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"Den Erfolg feiern nun viele Väter. Nicht alle können ihre Vaterschaft nachweisen"

Nach 17 Jahren zäher Auseinandersetzungen verzichtet die Bundeswehr nolens volens auf ihr "Bombodrom" - Die "Freie Heide" ist frei. Artikel und Stellungnahmen


17 Jahre Kampf – die Heide ist frei!

Bundeswehr verzichtet auf Bombodrom, Bürgerrechtler feiern und der Erfolg hat plötzlich fast nur noch "Väter"

Von René Heilig *

Das Ruppiner Land ist überhaupt eins von den stillen in unsrer Provinz ... Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg

»Das ist ein wunderschöner Tag!« Benedikt Schirge und seine Getreuen in der Bürgerinitiative FREIe HEIDe freuen sich über die so lang und schwer erkämpfte Einsicht der Bundesregierung. Deren Verteidigungsminister hatte am Donnerstagmittag verlauten lassen: Die Bundeswehr verzichtet auf die Nutzung des Luft-Boden-Schießplatzes im brandenburgischen Wittstock.

»Es war ein Gebot der Demokratie, auf den Protest zu hören«, sagt auch die Sprecherin der mecklenburgischen Bürgerinitiative »Freier Himmel«, Barbara Lange. Gemeinsam mit den Freunden in Brandenburg sowie zehntausenden solidarischen Partnern in der ganzen Bundesrepublik haben die Bürgerrechtler fast 17 Jahre gegen das Militär und für eine friedliche und umweltgerechte Nutzung des 142 Quadratkilometer großen Fleckens gekämpft – außerparlamentarisch mit regelmäßigen Protestwanderungen und anderen friedlichen Aktionen, in Parlamenten mit Kunstaktionen. Und immer zogen sie vor Gerichte. 27 Urteile gegen das »Bombodrom« haben die Tiefflug-Gegner aus Brandenburg und Mecklenburg seit Beginn des Rechtsstreits 1994 erwirkt. Doch die Bundeswehr blieb stur und beanspruchte immer wieder Hausrecht sowie Übungsfreiheiten für sich und ausländische NATO-Truppen.

Nicht einmal die Bewertung des Bundesrechnungshofes, der 2007 die in den vorangegangenen zehn Jahren verschleuderten 50 Millionen Euro sowie vorgesehene Investitionen von 270 Millionen Euro kritisierte, brachte das Verteidigungsministerium unter Franz Josef Jung (CDU) zur Einsicht.

Also forderten die Rebellen Unterstützung von Verbänden und Parteien ein. Mehr als einmal wurden sie enttäuscht, beispielsweise als die SPD-Spitzenpolitiker Rudolf Scharping und Peter Struck in Wahlkämpfen vor den Anwohnern für eine militärfreie Heide eintraten, um dann als Verteidigungsminister ihr Wort zu brechen.

Grüne und LINKE standen zu den Heidekämpfern, auch die Brandenburger Landesregierung, vertreten durch SPD und CDU, sowie die aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD einst mit der PDS agierte und nun mit der CDU ein Koalition führt, forderten eine friedliche und ökologisch sinnvolle Nutzung des einst von der Sowjetarmee angelegten Übungsplatzes. Gleiches gab der rot-rote Senat in Berlin als Forderung aus.

Den Erfolg feiern nun viele Väter. Nicht alle können ihre Vaterschaft nachweisen. Beispiel SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Der aktuelle Vizekanzler und Außenminister lobt jetzt den Verzicht auf den bundesweit größten Luft-Boden-Schießplatz gegenüber dpa als »Sieg der Vernunft«. Er freue sich »mit den Menschen in der Prignitz und in Mecklenburg-Vorpommern über das Aus für das Bombodrom«. Für die Entwicklung der ganzen Region gebe es jetzt eine sichere Perspektive. Auf die Nutzung des Übungsplatzes zu verzichten, sei »sachlich richtig und notwendig«, konzedierte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Bernd Siebert.

