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Die zehn Todsünden der Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspolitik

Zur Halbzeitbilanz der Bundesregierung

Eine Bilanz der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik nach vier Jahren Regierung bietet ein Beitrag aus dem Juli 2002: Mit Tabubrüchen zur Normalität. Rot-grüne Außen- und Sicherheitspolitik ist vor allem Kriegspolitik.


Von Peter Strutynski*

* Bundesausschuss Friedensratschlag

Vorbemerkung

Die rot-grüne Bundesregierung war mit dem Versprechen angetreten: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik." Eine friedenspolitische Halbzeitbilanz kommt zu einem anderen Ergebnis: Deutsche Außenpolitik war Kriegspolitik.

Die wesentlichen Vergehen der Bundesregierung auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik lassen sich in "zehn Todsünden" zusammenfassen. Nun kennt das mittelalterliche Kirchendogma nur sieben Todsünden; dies waren Hoffart, Geiz, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Diese Todsünden entsprechen nicht mehr unbedingt modernem Denken.
Obgleich: Dem Verteidigungsminister "Unmäßigkeit" vorzuhalten bei seinen Forderungen an den Bundeshaushalt, wäre schon angemessen.
Nur: Diese Todsünde korrespondiert auf etwas widersprüchliche Art mit einer anderen Todsünde, nämlich dem "Geiz" von Hans Eichel, dem man hinsichtlich der Gier seines Ministerkollegen Scharping gar nicht genug Knickrigkeit wünschen möchte.
Und "Neid" ist sicher auch im Spiel, wenn moderne Staaten, angestachelt von der Gier der Konzerne, nach billigen Rohstoffen, nach Öl oder Diamanten sowie nach billigen Arbeitskräften schielen und die Außen- und Verteidigungspolitik hierfür in Anspruch nehmen möchten.
Und wenn schließlich "Hoffart" mit Dünkel, Hochmut und Eitelkeit übersetzt wird, fällt es nicht allzu schwer, zahlreiche Beispiele für eine solch weit verbreitete Todsünde in Regierungs- und Parlamentskreisen zu finden.

Mir scheint allerdings, dass die Menschheit heute nicht nur unter solchen lasterhaften Eigenschaften leiden muss, sondern dass die sündhafte oder kriminelle Energie noch ganz andere Dimensionen erreicht hat. Und von denen soll hier die Rede sein. Schon bei einem flüchtigen Blick auf die deutsche Regierungspolitik seit dem angeblichen Machtwechsel im Herbst 1998 reicht die heilige Zahl Sieben nicht mehr aus, das angerichtete Unheil zu beschreiben. Daher also die "zehn außen- und sicherheitspolitischen Todsünden" der Bundesregierung, bilanziert nach der Hälfte ihrer Amtszeit.

Zur ersten Todsünde:
"Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen" (Nachkriegskonsens in Deutschland-Ost und Deutschland-West)
"Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." (Art. 26,1 GG)

Die Beteiligung der Bundesrepublik am NATO-Krieg gegen Jugoslawien war der schwerwiegendste Bruch mit der Außenpolitik der Bundesrepublik seit 1949, die sich während des Kalten Kriegs militärischer Drohgebärden und Abenteuer weitgehend enthalten hatte. Da es sich ganz eindeutig um einen Angriffskrieg handelte, war diese Kriegsteilnahme gleichzeitig das schwerste Verbrechen, dessen sich die politische Führung eines Staates nur schuldig machen kann. Entsprechend klar und unerbittlich fällt auch die Strafvorschrift aus, die als Konsequenz aus dem oben genannten Grundgesetzartikel gezogen wurde: "Wer einen Angriffskrieg ... an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die BRD herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft." (§ 80 Strafgesetzbuch).

Die Bundesregierung trägt damit auch die Verantwortung für die während des 78-tägigen Bombenkriegs getöteten Zivilisten sowie die angerichteten Schäden an zivilen Einrichtungen. Die Weigerung der Bundesregierung, sich an der nachträglichen Beseitigung der Kriegsschäden in Jugoslawien zu beteiligen und stattdessen die Wirtschaftsblockade gegen Jugoslawien aufrechtzuerhalten, setzt den Krieg mit anderen Mitteln fort.

Zweite Todsünde

Mit der Teilnahme am Jugoslawienkrieg machte sich die Bundesregierung eines zweiten "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." (Art. 25 GG)
Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien stellte unzweifelhaft nicht nur einen Bruch des geltenden Völkerrechts und damit des deutschen Grundgesetzes dar, sondern verstieß mit seiner Kampfführung zudem gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Die Charta der Vereinten Nationen verbietet kriegerische Handlungen mit Ausnahme der "Selbstverteidigung" gegen einen äußeren Angriff (Art. 2 und Art. 51). Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbietet Handlungen, "die geeignet sind und in der Absicht vorgenommenen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" (Artikel 26 GG). Im 2+4-Vertrag verpflichten sich die Bundesrepublik und die DDR, dass "von deutschem Boden nur Frieden ausgehen" werde und das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen (Artikel 2 des 2+4-Vertrages).

Gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht (Genfer Abkommen einschließlich Zusatzprotokolle) verstieß der Krieg mindestens in vierfacher Weise:
  • Einmal gegen das Verbot von vorsätzlich gegen die Zivilbevölkerung oder einzelne Zivilpersonen gerichteten Angriffen, die den Tod oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit zur Folge haben (Artikel 85 Absatz 3 des 1.Zusatzprotokolls von 1977 des Genfer Abkommens von 1949) (z.B. Angriffe auf chinesische Botschaft, Fernsehsender, Eisenbahn, Flüchtlingstreck);
  • zum Zweiten gegen das Verbot des Führens eines unterschiedslos wirkenden, die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte in Mitleidenschaft ziehenden unverhältnismäßigen Angriffs (z.B. auf Fabriken, Infrastruktureinrichtungen wie Brücken usw.);
  • zum Dritten gegen das Verbot der Anwendung von Waffen, Geschossen und Material sowie Methoden der Kriegsführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (z.B. der Einsatz von Clusterbomben oder von Geschossen mit abgereichertem Uran);
  • zum Vierten gegen das Verbot der Verwendung von Methoden oder Mitteln der Kriegführung, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen (Artikel 35 des 1. Zusatzprotokolls von 1977 des Genfer Abkommens von 1949) (z.B. Bombardierung von Ölraffinierien, Chemieanlagen oder Düngemittelfabriken).
Es gibt erdrückende Beweise, dass die NATO alle diese Bestimmungen wiederholt wissentlich verletzt hat.

Zur dritten Todsünde

"Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." (Art. 87a GG) Die Bundesregierung setzt mit erheblicher Energie fort, was die Vorgängerregierung mit Verteidigungsminister Rühe begonnen hat: Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee. Das Konzept von Verteidigungsminister Scharping sieht vor, dass künftig rund 150.000 Soldaten für "Kriseneinsätze" bereitstehen, sodass gleichzeitig an zwei Kriegsschauplätzen operiert werden kann. Dies entspricht einer Aufstockung der bisherigen "Krisenreaktionskräfte" (derzeit 66.000) auf das Zweieinhalbfache. Die Bundeswehr, die nach dem Grundgesetz ausschließlich Aufgaben der Landes- oder der Bündnis"verteidigung" wahrzunehmen hat, verliert damit ihren ursprünglich "defensiven" Charakter und erhält eine strukturelle Angriffsfähigkeit.

Damit würde eine Entwicklung vorläufig abgeschlossen, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Auflösung des Warschauer Pakts begann. In dem vereinigten Deutschland, das nur noch "von Freunden umzingelt" war, schwand die Legitimation für eine Armee oder gar für ein starkes Militärbündnis wie die NATO. Da es nichts mehr zu "verteidigen" gab, wurden weltweit neue "Risiken" und "Krisen" ausgemacht, denen militärisch begegnet werden müsse. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 und in diversen NATO-Dokumenten (zuletzt im neuen Strategischen Konzept vom April 1999) wurden als Ziele für das Militär u.a. genannt: Aufrechterhaltung des freien Welthandels, Zugang zu Rohstoffen und natürlichen Ressourcen, Abwehr von Flüchtlingen, Bekämpfung des internationalen Terrorismus usw. Mit "Verteidigung" hat das alles nichts mehr zu tun.

Scharping setzte sich mit seinem Konzept auch gegen die Vorschläge der von ihm selbst eingerichteten Weizsäcker-Kommission hinweg. Während dort die Bundeswehr auf insgesamt 240.000 Soldaten reduziert werden sollte und die angedachte "Auswahlwehrpflicht" für nur noch 30.000 Wehrpflichtige die allgemeine Wehrpflicht über kurz oder lang wohl ganz ausgehebelt hätte, will Scharping 277.000 Soldaten behalten und auf die Wehrpflicht auf keinen Fall verzichten. Damit bewegt er sich viel mehr in der Nähe der CDU-Vorschläge als in der Nähe des kleineren Koalitionspartners (die Grünen plädierten bekanntlich für eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 200.000 Mann/Frau und für die völlige Abschaffung der Wehrpflicht).

