Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mit der Mehrheit im Rücken

Protest gegen Krieg in Afghanistan am Samstag

Von Christian Klemm *

Die Abstimmung im Bundestag über mehr Soldaten für Afghanistan ruft die Friedensbewegung auf den Plan.

Die Friedensbewegung mobilisiert für den kommenden Samstag (20. Feb.) zu Protesten nach Berlin. Hintergrund ist die Bundestagsabstimmung am 26. Februar über die Verlängerung des Bundeswehr-Mandats für Afghanistan und die Erhöhung der Mandatsobergrenze des Truppenkontingents. Das Mandat soll um zwölf Monate verlängert, das Kontingent um 850 auf 5350 Soldaten erhöht werden. Unter dem Motto »Kein Soldat mehr!« sind Aktionen auf dem Bebelplatz, am Brandenburger Tor und am Reichstag geplant. Außerdem wird eine Demonstration durch die Berliner Innenstadt ziehen. Unterstützt wird der Protest von Friedensgruppen, Parteien und politischen Organisationen, darunter die LINKE, die Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschisten.

Die Friedensbewegung habe die Mehrheit der Deutschen auf ihrer Seite, sagte Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag am Dienstag vor Journalisten. Laut einer aktuellen ARD-Umfrage seien mehr als 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Aufstockung. »Außerdem wollen 71 Prozent der Deutschen den schnellstmöglichen Abzug der Truppen aus Afghanistan.«

Strutynski zog eine kritische Bilanz des bisherigen Krieges am Hindukusch, der mit einem Mandat der Vereinten Nationen ausgestattet ist. Die Situation der Frauen sei nicht besser geworden, Hunger und Armut hätte »erschreckende Ausmaße« angenommen. Außerdem sei nach Ansicht des Kasseler Politikwissenschaftlers der Analphabetismus in Afghanistan höher als vor dem Einmarsch der internationalen Truppen Ende 2001. »›Fortschritte‹ gibt es dafür im Mohnanbau und in der Korruption«, so Strutynski.

Dass die aktuelle Offensive der NATO im Süden des Landes zunächst zivile Opfer forderte, sei symbolisch für den mehr als acht Jahre andauernden Krieg, meinte Reiner Braun, Sprecher der Kooperation für den Frieden. Von der Ankündigung der US-Amerikaner, die Bevölkerung zu schonen, könne überhaupt keine Rede sein. »Wie die Offensive vor sieben Monaten wird auch diese scheitern«, prognostiziert Braun.

Informationen zur Demonstration unter www.afghanistandemo.de

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2010


SPD hält die Stellung

Von Rüdiger Göbel **

Wie erwartet werden die 146 SPD-Abgeordneten im Bundestag in der kommenden Woche mehrheitlich für die Entsendung weiterer Soldaten nach Afghanistan stimmen. Parteichef Sigmar Gabriel wollte am Dienstag in Berlin zwar den in der Süddeutschen Zeitung genannten Umfang von »etwa zwei Dutzend« Nein-Stimmen nicht bestätigen. Er sagte aber: »Unsere Haltung war von Anfang an nicht auf Nein angelegt.« Zwar tönten die Sozialdemokraten vor drei Wochen auf ihrer Afghanistan-Konferenz im Willy-Brandt-Haus noch anders. Doch Gabriel legt Einzelheiten des neuen Mandats einfach als Entgegenkommen der schwarz-gelben Bundesregierung aus. Konkret spricht der SPD-Vorsitzende vom »Verzicht auf zusätzliche Kampftruppen« oder die »Festlegung auf eine Abzugsperspektive«.

Die SPD-Fraktion will in ihrer Sitzung am kommenden Dienstag über die Truppenverstärkung abstimmen, das Parlament wird voraussichtlich am 26. Februar über die Regierungsvorlage entscheiden. Diese sieht eine Aufstockung um 850 auf 5350 deutsche Soldaten vor. Ein konkreter Abzugs­termin wird nicht genannt. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wollen auch Grünen-Abgeordnete für die Aufrüstung am Hindukusch stimmen. Das ist insofern konsequent, als die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder Deutschland 2001 in den Afghanistan-Krieg geführt hat.

