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Bush-Nachlese II: Mehr als ein Achtungserfolg!

Peter Strutynski in einem Interview über die Friedensbewegung, die Jugend und die Ungeduld eines Hochschullehrers

Das Interview mit Peter Strutynski, das Wera Richter für die Wochenzeitung "unsere zeit" führte, wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.


Frage: Anlässlich des Bush-Besuches in Berlin hatte die Friedensbewegung bundesweit für den 21. Mai und regional für den 22. Mai zur "Achse des Friedens" mobilisiert. Am Tag der Anreise von Bush sollten die Zeitungen voll sein mit den Antikriegs-Protesten. Ist das Konzept aufgegangen?

Peter Strutynski: Zunächst einmal ist das Konzept der bedingungslosen Bush-Freunde nicht aufgegangen. Die politische Klasse in Berlin war im Vorfeld des Bush-Besuchs merklich nervös geworden. Einerseits wusste sie nicht, was seitens der Friedensbewegung tatsächlich mobilisiert werden konnte, andererseits redete sie vorsorglich schon einmal Gewalt und Randale herbei, um friedliche Kritiker abzuschrecken und den Protest in ein schiefes Licht zu rücken. Es hat nicht viel genützt. Unser Konzept bestand darin, dem Protest gegen die US-Politik - um die Person Bush ging es eigentlich überhaupt nicht, obwohl sich der Name für allerlei Wortspiele gut eignete - eine machtvolle und friedliche Stimme zu verleihen: auf der Straße und in den Medien. Und in der Tat: Am Tag, als Bush über Berlin einschwebte, waren die Medien beherrscht sowohl von diesem Ereignis als auch von den Antikriegs-Protesten. Eine positive Wirkung hatte dies auch in den Fällen, in denen weniger auf die Inhalte unserer Kundgebung und mehr auf den friedlichen Charakter des Protestes abgehoben wurde.

Frage: Etwas verwirrend waren die Differenzen der Teilnehmerzahlen vom 21. Mai. Die Presse hielt sich streng an die 17.000 von der Polizei gezählten. Die Veranstalter sprachen von über 100.000 in Berlin. Sollen wir das Mittelmaß nehmen?

P.S.: Ich habe mir sagen lassen, dass bei oppositionellen Demonstrationen und Kundgebungen in Berlin die Angaben der Polizei regelmäßig etwa ein Fünftel dessen betragen, was seitens der Veranstalter bekannt gegeben wird. Insofern sehe ich keinen Grund, mich hier auf eine "Mitte" zu einigen. Ich habe die Kundgebung vom 13. Oktober letzten Jahres (50.000) überblicken können und von daher einen Vergleichsmaßstab gehabt. Diesmal waren es etwa doppelt so viele.

Frage: Wie liefen die dezentralen Aktionen am 22. Mai?

P.S.: Überwältigend! Weniger, was die absoluten Teilnehmerzahlen betrifft - obwohl es auch an diesem Tag wieder mehrere Zehntausende waren, die auf die Straße gingen. Überwältigend war vor allem, dass die Aktionen am Tag der Ankunft des US-Präsidenten nahezu flächendeckend stattfanden. Wir haben (per e-mail) Nachrichten aus 60 Städten erhalten, in denen die Idee vom "Bush-Trommeln für den Frieden" aufgegriffen wurde. Wir wissen, dass dies nur ein Bruchteil dessen ist, was tatsächlich im ganzen Land stattgefunden hat. Seit 1983 ist es der Friedensbewegung zum ersten Mal wieder gelungen, dezentrale Aktionen unter einem gemeinsamen Motto ("Wir wollen Ihre Kriege nicht, Herr Präsident ... Wir wollen überhaupt keinen Krieg!") und zu einem Zeitpunkt landesweit durchzuführen. Die Begeisterung unter den "Trommlern" war entsprechend groß. Die Teilnehmerzahlen außerhalb Berlins - allein hier waren wieder Zehntausende unterwegs - schwankten von 20 bis 800. Der Lärm, den die Demonstranten mit ihren Trommeln, Kochtöpfen und anderen Gegenständen hervorbrachten, war ohrenbetäubend.

Frage: Besonders erfreulich war die Vielfalt, Phantasie und der Teilnahme vor allem junger und bisher unorganisierter Menschen. Auffällig auch das stärkere Engagement von Prominenten aus Kultur, Wissenschaft und Politik. Ist das die Chance für eine starke Friedensbewegung, die dem "langandauernden Feldzug gegen den Terror" ebenso langandauernd etwas entgegensetzen kann?