Die vierte Todsünde

Die Bundesregierung wird sich "von der Verpflichtung zur weiteren Zivilisierung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung ... leiten lassen." (Koalitionsvereinbarung 1998)
Nun bedarf aber die Herstellung einer strukturellen Angriffsfähigkeit einer anderen Ausrüstung und Bewaffnung als eine Armee zum Zwecke der Landesverteidigung. Folgerichtig werden von der neuen Bundesregierung jene Beschaffungsmaßnahmen vorrangig behandelt, welche die Bundeswehr flexibler, transportfähiger ("verlegefähiger") und schlagkräftiger machen sollen. Festgehalten wird z.B. am umstrittensten und teuersten Rüstungsprojekt, dem Eurofighter 2000 (Beschaffungskosten bis zu 60 Mrd. DM), vereinbart wurde der Bau eines europäischen Großraumflugzeugs A400 M, die Beschaffung des Kampfhubschraubers "Tiger" (6 Mrd. DM) und des NATO-Hubschraubers NH-90 (7 Mrd. DM). Auch soll das neue Gepanzerte Transportfahrzeug GTK für rund acht Mrd. DM angeschafft werden, wenn die Finanzierung gesichert ist. Bei der Marine stehen mit der Korvette K 130 und der Fregatte 124 Kosten von rund 7 Mrd. DM bis zum Jahr 2008 und noch einmal rund 6 Mrd. DM danach an.

Mit den in der Entwicklung befindlichen Marschflugkörpern TAURUS, manuell lenkbaren Flugbomben POLYPHEM und Kampfdrohnen TAIFUN soll die Reichweite der Artillerie erhöht werden. Solche präzisen Abstandswaffen verleihen der Bundeswehr eine künftigen Kriegsszenarios angepasste "Deep-Battle-Kapazität".

Der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, lässt keinen Zweifel daran, wofür all diese Großwaffensysteme gebraucht werden: "Material und Ausrüstung der Einsatzkräfte haben Priorität vor der Modernisierung der übrigen Streitkräftekategorien." "Einsatzkräfte" ist das Wort für "Krisenreaktionskräfte" alter Sprachregelung. Es sind die Kampftruppen, die speziell für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen.

Die Gesamtkosten für Forschung, Entwicklung und Beschaffung der genannten und noch weiterer Großwaffensysteme belaufen sich für den Zeitraum 2001 bis 2015 auf geschätzte 210 Mrd. DM

Fünfte Todsünde

Während die bisherigen Todsünden der Bundesregierung in der Regel entweder dem Grundgesetz oder den schön klingenden Verheißungen aus der Koalitionsvereinbarung diametral widersprachen (z.B. dem Versprechen "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik"), verhält es sich beim folgenden Punkt, der fünften "Todsünde", insofern anders, als er offen und klar angekündigt worden war: "Die Koalition unterstützt aktiv die Bemühungen um den Zusammenschluss der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie." Die Bundesregierung betätigt sich also als aktiver Förderer von Unternehmenskonzentration, noch dazu in einem so sensiblen Bereich wie dem der Rüstungsindustrie. Im Oktober 1999 fusionierten das DaimlerChrysler-Unternehmen DASA und die französische Aerospatiale Matra zur European Aeronautic, Defense and Space Company EADS. Dieser Luft- und Raumfahrtkonzern rückte weltweit hinter Boeing an die zweite Stelle, etwa gleichauf mit dem zweiten US-Rüstungsgiganten Lockheed Martin.

Doch damit nicht genug: Im Dezember 1999 trat die spanische Casa der EADS bei, und im April 2000 gründeten die EADS und der italienische Militärflugzeughersteller Alenia (Tochter von Finmeccanica) ein Gemeinschaftsunternehmen. Als nennenswerter europäischer Luft- und Raumfahrtkonzern ist nun lediglich British Aerospace noch außen vor. Es gibt aber bereits Verbindungen zur EADS, etwa durch die Zusammenlegung der Raketenproduktion von Aerospatiale Matra, British Aerospace und der italienischen Finmeccanica (Oktober 1999). Auch beim Bau des europäischen Militärtransportflugzeugs A400M ist die British Aerospace dabei: Das mit 18 Mrd. DM teure Beschaffungsprogramm, an dem acht Länder beteiligt sind, wird von der EADS-Tochter Airbus Industrie durchgeführt; an ihr ist British Aerospace mit 20 Prozent beteiligt. - Nationale Zusammenlegungen von Rüstungskapazitäten förderte die Bundesregierung im Werftensektor und bei den Panzerherstellern. - Die Lobby ist zufrieden. Der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns EADS stellte der Bundesregierung ein erstklassiges Zeugnis aus: "Mit der neuen Regierung ist es zu einer bemerkenswerten Richtungsänderung gekommen", meinte er anerkennend und belobigte insbesondere den Verteidigungsminister für dessen Absicht, den Investitionsanteil am Verteidigungshaushalt auf 30 Prozent zu erhöhen."

