"Eine andere Welt ist möglich!"
Vor vier Jahren wurde in Porto Alegre eine neue Art von Bewegung und Politik aus der Taufe gehoben. Im Wortlaut: Die Charta von Porto Alegre
Vom 21. bis 24. Juli findet in Erfurt das erste Sozialforum in Deutschland statt (siehe: "Ein selbstverwalteter Raum für soziale Bewegungen"). Aus diesem Grund wollen wir mit der Dokumentation der "Charta von Porto Alegre" vom Januar 2001 an die Anfänge dieser weltweiten Bewegung erinnern.
Charta von Porto Alegre
Der Ausschuss der brasilianischen Organisationen, der das Erste Weltsozialforum, welches vom 25. bis 30. Januar 2001 in Porto Alegre/Brasilien stattfand, konzipierte und organisierte, erachtet es für notwendig und legitim, nachdem er die Ergebnisse dieses Forums und die Erwartungen, die es weckte, ausgewertet hat, eine Charta der Grundsätze zu verfassen mit dem Ziel, die Initiative weiterzuführen. Die in dieser Charta enthaltenen Grundsätze sollen von allen, die an diesem Prozess teilnehmen wollen, respektiert werden. Sie bekräftigen die Beschlüsse, die dem Vorbereitungsprozess des Ersten Forums von Porto Alegre zu Grunde lagen und Grund für dessen Erfolg waren. Durch die Festlegung von Orientierungen, die sich aus der Logik dieser Beschlüsse ergeben, soll die Reichweite des Forums erweitert werden.
1. Das Weltsozialforum ist ein offener Raum der Begegnung zur Vertiefung des Nachdenkens, für eine demokratische Debatte von Ideen, für die Formulierung von Vorschlägen, für den freien Austausch von Erfahrungen und für den Aufruf zu wirksamen Aktionen. Dieser Raum wird geschaffen von Gruppen, Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und der Herrschaft der Welt durch das Kapital und jeder möglichen Form von Imperialismus widersetzen und sich für den Aufbau einer globalen Gemeinschaft einsetzen, die sich auf fruchtbare Beziehungen zwischen den Menschen und der Menschen mit der Erde gründet.
2. Das Weltsozialforum in Porto Alegre war ein in Raum und Zeit begrenztes Ereignis. Von jetzt an, mit der in Porto Alegre proklamierten Gewissheit „Eine andere Welt ist möglich!“ wird es zu einem permanenten Prozess der Suche nach und des Aufbaus von Alternativen, der sich nicht auf die Ereignisse reduziert, auf die er sich stützt.
3. Das Weltsozialforum hat den Charakter eines weltweiten Prozesses. Alle Zusammenkünfte, die als Teil dieses Prozesses abgehalten werden, haben eine internationale Dimension.
4. Die auf dem Weltsozialforum vorgeschlagenen Alternativen widersetzen sich einem Prozess der Globalisierung, der von den großen multinationalen Konzernen sowie von den ihren Interessen dienenden Regierungen und internationalen Institutionen befohlen wird, mit den nationalen Regierungen als Mittätern. Diese Alternativen zielen auf eine neue welthistorische Etappe ab, die geprägt ist von einer solidarischen Globalisierung, die universelle Menschenrechte, die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger aller Nationen und die Umwelt respektiert und sich auf internationale demokratische Systeme und Institutionen im Dienste sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Souveränität der Völker stützt.
5. Das Weltsozialforum bringt Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft aus allen Ländern der Welt zusammen und in Verbindung, aber es beabsichtigt nicht eine repräsentative Instanz der Weltzivilgesellschaft zu sein.
6. Die Treffen des Weltsozialforums haben keinen Beschlusscharakter in Bezug auf das Weltsozialforum selbst. Niemand wird daher autorisiert werden, im Namen des Forums, gleich bei welcher seiner Zusammenkünfte, Positionen zu vertreten, die beanspruchen, die aller Teilnehmenden zu sein. Die Teilnehmenden dürfen nicht dazu aufgerufen werden, Entscheidungen zu treffen, weder durch Abstimmung noch durch Akklamation, die sich auf die Gesamtheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beziehen, die sich mit Erklärungen oder Aktionsvorschlägen befassen, die alle oder eine Mehrheit der Teilnehmenden betreffen oder die für sich beanspruchen, als Positionen des Forums als Solchem zu stehen. Es stellt daher weder eine Instanz der Macht dar, die bei Zusammenkünften Gegenstand der Auseinandersetzungen wäre, noch beansprucht es, die einzige Möglichkeit der Artikulation und Aktion für die an ihm teilnehmenden Gruppen und Bewegungen zu sein.
