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"Es war alles da, was in der Friedensbewegung 'Rang und Namen' hat"

Interview mit Peter Strutynski über den bevorstehenden Deutschland-Besuch des US-Präsidenten Bush

Vor wenigen Tagen haben wir bereits über die wichtigsten Ergebnisse eines Treffens der Friedensbewegung berichtet, auf dem über den im Juli 2006 bevorstehenden Besuch der US-Präsidenten in Deutschland beraten wurde. Wera Richter hatte aus diesem Anlass zwei Interviews geführt: eins mit Monty Schädel aus Meckenburg-Vorpommern (DFG VK), der in Stralsund die Fäden des Protests in den Händen hält, und eines mit Peter Strutynski, der im Namen des Bundesausschusses Friedensratschlag zu dem Treffen in Berlin eingeladen hatte. Das Interview mit Monty Schädel (es erschien in der Tageszeitung "junge Welt") haben wir hier dokumentiert: Bush in Deutschland: "Nicht schon wieder!"; das Interview mit Peter Strutynski - es erschien leicht gekürzt in der Wochenzeitung "uz" - dokumentieren wir im Folgenden.



UZ: Am vergangenen Sonntag [20. Mai 2006] trafen sich in Berlin Vertreter der Friedensbewegung, um über den Protest gegen den anstehenden Bush-Besuch am 14. Juli in Stralsund zu beraten. Wie wird der US-Präsident empfangen?

Peter Strutynski: Wie es sich für den gefährlichsten Mann der Welt gebührt: Mit einer Großdemonstration in Stralsund, die dem US-Präsidenten und seiner neuen Freundin Angela Merkel zeigen soll, dass deren Kriegskurs gegenüber dem Iran von der Bevölkerung abgelehnt wird.

Wie wurde die Rolle Deutschlands und Europas im Iran-Konflikt eingeschätzt?

Der Exil-Iraner und Autor Bahman Nirumand hat in seinem Referat darauf hingewiesen, dass die EU 2004 auf die US-Linie eingeschwenkt sei und seither aktiv an der Eskalationsschraube dreht, obwohl Europa ein viel größeres Interesse an guten Beziehungen zum Iran haben müsste. Die Bundesregierung, die beim Irakkrieg wenigstens verbal eine Antiposition eingenommen hatte, übt sich derzeit im Schulterschluss mit den US-Falken. Das Wort von Angela Merkel in ihrem Referat auf der Münchner Sicherheitskonferenz, wonach der Iran die "rote Linie überschritten" habe, gehört seither zu den meist zitierten Äußerungen in den politischen Reden der US--Administration.

Müssten sich die Proteste dann nicht stärker an der Politik der Bundesregierung orientieren und unabhängig vom Bush-Besuch an Fahrt gewinnen?

Gewiss. Nur darf man erstens nicht vergessen, dass die USA als Führungsmacht des westlichen Bündnisses (NATO und EU) immer noch die strategischen Entscheidungen trifft. Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die heraufziehende Kriegsgefahr hier zu Lande noch nicht die „Massen“ ergriffen hat. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.

Die Frage der Atombewaffnung des Iran ist vorgeschoben. Was sind Ihrer Meinung nach die tatsächlichen Gründe der Aggression gegen das Land?

Nun, zunächst geht es schon um das Atom. Allerdings nicht um die Befürchtung, dass der Iran die Atombombe bauen könnte. Selbst die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass Teheran mindestens noch ein Jahrzehnt davon entfernt ist, waffenfähiges Plutonium herzustellen. Und auch dann dauert es noch Jahre, bis daraus eine funktionierende Atomwaffe mit entsprechender Trägertechnologie hergestellt werden kann. Mir scheint, dass die EU und die Bundesregierung ein dringendes Interesse haben, sich dem Iran als Seniorpartner beim Aufbau seiner Kernkraftwerke einschließlich der Technologie zur Urananreicherung anzubieten. Ziel ist es Russland aus dem Feld zu schlagen. Wichtiger als diese Fragen sind die Bestrebungen von Seiten der USA und der EU, die Kontrolle über die riesigen Erdölressourcen des Iran zu bekommen. Die Beherrschung des Iran ist für die USA der Lückenschluss auf ihrem geostrategisch angelegten Marsch vom Nahen Osten bis nach Zentralasien, also bis an die Grenze Chinas, dem Hauptrivalen der USA, aber auch Europas, im globalen Kampf um den Weltmarkt und die knapp werdenden fossilen Energieträger.

Wenn die Kriegstreiber auf der angeblichen Bedrohung durch eine atomare Bewaffnung des Iran herumreiten, müsste das nicht Anlass sein, die Bedrohung durch Atomwaffen insgesamt stärker ins Blickfeld zu rücken und die Heuchelei auszuhebeln?

Das ist natürlich richtig. Die atomare Gefahr hat verschiedene Seiten. Die eine Seite ist Israel, das als einzige Macht im Nahen Osten über Atomwaffen verfügt. Östlich des Iran liegen Pakistan und Indien, beide inoffizielle Atommächte, wobei Pakistan ein langjähriger Verbündeter der USA ist – da haben das undemokratische Regime und der Mangel an Menschenrechten für die USA noch nie eine Rolle gespielt – und Indien soll durch den kürzlich vereinbarten indisch-amerikanischen Nuklearvertrag enger an die USA gebunden werden. Eine andere Frage, die in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, betrifft die Verpflichtung zur atomaren Abrüstung. Das schreibt jedenfalls Art. 6 des Atomwaffensperrvertrags vor. Die fünf offiziellen Atomwaffenmächte ignorieren diesen Artikel. So dürfen sie sich nicht wundern, wenn andere Staaten – zu ihrem eigenen Schutz – selbst nach Atomwaffen streben.

Es kommt noch etwas hinzu. Vor zehn Jahren hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag sein bekanntes Gutachten über die Illegalität des Atomwaffeneinsatzes und der Drohung mit Atomwaffen veröffentlicht. Und vor kurzem deckte der amerikanische Journalist Seymor Hersh im "New Yorker" geheime Pläne des Pentagon auf, wonach bei einem Krieg gegen Iran auch Atomwaffen eingesetzt werden könnten – sog. "mini nukes", die unterirdische Labors und Forschungseinrichtungen zerstören können. Man sieht: Die größte Gefahr geht von Washington aus!

Neben dem drohenden Iran-Krieg stehen andere Herausforderungen vor der Friedensbewegung. Der Kongo-Einsatz und die Diskussion um den Bundeswehreinsatz im Innern sind Stichworte. Wie kann es gelingen, die Kriegspolitik der Bundesregierung insgesamt stärker anzugreifen?

Der Kongo-Einsatz wird im Bundestag durchgewinkt werden. Am letzten Freitag war die erste Lesung im Bundestag und es zeigte sich eine große Gemeinsamkeit von CDU/CSU über SPD bis zu den Grünen, die alle von der Notwendigkeit überzeugt sind, Soldaten nach Kinshasa zu entsenden – angeblich um damit die demokratischen Wahlen zu sichern. Nach meiner Auffassung liegen die wahren Gründe für den Kongo-Einsatz woanders. Einmal geht es um die militärische Präsenz in einem Gebiet, das zu den interessantesten weil rohstoffreichsten Regionen der Welt zählt. Zum zweiten sollen die europäischen „battle groups“, jene von der EU beschlossenen Elitekampftruppen, erstmals einem Praxistest unterzogen werden. Und zum dritten dient auch der Kongo-Einsatz letztendlich dazu, die Öffentlichkeit an Auslandseinsätze der Bundeswehr in aller Welt zu gewöhnen. Die Teilnahme an Interventionen und Kriegen soll als Normalität erscheinen.

Welche Rolle spielt dabei die Fraktion der Linkspartei.PDS im Bundestag?

Die Linksfraktion hat eine große Verantwortung. Beim Kongoeinsatz hält immerhin die FDP noch dagegen, während sogar der grüne Vorzeigepazifist Christian Ströbele ins Horn der Interventionisten bläst. Die Linke ist aber die einzige Kraft, die sich grundsätzlich gegen Auslandseinsätze ausspricht. In dieser Haltung muss sie außerparlamentarisch unterstützt und immer wieder ermutigt werden. Und die Fraktion selbst muss versuchen, durch gute Argumente Abgeordnete anderer Fraktionen auf ihre Seite zu ziehen und das Parlament auch als „Tribüne“ zu nutzen, um die fundamentale Kritik an Auslandseinsätzen und am Krieg als Mittel der Politik in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Wer war an der Beratung am Sonntag beteiligt? Ist schon eine entsprechende Breite für die Mobilisierung nach Stralsund und für die Durchführung dezentraler Aktionen erreicht?

Es war eigentlich alles da, was in der Friedensbewegung "Rang und Namen" hat. Der auch für mich überraschend gute Besuch der Versammlung deutet darauf hin, dass die Aktivistinnen und Aktivisten der Friedensbewegung nur darauf gewartet haben, wieder mit bundesweiten Aktionen in der Öffentlichkeit erscheinen zu können. Was wir brauchen, ist ein großer und friedlicher Protest in Stralsund, der sich meiner Meinung nach auch gegen das juristisch unhaltbare Demonstrationsverbot behaupten wird.

Wie wird die Vorbereitung der Proteste weiter gehen? Was kann nun vor Ort getan werden?

Wir haben der Friedensbewegung im ganzen Land den 13. und 15. Juli (dazwischen geht es nach Stralsund) als Aktionstage des dezentralen Protestes gegen den drohenden Irankrieg und zur Beendigung des Irakkriegs empfohlen. Das heißt, dass überall dort, wo es Friedensinitiativen, Attac-Gruppen, Sozialforen, engagierte Gewerkschaften, „Dritte-Welt-Gruppen, Ortsgruppen von Parteien und andere kriegskritische Organisationen bestehen, ab sofort mit der Vorbereitung solcher lokaler oder regionaler Aktionen begonnen werden kann. Auch militärische Einsrichtungen der US-Streitkräfte etwa eignen sich zum Protest. Am wichtigsten ist jedoch, dass wir mit unserer Kritik an der Kriegspolitik der US-Administration und am Kriegskurs der Bundesregierung die Menschen in unserem Land erreichen – überall!

* Dieses Interview erschien leicht gekürzt in der Wochenzeitung "unsere zeit" vom 26. Mai 2006 (Seite 2; "Not welcome, Mr. Bush!")


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