Zur sechsten Todsünde

Dass dies alles Geld kostet, mehr Geld, als dem Verteidigungsministerium zur Zeit zur Verfügung steht, liegt auf der Hand. Daher fahren Scharping und seine Generäle eine Dreifachstrategie, um ihren unstillbaren Durst nach neuen Waffen zu befriedigen: Einmal soll in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, Gerät, Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr seien so veraltet und marode, dass die "Bündnisfähigkeit" gefährdet sei. In der Marine, so erzählte Vizeadmiral Hans Lüssow zur Illustration der defizitären Lage, kursiere folgendes Szenario: Ein Erwachsener gebe fünf Kindern 100 Legosteine und verlange von ihnen, jedes solle davon ein Haus mit 30 Steinen bauen (FR, 07.09.2000). Also sei eine Rundum-Erneuerung unumgänglich, die koste aber Geld. Zum Zweitens wird versucht, durch die Straffung des inneren Dienstbetriebs und durch die Privatisierung von Aufgaben ("out sourcing") Geld einzusparen, das dann für neue Waffen ausgegeben werden könnte. Die Wirtschaft profitiert also doppelt davon. Und drittens werden nicht mehr gebrauchte Waffen und Ausrüstungen verkauft. Der Erlös fließt aber nicht (wie bei der UMTS-Lizenzversteigerung) in den Bundeshaushalt allgemein, sondern verbleibt zu 50 Prozent im Verteidigungsministerium. Im Mittelpunkt steht also die Erhöhung der "investiven" Mittel im Verteidigungshaushalt zulasten der laufenden Ausgaben (Personal usw.). Entgegen der mittelfristigen Finanzplanung für den Verteidigungsetat, die für die Jahre 2000 bis 2003 eine leichte Senkung der Ausgaben vorsah (von 45,3 Mrd. DM im Jahr 2000 auf 43,7 Mrd. DM in 2003), wird der Verteidigungshaushalt wieder ansteigen.

Schon im laufenden Haushaltsjahr wurden die Militärausgaben erhöht. Dies wird nur dadurch verschleiert, dass der Einsatz im Kosovo (2 Mrd. DM im Jahr 2000) nicht im Einzelplan 14 (Verteidigung) sondern im Einzelplan 60 (allgemeine Finanzverwaltung) aufgeführt ist. Während in fast allen anderen Ressorts Eichels Rotstift angesetzt wird, muss das Verteidigungsministerium im Jahr 2001 keine Kürzungen hinnehmen. Die "Sonderausgaben" für den Kosovo-Einsatz (2 Mrd. DM) werden wieder im Einzelplan 14 verbucht; dadurch steigt der Etat auf 46,8 Mrd. DM Hinzu kommt, dass Scharping vom Verkauf von Gerät und Liegenschaften 80 Prozent des Erlöses behalten darf. 2001 wird das voraussichtlich 1 Mrd. DM sein. Für 2002 wird dieser Betrag auf 1,2 Mrd. DM Veranschlagt. Mit anderen Worten: Der Militäretat wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit höher liegen als heute.
Dies hat auch die Weizsäcker-Kommission für nötig befunden und dafür den listigen Slogan geprägt: "Sparen kostet".

Siebte Todsünde

"Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen" (Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung, 19. Januar 2000).
Der Waffenhandel kann dann zu einer Todsünde werden, wenn mit ihm Beihilfe zum Mord geleistet wird. Eine "restriktive" Rüstungsexportpolitik versprach die neue Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt. Doch schon bei der ersten Probe aufs Exempel knickte Berlin ein. Der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagendes Gremium, das aus dem Kanzler und vier Ministern besteht (Äußeres, Wirtschaft, Verteidigung, Entwicklung), entschied im Oktober 1999, dem türkischen Militär einen Leopard-2-Panzer zu "Testzwecken" zur Verfügung zu stellen, wohl wissend, dass nach erfolgter erfolgreicher Erprobung die Türkei 1.000 solcher Kampfpanzer in Deutschland auch bestellen würde. Zur Beruhigung der Gemüter verabschiedete das Kabinett im Januar 2000 neue Rüstungsexportrichtlinien. Danach sollte vor einer Entscheidung über Waffenexporte die Menschenrechtssituation im Empfängerland berücksichtigt werden. Damit schien klar, dass der Türkei weder die gewünschten Panzer noch andere Waffen geliefert werden dürften. Doch Ende August 2000 wurde bekannt, dass der Bundessicherheitsrat die Lieferung einer Gewehrmunitionsfabrik in die Türkei genehmigt hat. In der SPD und bei den Grünen nehmen die Stimmen zu, die sich - Menschenrechtsprinzipien hin oder her - für eine "Gleichbehandlung" des NATO-Mitglieds Türkei mit den anderen NATO-Partnern aussprechen. Und in der Tat: Wer Gewehrmunitionstechnologie weitergibt (Gewehre werden mit Sicherheit gegen Kurden eingesetzt), wird auch Panzer (die nach der bisherigen Argumentation der Exportbefürworter nicht für den Einsatz in Kurdistan bestimmt seien) liefern müssen. Die Bundesregierung schafft also aktiv jene "Sachzwangslogik", der sie sich hinterher achselzuckend oder scheinbar zähneknirschend unterwirft.