P.S.: Ich möchte auf jeden Fall die Vielfalt, Phantasie und die Teilnahme junger Menschen bestätigen. Davon waren wir Älteren in der Friedensbewegung am angenehmsten überrascht. Auf eine solche Blutauffrischung haben wir lange warten müssen. Was das Engagement der "Prominenz" aus Kultur, Wissenschaft und Politik betrifft, so sehe ich das etwas nüchterner. Wir genießen viel Sympathie in diesen Kreisen, aber es mangelt immer noch an einem offenen Bekenntnis zur Friedensbewegung. Immerhin haben diverse Anzeigen, beispielsweise eine Anzeige von Wissenschaftlern in der ZEIT, den kritischen Geist, der hier doch weit verbreitet ist, ansatzweise zum Ausdruck gebracht. Ich hoffe auch, dass der hinreißende Auftritt von Konstantin Wecker auf der Kundgebung als Signal an andere Künstler wirkt, sich künftig wieder stärker in die Friedensbewegung einzubringen.
Die "Politik" hat sich aber immer noch merklich zurückgehalten. Ein paar SPD-Abgeordnete mit einer eigenen Erklärung, ebenso ein paar grüne Abgeordnete, die sich zustimmend zu unseren Aktionen geoutet haben, machen noch keinen parlamentarischen Aufbruch. Die PDS-Fraktion bleibt weiterhin ein einsames Friedenstäubchen inmitten eines kriegsbereiten nationalen Konsenses im Bundestag. Ich habe den Eindruck, dass in den Basisbewegungen der Friedensbewegung längere Zeit die Meinungsträger und Politikgestalter unseres Landes wenig beachtet wurden, teils aus erfahrener Enttäuschung über deren Anpassung an den kriegerischen Ungeist der Zeit, teils aus der Überlegung, die Positionen der Friedensbewegung aus eigener Kraft und authentisch darstellen zu wollen.

Frage: Der Politologe Peter Grottian nannte die zentrale Demonstration in Berlin im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" eine "typische Latschdemo", die "etwas merkwürdig Unverbindliches" hatte. Er sieht darin den zentralen Unterschied zu den Friedensaktivitäten in den 80ern. Wie siehst du das?

P.S.: Peter Grottians Interview ist eine seltsame Mischung aus Resignation und Ungeduld. Die Kritik an den "Latsch-Demos" ist so alt wie die Friedensbewegung, es gab aber noch niemanden, der sie bisher durch eine neue Form hätte ersetzen können. Dass nicht nur "gelatscht" wurde, sondern sehr phantasievoll, witzig und lautstark dabei protestiert wurde, darf auch nicht übersehen werden. Der Hauptfehler von Grottian, den ich als Politikwissenschaftler sonst sehr schätze, liegt darin, dass er den "deutlichen Forderungen" der Demonstration auch entsprechende "schärfere Protestformen" nahelegen möchte. Auch seine Empfehlung, dass sich der Protest doch "zumindest in der Nähe amerikanischer Einrichtungen" hätte "abspielen" sollen, geht meiner Meinung nach aus zwei Gründen in eine problematische Richtung. Erstens: Versteckte sich darin ein heimliches Plädoyer für mehr Aggressivität und Gewalt, müsste es von der Friedensbewegung selbstredend abgelehnt werden. Und zweitens würde das den Protest der Friedensbewegung noch einseitiger nur auf die US-Politik zuspitzen und die hiesige Unterstützung des Kriegskurses (siehe Jugoslawien-Krieg oder Afghanistan) völlig außer Acht lassen. Wir lehnen ja nicht nur die Kriege von Bush ab, sondern auch alle anderen Kriege. Ganz unpolitologisch, fast möchte ich sagen: unpolitisch ist dann die Empfehlung von Grottian, amerikanische Produkte oder Einrichtungen zu boykottieren. Adidas statt Nike also? Nein, Danke.

Frage: Was sagst du zu dem Vorwurf des Antiamerikanismus an die Friedensbewegung?

P.S.: Diesen Schuh darf sich die Friedensbewegung genauso wenig anziehen wie den Schuh "Antisemitismus", wenn sie etwa gegen die Regierung Scharon wegen ihrer unerbittlichen Besatzungs- und Militärpolitik gegenüber den Palästinensergebieten demonstriert. Ich erinnere an den Brief von über 150 US-amerikanischen Intellektuellen an ihre "Freunde in Europa", worin der Kurs der US-Administration noch viel schärfer kritisiert wird, als wir das hier in Europa tun. Niemand würde auf die Idee kommen, diesen US-Bürgern Antiamerikanismus vorzuwerfen. Doch halt! Es gab in den USA Ende der 40er und in den 50er Jahren eine hysterische antikommunistische Welle, in der Tausende und Abertausende Wissenschaftler, Schriftsteller, Regisseure und Schauspieler "antiamerikanischer Umtriebe" verdächtigt wurden, nur weil sie sich mit der damaligen Politik des Kalten Kriegs kritisch auseinandersetzten. Diese Ära hat verdientermaßen den Namen McCarthyismus erhalten, nach dem Namen des Kongressabgeordneten und Vorsitzenden des "Ausschusses für unamerikanische Umtriebe", McCarthy. Berichte aus den USA dieser Tage bestätigen, dass solche Stimmungen durchaus wiederbelebt werden könnnen - trotz der in der amerikanischen Gesellschaft verankerten Grundüberzeugung, dass die Freiheit der Rede und des gedruckten Wortes, die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und der Kunst nicht angetastet werden darf. Wenn die deutsche Friedensbewegung kritische Stimmen aus den USA unterstützt, dann ergreift sie Partei für einen - wenn auch zur Zeit kleinen - Teil Amerikas gegen einen anderen. Niemand hat der deutschen Friedensbewegung bisher den Vorwurf gemacht, antideutsch zu sein, nur weil sie die Bundesregierung samt staatstragender Opposition wegen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik kritisiert.