»Mit ihrem Ja zu weiteren Kampftruppen für Afghanistan bleibt die SPD Kriegspartei«, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken. »Die Bundesregierung hält ein Stöckchen hin, und die SPD springt drüber – das Stöckchen sind in diesem Fall 850 weitere Kampftruppen, die als Ausbilder und Schutztruppen präsentiert werden.« Damit bleibe die SPD auch in der Opposition Teil der Kriegswilligenkoalition. Notwendig sei ein Abzug der Besatzungstruppen als Voraussetzung für eine Waffenruhe und einen anschließenden Friedensprozeß. Diese Forderung will die Antikriegsbewegung am kommenden Samstag (20. Feb.) mit einer bundesweiten Protestaktion (»Die-in« vor dem Brandenburger Tor) untermauern.

Die Besatzer bleiben derweil unter Beschuß. Ein nichtöffentlicher Report des Einsatzführungstabes im Bundesverteidigungsministe­rium schätzt »die Bedrohung in Afghanistan« als »insgesamt erheblich« ein. Laut jüngstem Wochenbericht »UdP 06/2010« hat die NATO im Zeitraum 1. bis 7. Februar »landesweit 272 Sicherheitsvorfälle« registiert, etwa 40 pro Tag. Im einzelnen listet die mit dem Sperrvermerk »VS – Nur für den Dienstgebrauch« versehene »Unterrichtung des Parlaments« für die fünfte Kalenderwoche auf: 178 Schußwechsel und Gefechte, 55 Sprengstoffanschläge, darunter zwei Selbstmordattentate, sowie »39 Vorfälle von indirektem Beschuß (Mörser und Raketen)«. Insgesamt seien bei den »Vorfällen« neun Besatzungssoldaten gestorben, weitere 35 seien verwundet worden. Eine ganz normale Kriegswoche, ähnlich hoch liegen die Zahlen für die Januarwochen und die in den Monaten davor. In den hiesigen Medien werden bestenfalls zehn Prozent der Kämpfe gemeldet, in aller Regel, wenn NATO-Soldaten dabei zu Schaden kommen.

Am Dienstag (16. Feb.) meldete die ­NATO, bei der Großoffensive in der südafghanischen Provinz Helmand (Bedrohungslage für die Besatzer »hoch«) seien drei Zivilpersonen getötet worden. Am Sonntag waren zwölf Zivilisten durch Raketenbeschuß gestorben. Unter den Toten sind sechs Kinder. Am Montag wurden bei einem Luftangriff in der benachbarten Provinz Kandahar fünf Zivilisten getötet.

** Aus: junge Welt, 17. Februar 2010


"Man muß jetzt gegen den Krieg auf die Straße"

Am Samstag (20. Feb.) findet in Berlin eine Demo gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr statt. Ein Gespräch mit Lühr Henken. ***

Schon jetzt ist ausgemacht, daß der Deutsche Bundestag am 26. Februar mit überwältigender Mehrheit das neue Afghanistan-Mandat der Bundeswehr absegnen wird. Wozu dann überhaupt noch demonstrieren?

Weil wir davon ausgehen, daß der Krieg weiter eskaliert und seine Kosten explodieren werden. US-Präsident Barack Oba­ma will demnächst dreimal so viele Soldaten am Hindukusch stationieren wie sein Amtsvorgänger. Aber auch dann wird es keinen militärischen Sieg geben, statt dessen werden das Chaos im Land und das Leid der Bevölkerung noch zunehmen. Außerdem droht ein Flächenbrand in der ganzen Region, der Krieg hat sich ja bereits auf das benachbarte Pakistan ausgeweitet. Deswegen muß man jetzt auf die Straße – selbst für den wahrscheinlichen Fall, daß der Bundestag dem Mandat zustimmt.

Dieses sieht eine Aufstockung der Truppen um bis zu 850 Soldaten vor. Ihre Einschätzung?

