der nach verschiedenen Stationen in der radikalen Linken seit einigen Jahren mit seinem Magazin Compact für eine Querfront mit Rechten eintritt. Im Europawahlkampf warb er für die Alternative für Deutschland. Sein Magazin trägt den Untertitel »für Souveränität«, womit er eine angebliche Unterwerfung Deutschlands unter die Knute der USA anprangert. Das Heft titelt schon mal »Hilfe, die Roma kommen« und beklagt eine »Verschwulung der Familienpolitik«.

Mit dabei ist auch der frühere RBB-Moderator Ken Jebsen, der nach eigenen Angaben schon viermal auf der Montagsmahnwache in Berlin gesprochen hat. Jebsen mußte den RBB nach bis heute nicht ganz aufgeklärten Antisemitismus-Vorwürfen verlassen. Ob diese zutreffen, kann dahingestellt bleiben – in jedem Fall vertritt der Mann Positionen, die eine antisemitische Interpretation nahelegen.

So weist er bezüglich der Schuld am Zweiten Weltkrieg auf seiner Homepage darauf hin, daß »Firmen wie Shell, die damals zu 40 Prozent in jüdischem Besitz waren, 40 Millionen Reichsmark an die NSDAP spendeten«. Medienvertreter, die kritisch über ihn berichten, fordert er auf: »Würdet ihr klassisches Pay-TV anbieten, könnte man euch schon kommenden Monat keine Löhne mehr zahlen. Oder muß man sagen, fiele der Judaslohn weg.« Da Jebsen zudem unaufhörlich vom »Fed-Imperium« spricht, kann man das nur als Unterstellung lesen, die Medien seien jüdisch kontrolliert, um im Auftrag der (jüdischen) Federal Reserve die Welt unter Kontrolle (des Judentums) zu behalten.

Ziemlich abstoßend ist auch ein »Experiment« Jebsens, dem US-Präsidenten Barack Obama die Sportpalastrede von Goebbels in den Mund zu legen und darin Kampfbegriffe wie »Judentum«, »Bolschewismus« usw. durch »Islam« und »Krieg gegen den Terror« auszutauschen.

»Diese ›aktualisierte› Rede, so behaupten wir, könnte so definitiv von George W. Bush gehalten worden sein, und ist in den Auszügen, die sich um ein gemeinsames Engagement im Krieg gegen den Terror bemühen, nur ein My von Barack Obama 2013 entfernt.« Man kann sich jetzt aussuchen, ob das eine Verharmlosung des Faschismus ist oder »nur« eine saudumme Suggestion, Obama sei auch nicht besser als Goebbels. Für eine kluge sprach- und medienkritische Analyse hätte Jebsen jedenfalls nicht ausgerechnet einen ganz und gar unarischen Politiker aus den USA heranziehen müssen.

Dem Verdacht, nicht ganz uneigennützig auf den Montagsdemonstrationen als Redner aufzutreten, muß sich der als »ehemaliger Unternehmenslenker, Buchautor, Geldsystemexperte, Querdenker« firmierende Andreas Popp stellen. Goldhändler Popp empfiehlt in Zeiten der Finanzkrise – welche Überraschung – Gold als sichere Anlage. Vor allem wirbt Popp für seinen »Plan B«. »Diese Methode der Staatsentschuldung geht zurück auf Gottfried Feder (1883–1941), der sie in seinem ›Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft‹ bereits im Jahre 1919 forderte«, bekennt sich Popp zum Verfasser des NSDAP-Parteiprogramms mit seiner demagogischen Trennung von »schaffendem«, produktiv-deutschem und »raffendem«, jüdisch-spekulativem Kapital.

Fraglich ist aber, ob man Figuren wie Jebsen, Popp oder Elsässer heute noch als typische Vertreter der Bewegung ansehen kann. Denn mittlerweile ist durchaus eine Differenzierung eingetreten. In Leipzig etwa heißt es auf der Facebookseite der Montagsmahnwache: »Wir sind nicht mehr bereit, die vorgegebenen Strukturen weiter zu ertragen, in denen Arbeitssuchender gegen Arbeiter, Rechts gegen Links, Ost gegen West, Handwerker gegen Unternehmer und Inländer gegen Ausländer aufgehetzt wird, um den Zwist im eigenen Volk aufrechtzuerhalten. Für menschenverachtendes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus ist bei uns kein Platz! Konzentrieren wir uns auf dieses eine Ziel: ›Nie wieder Krieg!‹«. Ähnlich positionieren sich Aktive auch in anderen Städten. Der Passus, man lehne »Rechts gegen Links« ab, verrät aber auch eine nach wie vor anhaltende Schwäche der Bewegung: Sie will sich selbst als »unpolitisch« definieren und aus dem »Parteiengezänk« heraushalten. Nicht rechts, nicht links, sondern vorne ist das Motto vieler Teilnehmer. Damit werden tatsächlich vorhandene Gegensätze vernebelt.

Auch Lars Mährholz hat einen positiven Beitrag, den er auf seiner Homepage über den NPD-Mann Karl Richter veröffentlicht hatte – »Einige unserer Volksvertreter wachen auf« – gelöscht. In seiner Distanzierung behauptet er allerdings, es sei »leider« nur ein rechter Politiker, der sagt, »was Phase ist«, als gäbe es keine Stellungnahmen von Linken. Inzwischen hat sich Mährholz als Organisator der Berliner Montagsmahnwache eindeutig von der NPD und von Richter distanziert, was ihm allerdings wütende Proteste auf seiner Facebookseite einbrachte.

In Berlin werden heute auch Plakate mit Losungen wie »Frieden geht nur ohne Antisemitismus« und »Frieden geht nur ohne Rassismus« hochgehalten, während die obskure »staatenlos«-Sekte aus dem Reichsbürgerspektrum, die Deutschland für eine Kolonie hält, vom Platz verbannt wurde. »Es macht deshalb Mut, daß nach dem Eingreifen und der Unterstützung durch Aktive der ›traditionellen‹ Friedensbewegung in den vergangenen Wochen in einigen Städten der Einfluß menschenfeindlicher Gesinnung sowie deren Protagonisten aus den Demonstrationen entfernt werden konnten«, meint der politische Geschäftsführer der DFG-VK, Monty Schädel.

Jürgen Elsässer soll in Berlin jetzt Redeverbot haben – daraufhin wurde er prompt zur Mahnwache in Erfurt eingeladen, die sich zuvor von ihrem bisherigen Organisationsteam, dem auch Piraten- und Linksparteimitglieder angehörten, distanziert hatte.

In Leipzig dagegen macht schon lange ein Bundessprecher der DFG-VK bei den Montagsmahnwachen mit. In Berlin treten ebenso bekennende Linke wie der frühere ATTAC-Aktivist Pedram Shayhar und der Liedermacher Prinz Chaos II. auf, die es in ihren Beiträgen nicht an deutlichen Worten gegen Nationalismus, Homophobie und Antisemitismus fehlen ließen und dafür ebenso großen Applaus bekommen wie zuvor Popp oder Elsässer. Dies zeigt, daß die Masse der Teilnehmer tatsächlich erst einmal »weder rechts noch links« ist, sondern – wie bei frisch politisierten Menschen nicht weiter verwunderlich – einen breiten Mix unterschiedlichster, teils widersprechender Ideologie- und Weltanschauungselemente mit sich trägt.

Linkes Angebot nötig

Von daher erscheint es mir richtig, »genau hinzusehen«, wie die Verhältnisse bei den Montagsmahnwachen in den jeweiligen Orten konkret sind und inwiefern sie Anknüpfungspunkte dafür bieten, als Linke zu intervenieren. Das heißt aber nicht, daß Linke einfach solidarisch mitschwimmen sollen – jedenfalls nicht, solange dies Seite an Seite mit Nazis und Antisemiten geschähe. Es kann auch nicht darum gehen, sich über Applaus für eine linke Rede zu freuen, wenn hinterher ein Ken Jebsen ebenfalls Applaus erhält. Das wäre ein fatales Querfrontkonzept. Von Repräsentanten irrationalistischen und nationalistischen Ungeistes gilt es, sich nicht nur pro forma abzugrenzen. Wir müssen darauf drängen, daß ihnen kein Podium geboten wird, und wir müssen ihre Argumentation in für die Anwesenden verständlicher Weise demontieren. Die Gefahr, daß in der Krise Sündenböcke gesucht werden, um die Wut der Menschen anstatt gegen die Regierenden, gegen Banken und Konzerne in rassistischer Weise gegen Migranten, Roma oder Juden abzuleiten, besteht nicht nur auf den Montagsmahnwachen. »Nazis raus aus den Köpfen« – diese Losung sollte auch für die neuen Montagsdemos gelten.

Bliebe die Linke angesichts einer bundesweiten Bewegung, die sich erst einmal grundsätzlich dem Kampf für den Frieden verschrieben hat, einfach abseits stehen und beschränkte sich allein auf Kritik oder gar offene Ablehnung, hieße das, Menschen, denen es tatsächlich in erster Linie um einen Beitrag zum Frieden geht, den rechten Rattenfängern zu überlassen. Hier gilt es, aktiv den Kampf um die Köpfe zu führen. Es wäre grundfalsch, die Masse der Mahnwacheteilnehmer, bei denen es sich vielfach um bisher politisch nicht in Erscheinung getretene Menschen handelt, nun gleich in eine neurechte oder gar völkische Ecke zu schieben. Daß sich viele Mahnwacheteilnehmer von den bürgerlichen Medien belogen fühlen, beruht ja auf einer richtigen Feststellung. Man denke nur an die völlige Verfälschung der Hintergründe über das faschistische Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa.

Nicht vergessen werden sollte, daß soziale Bewegungen niemals in klinischer Reinform zur Welt kommen. In ihnen spiegelt sich die Widersprüchlichkeit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ebenso wie der gegen sie kämpfenden Kräfte wider. Auch die »alte« Friedensbewegung mußte sich an ihrem Anfang mit rechten Kräften, Verschwörungstheoretikern und Esoterikspinnern auseinandersetzen. Es wäre fatal gewesen, Linke hätten diese Auseinandersetzung damals verweigert und sich beleidigt in die Isolation zurückgezogen.

In der Hauptsache aber gilt es für Linke und Friedensbewegte erst einmal, sich an die eigene Nase zu fassen: Sie haben es ganz offenbar verpaßt, den vielen durch die Nachrichten über Kriegsgefahr verunsicherten Menschen rechtzeitig ein Forum zu geben. Die traditionelle Friedensbewegung ist zur Zeit zwar schwach aufgestellt und nur in geringem Umfang mobilisierungsfähig. Sie kann aber auf eine jahrzehntelange Kontinuität, auf einen langen Atem und langjährig angesammeltes Expertenwissen verweisen. Sie sollte das Auftauchen der Montagsmahnwachen als Anstoß nehmen, ihre eigenen Versäumnisse zu überdenken. Der Aufruf zum bundesweiten Aktionstag am 31. Mai ist zunächst ein richtiger Anfang – was noch fehlt, ist ein kontinuierliches Angebot für alle Menschen, die sich engagieren wollen, und die man nicht einfach der »neuen« Friedensbewegung belassen darf. Zumindest um deren klügeren und ehrlichen Elemente sollte vielmehr gekämpft werden.

Im Aufbau einer starken Friedensbewegung läge auch eine große Aufgabe für die Partei Die Linke – eine Aufgabe, der sie noch nicht mit der notwendigen Energie nachgeht.

* Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke.

Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


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