7. Dabei muss jedoch die Freiheit der an den Treffen des Forums teilnehmenden Gruppen, Organisationen und Bewegungen oder deren Bündnissen sichergestellt werden, in den Veranstaltungen über Erklärungen und Aktionen zu beraten, die zu entwickeln sie, einzeln oder in Absprache mit anderen Teilnehmenden, entscheiden. Das Weltsozialforum verpflichtet sich, diese Entscheidungen im Rahmen seiner Möglichkeiten ohne Einflussnahme, Hierarchisierung, Zensur oder Restriktionen rein als Beschlüsse der Gruppen oder ihrer Zusammenschlüsse weit zu verbreiten.
8. Das Weltsozialforum ist ein pluralistischer, mannigfaltiger Raum, weder parteipolitisch oder regierungsnah, noch konfessionell. Es eint auf dezentralisierte Art und Weise und auf Netzwerken aufbauend Gruppen, Organisationen und Bewegungen, die sich bei konkreten Aktionen, von lokal bis global, für den Aufbau einer anderen Welt einsetzen.
9. Das Weltsozialforum wird stets ein offener Raum für Pluralismus, Vielfältigkeit des Engagements und des Wirkens der Gruppen, Organisationen und Bewegungen sein, die sich entscheiden, an ihm teilzunehmen, ebenso ein offener Raum für Vielfalt der Geschlechter, der Ethnien, der Kulturen, der Generationen und der physischen Kapazitäten, insofern sie diese Charta der Grundsätze respektieren. Weder RepräsentantInnen von Parteien noch militärische Organisationen können am Forum teilnehmen. Regierungsmitglieder und StaatsbeamtInnen, welche die Verpflichtungen dieser Charta annehmen, können als Einzelpersönlichkeiten eingeladen werden.
10. Das Weltsozialforum wendet sich gegen jede totalitäre und reduktionistische Sichtweise der Ökonomie, der Entwicklung und der Geschichte und lehnt die Anwendung von Gewalt als Mittel der sozialen Kontrolle durch den Staat ab. Es setzt sich ein für die Achtung der Menschenrechte, für die Verwirklichung einer wahrhaften, partizipativen Demokratie, für gleichberechtigte, solidarische und friedliche Beziehungen zwischen Individuen, Ethnien, Geschlechtern und Völkern und verurteilt dabei alle Formen von Vorherrschaft sowie jede Unterdrückung eines Menschen durch einen anderen.
11. Das Weltsozialforum als Ort der Debatte ist eine Bewegung von Ideen, welche zur Reflexion anregt und zur transparenten Zirkulation der Ergebnisse dieser Reflexion beiträgt. Die Ergebnisse der Reflexion beziehen sich auf Mechanismen und Instrumente der Herrschaft des Kapitals, auf Mittel und Aktionen des Widerstands gegen diese Herrschaft und für ihre Überwindung. Des Weiteren beinhalten sie vorgeschlagene Alternativen zur Lösung der Probleme von Ausgrenzung und sozialer Ungleichheit, die der Prozess der kapitalistischen Globalisierung mit seinen rassistischen, sexistischen und die Umwelt zerstörenden Dimensionen hervorbringt, international ebenso wie innerhalb der einzelnen Länder.
12. Das Weltsozialforum als Ort des Erfahrungsaustauschs fördert das gegenseitige Verständnis und die gegenseitige Anerkennung der an ihm beteiligten Gruppen, Organisationen und Bewegungen und legt besonderen Wert auf den Austausch unter ihnen, insbesondere über das, was sich in der Gesellschaft heranbildet, um die wirtschaftliche Tätigkeit und politische Aktion auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und die Achtung der Natur in der Gegenwart und für künftige Generationen zu konzentrieren.
13. Das Weltsozialforum als Ort der Zusammenkunft soll neue Formen von Verbindungen und Zusammenschlüssen zwischen Organisationen und Bewegungen stärken und hervorbringen, auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene. Diese Zusammenschlüsse stärken, im öffentlichen wie im privaten Leben, die Fähigkeit zum sozialen, gewaltfreien Widerstand gegen den Prozess der Entmenschlichung, den die Welt derzeit erlebt, und gegen die vom Staat verübte Gewalt; sie stärken humanitäre Initiativen, die von diesen Gruppen, Organisationen und Bewegungen ausgehen.
14. Das Weltsozialforum ist ein Prozess, der die teilnehmenden Gruppen, Organisationen und Bewegungen zur Durchführung ihrer Aktionen auf lokaler wie nationaler Ebene ermutigt und dabei eine aktive Beteiligung an internationalen Anliegen anstrebt wie Fragen bzgl. einer planetarischen Zivilgesellschaft, indem gesellschaftsverändernde Praktiken auf die globale Tagesordnung gesetzt werden, die es für den Aufbau einer neuen solidarischen Welt auszuprobieren gilt.
Verabschiedet in São Paulo am 9.April 2001 von den Gruppen und Organisationen, die das Organisationskomitee des Weltsozialforums bilden, angenommen mit Änderungen durch den Internationalen Rat des WSF am 10.Juni 2001
Quelle: Website des Sozialforums 2005: www.sozialforum2005.de
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