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Kriegsflatrate beschlossen

Bundestagsmehrheit erhofft sich höhere Attraktivität von Kriegseinsätzen. Linke gespalten

Von René Schultz *

Der Bundestag hat sich am Donnerstag abend (22. März) mit großer Mehrheit für eine verbesserte und kostenfreie Telekommunikationsversorgung für deutsche Soldaten in den Einsatzgebieten ausgesprochen. Die Linksfraktion schloß sich den Forderungen mehrheitlich an, ein Teil verweigerte aber die Zustimmung. In dem von Union, SPD, FDP und Grünen eingebrachten Antrag werden kostenloses Telefonieren für Soldaten, eine Gratisflatrate fürs Internet, Videotelefonie als Standard und mehr Privatsphäre bei der Kommunikation gefordert.

Ein nahezu identischer Antrag der Linksfraktion war auf zum Teil scharfe Kritik aus der Friedensbewegung gestoßen. Die Deutsche Friedensgesellschaft hatte von einem »Wohlfühlprogramm« für die Interventionstruppen gesprochen. Die Linken-Abgeordneten Inge Höger und Christine Buchholz reagierten darauf mit dem Hinweis, Kern ihres Antrages sei, Soldaten das Recht zu gewähren, »und unüberwacht aus dem Kriegsgebiet zu berichten«. Bisher setze die Militärführung auf die Abschirmung der Soldaten, um den Korpsgeist zu stärken und kritische Informationen zu filtern. Mit Verweis auf den Soldaten Bradley Manning, dem die US-Army Geheimnisvorrat vorwirft, schreiben die Abgeordneten: »Alle Zeitungen, und speziell die junge Welt würde von einer Situation profitieren, in der sie ungehindert Kontakt mit einzelnen Soldaten im Kriegseinsatz aufnehmen könnten.« Zudem fördere der tägliche Kontakt mit der eigenen Familie via Internet nicht die Kampfmoral, sondern dämpfe sie.

Im Bundestagsplenum betonte der Linken-Politiker und Initiator des Antrages, Harald Koch, der Vorstoß sei keine Abkehr von der Antikriegspolitik: »Nicht die Soldatinnen und Soldaten sind unsere Gegner, sondern die Generäle, die sie in den Kriegseinsatz schicken.« Oberste Priorität habe der Abzug aus Afghanistan, aber die sozialen Belange der Soldaten könnten der Linken nicht gleichgültig sein, so Koch.

Die Vertreter der Kriegsparteien rechnen sich von einer umfassenden Internetversorgung die Chance aus, die Einsätze für Soldaten und deren Familien erträglicher zu machen »und damit auch die Akzeptanz und Bereitschaft der Soldaten, in den Einsatz zu gehen«, zu erhöhen, so der CSU-Politiker Reinhard Brandl. Für die SPD wies Lars Klingbeil darauf hin, daß andere Armeen bereits eine umfassende »Betreuungskommunikation« hätten und die Bundeswehrsoldaten sich benachteiligt fühlten. Es gehe um die »Attraktivität des Soldatentums« und um die Nachwuchswerbung: »Diejenigen, die ausscheiden oder aus dem Auslandseinsatz zurückkommen, sind die wichtigsten, wenn es darum geht, Nachwuchswerbung zu machen. Deswegen müssen wir erreichen, daß die sagen, die Politik hat sich gekümmert und nimmt uns ernst.«

15 Abgeordnete der Linksfraktion gingen in Opposition zu ihrem eigenen Antrag und betonten in einer gemeinsamen Erklärung, ihre Verantwortung gegenüber den Soldaten drücke sich in der Forderung nach deren Abzug aus. Sie lehnten es aber ab, den Kriegseinsatz für die »eigene« Seite angenehmer zu machen und damit zu seiner Verlängerung beizutragen.

* Aus: junge Welt, 24. März 2012

Dokumentiert: Brief an die Abgeordneten

Norman Paech, Werner Ruf und Peter Strutynski kritisieren den Antrag der Linksfraktion


An die Mitglieder des AK 5 der Fraktion DIE LINKE

Betr.: Antrag "Für eine kostenfreie und umfassende Betreuungskommunikation im Einsatz" BT Drucksache 17/8795

Hamburg, Kassel, d. 23. März 2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben Eure Begründungen für den Antrag der Fraktion „Für eine kostenfreie und umfassende Betreuungskommunikation im Einsatz“ gelesen, können uns jedoch nach wie vor nicht mit ihm anfreunden.

Wir stimmen mit Euch darin überein, dass auch die Soldatinnen und Soldaten die in unserer Gesellschaft übliche Fürsorge, Betreuung und Erleichterungen im normalen Dienst der Kasernen erhalten bis hin zu einer besseren Behandlung bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Es gehört zur guten antimilitaristischen Tradition der Arbeiterbewegung, sich auch um die sozialen Belange der Soldaten, insbesondere der Wehrpflichtigen (die es aber nicht mehr gibt) und der niedrigen Dienstgrade anzunehmen. In der noch heute lesenswerten Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ fasst Karl Liebknecht diese Aufgabe folgendermaßen zusammen: „Daneben muss die Partei sich, wie bisher, aber in immer verstärktem Maße, systematisch der Soldaten und auch der Unteroffiziere annehmen, ihre materiellen und sozialen (dienstlichen) Interessen in Presse und Parlament energisch vertreten und so in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise die Sympathien dieser Kreise zu erwerben suchen.“ In einer Fußnote erläutert er dann noch, was unter „sozialen (dienstlichen) Interessen“ zu verstehen ist: „Besserung von Besoldung, Verpflegung, Bekleidung, Unterkunftsräumen, Behandlung, Erleichterung des Dienstes, Bekämpfung der Misshandlungen …“ Übertragen auf heute würde gewiss auch die Verbesserung des Zugangs zu Internetdienstleistungen ein berechtigtes Interesse der Soldaten sein. Liebknecht bezog sich aber auf die Soldaten zu Hause – damals (1907) führte das Deutsche Reich keinen Krieg. Das ist doch ein nicht zu vernachlässigender Unterschied.

Wir sehen auch nicht, wie Ihr zu der Einschätzung kommen könnt, mit den gleichen Forderungen, mit denen der gemeinsame Antrag der CDU, FDP, SPD und Grüne im Krieg „die Motivation und Einsatzbereitschaft der Einsatzkontingente“ fördern will, gleichsam das Gegenteil zu erreichen und „Verrohung und Abstumpfung“ bekämpfen zu können. Seit wann ist dazu die unbegrenzte und kostenfreie Nutzung des Internets mit seinen Zerstreuungs- und Spielprogrammen in der Lage? Wie kommt Ihr auf die Idee, dass dieses Ziel mit Videotelefonie und Verlängerung der kostenfreien Telefonverbindung nach Deutschland bei Soldaten und Soldatinnen in einem Kriegseinsatz erreicht werden kann, die in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet worden sind und über alle diese Kommunikationsmöglichkeiten jahrelang verfügen konnten? Da scheinen uns die Erwartungen der Kriegsparteien realistischer.

Wir meinen, dass die Sorge der LINKEN in aller erster Linie der Rückholung der Soldatinnen und Soldaten aus einem Krieg gilt, den wir von Anfang an als falsch verurteilt haben und der nichts mit „Verteidigung“ zu tun hat. Der beiläufige Satz, den Ihr für diese Forderung gewählt habt, klingt eher wie eine Verlegenheit, denn wie das zentrale Anliegen der LINKEN.

Wir fragen uns, warum bedarf es eines Antrags der LINKEN, wenn die gleichen Forderungen von den übrigen Parteien, die den Krieg nach wie vor vehement unterstützen, eingebracht werden? Würden nicht eindeutige Reden während der beiden Lesungen und eine geschlossene Enthaltung bei der Schlussabstimmung das Anliegen der LINKEN, deren Hauptsorge der Beendigung des Krieges, des Tötens, der Zerstörungen und den unverhältnismäßigen Opfern gilt, unmissverständlicher und klarer dokumentieren? Denn der Antrag ist ja nicht für das Plenum gemacht, in dem er mit Sicherheit abgelehnt werden wird, sondern für die Öffentlichkeit, zu der auch wir gehören. Und wir reiben uns die Augen über die – sicherlich ungewollte - gemeinsame Sorge mit den Kriegsparteien. Euer Antrag mag parlamentarisch gut gemeint gewesen sein – er ging aber doch voll daneben.

Eure jetzigen Begründungen zeigen uns, dass Ihr das anders seht. Das mag an der Kluft zwischen dem Milieu im Parlament und dem „draußen im Lande“ liegen. Wir wollten Euch jedoch über diese Ansicht von draußen informieren.

Mit solidarischen Grüßen
Norman Paech, Werner Ruf, Peter Strutynski





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