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"Als Jüdin und Israelin klage ich Sie an, Mr. President"

Rede der Menschenrechtsanwältin Felicia Langer auf der Protestkundgebung anlässlich des Bush-Besuchs in Stralsund

Am 13. Juli 2006 besuchte der US-Präsident George Bush auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Stralsund. Die Friedensbewegung begleitete das Ereignis mit einer eigenen Kundgebung. Eine der Rednerinnen war die Menschenrechstanwältin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Felicia Langer (Tübingen).



"Not welcome, Mr. President!",

sage ich ihnen! Sie missbrauchen vorsätzlich die Worte "Demokratie" und "Frieden" für Propaganda-Zwecke und ihre wahren Botschaften sind Botschaften der Kriege. Sie sind verantwortlich für hunderttausende irakischer Opfer und auch für tausende irregeleiteter amerikanischer Soldaten. Sie, der Befreier des Irak... Wehe den von ihnen Befreiten! Ihr Name wird in die Geschichte eingehen mit der Schande von Abu Ghreib und Guantanamo. Für ewig.

Sie spielen die Schlüsselrolle im Nahen Osten, Mr. President. Als Jüdin und Israelin, die seit Jahrzehnten für Frieden und Gerechtigkeit für Israel-Palästina kämpft, klage ich sie für diese Rolle an.

Ich klage sie an für die bedingungslose Unterstützung der aggressiven israelischen Politik der Besatzung der palästinensischen Gebiete, die fast 40 Jahre andauert. Eine kolonisatorische, unterdrückerische Besatzung, die völkerrechtswidrige Siedlungen auf geraubten palästinensischen Boden baut, für das amerikanische Geld, das auch die Waffen gegen die Palästinenser bezahlt. Alles entweder "american made" oder "american paid". Sehr teuer bezahlt, über 3 Milliarden Dollar jährlich!

Mit ihrem Veto im Weltsicherheitsrat der UNO blockieren sie seit Jahren systematisch alle UNO-Resolutionen um die israelisch Willkür zu verurteilen und zu stoppen, um Frieden und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Dank dieser verheerenden Politik kann Israel das Völkerrecht ignorieren, so wie auch sie es tun. Das Völkerrecht, das die Weltgemeinschaft so dringend benötigt, und das sie mit den Füßen treten... So zum Beispiel die berühmte UNO-Resolution 242, schon fast 40 Jahre alt, die besagt, dass Landerwerb durch Kriege unzulässig ist und dass Israel die 1967 eroberten und besetzten Gebiete räumen muss. Die durch Israel mit ihrer Unterstützung missachtete Resolution könnte doch zum Frieden führen - ein Segen für Israel-Palästina! Die Palästinenser sind schon seit Jahren dazu bereit, jetzt auch die Hamas, die die 2-Staaten-Lösung akzeptiert hat. Sie haben die Bereitschaft der Hamas nicht begrüßt, obwohl sie die de facto Anerkennung von Israel bedeutet, weil Israel es nicht getan hat.

Sie unterstützen den Plan von Premierminister Olmert große Teile der West Bank zu annektieren, was ein Todesurteil für den Frieden mit den Palästinensern bedeutet. Sie bestrafen das palästinensische Volk mit Blockade, nachdem es demokratisch gewählt hat, aber nicht den, den sie wollten. Das Opfer wurde bestraft, nicht der Täter.

Sie befürworten die Apartheid-Mauer, die Israel tief im palästinensischen Gebiet baut, wo man Land beschlagnahmt, wo man Olivenbäume entwurzelt, die Bauern von ihren Feldern, Wasserquellen, Krankenhäuser und Schulen abschneidet. Sie missachten, so wie Israel es tut, das Gutachten des Höchsten Gerichts in den Haag vom 9.7.2004, dass die Mauer völkerrechtswidrig ist, und man soll den Bau stoppen und die Geschädigten entschädigen. Und weil sie ein weiteres Verfahren gegen Israel blockieren, baut Israel die Mauer weiter.

Und jetzt, Mr. President, nennen sie als "legitime Selbstverteidigung" die israelische, blutige Offensive gegen den Gaza-Streifen, wo circa 1,5 Millionen Palästinenser leben, 40 % davon Flüchtlinge. Israel hat diese Offensive seit langem vorbereitet, und der entführte israelische Soldat ist nur ein Vorwand. Das sagen auch deutlich unsere Friedenskräfte. Und diese angeblich legitime Verteidigung, laut den USA, bedeutet die Zerstörung eines Elektrizitätswerkes, und 43 % der Einwohner bleiben ohne Strom. Ohne Strom fallen Wasserpumpen aus, der Sprit für Generatoren wird knapp, Dialyse-Patienten sind gefährdet, die Kliniken haben nicht genügend Medikamente. Tausende sind ohne Wasser. Israel zerstört die Infrastruktur, Straßen, Brücken, Regierungsgebäude, Universität, Schule, inhaftiert Abgeordnete und Minister; Olmert erklärt sein Ziel sei Zerschlagung der Hamas. "Hamas will bleed until its leaders scream and wail". (Hamas wird bluten bis seine Führer schreien und jammern). UN-Nothilfe-Koordinator Jan Egeland sagte am 1.7.: "Wir sind entsetzt, wie mit der Zukunft schutzloser Zivilisten umgegangen wird". Es gibt schon mehr als 50 getötete Palästinenser, darunter Frauen und Kinder. Amnesty International spricht von Kriegsverbrechen, unsere Friedenskräfte auch. Aber sie, Mr. President billigen Israels Taten. Israel nennt es einen Krieg gegen Terror, der selbst Terror ist und ein Nährboden für Gewalt und Gegengewalt, ohne Ende. Die letzte gefährliche Entwicklung bezeugt es überdeutlich.

Ich klage sie an, Mr. President, für ihre Schirmherrschaft über die Entrechtung der Palästinenser, über das Leid in Palästina und auch in Israel.

Wir sind nicht antiamerikanisch, Mr. President, wie auch die Millionen Amerikaner, die ihre Politik ablehnen und verurteilen, nicht antiamerikanisch sind! Und diejenigen, die die israelische Politik der Besatzung und Unterdrückung verurteilen im Namen von Gerechtigkeit keine Antisemiten sind! Die proisraelische Lobby diffamiert sie als Antisemiten, um die Stimmen der Verurteilung Israels zum Schweigen zu bringen. Ich appelliere, man soll sich nicht erpressen lassen; dies ist auch die Auffassung unserer Friedensbewegung und ein Gebot gegen das Schweigen.

Mr. President, sie haben die Macht der Waffen und des Geldes, wir haben die Macht der Gerechtigkeit und der menschlichen Solidarität, überall!
Eine gewaltige Weltmacht ... Und sie ist die Hoffnung der Zukunft!


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