Doch auch ohne diesen Deal, der noch nicht unter Dach und Fach ist und gegen den die Friedensbewegung immer noch mobil macht, belegt die Bundesrepublik auch unter Rot-Grün einen Spitzenplatz unter den Rüstungsexportländern der Welt. 1998 Platz zwei, 1999 Platz drei. Zur Erinnerung: In den 80er Jahren kam die Bundesrepublik nie über einen fünften bis siebten Platz hinaus. Zu Beginn der 90er Jahre wurde das Erreichen des zweiten Platzes von Kohl, Kinkel und Rühe noch verschämt damit entschuldigt, dass der Verkauf überzähligen Rüstungsmaterials aus den NVA-Beständen die Exportbilanz "vorübergehend" aufgebläht habe. Nach zwei Jahren Schröder, Fischer und Scharping behauptet die Bundesrepublik ihren Spitzenplatz unter den Händlern des Todes auch ohne den Verkauf von NVA-Material!

Zur Todsünde Nr. 8

"Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind." (Art. 1 Nordatlantikvertrag der NATO)
Im April 1999 stimmte die Bundesregierung dem neuen Strategischen Konzept der NATO zu. Dieses neue Konzept geht eindeutig über den Nordatlantikvertrag von 1949 hinaus, der das Bündnis auf reine Verteidigungsaufgaben verpflichtet hatte (Art. 5). Die neue NATO müsse, so heißt es heute, auf eine Reihe globaler und regionaler Bedrohungen reagieren können. "Zu diesen Risiken gehören Ungewissheit und Instabilität in und um den euroatlantischen Raum sowie die mögliche Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses ... unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten." Hinzu kämen Probleme mit der Weitergabe von Nuklearwaffentechnologie, "Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen." Diesen Problemen oder Gefährdungen müsse Seitens der NATO auch militärisch begegnet werden. Die Mitglieder der NATO, so heißt es in dem Dokument, "müssen bereit sein, nicht unter Artikel 5 fallende Krisenreaktionseinsätze durchzuführen." Genauso gut könnte man formulieren: "...Einsätze, die vom NATO-Vertrag nicht gedeckt sind, durchzuführen."! Eindeutiger kann diese Zielbestimmung nicht sein: Ob mit oder ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats: Die NATO kann, wenn sie sich dazu entschließt bzw. wenn sie es für opportun hält, in all den genannten Krisen militärisch eingreifen. Und auch eine geografische Eingrenzung des Operationsgebiets ist nicht mehr möglich. Denn was heißt schon "im und um den euroatlantischen Raum"?!

Die Bundesregierung hätte einer solchen Aufgabenerweiterung der NATO nie zustimmen dürfen. Denn einmal verletzt sie selbst den NATO-Vertrag (insbesondere Art. 5), zum anderen widerspricht sie der von der Bundesrepublik mit dem Beitritt zur NATO eingegangenen Verpflichtung, die sich ausschließlich auf die Verteidigung des Bündnisses im Fall eine äußeren Angriffs bezieht. Im Wahlprogramm der SPD von 1998 hieß es noch: "Die NATO ist und bleibt ein Verteidigungsbündnis." Die Bundesregierung hat es nicht einmal für nötig befunden, eine so weitreichende Entscheidung vom Bundestag "absegnen" zu lassen. Beim Bundesverfassungsgericht ist deshalb eine Organklage der PDS-Bundestagsfraktion anhängig, um die Verfassungsgemäßheit bzw. -widrigkeit der Zustimmung zur neuen NATO-Strategie überprüfen zu lassen.

Neunte Todsünde

"Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen,die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern." (Art. 24,2 GG)
Entgegen diesem europapolitischen Verfassungsgebot spielt die Bundesregierung eine aktive Rolle bei der Umwandlung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in ein Militärbündnis. Im Februar 1999 erklärte Außenminister Fischer: "Die EU muss die Fähigkeit auch für ein eigenes Krisenmanagement entwickeln... Das muss letztlich auch eine militärische Komponente beinhalten." Etappen auf dem Weg zur Militarisierung der EU waren die Ernennung des damals noch amtierenden NATO-Generalsekretäre zum so genannten Mr. GASP, zum "Hohen Vertreter" für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU (Kölner EU-Gipfel im Juni 1999) und der Beschluss auf dem EU-Gipfel in Helsinki (Dezember 1999), eine EU-Interventionstruppe von rund 50.000 bis 60.000 Soldaten aufzustellen. Die Bundesregierung bietet hierfür 20.000 Mann an. Gleichzeitig wurden ein "Ständiger Ausschuss für politische und Sicherheitsfragen" (APS), ein "Militärausschuss" sowie ein "Militärstab" ins Leben gerufen. Außerdem wurde eine enge Abstimmung und Kooperation mit der NATO vereinbart.

Letzterem steht die Absicht vor allem der Bundesrepublik und Frankreichs gegenüber, eigene europäische Satellitenaufklärungskapazitäten aufzubauen, um so "unabhängig von amerikanischem Wohlwollen auf Krisen reagieren" zu können (FAZ, 03.07.00). Die Bundesregierung ist hier treibende Kraft. Sowohl im Kirchbach-Papier, als auch in der Studie der Weizsäcker-Kommission, als auch im "Eckpfeiler-Papier" Scharpings wird sogar eine nationale "raumgestützte Aufklärungsfähigkeit" verlangt, die von einem deutschen Radarsatellitensystem "SAR-Lupe" übernommen werden soll. Damit würde sich Deutschland einen Informationsvorsprung verschaffen, womit eine Planungs- und Einsatzführungsdominanz in der sich militarisierenden EU ermöglicht würde. Warum nicht im europäischen Militärbündnis die Rolle einnehmen, welche die USA in der NATO innehaben?

Klarer als der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Dr. Walther Stützle, konnte man die ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung nicht zum Ausdruck bringen: "Eine Union, die sich nicht verteidigen kann, ist keine Union."

Der Prozess der EU-Militarisierung wird voran getrieben ohne Rücksicht auf die EU-Staaten, die nicht der NATO angehören und damit einen Neutralitätsstatus haben (Österreich, Finnland, Schweden, Irland) und ohne Rücksicht auf das eigentliche Instrument kollektiver europäischer Sicherheit: die OSZE. In Kauf genommen wird die Zementierung der Spaltung Europas zwischen dem "Westen" und Russland/Weißrussland und die innere Spaltung "West"europas in Zonen unterschiedlichen Gewichts, verschiedener Geschwindigkeiten und unterschiedlichen Status`. - Doch davon ganz abgesehen: Weder Europa noch die Welt braucht ein neues Militär- und Interventionsbündnis.

Zur zehnten Todsünde

"Entwicklungspolitik ist heute globale Strukturpolitik, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern. Sie orientiert sich an dem Leitbild einer globalen nachhaltigen Entwicklung." (Koalitionsvereinbarung 1998)
Viele Konflikte in der Welt lassen sich auf soziale und wirtschaftliche Ursachen zurückführen. Insbesondere die Länder der Dritten Welt, in denen die meisten Kriege und Bürgerkriege stattfinden, leiden unter Armut und Hunger, mangelndem Zugang zu Wasser und Gesundheitsdiensten, fehlenden Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten und einem fortschreitenden Raubbau an den natürlichen Ressourcen. Dies zu sehen, ist eine Sache, es zu beheben, eine andere. Die Bundesregierung, so darf unterstellt werden, sieht die Probleme, sie tut aber viel zu wenig, um an ihrer Beseitigung mitzuwirken. Dies soll am Beispiel der Entwicklungspolitik, dem Ressort von Heidi Wieczorek-Zeul, verdeutlicht werden. In der Koalitionsvereinbarung 1998 waren nicht nur so hehre Grundsätze wie der oben zitierte verkündet worden, es wurden auch konkretere Ziele gesetzt. So hieß es z.B. vollmundig: "Um dem international vereinbarten 0,7 % Ziel näher zu kommen, wird die Koalition den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes umkehren und vor allem die Verpflichtungsermächtigungen kontinuierlich maßvoll erhöhen."