Gregor Gysi, Chef der Bundestag-Linksfraktion, betonte vor allem, dass »der Versuch, ein sinnloses Bombodrom im Osten Deutschlands anzusiedeln, gescheitert ist«. Er dankte auch den Gerichten, die den Bürgerinnen und Bürgern Schritt für Schritt zum Recht verhalfen. Und er mahnte: Die Regierung sollte deutlich stärker an Abrüstung und deutlich weniger an Bombodrome denken. Der verteidigungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Winfried Nachtwei, betonte, der Verzicht auf das »Bombodrom« schaffe endlich Klarheit für die strukturschwache Region.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) unterstrich, der Erfolg zeige, dass es sich lohne, in einem Rechtsstaat für sein Anliegen zu kämpfen. Auch Platzecks Regierungschef-Kollege und Parteifreund Erwin Sellering aus Schwerin bezeichnete das Aus für das sogenannte Übungsfeld als eine wahrhaft gute Nachricht für die Region. »Das ist ein riesiger Erfolg für die Bürgerinitiativen. Diese Ausdauer dürfte einmalig in Deutschland sein.«

Doch Ruhe in Brandenburg bedeutet nicht, dass das Militär den Rückzug angetreten hat. Gerade die Deutsche Luftwaffe wird mit modernstem, global einsetzbarem Gerät versehen. Neben der weiteren Ausstattung mit Eurofightern sowie Kampf- und Transporthubschraubern arbeitet man an der Verbesserung der Verlegefähigkeiten. Jüngst übernahm die Truppe mobile Gefechtsstände.

Gestern betonte Verteidigungsminister Jung, der jetzt beschlossene Verzicht gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Revision einzulegen, bedeute keine Anerkennung der Urteilsbegründung oder der Kritik der Gegner des Truppenübungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide. »Es wird in materieller Hinsicht weder den Kritikern noch dem Urteil recht gegeben«, betonte der CDU-Politiker.

Jung, so empörte sich die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger, sei dem Parlament eine Erklärung dafür schuldig, warum sein Ministerium trotz angeblich überarbeiteter Übungskonzeption bis zuletzt den Übungsplatz als zwingend notwendig bezeichnet hat. Für die dilettantische Arbeit des Ministeriums haben die Steuerzahler in den letzten 15 Jahren rund 600 000 Euro allein an Prozesskosten aufbringen müssen. Rausgeschmissenes Geld, das die Bundeswehr dringend an anderer Stelle gebraucht hätte.

Nach dem Aus für das »Bombodrom« in Brandenburg fordert nun der Landrat von Kelheim (Bayern), Hubert Faltermeier (Freie Wähler), ein Ende auch für den Bombenabwurfplatz beim niederbayerischen Siegenburg. Nordhorns Bürgermeister Meinhard Hüsemann (SPD) forderte die Schließung des dortigen Übungsplätzes, weil eine Entlastung nun ausbleibe.


Das sogenannte Bombodrom wurde seit Beginn der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der Sowjetarmee zu einem Luft-Boden-Übungsplatz ausgebaut. Nach der Wende und dem Ende des Kalten Krieges hoffte man auf eine Friedensdividende. Doch der Erfolg brauchte lange:
  • 30. Juni 1992: Das Verteidigungsministerium stellt Truppenübungsplatz-Konzept vor.
  • 23. August 1992: Gründung der brandenburgischen Bürgerinitiative »FREIe HEIDe« für eine zivile Nutzung des Geländes.
  • 1993: Der Bund wird Rechtsnachfolger des zuvor von der Sowjetarmee genutzten Geländes, die CDU/FDP-Koalition beschließt die militärische Weiternutzung.
  • 24. März 1999: Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) gibt Klagen von Gemeinden, Anwohnern und der Kirchengemeinde Recht, die Flächen zurückgefordert hatten.
  • 14. Dezember 2000: Das Bundesverwaltungsgericht untersagt die militärische Nutzung.
  • 2002: In Mecklenburg-Vorpommern gründet sich die Bürgerinitiative »Freier Himmel«.
  • 26. Mai 2004: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse werden rund 19 000 Unterschriften gegen den Übungsplatz überreicht.
  • 29. Dezember 2004: Die Bundeswehr unterliegt erneut. Vor einer Entscheidung über die militärische Weiternutzung hätten laut OVG Frankfurt (Oder) Anliegergemeinden angehört werden müssen.
  • 1. Juni 2005: Ein von SPD-, Grünen- und PDS-Abgeordneten initiierter Gruppenantrag zum sofortigen Verzicht auf die militärische Nutzung wird in mehreren Bundestagsausschüssen von der Union und von SPD-Vertretern abgelehnt.
  • 31. Juli 2007: Das Potsdamer Verwaltungsgericht gibt Musterklagen gegen das »Bombodrom« statt.
  • 30. November 2007: Ein Bericht des Bundesrechnungshofes wird bekannt, in dem dieser den Verzicht auf das umstrittene »Bombodrom« fordert.
  • 2. Mai 2008: Die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern lehnen die Bundeswehr-Pläne ab.
  • 27. März 2009: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg untersagt die militärische Nutzung.
  • 2. Juli 2009: Der Bundestag spricht sich gegen den geplanten Luft-Boden-Schießplatz aus.
  • 9. Juli 2009: Verteidigungsminister Jung gibt den Verzicht bekannt.


* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009


Der Pfarrer, der Sprecher, der Glückliche

Benedikt Schirge sprach für die "Freie Heide"

Von Andreas Fritsche **

Als der Theologe Benedikt Schirge 1990 mit seiner Familie von Ostberlin ins Pfarrhaus von Zühlen zog, ahnte er nicht, was ihn dort erwartete: Fast zwei Jahrzehnte Kampf um die friedliche Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs. Zunächst wusste der evangelische Pfarrer nicht einmal, dass es in der Gegend einen riesigen Truppenübungsplatz gab, der zu dieser Zeit noch von den sowjetischen Streitkräften genutzt wurde.

Benedikt Schirge avancierte zum Sprecher der Bürgerinitiative »Freie Heide« und er hielt auf diesem Posten auch aus, als die evangelische Kirche die Pfarrstelle in Zühlen streichen musste. Anstatt Schirge zu versetzen, stellte die Kirche ihn aber für die Friedensarbeit frei. Fortan lebte er von Spenden.

Man darf, man muss Benedikt Schirge das Gesicht des Widerstands nennen. Er hat die Öffentlichkeitsarbeit immer wieder angekurbelt. Eigentlich wollte er damit jedoch nie im Mittelpunkt stehen. Fast unangenehm schien es es ihm deshalb im vergangenen Jahr zu sein, vom Land Brandenburg den Roten Adlerorden anzunehmen. Er sei bloß herausgepickt worden, weil dieser Orden nun einmal nur an Einzelpersonen vergeben werde, und er betrachte dies als Auszeichnung für die gesamte Bürgerinitiative, erklärte der damals 46-Jährige.

Schirge ging seinerzeit davon aus, dass sich die »Freie Heide« irgendwann durchsetzt – wenn die Bombodrom-Gegner durchhalten. Sie haben durchgehalten. Ende Mai 2009 versicherte Benedikt Schirge im ND-Interview: »Wir werden die Heide frei bekommen. Es wäre schön, wenn es noch in diesem Sommer passiert, aber es geschieht auf jeden Fall.« Rechtsanwalt Rainer Geulen, dessen Kanzlei die Bombodrom-Gegner seit 1994 vertritt, verwies kürzlich auf 27 Urteile, die Niederlagen für die Bundeswehr darstellten. Geulen äußerte: »Ich glaube, es ist jetzt Schluss« und »Das Bombodrom ist tot.«

Am Donnerstag – endlich – war es soweit. Der CDU-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung machte wahr, was ein SPD-Politiker Rudolf Scharping einst versprochen, aber dann nicht gehalten hatte, als er in der rot-grünen Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder den Posten des Verteidigungsministers erhalten hatte. »Es ist der Tag, auf den wir lange hin gelebt und gearbeitet haben«, freute sich Schirge gestern.

** Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009

Kyritz-Ruppiner Heide bleibt Tiefflugfrei

Berlin, 10. Juli 2009

pax christi begrüßt den gestern vom Verteidigungsminister bekannt gegebenen Verzicht auf die militärische Nutzung der brandenburgischen Kyritz-Ruppiner Heide

„Ich bin sehr erleichtert und froh über die längst überfällige Entscheidung, die Bombodrom-Pläne fallenzulassen. Besonders freut mich, dass die Demokratie sich in dieser Frage bewährt hat: Proteste von Bürger/innen und die Petition ans Parlament haben die Unterstützung durch den Deutschen Bundestag erreicht und jetzt endlich auch den Verteidigungsminister überzeugt.“ erklärt die pax christi Generalsekretärin, Christine Hoffmann, heute in Berlin.

„Das Üben von Raketenabwürfen im Tiefflug hat keinen Rückhalt in der Bevölkerung – das muss von der Politik ernst genommen werden. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass die Bundeswehr das Angreifen mit Bomben und Bordkanonen aus dem Tiefflug heraus weiter üben will - allerdings jetzt im Ausland. Da klingt das Motto: aus den Augen aus dem Sinn an – so leicht sollten wir es uns alle nicht machen.“ betont Hoffmann.

pax christi wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass nun auch der zweite Teil der Kernaussage der FREIen HEIDe eingelöst wird: Kein Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide UND AUCH NICHT ANDERSWO.

Für die Kyritz-Ruppiner Heide selbst müssen neue Perspektiven entwickelt werden, da das Gelände mit Munitionsresten der Sowjetarmee stark belastet ist.

