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Mit Menschen solidarisch, nicht mit dem System"

Friedensgruppen berieten am Wochenende erstmals über drohenden Krieg gegen Syrien. Ein Gespräch mit Jens-Peter Steffen *


Jens-Peter Steffen ist Referent der deutschen Sektion von Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in Sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) und ein Sprecher der Kooperation für den Frieden.


Bürgerliche Medien sind schnell dabei, Gegner eines Angriffs auf Syrien zu Freunden der dortigen Diktatur zu erklären. Am Wochenende nun hat die deutsche Friedensbewegung in Kassel über diesen Konflikt beraten – hat sie einen Weg gefunden, diese Etikettierung zu vermeiden?

Indem wir betonen, daß wir mit den Menschen in dem jeweiligen Land solidarisch sind, und nicht mit den Herrschenden oder dem System. Wir betonen den Anspruch der Bevölkerung auf Menschenrechte, auf Demokratie und auf eine selbstbestimmte friedliche Entwicklung. Zugleich kritisieren wir unsere Herrschenden, weil sie über das Instrument der bürgerlichen Medien eine Vorkriegsstimmung entfachen.

Von Menschenrechten sprechen auch die westlichen Mächte, die sich Krieg als Möglichkeit zur Befreiung der unterjochten syrischen Bevölkerung vorstellen ...

Wir betrachten das natürlich vor dem Hintergrund des Libyen-Krieges. Da kam auch keine Freiheit heraus. Dahinter steht die Ideologie der humanitären Intervention, der »responsibility to protect«, die wir entschieden ablehnen. Sie ist eine Aushöhlung des internationalen Völkerrechts, der Selbstbestimmung von Staaten und damit letztlich auch der internationalen Friedensordnung für die die UN stehen soll. Es handelt sich um eine ideologische Verbrämung von Angriffskriegen.

Gibt es Dissens unter den Friedensgruppen?

Es gab Stimmen, die sagen, einem Land oder auch einem Volk, das angegriffen werden soll, könne man nicht absprechen, daß es sich auch bewaffnet. Das ist in der Friedensbewegung, die ja stark pazifistisch geprägt ist, natürlich ein Streit- und Diskussionspunkt. Nach meiner Einschätzung war das aber eine Minderheitenposition. Es ist für viele klar, daß man anderen Menschen nicht ihre Bestrebungen diktieren kann, aber die Friedensbewegung besteht auf Gewaltfreiheit.

Steht die Friedensbewegung in Kontakt mit dem syrischen Nationalrat?

Es gibt eine breitgestreute Exilbevölkerung aus Syrien in Deutschland, die Kontakte zu ihren Verwandten im Land haben. Auf diesem Weg erhält auch die IPPNW spezielle Kenntnisse und Informationen. Auf unserem Treffen war eine syrische Exilantin aus Berlin, die in Kontakt zur demokratischen Opposition in Syrien steht. Ich weiß allerdings nicht, ob der Nationalrat auch dazugehört.

Jedenfalls lehnen die syrischen Gruppen, mit denen wir Kontakt haben, eine militärische Intervention eindeutig ab. Sie fürchten, daß sich dann die Bevölkerung hinter den Herrschenden zusammenrauft. Dabei wissen sie natürlich auch, daß eine solche Intervention schon jetzt durch geheimdienstliche Maßnahmen und ähnliches stattfindet.

Inwiefern bestätigen ihre Kontaktpersonen die Behauptungen, Assad habe mehrere Tausend Menschen erschießen lassen?

Es gibt Schilderungen, daß politisch Aktive im Freundes- oder Bekanntenkreis verhaftet oder verletzt worden sind, aber eine generelle Bestätigung über diese Zahlen kenne ich nicht. Doch uns ist klar, es herrscht Bürgerkrieg.

Und wie setzt sich die deutsche Friedensbewegung dagegen ein?

Das Treffen am Sonntag war ihre erste bundesweite Zusammenkunft zu diesem Thema. Wir hatten überwiegend die Einschätzung, daß ein Krieg gegen Syrien der erste Schritt wäre, um eine weitere Eskalation auch gegen den Iran vorzubereiten. Es wird jetzt einen Aufruf geben, der sich speziell mit dem Iran beschäftigt, und die IPPNW erarbeitet einen Aufruf, der sich zu Syrien positioniert. Dazu kommt ein Text des Friedensratschlages, der zunächst in die Friedensbewegung hineinwirken soll, um die Gesamtlage am Beispiel dieser beiden Länder zu thematisieren. Die Friedensbewegung versucht, sich praktisch zu wappnen.

Außerdem wird zur Zeit eine Fact-finding-Mission vorbereitet, an der Friedensgruppen, aber auch Juristen und wir Ärzte mitmachen wollen, um zu schauen, wie die Lage im Land wirklich ist. Über die genauere Planung möchte ich aber noch nicht sprechen.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge Welt, 31. Januar 2012


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