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"Es müßten alle Alarmglocken schrillen"

Nach Odessa-Massaker: "Friedensratschlag" und andere Gruppen rufen für den 8. Mai zu Mahnwachen auf. Gespräch mit Peter Strutynski *


Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

Nachdem rechte Milizen am Freitag in der ukrainischen Hafenstadt Odessa ein Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt haben, rufen der »Friedensratschlag« und andere linke Initiativen für den 8. Mai zu Mahnwachen auf. Was wollen Sie erreichen?

Wir wollen darauf aufmerksam machen, daß uns die Eskalation in der Ukraine große Sorgen macht. Mehr als 40 Menschen sind in den Flammen ums Leben gekommen. Die ukrainische Polizei hat aber nicht einmal den Versuch gemacht, die Rechtsextremen aufzuhalten und den Massenmord zu verhindern.

Der deutschen Bundesregierung sind die Toten kaum eine Erwähnung wert: Es waren ja nur »prorussische Demonstranten«. Für uns ist es unerträglich, mit ansehen zu müssen, wie in diesen Tagen antirussische Stimmung gemacht wird. Dabei müßten bei uns alle Alarmglocken schrillen, wenn ein Gewerkschaftshaus brennt. Gerade anläßlich des 8. Mai, wenn wir an den Tag erinnern, an dem die Alliierten Deutschland vom Faschismus befreit haben!

Rufen Sie deshalb die deutsche Friedensbewegung spontan dazu auf, ihre Solidarität mit den bedrohten Gewerkschaftern in der Ukraine auszudrücken?

Der 8. Mai 1945 mahnt uns, nie wieder Krieg und Faschismus zuzulassen. Bundesweit finden insofern ohnehin Mahnwachen, Aktionen und Demos statt, unter anderem in Berlin, Bremen, Frankfurt am Main, München, Stuttgart und Tübingen. Mit unserem Aufruf wollen wir aber nun verdeutlichen: Wir müssen mit Kundgebungen der Hetze begegnen, die aktuell in den deutschen Medien und in der Politik der CDU/SPD-Bundesregierung zu beobachten ist.

Sie fordern die Bundesregierung und die angeschlossenen Medien auf, nicht weiterhin Rußland als Feind darzustellen und so eine »regelrechte Russophobie« zu propagieren. Hat die schon die Bevölkerung erfaßt?

Das nicht. Ich sehe eine ideologische Aufrüstung seitens der politischen Kräfte: Sie haben sich von Anfang an der Solidarität mit der Übergangsregierung in Kiew verschrieben; zuvor mit allen Formen des Maidan-Aufstandes – auch den bewaffneten. Sie haben Rußland als ein auf Eroberungen orientiertes Reich stigmatisiert; Putin als Stalin-Nachfolger, der sich Teile der Ukraine einverleiben will.

Zur Schande der Medien ist zu sagen: Sie haben das in der Tendenz noch verschärft. In Leitartikeln und Kommentaren haben viele, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zur Süddeutschen Zeitung, Kriegshetze betrieben – von der Welt gar nicht zu reden. Sie haben aufgefordert, Sanktionen zu verschärfen; sogar darüber nachzudenken, dem vermeintlichen »Expansionsdrang der Russen« mit militärischen Mitteln der NATO entgegenzutreten. Die in Leserbriefen veröffentlichten Positionen unterscheiden sich dagegen himmelweit davon, was die Leitmedien, Befürworter der Regierungs- und NATO-Politik, offiziell vorgeben.

Wie kommt es, daß deutsche Gewerkschaftsspitzen nach dem Sturm der Faschisten auf das Gewerkschaftshaus in Odessa mit dröhnendem Schweigen reagieren?

Die Gewerkschaftsspitzen agieren hierzu in der Tat bislang überhaupt nicht; sie halten sich aus außen- und sicherheitspolitischen Fragen weitgehend heraus. Ich habe den Eindruck, daß dies mit der Nähe zur SPD zu tun hat, die in der Regierung den offiziellen Kurs mitzuverantworten hat: mehr militärische Präsenz, Osterweiterung von EU und NATO.

An der Basis beginnt sich allerdings Protest zu regen: Ostermärsche und 1.-Mai-Demos waren von fortschrittlicheren Gewerkschaftern geprägt. Von »unten« kommt viel Verständnis für unsere Position: Der »Schwarze Peter« gebührt nicht Rußland, sondern dem Westen. Wir fordern, daß die Bundesregierung endlich eine Politik der Deeskalation betreibt, z.B. durch den Stopp aller wirtschaftlichen Strafmaßnahmen. Vor allem aber darf es keine Toleranz gegenüber und erst recht keine Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften in der Ukraine geben, auch nicht mit der Übergangsregierung, an der sich rechtsextreme Kräfte beteiligen! Es ist ein Skandal, Milliarden Euro locker zu machen, um sie mit Krediten zu stützen. Von den Medien erwarten wir, daß sie aufhören, sich zum Sprachrohr der Bundesregierung oder der NATO zu machen – wir erwarten eine sachgerechte Berichterstattung.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge welt, Mittwoch, 7. Mai 2014


Wenn erst die Gewerkschaftshäuser brennen ...!
Aufruf aus der Friedensbewegung zu Mahnwachen am 8. Mai 2014 (deutsch und englisch)(6. Mai 2014)




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