Bush-Nachlese I: Was sagen die Meinungsumfragen?
Eine Analyse von Dietmar Wittich
Unter dem Titel "Grollen im Container" veröffentlichte die Wochenzeitung "Freitag" am 31. Mai eine Auswertung verschiedener Umfragen, die von Meinungsforschungsinstituten anlässlich des Bush-Besuchs in Deutschland durchgeführt wurden. Wir dokumentieren Teile aus dem Bericht. Wer an den Grafiken interessiert ist, sollte sich die Zeitung besorgen (Kiosk) oder im Internet unter www.freitag.de den entsprechenden Artikel ansehen. Von Dietmar Wittich hatten wir im März 2002 schon eine sehr informative Medienanalyse über die öffentliche Meinung zum Afghanistan-Krieg veröffentlicht (siehe "Anhaltender Krieg und bleibende Skepsis" veröffentlicht.
Überwiegend mit generöser Herablassung wurden die
Demonstrationen vor und während des
Bush-Besuchs in Deutschland von den meisten
Medien bedacht. An eine Vermittlung von
Argumenten des friedvollen und phantasiereichen
Protestes der mehr als 80.000 Menschen
in Berlin zum Beispiel war nicht gedacht. Allein
die Frage nach gewalttätigen Ausschreitungen
trieb Moderatoren und Kommentatoren um, kaum oder
gar nicht hingegen die Frage nach dem
aktuellen Meinungsbild zum Anti-Terror-Krieg.
Im Unterschied zu seinem Amtsvorgänger Bill
Clinton blieb US-Präsident George Bush bei
seinem Besuch in Berlin ein Bad in der Menge
versagt", so eine öffentlich-rechtliche
Feststellung im Rückblick. An der "Menge" hat das
nicht gelegen, die war anwesend und
hatte sich sogar wiederholt getroffen. Aber ihr
und dem Präsidenten ging es wie den
Königskindern - sie konnten zueinander nicht
kommen. Das musste auch jenes
kümmerliche Häufchen von Bush-Fans erfahren, das
sich gemäß Aufruf der Jungen Union
(JU) am Checkpoint Charlie zu einem
Welcome-Meeting traf.
Während des Bush-Besuchs war Berlin wieder eine
geteilte Stadt: Hier das Quartier rund
um das Regierungsviertel festungsartig
abgeriegelt, eine Geisterstadt, die sich von 11.000
Polizisten schützen ließ - dort schon am Vorabend
der Staatsvisite mehr als 80.000
Demonstranten, die aus allen Teilen des Landes
kamen, um kund zu tun, dass sie den
"Krieg gegen den Terrorismus" nicht gutheißen. In
dieser Szenerie schien eine Symbolik zu
liegen, bei der sich vor allem mit Blick auf die
Bundestagswahl die Frage stellte: Welches
Meinungsbild steht dahinter?
Am 21. Mai, einen Tag vor dem Besuch, sind
deshalb in einer repräsentativen Erhebung die
Meinungen in Deutschland zu den Protesten gegen
Präsident Bush untersucht worden. 59
Prozent der Befragten gaben an, sie hätten für
die Demonstranten kein Verständnis, 37
Prozent erklärten, sie könnten deren Motive
nachvollziehen, stimmten ihnen also mehr oder
weniger zu. Die Unterschiede zwischen West und
Ost waren dabei gering.
Alles wie gehabt, könnte man meinen, die
herrschende Politik kann sich auf eine leichte
Mehrheit stützen, aber auch die Gegner haben
starke Positionen. Doch der Anteil derer, die
Demonstrationen gegen die Politik von Bush
richtig finden, liegt deutlich unter dem der
Gegner des Einsatzes militärischer Gewalt
allgemein und in Afghanistan im Besonderen -
diese Quote schwankt in Deutschland zwischen 42
und 46 Prozent. Nun ist kaum
anzunehmen, dass ein persönliches Erscheinen von
Bush massenhaft Kriegsgegner in
Befürworter verwandelt, eher ist zu vermuten:
Erhebliche Teile der Gegner von militärischer
Gewalt sehen in politischen Aktionen offenbar
keinen Sinn mehr, haben also faktisch
resigniert. Ohnehin misst eine große Mehrheit der
Deutschen den Demonstrationen gegen
Bush offenkundig kein großes Gewicht zu. Nahezu
80 Prozent sind der Meinung, dass sich
dadurch die Beziehungen zu den USA nicht
verschlechtern werden.
Bezogen auf die USA haben wir es in der
herrschenden Mediengesellschaft gegenwärtig mit
einem doppelten Reduktionismus zu tun. Die
Politik der USA, die natürlich sehr vielgestaltig
und komplex ist, wird zum einen vorzugsweise auf
den "Krieg gegen den Terrorismus"
reduziert, und sie wird zum anderen mit der auf
Bush bezogenen Personifizierung zusätzlich
reduziert. Die "Neuen Kriege" und Bush werden
identifiziert - und zwar bei Freund und
Feind.
Unmittelbar nach seinem Amtsantritt als neuer
Präsident erreichte George W. Bush in
Europa, wo er als Eiferer der Todesstrafe bekannt
war, keinesfalls ermutigende Noten. Die
Merkwürdigkeiten bei der Stimmenauszählung nach
den Präsidentschaftswahlen im
November 2000 wirkten nach, Bushs Wahlsieg war
mit Zweifeln behaftet. Dann aber geriet
der Tag der Terroranschläge von New York und
Washington auch zum Tag des George W.
Bush - damit begann eine inszenierte
Identifizierung von Person und Politik, auch wenn
zunächst noch viel Skepsis vorherrschte. In den
ersten Tagen nach den Attentaten waren 45
Prozent der Deutschen der Auffassung, Bush leiste
als Präsident eine gute Arbeit, 34
Prozent meinten, er mache sie schlecht, und 21
Prozent hatten keine Meinung. In den
Tagen unmittelbar vor dem Berlin-Besuch wirkte
das Meinungsbild erheblich heterogener.
Bushs Akzeptanz in Deutschland schien deutlich
gestiegen: 54 Prozent billigten ihm
nunmehr eine gute Arbeit zu. Aber auch mehr als
zuvor, nämlich jetzt fast 38 Prozent,
bewerteten sein Agieren negativ (und damit die
gegenwärtige Politik der USA ).
Die Gründe für diesen Trend liegen auf der Hand.
Die Anschläge vom 11. September 2001
sind nicht nur in den USA, sondern insgesamt in
den kapitalistischen Metropolen von vielen
als Zeichen neuer Bedrohungen verstanden worden.
Diese Erfahrung stößt auf eine
Situation allgemeiner ökonomischer und sozialer
Verunsicherung. Dadurch werden rationale
Diskurse über Ursachen und nötige politische
Umsteuerungen blockiert. Festungsmentalität
grassiert: "Wir" und "Sie" lautet die Formel,
bedient von einem ins Rechtspopulistische
driftenden Zeitgeist. Die Festung "Westliche
Welt" ruft nach Abschottung und Schutz, Krieg
erscheint als Verteidigung der Festung. Dank der
Identifizierung von Person und Politik
mutiert die dubiose Figur Bush so zum
Hoffnungsträger. Die 37 Prozent der Deutschen, die
den Protest und den Widerstand gegen das neue
Weltpolizistentum für richtig und
notwendig halten, vertreten eine
Minderheitenposition. Sie murren und grollen in der
Festung. Noch gilt das nicht als
Wehrkraftzersetzung, aber es fehlt nicht mehr viel.
Ohne Grafiken entnommen aus: Freitag 23, 31. Mai 2002
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