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"Pegida" ohne Führer

"Legida"-Aufmarsch in Leipzig bleibt hinter Erwartungen zurück. Zehntausende bei Protestaktionen. "Pegida"-Chef Bachmann zurückgetreten

Von Michael Merz, Leipzig, und André Scheer *

Sie hatten 60.000 Teilnehmer angemeldet – doch die Teilnahme am heutigen Aufmarsch des Leipziger Pegida-Ablegers »Legida« ist weit hinter den Erwartungen der Islamfeinde zurückgeblieben. Auf dem Augustusplatz versammelten sich nicht mehr als 5.000 Personen unter dem Motto »Für Heimat, Frieden und deutsche Leitkultur. Gegen religiösen Fanatismus, Islamisierung und Multikulti«. Die Polizei kolportierte schließlich großzügig eine Zahl von etwa 10.000 Teilnehmern. Ein Polizist, der zur Absicherung der Versammlung eingesetzt war, bestätigte der Nachrichtenagentur dpa: »Die Zahl 40.000 können wir streichen.« Diese war im Vorfeld der Demonstration von den Behörden kolportiert worden.

An Gegenaktionen beteiligten sich mehrere zehntausend Menschen. Insgesamt waren 19 Kundgebungen angemeldet worden, Tausende versammelten sich entlang der »Legida«-Route und schleuderten den Rechten lautstark »Nazis raus!« entgegen. »Das ist nicht anderes als ein dreckiger Naziaufmarsch, mehr nicht«, kommentierte ein Gegendemonstrant gegenüber dem alternativen Sender Radio Blau, der live über die Proteste berichtete. Zudem war der Zugverkehr zwischen Dresden und Leipzig eingestellt worden, nachdem es dort zu »Vandalismusschäden an Signalanlagen« gekommen war, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Eine Blockade des Demonstrationszuges selbst gelang nicht. Der Pressesprecher der Polizei, Alexander Bertram, sprach gegenüber junge Welt zunächst nur von zwei »Durchbruchsversuchen«.

Augenzeugen berichteten von vermummten Neofaschisten, die versuchten, Gegendemonstranten zu provozieren. Gegenüber Radio Blau beschwerte sich eine junge Frau, die Neonazis hätten auf die Absperrgitter der Polizei klettern können, ohne dass die Beamten eingriffen. Im Visier der rechten Demonstranten und ihrer Anführer stand auch die Städträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke). Bei der Auftaktkundgebung wurde sie von einem Redner attackiert, sie sei »weniger deutsch als Xavier Naidoo«. Von so etwas lasse sie sich nicht beleidigen, erklärte sie daraufhin im Gespräch mit junge Welt. Bedrohlicher gewesen sei, dass sie bei der Polizei vor einer Gruppe Hooligans Schutz suchen musste. Der Rundfunksender mephisto berichtete zudem, dass Medienvertreter von »Legida«-Teilnehmern beschimpft, bespuckt und verprügelt worden seien.

Kurz vor Beginn des »Legida«-Aufmarsches war bekanntgeworden, dass »Pegida«-Gründer Lutz Bachmann das Handtuch geworfen und seinen Rücktritt erklärt hat. Während sich »Pegida« immer wieder dagegen verwahrt, als Nazis bezeichnet zu werden, hatte Bachmann Fotos ins Internet gestellt, die ihn verkleidet als Adolf Hitler zeigten. Zudem wird gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt, nachdem ihm zugeschriebene Facebook-Äußerungen veröffentlicht worden waren, in denen er Ausländer als »Viehzeug« bezeichnete, die »bewacht« werden müssten. »Es waren unüberlegte Äußerungen, die ich so heute nicht mehr tätigen würde«, entschuldigte er sich. Seine Vorstandskollegin Kathrin Oertel bemühte sich per Pressemitteilung um Schadensbegrenzung: »Die jetzt bekannt gewordenen Facebook-Postings Lutz Bachmanns vom September weisen wir als Verein aufs Schärfste zurück. Sie tragen nicht dazu bei, Vertrauen zu den Zielen und Protagonisten von PEGIDA zu entwickeln. Vokabeln wie ›Viehzeug‹, ›Dreckspack‹ und ›Gelumpe‹ gehören ebenso wenig in einen politischen Diskurs wie ›Rattenfänger‹ (Ulbig), ›Mischpoke‹ (Özdemir) oder ›übelriechender braungrüner Schleim‹ (taz). Nur persönliche Integrität schafft politische Glaubwürdigkeit.« Zugleich distanzierte sich Oertel von »Legida«, obwohl die Dresdener »Pegida«-Spitze am Montag noch zur Teilnahme an dem heutigen Aufmarsch aufgerufen hatte. »Alles, was heute Abend in Leipzig gesagt und gefordert wird, ist nicht mit uns abgesprochen. Das kann sich für die einheitliche Wahrnehmung unserer Bewegung als kontraproduktiv erweisen. Daher prüfen wir eine Unterlassungsklage.«