Alle, die mit uns diesen Erfolg feiern wollen, können am Sonntag, den 12.07.2009 um 14.00 Uhr nach Sewekow bei Wittstock zur 113. Protestwanderung der FREIEn HEIDe gegen das Bombodrom kommen (hier ein Link mit einer Karte, um den Ort zu finden: http://www.m-vp.de/karten/verkehr5.htm).




"Fell erst verteilen, wenn der Bär erlegt ist"

Kirsten Tackmann (DIE LINKE) über den Verzicht, die Heide zum Bombenabwurfplatz auszubauen. Interview ***

Kirsten Tackmann (48) ist stellvertretende Landesvorsitzende der Linkspartei in Brandenburg und Abgeordnete im Bundestag.

ND: Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) verzichtet auf den Ausbau der Kyritz-Ruppiner Heide zum größten Luft-Boden-Schießplatz der Bundeswehr. Haben Sie das erwartet oder mit weiterem Drängen der Bundeswehr gerechnet?

Tackmann: Erwartet habe ich das nicht unbedingt. Ich habe es aber gehofft und empfand den Verzicht als längst überfällig. 17 Jahre Widerstand gegen das Militärprojekt müssen die politisch Verantwortlichen irgendwann zur Kenntnis nehmen. Insofern freue ich mich natürlich für alle Betroffenen in der Region.

Gibt es die Möglichkeit, dass die Bundeswehr das Gelände anderweitig nutzt?

Theoretisch ist das möglich, da sich die Proteste vor allem gegen die Tiefflüge und die Bombenabwürfe richteten. Ich aber plädiere dafür, dass das Gelände endlich den Menschen der Region zurückgegeben wird und eine friedliche Zukunft hat.

Wer übernimmt jetzt die Altlastenentsorgung? Schließlich lagert in der Heide noch immer Munition aus Beständen der Sowjetarmee.

Es wäre ein Skandal, wenn der Region jetzt ein munitionsverseuchtes Gelände zurückgegeben wird. Darum fordere ich, dass der Bund die Entsorgung der Altlasten übernimmt. Das Verteidigungsministerium kann sich nicht damit rausreden, dass es über keine Mittel verfügt, denn die sind bekanntlich vorhanden.

Auch die Tourismusbranche beteiligte sich an den Protesten gegen den Bombenabwurfplatz. Was aber muss neben Investitionen in den Tourismus passieren, um die Region wirtschaftlich voranzubringen?

Der Tourismus ist wichtig, aber darüber hinaus müssen auch Arbeitsplätze in anderen Branchen geschaffen werden. Ich fordere seit Langem, dass wir Perspektiven für die ländlichen Räume insgesamt schaffen müssen. Dazu gehört die Stärkung des kleinen und mittelständischen Gewerbes, dazu gehören mehr öffentliche Aufträge und dort, wo soziale und andere Dienstleistungen durch den Staat geleistet werden müssen, ein öffentlicher Beschäftigungssektor. Auch die Stärkung der Landwirtschaft, die gerade unter großem Druck steht, ist aus meiner Sicht dringend erforderlich.

Wie kann Ihrer Meinung nach eine zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide aussehen?

Es gibt eine Vielfalt von Ideen, so dass an dieser Frage die Zukunft des Bombodroms auf keinen Fall scheitern wird. Lasst uns zu gegebener Zeit mit allen Beteiligten vor Ort demokratisch über die Verwendung des Geländes entscheiden. Wir sollten das Fell erst verteilen, wenn der Bär wirklich erlegt ist.

Fragen: Christian Klemm

*** Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009


Feiern für mehr

Von René Heilig ****

Lasst uns feiern! Hoch soll sie leben, die Demokratie, die den Erfolg der vielen Heide-Davids gegen den Bundes-Goliath möglich gemacht hat. So wird die nun bald militärfreie Kyritz-Ruppiner Heide immer ein Symbol sein für das, was viele erst in Wendezeiten gelernt haben – und was dann nur allzu schnell untergepflügt wurde. Wir sind das Volk!

Es liegt nun an den Siegern, was aus dem Gebiet wird. Von Tourismus allein wird man nicht leben können. Also ist der Bund, der so lange die Entwicklung verhindert hat, zur Wiedergutmachung aufgerufen. Auch die umliegenden Landesregierungen sind in der Pflicht, mehr in die Heide zu bringen als Wahlkampf-Plakate.