Das entspricht einer Erhöhung um rund 20 Prozent – das ist erheblich. Andererseits bleibt das militärische Engagement Deutschlands gemessen an der Gesamtzahl der ausländischen Besatzer marginal. Der deutsche Beitrag ist vornehmlich ein politischer, der dem Zweck dient, dem sogenannten Krieg gegen den Terror Legitimation zu verschaffen. Würde Berlin aus der Kriegsfront ausscheren, könnte das den US-geführten NATO-Krieg als Ganzes in Frage stellen. Und deshalb müssen wir innenpolitisch weiter Druck machen.

Sie mobilisieren bundesweit nach Berlin. Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie am Samstag?

Das läßt sich im voraus schwer beziffern. Es hängt auch von der Mobilisierung in den letzten Tagen ab. Eine Rolle spielt leider auch das strenge Winterwetter und mehr noch die zeitliche Nähe zur Blockade des Neonaziaufmarschs in Dresden. Die Mitglieder der Friedensbewegung waren an den erfolgreichen Aktivitäten am vergangenen Wochenende in großer Zahl beteiligt. All diese Menschen nur eine Woche später nach Berlin zu bewegen, ist nicht leicht. Sicherlich ist dieser Termin nicht »unser Termin«.

Die Bevölkerung ist seit langem mehrheitlich gegen den Krieg – aber die sogenannten Volksvertreter scheren sich nicht darum. Ist es nicht vor allem das, was die Leute demotiviert?

Ganz bestimmt, und das nicht nur bei der Frage Krieg und Frieden. Heutzutage ist es fast schon normal, daß »die da oben« gegen den Willen und die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Politik machen. Das schwächt nachhaltig die Demokratie und entmutigt auch, für die eigenen Belange zu kämpfen.

Was sagen Sie dazu, daß die SPD-Fraktion – obwohl in der Opposition – mehrheitlich für das neue Afghanistan-Mandat stimmen will, ebenso wie Teile der Grünen?

SPD und Grüne sind noch nicht in der Opposition angekommen. Die SPD sitzt nach wie vor im Kriegsboot. Zwar gibt es bei jedem Votum mehr Neinstimmen in beiden Fraktionen, aber eine grundsätzliche Wende ihrer Politik ist noch nicht erkennbar. Die Zahl der Nein-Stimmen nimmt nur schleppend zu. So wirkt man nicht auf ein zügiges Ende des Krieges hin.

Halten Sie das für einen Ausdruck von eiserner Fraktionsdisziplin, oder sind die meisten eben doch Überzeugungstäter?

Ich glaube, innerhalb der SPD hält der größte Teil am Krieg aus Überzeugung fest. Bei den Grünen ist schon ein stärkeres Nachdenken erkennbar.

Ein Argument der Friedensbewegung lautet, der Krieg nach außen finde seine Entsprechung in Sozialabbau und Repression im Inneren. Ist diese Botschaft in der Bevölkerung angekommen?

Leider nicht im notwendigen Umfang. Binnen nur eines Jahres sind die Kosten für den deutschen Afghanistan-Einsatz um rund 85 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro gestiegen. Für nichts sonst – abgesehen von der sogenannten Bankenrettung – werden die Ausgaben so exorbitant gesteigert. Zugleich wird im Sozialbereich ohne Unterlaß gekürzt. Jeder einzelne Euro kann aber nur einmal ausgegeben werden, und hierzulande fällt die Wahl immer häufiger auf den Krieg. Diesen Zusammenhang müssen wir noch deutlicher machen.

Demotermin: 20. Februar, 13 Uhr, Bebelplatz in Berlin-Mitte.
Infos im Internet: www.afghanistandemo.de

Interview: Ralf Wurzbacher

*** Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitorganisator der Demonstration »Kein Soldat mehr! Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan!« am Samstag in Berlin.

Aus: junge Welt, 17. Februar 2010



Zurück zum Dossier "Truppen raus aus Afghanistan!"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Presse-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage