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"Verbindung zu anderen gesellschaftlichen Kämpfen"

Beschäftigte von Amazon und Studierende blockieren rechte "Legida"-Demonstration. Ein Gespräch mit Jasper Petschat *


Jasper Petschat ist aktiv im Amazon-Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig, das sich an den Protesten gegen »Legida« beteiligte.

Gestern trat erstmals in Leipzig der Pegida-Ableger »Legida« auf. Wie war die Resonanz und der Protest dagegen?

4.000 bis 5.000 »Legida«-Anhängern standen etwa 30.000 Gegendemonstranten gegenüber. Das ist auf jeden Fall ein Misserfolg für die Rechten, weil sie ihre Route wegen unserer Blockaden verkürzen mussten und nicht so viele rechte Teilnehmer kamen, wie sie sich im Vorfeld erhofft hatten. Und es war natürlich ein großer Erfolg für uns.

Sie unterstützen zusammen mit Studierenden und außerparlamentarischen Gruppen im Streik-Solidaritätsbündnis die Beschäftigten von Amazon. Es ging auf der Demo aber doch nicht um bessere Arbeitsbedingungen oder Tarifverträge. Wieso haben sich die Beschäftigten an den Gegenprotesten des Leipziger »Pegida«-Ablegers beteiligt?

Wir unterstützen die Streikenden in ihrem Kampf für einen Tarifvertrag. Aber dieser Arbeitskampf hat gesamtgesellschaftliche Hintergründe. Die Politik der Bundesregierung, seit der »Agenda 2010«, führt dazu, dass Menschen unter den herrschenden Verhältnissen unzufrieden sind. Im Zweifel entscheiden sie sich eher dafür, mit fremdenfeindlichen Parolen, anstatt für ihre Interessen auf die Straße zu gehen. Dem setzen wir etwas entgegen. Man muss deutlich sagen, dass wegen des Systems Hartz IV die Leute bei Amazon unter prekären Bedingungen arbeiten müssen. Deshalb waren wir immer darauf aus, eine Verbindung zu anderen gesellschaftlichen Kämpfen herzustellen. Das hat bei den Protesten jetzt erstmals geklappt. Die Beschäftigten sind auf uns zugekommen und haben gesagt, wir wollen gemeinsam etwas gegen »Legida« unternehmen.

Wie war die Resonanz innerhalb der Belegschaft? Reihen sich die Beschäftigten geschlossen ein?

Unter den Streikenden sind auch welche, die sich für »Legida« entschieden haben. Latenten Rassismus gibt es auch unter ihnen. Wir wissen es nicht ganz genau, aber es ist sogar wahrscheinlich, dass es organisierte Rechte unter ihnen gibt. Das ist schon länger ein Thema, und wir wussten nicht so genau, wie wir das Problem angehen sollten, weil wir als Studierende gegenüber den Arbeitern nicht einfach befehlen konnten: »Alle, die was gegen Ausländer haben, sollen sich jetzt verpissen.« Dann wären wir wahrscheinlich direkt von der Bildfläche verschwunden. Dass sich jetzt etwa 30 der Streikenden gegen Rassismus engagiert haben, ist großartig. Wahrscheinlich haben sich aber auch 15 Mitarbeiter dem Protest der Rechten angeschlossen. Erst durch die Diskussion und Vorbereitung der Gegenproteste wurde mancher Kollege überzeugt, nicht an der rechten Demo teilzunehmen.

Für welche gesellschaftliche Gruppe steht »Legida« und für welche die Gegendemonstranten?

Die selbsterklärten »Patrioten« bestehen aus einem rechten Organisationskreis, kombiniert mit einem latent rechten Mobilisierungskreis. Ich würde nicht sagen, dass das alles Nazis sind, aber Leute, die offen für rechte Gedanken sind. Auf der Gegendemonstration waren aus dem bürgerlichen Lager Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), Parteien und politische Netzwerke vertreten. Die Band »Die Prinzen« hat ein Konzert gegeben. Darüber hinaus haben sich das Refugees-Welcome-Bündnis, die IL-Gruppe Prisma und der SDS an den Protesten beteiligt.

Wie wird es weitergehen? In Dresden stieg die Zahl der Pegida-Demonstranten auf 20.000, und auch in Leipzig sind mehrere tausend rassistische Demonstranten schon lange nicht mehr auf der Straße gesehen worden.

Ich glaube, mit der Kraft, mit der gestern mobilisiert wurde, wird es in Zukunft nicht weitergehen. Andererseits hoffe ich, dass der Misserfolg für »Legida« so groß war, dass nächstes Mal ein paar weniger kommen. Ansonsten wird es weiterhin notwendig sein, Gegendemonstrationen zu organisieren. Wir stehen weiter mit den Beschäftigten in Kontakt, und es gibt unter ihnen einige, die wegen ihrer Schicht nicht teilnehmen konnten, die aber auch gegen Nazis und für rechte Parolen empfängliche Leute auf die Straße gehen möchten. Die Proteste werden weitergehen, ganz klar.

Interview: Simon Zeise

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Januar 2015


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