Ob solche Manöver mehr als Kosmetik für die Öffentlichkeit sind, um die brüchige »demokratische« Fassade der Bewegung zu retten, wird sich zeigen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Januar 2015


Leipzig unter Belagerung

Stadt rüstete sich mit größtem Polizeieinsatz seit 1989 für Demonstration der rassistischen Pegida-Bewegung. Gegenproteste lediglich als Kundgebungen erlaubt

Von Michal Merz, Leipzig, und Claudia Wrobel **


Die rassistische Pegida-Bewegung hatte am Mittwoch durch eine für den Abend angemeldete Demonstration ihres regionalen Ablegers in Leipzig nicht nur den gesamten Tag über die ganze Stadt im Griff. Auch die Bundespolitik reagierte auf die wöchentlich vorgetragene rechtspopulistische Hetze. Nach Vorstellung des Migrationsberichts nahm die SPD deren Forderung nach einer gesteuerten Migration auf und machte sich nach Angaben der dpa für ein Einwanderungsgesetz stark. So begrüßte deren Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann Einwanderung angesichts des Fachkräftemangels, betonte aber zugleich fehlende Steuerungselemente und schlug ein Punktesystem für »Qualifizierte« vor. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach sich laut Reuters gegen neue Regelungen aus, aber dafür, die bestehenden »konsequenter anzuwenden«. Für den CDU-Politiker bedeutet dies die schnellere Abschiebung von Flüchtlingen.

Derweil kam in Leipzig alleine in Erwartung der angekündigten Demonstration der Verkehr in der Innenstadt weitestgehend zum Erliegen. Die Stadt rechnete mit 30.000 bis 40.000 Personen, die gegen eine nicht näher definierte »Islamisierung des Abendlandes« über den Innenstadtring marschieren wollen. Inklusive der Gegenaktivitäten stellte sich die Verwaltung auf etwa 100.000 Demonstranten ein.

Mehr als 4.000 Beamte aus verschiedenen Ländern und von der Bundespolizei seien den Tag über im Einsatz, erklärte Alexander Bertram von der Leipziger Polizei auf Nachfrage von jW. Am späten Nachmittag bekräftigte er zwar die Prognose von mehreren zehntausend Demonstranten, räumte aber ein: »Wir merken noch keine größeren Anreisebewegungen.« Die Legida-Demonstration sollte nach jW-Redaktionsschluss starten.

Einen Rückschlag mussten die Rechtspopulisten schon im Vorfeld hinnehmen: Um räumlich an die sogenannten Montagsdemonstrationen von 1989 anzuschließen, hatten sie eine Route über den Innenstadtring angemeldet. Die Stadt machte aufgrund der hohen angemeldeten Teilnehmerzahl eine erheblich reduzierte Strecke zur Auflage. Legida scheiterte mit seinem Widerspruch dagegen vor dem Verwaltungsgericht.

Die Gegenproteste in Leipzig waren mit Kundgebungen auf über zwanzig Plätze verteilt, da ihnen eine Demonstration nicht genehmigt worden war. Volker Külow, Vorsitzender der Leipziger Linkspartei, betonte im Gespräch mit jW die Notwendigkeit von Protest vor Ort. »Andererseits muss eine kämpferische Linke über die eigentlichen Verursacher dieser Krisenentwicklung eigenständiger und offensiver als bisher aufklären, um damit berechtigte politische Unzufriedenheit wieder stärker nach links zu mobilisieren«, beschrieb er darüber hinaus einen weiteren Handlungsauftrag.

Während in den Koalitionsparteien Stimmen lauter werden, die einen Dialog mit den Rassisten befürworten, hat das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz dem Netzwerk Legida eine Anschlussfähigkeit für Neonazis attestiert, die sich unter anderem mit der Wortwahl im Positionspapier belegen lasse. »Man kann noch nicht sagen, dass es personell und programmatisch insgesamt rechtsextrem ist, klar ist aber, dass welche darunter sind«, erläuterte Martin Döring vom Landesamt für Verfassungsschutz auf Nachfrage von jW die Einschätzung.

Währenddessen hat die Staatsanwaltschaft Dresden ein Ermittlungsverfahren gegen Pegida-Chef Lutz Bachmann wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Das sagte Oberstaatsanwalt Jan Hille der dpa. Hintergrund seien Interneteinträge, in denen menschenverachtende Bezeichnungen für Ausländer verwendet werden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Januar 2015


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