Das "0,7 % Ziel" ist eine Richtschnur, welche die Vereinten Nationen 1970 beschlossen haben. Danach sollen die entwickelten Industrieländer mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklung der armen Länder aufwenden. Diesen Anteil erreichen nur ein paar Länder, etwa Schweden, Dänemark, die Niederlande und Norwegen. Die Bundesrepublik hatte immer Schwierigkeiten mit der Entwicklungspolitik, obwohl sie sich zu Zeiten des Kalten Kriegs und der Systemkonkurrenz gegenüber ausgewählten Musterstaaten (das waren nicht selten auch Musterdiktaturen) durchaus spendabel zeigte. Dennoch ging ihr Entwicklungshilfeanteil nie über 0,5 Prozent hinaus. In der 90er Jahren, noch unter der Regierung Kohl, schwankte der Anteil zwischen 0,4 und 0,3 Prozent. Wer hätte nicht 1998 geglaubt, dass die "rote Heidi", wie sich die neue Entwicklungsministerin früher nicht ungern rufen ließ, die Trendumkehr schaffen würde? Doch das Gegenteil ist eingetreten: Im Jahr 2000 sank der Entwicklungshilfeanteil auf das historische Tief von 0,26 Prozent! Halbiert wurde beispielsweise der deutsche Beitrag für das UN-Entwicklungsprogramm UNDP (von über 80 auf 42, 5 Mio. DM). "Ein schwerer Schlag" für das UNDP, wie ihr Direktor Mark Malloch Brown in einem Interview klagte, zumal die Kürzung "ohne Ankündigung" vorgenommen wurde und damit die Organisation in große Schwierigkeiten gestürzt wurde. Andere Länder seien teilweise eingesprungen, aber, so Brown, "das von Deutschland verursachte Loch wird dadurch nicht gefüllt."
Und - ein zweites Beispiel - die Exekutivdirektorin des UN-Bevölkerungsfonds, Nafis Sadik, beschwerte sich darüber, dass ihre Organisation, die von der Kohl-Regierung noch 46 Millionen DM erhalten habe, für das Jahr 2000 nur noch 18 Mio. DM erhält. Das sei "wirklich ärgerlich", denn immerhin sei Deutschland ja das "führende Land" in Europa. - Hätte sie gesagt, das "kriegführende Land", dann hätte sie doppelt Recht mit ihrer Kritik.

Nachbemerkung

Noch einmal zur Erinnerung: Die sieben Todsünden nach dem Dogma der mittelalterlichen Kirche waren: Hoffart, Geiz, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn, Trägheit. Man sieht: Die Vergehen, für die man damals, im finstersten Mittelalter, auf ewig in der Hölle braten musste, waren harmlos gegenüber den Vergehen der Politik am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Wie geht man nun aber mit den "Sündern" um? Darauf zu hoffen oder gar zu warten, dass sie dereinst vom Jüngsten Gericht abgeurteilt werden und ihre gerechte Strafe auf ewig im Jenseits verbüßen müssen, könnte aus zwei Gründen ins Auge gehen: Einmal könnte sich herausstellen, dass das göttliche Justizwesen nicht existiert oder jedenfalls nicht so funktioniert, wie es christlicher Kinderglauben nahe legte. Und zum anderen wäre es unverantwortlich gegenüber den hienieden Wandelnden, wenn man den bezeichneten Straftätern nicht schon im Diesseits das politische Handwerk zu legen versuchte. Ich plädiere also sicherheitshalber für eine möglichst zeitnahe Ahndung sündhaften Regierungshandelns nach dem bewährten Dreischritt Bestrafung, Resozialisierung, Vorbeugung.

1) Bestrafung

Das traditionelle Strafrecht geht davon aus, dass ein Straftäter eine seiner Straftat angemessene Strafe zu verbüßen habe, die sowohl auf die Abschreckung potenzieller anderer Täter als auch auf die erzieherische Einwirkung auf den Delinquenten selbst abzielt. Die strafrechtliche Verfolgung von Regierungen ist bekanntlich etwas schwieriger als von natürlichen oder juristischen Personen. Zur Zeit findet sich kein ordentliches Gericht, weder in Den Haag noch hierzulande, das den Völkerrechtsbruch des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien ahnden würde. Sämtliche Strafanzeigen, die noch während des Kriegs bei der deutschen Generalstaatsanwaltschaft eingegangen sind, wurden zurückgewiesen. Und die Chefanklägerin des UN-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, hat es trotz erdrückenden Materials abgelehnt, auch nur ein Ermittlungsverfahren gegen die Regierungschefs der NATO-Staaten einzuleiten. Dass demgegenüber in der Bundesrepublik zahlreiche Friedensfreunde wegen ihres Widerstands gegen den NATO-Krieg zu zum Teil empfindlichen Geldstrafen verurteilt wurden und Carla del Ponte als Hauptschuldigen des Jugoslawienkriegs den jugoslawischen Präsidenten Milosevic anklagt und ihn, bevor ein solcher Prozess überhaupt begonnen hat, schon mit der Höchststrafe "lebenslänglich" vorverurteilt, gehört zu den gewohnten Ungereimtheiten der herrschenden Justiz, die diesbezüglich nicht einmal den Anschein der Unabhängigkeit wahrt.

Wir werden uns deshalb vorerst nur mit der vergleichsweise milden Art der Bestrafung begnügen müssen, die wir auch sonst bei Politikern zur Anwendung bringen: Das Abstrafen durch Wahl bzw. Nicht-Wahl. Ich weiß, dass dies solange eine allzu stumpfe Waffe ist, solange der Kreis derjenigen viel zu klein ist, die sich an einem solchen Abstrafen beteiligen würden. Aber manchmal zeigen auch schon kleinste Wählerwanderungen ihre Wirkung - vor allem wenn sie sich nach Links orientieren, wo noch klare antimilitaristische und pazifistische Positionen zu Hause sind.

2) Resozialisierung

Solange man nicht über die Möglichkeit verfügt, die Regierung wegen ihrer außen- du sicherheitspolitischen Verfehlungen zum Rücktritt zu zwingen und gegen eine wirklich bessere auszutauschen, werden wir uns, ob uns das gefällt oder nicht, auf diese politischen Entscheidungsträger beziehen müssen: kritisch und lautstark protestierend, aber auch fordernd und positive Ansätze fördernd.

Neben der inhaltlichen Radikalisierung der Friedensbewegung im Zuge der fundamentalen Kritik am NATO-Krieg - eine Kritik, die auch in der Schärfe, wie sie vorgebracht wurde, unausweichlich war - gibt es auch Tendenzen in der Friedensbewegung, die politischen Instanzen und Strukturen dieses Landes gar nicht mehr als Adressaten für ihre Forderungen gelten zu lassen. Wenn sich die Friedensbewegung wegen des NATO-Kriegs nur noch zu einer Art Dauer-Generalabrechnung mit der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition entschlösse, würde sie sich über kurz oder lang von der Politik insgesamt verabschieden.

Es stehen mehr außen- und sicherheitspolitische Fragen an, als uns lieb sein kann. Gerade mit dem Übergang der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee werden militärpolitische Weichen gestellt, die das Gesicht und das Wesen der Bundesrepublik und der EU auf Dauer dramatisch verändern. Dagegen außerparlamentarischen Druck zu entwickeln ist die unsere wichtigste Aufgabe. Die zweitwichtigste Aufgabe ist aber, dass dieser Druck ankommen muss, und zwar bei den politischen Entscheidungsträgern, ob in Regierung oder Parlament. Deshalb plädiere ich für einen "normalen" politischen Umgang auch mit der Regierungskoalition, insbesondere natürlich mit den aufgeklärteren und sensibleren Abgeordneten.

3) Vorbeugung

Es muss möglich sein, auch mit einer schlechten Regierung, deren außenpolitischer Kurs insgesamt in die falsche Richtung geht, im Einzelnen dennoch den ein oder anderen Fortschritt zu erzielen. Ich erinnere z.B. daran, dass die Regierungskoalition ein paar Trostpflästerchen auf die Wunden der Pazifisten zu legen versuchte. Da wurde etwa die finanzielle Förderung der institutionalisierten Friedensforschung wieder aufgenommen und eine an sich sehr sinnvolle Friedensstiftung gegründet. Oder es wurde, zunächst in der Verantwortung des Entwicklungsministeriums, die Ausbildung von Friedensarbeitern im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes finanziell übernommen. Beides in einem sehr bescheidenen Umfang und gewiss auch in der Absicht, vom Krieg und den Umrüstungsmaßnahmen der Regierung abzulenken. Möglicherweise, ich will das nicht ausschließen, auch zur Beruhigung manch angeschlagenen Politikergewissens!

Dennoch: Wer hindert uns daran, solche Angebote anzunehmen, wohl wissend, dass sie an der fehlerhaften Politik der Regierung nichts ändern, dass sie aber als erste klitzekleine Ansätze zu einer präventiven Außenpolitik interpretiert werden können, zu der wir insgesamt hin wollen.

Vorbeugen können wir auch, indem wir die Bundesregierung daran hindern, bestimmte außenpolitische Fehler zu begehen. Die Kampagne der Friedensbewegung gegen den Rüstungsexport in die Türkei kann ein Beispiel dafür sein. Ein solches Vergehen an den Kurden und anderen oppositionellen Gruppen in der Türkei und ein solcher Verstoß gegen die eigenen Rüstungsexportrichtlinien können verhindert werden, wenn der Druck in der Bevölkerung, auch in den Koalitionsparteien erhöht wird. Am 23. September wird die Friedensbewegung, zusammen mit vielen anderen sozialen Bewegungen, in Berlin zur Halbzeitbilanz der rot-grünen Regierung deren Sündenregister präsentieren. Dabei wird eine zweite Rate von Zig-Tausenden Unterschriften gegen den Panzerexport übergeben. Und damit wird diese Kampagne längst nicht am Ende sein. Und sollte es die Regierungskoalition wirklich Ernst meinen mit ihrem Vorstoß, Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen, eröffnen sich ebenfalls neue Möglichkeiten für die Friedensbewegung.

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