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"NEIN zum neoliberalen und militärorientierten EU-Reformvertrag!"

Konferenz "Für eine Politik des Friedens" verabschiedet eine Erklärung (Wortlaut) - Bericht vom 2. Sozialforum in Cottbus

Vom 18. bis 21. Oktober 2007 fand in Cottbus das 2. Sozialforum Deutschland statt. Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich mit friedenspolitischen Veranstaltungen bei Sozialforum befassen, sowie eine Erklärung von TeilnehmerInnen der Konferenz "Für eine Politik des Friedens" zum EU-Reformvertrag.



Kriegsrhetorik ist kein Wortgeklapper

Beim Cottbuser Sozialforum ging es gestern unter anderem um Frieden und EU-Vertrag

Von Tom Strohschneider, Cottbus


Mit zahlreichen Veranstaltungen ist gestern das zweite deutsche Sozialforum fortgesetzt worden. Gestern war in Cottbus die Friedensarbeit einer der Schwerpunkte.

Angesichts der laufenden Kriege in Afghanistan, Irak und anderswo auf der Welt, bedarf es eigentlich keines Beweises für die gestern in Cottbus von Erhard Crome vorgetragene These, die Friedensfrage spitze sich weiter zu. Der Mann von der Rosa-Luxemburg-Stiftung kam allerdings auf an einem ebenso prominenten wie schlecht gelittenen Stichwortgeber nicht vorbei: Erst vor einigen Tagen hatte US-Präsident George W. Bush mit seiner Warnung vor einem dritten Weltkrieg die Sorge um einen offenen militärischen Konflikt mit dem Iran neu entfacht.

Welche Aufgaben stellen sich angesichts dessen der Friedensbewegung? Die Frage wird nicht zum ersten Mal bei einem deutschen Sozialforum aufgeworfen. Dieses Jahr kommt ihr aber ein größeres Gewicht als noch vor zwei Jahren beim Vorgängertreffen in Erfurt zu, meint Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag. Bushs Weltkriegsrhetorik sei keineswegs nur leeres Wortgeklapper, weltweit würden sich die »Hauptakteure auf neue Kriege vorbereiten«, so Strutynski. Ablesen lasse sich dies, so der Hochschullehrer, unter anderem am Stand der Rüstung: Heute werde weltweit wieder genauso viel Geld für Waffen und Interventionen ausgegeben, wie zu den Hochzeiten des Kalten Krieges Ende der 80er Jahre – nämlich 1,3 Billionen Dollar im Jahr.

Strutynski wirbt angesichts solcher Zahlen für eine Verknüpfung von sozialpolitischen Forderungen und dem Widerstand gegen immer neue Rüstungsprojekte. Klarzumachen, dass Bomben nicht gegessen werden können, werde angesichts fortschreitender Verarmung der Glaubwürdigkeit der Friedensbewegung zugute kommen. Einen anderen Vorschlag machte in der eher mäßig besetzten Stadthalle der Mitbegründer der Weltsozialforen Chico Whitaker. Der Brasilianer schlug vor, eine weltweite Kampagne zur Kriegsdienstverweigerung zu initiieren. Ohne Soldaten, so das Motto, keine Kriege.

Noch sind die Weichen aber in eine ganz andere Richtung gestellt. Erst vor gut einer Woche waren in Berlin zwei Afghanistan-Mandate mit großer Mehrheit verlängert worden. Immerhin aber, so die linke Bundestagsabgeordnete Inge Höger, gibt es inzwischen auch in SPD und bei den Grünen wieder verstärkt Debatten um die Zulässigkeit solcher Militäraktionen. Das geschlossene Nein der Linksfraktion habe dazu beigetragen.

Der parteilose Europaabgeordnete Tobias Pflüger verwies gestern auf den EU-Reformvertrag, der in Lissabon von den europäischen Mitgliedsstaaten verabschiedet wurde. Die »militaristische Grundaussage« des alten Verfassungsvertrages, der in den Niederlanden und Frankreich in Referenden nicht zuletzt deshalb abgelehnt wurde, bestehe im neuen Papier unverändert fort, so Pflüger. Von altem Wein in neuen Schläuchen könne man indes nicht reden – die sprichwörtliche Sprengkraft der entsprechenden Passagen mache es vielmehr erforderlich, von einer »hochexplosiven Mischung in neuem Gewand« zu sprechen.

Konkrete Vorhaben in Sachen Friedensarbeit wurden am Freitag noch nicht verabschiedet. Dazu ist das Sozialforum auch gar nicht autorisiert. Eine Versammlung der sozialen Bewegungen, die am Sonntag stattfinden wird, unterliegt einer solchen Beschränkung nicht. Und auch die Teilnehmer der Konferenz am Freitagmittag wollten nicht ohne Signal auseinander gehen. In einer Erklärung drückten sie ihre entschiedene Ablehnung des neuen, alten EU-Vertrages aus.

*Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2007

Erklärung der Konferenz "Für eine Politik des Friedens"

Cottbus, 19.102007

Die TeilnehmerInnen der Konferenz „Für eine Politik des Friedens“ beim 2. Sozialforum in Deutschland bringen ihre entschiedene Ablehnung des heute in Lissabon von den EU-Regierungschefs erarbeiteten so genannten „EU-Reformvertrags“ aus folgenden Gründen zum Ausdruck:
  1. Das geplante Vertragswerk stimmt in allen wesentlichen Teilen inhaltlich mit dem in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten EU-Verfassungsvertrag überein. Insofern ist die Verabschiedung des Reformvertrags ein grober Verstoß gegen die demokratischen Grundregeln.
  2. Auch der Reformvertrag schreibt eine neoliberale Wirtschaftspolitik und eine Militarisierung für die Europäische Union fest. Zum Beispiel wird im neuen Artikel 27.3 die Aufrüstungsverpflichtung für die EU-Mitgliedstaaten festgelegt; im zukünftigen Artikel 27.7 wird die NATO als Bezugsrahmen für die EU-Militärpolitik ausdrücklich erwähnt.
  3. Neu im Reformvertrag ist die Einführung eines eigenständigen EU-Militärhaushaltes (der so genannte „Anschubfonds“), den der bisher gültige Vertrag von Nizza nicht vorsieht.
  4. Die EU-Rüstungsagentur wird durch den Reformvertrag erstmals vertraglich legitimiert.
Die TeilnehmerInnen sprechen sich für eine bundes- und europaweite Kampagne gegen die Ratifizierungen des „EU-Reformvertrags“ aus. Die Umgehung von Referenden in den Mitgliedsstaaten über den EU-Reformvertrag wurde deutlich kritisiert.

Das klare Signal der Konferenz war:
NEIN zum erarbeiteten neoliberalen und militärorientierten EU-Reformvertrag!



Klösterliche Vorhut

In Cottbus begann das 2. Sozialforum in Deutschland. Hohes Niveau der Debatten. Bis Sonntag gibt es 160 Veranstaltungen

Von Donna San Floriante


Unter dem Motto »Die bessere Welt gestalten« begann am Donnerstag (18. Okt.) das 2.Sozialforum in Deutschland. In der Stadthalle Cottbus sprach zur Eröffnung unter anderem die Schriftstellerin Daniela Dahn. Sie ging der Frage nach, ob man Deutschland heute noch als Demokratie bezeichnen könne. Angesichts der zunehmenden Entmachtung des Souveräns in immer mehr Gesellschaftsbereichen und seiner Ausgrenzung aus immer mehr Entscheidungsprozessen kam Dahn zu einem beunruhigenden Befund: Die Demokratie sei bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Erosion, die Macht des Kapitals entziehe ihr zunehmend den Boden.

Eine Illustration dieser Einschätzung lieferte am Freitag der Europa-Abgeordnete Tobias Pflüger. Die EU trete immer deutlicher als imperialer Akteur auf, sagte er. Man dürfe die militärische Rolle Europas nicht länger unterschätzen. Gleichzeitig sei den EU-Parlamentariern nahezu jede Möglichkeit einer effektiven Kontrolle der EU-Außenpolitik genommen, schon durch mangelnden Zugang zu verläßlichen Informationen.

Pflüger warnte, der Lissabon-Vertrag sei lediglich die gescheiterte EU-Verfassung in neuer Verpackung. Mit diesem »Reformwerk« würden Neoliberalismus und Militarismus festgeschrieben und der Charakter der EU grundlegend verändert.

Insgesamt 160 Veranstaltungen werden auf diesem 2. Sozialforum in Deutschland angeboten. Sie reichen von aktionsorientierten Vorbereitungstreffen – etwa zur antifaschistischen Arbeit in Wahlkämpfen und zu Strategiefragen in der Zusammenarbeit von Gewerkschafts- und Ökologiebewegung – bis hin zu eher analytischen Fragen, beispielweise nach der Entwertung der Arbeit im globalisierten Kapitalismus. Neuartig speziell für die Linke in Deutschland dürfte ein Veranstaltungsblock über »(Selbst-)Verwirklichung, Psychologie und Grenzgebiete der Wissenschaft« sein. Gerade diese Veranstaltungen überraschten durch ihr hohes Debattenniveau und eine nicht unbedingt zu erwartende Praxisnähe.
(...)

** Aus: junge Welt, 20. Oktober 2007


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