Die Welt ist – bei allem Respekt für die Rebellen – letztlich jedoch nur um 142 Quadratkilometer friedlicher geworden. Bundeswehr und NATO haben verzichtet, weil sie andere Möglichkeiten haben, Soldaten für Kriege zu drillen und auf den Tod – den eigenen wie den von tausenden Unschuldigen – vorzubereiten. Zielstrebig hat die Luftwaffe ihre Übungsbasen in den USA erweitert, einen multinationalen Manöver-Korso durch Europa organisiert. Die Generale lassen sogar schon gemeinsam mit der Marine den scharfen Schuss vor Südafrika trainieren. Und nichts ist lehrreicher als der Einsatz selbst. Deutsche Piloten fliegen in Afghanistan: Noch »nur« als Aufklärer und in leitender Funktion unterm AWACS-Pilz.

Nach dem Feiern bleibt viel zu tun. Auch für den eigenen Frieden.

**** Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2009


Bundeswehr kapituliert

Von Jana Frielinghaus *****

Es war ein Rückzug mit Ansage. Bereits zu Pfingsten hatten mehrere Zeitungen unter Berufung auf »hochrangige CDU-Politiker« berichtet, das Bundesverteidigungsministerium werde noch vor der Bundestagswahl seine Pläne aufgeben, das »Bombodrom« als Luft-Boden-Schießplatz zu nutzen. Nun ist es endgültig klar: Die Bundeswehr verzichtet auf die geplante militärische Nutzung des 142 Quadratkilometer großen Areals in Nordbrandenburg. Seit 1994 hatten sich Bürgerinitiativen aus der Mark, aber auch aus den angrenzenden Regionen Mecklenburg-Vorpommerns nicht nur mit Ostermärschen und anderen Aktionen, sondern insbesondere vor Gericht gegen das »Bombodrom« gewehrt.

Nach 27 juristischen Niederlagen der Bundeswehr räumte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am Donnerstag ein, man habe anerkennen müssen, daß »eine Realisierung von Wittstock für die Bundeswehr nicht mehr möglich ist«. Die Luftwaffe werde die auf dem Gelände des bis 1992 von der sowjetischen Armee genutzten Tiefflugübungs- und Bombenabwurfplatzes geplante Pilotenausbildung nun ins Ausland verlagern.

Jung betonte, der Verzicht auf Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg – es hatte zugunsten der »Bombodrom«-Gegner entschieden – bedeute keine Anerkennung der Urteilsbegründung oder der Kritik der Kläger. Zuletzt hatte das OVG im März in drei Berufungsverfahren beschlossen, daß die Bundeswehr das Areal weiterhin nicht nutzen darf. Eines der Urteile lag dem Verteidigungsministerium seit einigen Wochen zur Bewertung vor. Es hätte bis zum 13. Juli Zeit gehabt, Revision einzulegen. Anfang Juli hatte sich aber bereits der Petitionsausschuß des Bundestages für den Verzicht ausgesprochen.

Nach den Plänen des Militärs sollte es auf dem Areal unter anderem rund 1700 Einsätze mit bis zu 10000 Tiefflügen pro Jahr geben. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, erklärte unterdessen, daß bereits jetzt ohnehin 75 Prozent der Flugübungen der Luftwaffe im Ausland stattfinden, insbesondere auf deren sardischem Stützpunkt sowie in deren Ausbildungskommandos in den USA und in Kanada.

Jung hob hervor, daß mit dem Verzicht auf das Gelände bei Wittstock die beiden anderen Bundeswehrübungsplätze in Westdeutschland – Nordhorn in Niedersachsen und Siegenburg in Bayern – »dauerhaft« gesichert werden müßten. Dagegen erklärte der CDU-Abgeordnete und parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Hermann Kues, die Entscheidung gegen Wittstock bedeute, daß auch Nordhorn »auf kurz oder lang als Luft-Boden-Schießplatz aufgegeben wird«.

Die Bürgerinitiative »Freie Heide«, die die Proteste gegen das »Bombodrom« angeführt hatte, nahm die Nachricht aus Berlin mit großem Jubel auf. Für den 12. Juli hatte die Organisation zu ihrer 113. Protestwanderung aufgerufen. Nach der Ministeriumsentscheidung werde diese »zu einem Fest umfunktioniert«, sagte Sprecher Benedikt Schirge. Feiern will die Initiative auch am 23. August noch einmal. An diesem Tag vor 17 Jahren hatte sie sich gegründet.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) begrüßte Jungs Erklärung ebenso wie mehrere CDU-Landespolitiker und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). Solange die SPD im Bund regierte, war etwa deren Verteidigungsminister Peter Struck nie auch nur einen Millimeter vom »Bombodrom«-Vorhaben abgerückt.

***** Aus: junge Welt, 10. Juli 2009


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