Frage: Es gab Versuche, die Proteste zu kriminalisieren. Im Vorfeld wurde ein neues Genua heraufbeschworen. Kleinere Rangeleien wurden von einem Teil der Presse dankbar aufgenommen, die Frankfurter Rundschau zensierte eure Anzeige ...

P.S.: Ich kann hier nur wiederholen, was ich in der Bilanz-Presseerklärung für den Bundesausschuss Friedensratschlag gesagt habe: "Eingehalten haben wir unser Versprechen, dass die Aktionen vollkommen friedlich verlaufen würden. Das öffentliche Gerede einiger Politiker im Vorfeld der Demonstration war eine unverantwortliche Stimmungsmache. Seit über zwanzig Jahren pflegt die Friedensbewegung in der Bundesrepublik eine Demonstrationskultur der Gewaltlosigkeit, an der sich die Politik ruhig auch einmal ein Beispiel nehmen sollte."
Was die Ablehnung unserer Anzeige in der Frankfurter Rundschau betrifft, so gehört das zu den schmerzlichsten Erfahrungen dieser Tage. Ausgerechnet das Blatt, dem allgemein immer noch ein hohes Maß an Liberalität und politischer Offenheit bescheinigt wird, lehnt eine bezahlte Anzeige der Friedensbewegung ab und erscheint gleich darauf mit einer Extra-Seite zum Bush-Besuch mit der BILD-trächtigen Schlagzeile "Welcome, Mr. President". Das war für viele FR-Leser/innen so schockierend, dass sie den Verlag mit einer Flut von Protesten, Leserbriefen und Abo-Kündigungen eingedeckt haben. Ich glaube, die FR bereut ihren Schritt schon wieder.

Frage: Massenprotest auf der Straße und Dank dreier PDS-Bundestagsabgeordneter auch Protest im Parlament. Können sich die Parteien weiter unbeeindruckt zeigen?

P.S.: Auch Christian Ströbele von der Grünen-Fraktion hat Mut bewiesen, als er bei Beginn der Bush-Rede demonstrativ seinen Platz verlassen hat. Doch sind das Einzelerscheinungen, die nicht einmal die Breite der Skepsis im Parlament und schon gar nicht die kriegs- und Bush-kritische Haltung in der Bevölkerung angemessen zum Ausdruck bringen. Die Proteste der letzten Woche haben unterstrichen, dass die Friedensbewegung politikfähig ist und nach wie vor in der Gesellschaft verankert ist. In Bezug auf die Bundestagswahl im September möchte ich heute behaupten: Wer auf die Friedensbewegung nicht hört, wird Stimmen verlieren.

Frage: Wie geht es nun weiter? Wie wird die Friedensbewegung in den Bundestagswahlkampf eingreifen? Wie bereitet sie sich auf einen möglichen Angriff auf den Irak vor?

P.S.: Drei Fragen, drei kurze Antworten:
1) Die Friedensbewegung wird jetzt - wie immer nach Großereignissen - vor Ort undnzentral die Aktionen analysieren.
2) Ihr Beitrag zur Bundestagswahl wird nicht hauptsächlich in "Wahlprüfsteinen" und ähnlichem bestehen, sondern in der Fortsetzung ihrer kriegs-kritischen Basisaktivitäten. Der 6. August (Hiroshimatag), der 1. September und ich glaube auch der 11. September werden von der Friedensbewegung genutzt werden, um der "politischen Klasse" außen- und militärpolitische Themen und Fragestellungen aufzuzwingen, denen sie sonst gern verschämt aus dem Weg geht.
3) Wir bereiten uns nicht auf einen Angriff gegen den Irak vor. Denn das sähe so aus, als wäre der Zug zum krieg bereits abgefahren. Nein, die Friedensbewegung sollte ihre Anstrengungen verstärken, einen Krieg gegen den Irak zu verhindern. Dies kann nur so gehen, dass der Druck auf die deutsche und die anderen europäischen Regierungen verstärkt wird, sich entsprechenden US-Planungen zu widersetzen. Und ich denke, die Friedensbewegung hat mit den diesjährigen Ostermärschen und dem 21./22. Mai vorgemacht, wie es weitergehen muss.

* Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied im bundesweiten Koordinierungsgremium "Achse des Friedens".


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