Eine andere Sicht auf das "Racak-Massaker"
Ein Bericht aus der Berliner Zeitung
"Ich spürte, da stimmte etwas nicht". Im Januar 1999 starben in Racak über 40
Albaner - Geheime Berichte widersprechen der These von einer gezielten
Hinrichtung (Berliner Zeitung, 24. März 2000)
Bo Adam, Roland Heine und Claudius Technau
BERLIN, 23. März. Bei der Weichenstellung für den Kosovo-Krieg spielte ein
kleines Dorf eine wichtige Rolle: Racak. In diesem von Albanern bewohnten Ort
sollen serbische Sicherheitskräfte am 15. Januar 1999 kaltblütig unbewaffnete
Zivilisten hingerichtet haben. So hat es, neben vielen anderen Politikern der
Nato, US-Präsident Bill Clinton behauptet. Wurde die Öffentlichkeit der
Nato-Staaten im Frühjahr 1999 mit Halbwahrheiten und unbewiesenen Behauptungen
versorgt, um die Zustimmung zu einem militärischen Eingreifen der Nato in den
Kosovo-Konflikt zu sichern? Die "Berliner Zeitung" konnte geheim gehaltene
Dokumente einsehen, die an der gängigen Version der Ereignisse zweifeln lassen:
Was ist im Januar 1999 geschehen? Nehmen wir die Anklageschrift des Haager
Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawien: "Am 15. Januar 1999 wurde das Dorf
Racak (Gemeinde Stimlje/Shtime) in den frühen Morgenstunden durch
Sicherheitskräfte Jugoslawiens und Serbiens angegriffen. Nach einer
Bombardierung durch die Jugoslawische Armee betrat serbische Polizei später am
Morgen das Dorf und begann, die Häuser zu durchsuchen. Auf Dorfbewohner, die
versuchten zu fliehen, wurde im ganzen Dorf geschossen. Eine Gruppe von 25
Männern versuchte, sich in einem Gebäude zu verstecken, doch sie wurde entdeckt
durch die serbische Polizei. Sie wurden geschlagen und wurden dann zu einem
nahem Hügel gebracht, wo Polizisten sie erschossen. Alles in allem töteten die
bewaffneten Kräfte Jugoslawiens und Serbiens etwa 45 Albaner in Racak und
Umgebung." Die Haager Anklageschrift kennzeichnet dies als "Mord an
kosovo-albanischen Zivilisten".
Diese Darstellung entspricht den Erklärungen des US-Amerikaners William Walker,
damals Leiter der OSZE im Kosovo. Am Tag nach der Tragödie in Racak besucht er
das Dorf. Sein Urteil steht sofort fest: Er habe zunächst die Leichen von mehr
als 20, meist älteren Männern gesehen, sagt er, die "offenkundig dort
hingerichtet wurden, wo sie lagen". Später habe man die anderen gefunden. Ein
tags darauf unter Walkers Regie fertig gestellter "special report" der
OSZE-Mission fasst zusammen: Man habe Beweise gefunden für "willkürliche
Verhaftungen, Tötungen und Verstümmelungen von unbewaffneten Zivilisten". Im
Detail listet der Report auf: 23 erwachsene Männer in einem Hohlweg oberhalb
Racaks, "viele aus extremer Nahdistanz erschossen", ferner vier erwachsene
Männer, die anscheinend auf der Flucht erschossen wurden, sowie 18 Leichen im
Dorf selbst. Unter Letzteren waren auch eine Frau und ein Junge.
Die Bilder von den Leichen lösen weltweit Entsetzen und Empörung aus. Ein
"galvanisierendes Ereignis" nennt es US-Außenministerin Madeleine Albright. Drei
Tage später verlangt sie als "Bestrafung" die Bombardierung Jugoslawiens. In
einem Brief an Jugoslawiens Präsident Milosevic schreibt der deutsche
Außenminister Joschka Fischer am 20. Januar, jedwede Entschuldigung Belgrads
würde "auf keinen Fall die Hinrichtung von 45 unbewaffneten Personen, darunter
Frauen und Kinder, durch die Sicherheitskräfte rechtfertigen". Später wird
Fischer sagen: Racak "war für mich der Wendepunkt".
Dementi aus Belgrad
Die jugoslawische Regierung bestreitet die Vorwürfe vehement. Belgrad spricht
von einer Polizeiaktion gegen UCK-Terroristen. Die Getöteten seien am Abend des
15. Januar von der UCK eingesammelt und als zivile Opfer präsentiert worden.
Am 22. Januar beginnt ein gerichtsmedizinisches Team aus Finnland mit der
Obduktion der in die Kosovo-Hauptstadt gebrachten Toten. Eine Woche später hat
es die Untersuchung beendet. Die Öffentlichkeit wartet auf das Resultat. Doch
das Team unter Leitung von Dr. Helena Ranta nimmt sich zunächst Zeit für die
Auswertung.
Indessen spitzt sich der Kosovo-Konflikt immer mehr zu. In Rambouillet bei Paris
verhandeln Westmächte, Russland, Serben und Kosovo-Albaner noch über eine
friedliche Regelung für die Auseinandersetzungen. Die Rambouillet-Gespräche sind
in ihrer entscheidenden Phase, als Teamchefin Ranta in Pristina eine verwirrende
Pressekonferenz gibt. Statt ein Untersuchungsergebnis zu veröffentlichen, teilt
sie "Kommentare" mit, die ihre "persönliche Meinung" widergäben. Niemand ahnt an
diesem 17. März 1999, dass Frau Ranta von der Politik gedrängt worden ist, jetzt
an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Analysen sind bis zu diesem Tag weder
fertig noch haben sie klare Ergebnisse gebracht.
In missverständlichen, gewundenen Sätzen versucht Frau Ranta sich aus der Affäre
zu ziehen. Sie lehnt es ab, von einem "Massaker" zu sprechen, dafür nennt sie
die Tragödie ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Sie erklärt, dass bei
den Opfern keine Munition und keine Uniformen entdeckt wurden, aber dass viele
mehrere dicke Pullover trugen. Sie erläutert umständlich, dass Pulverspuren
nicht gefunden wurden, ohne genau zu sagen, wo gesucht worden war. Sie
kritisiert die fehlende Sicherung der Leichen und der Beweise durch die OSZE und
verweist auf die lange Zeitspanne zwischen Tod und Untersuchung. Beides würde
eindeutige Aussagen erschweren.
Dennoch legen die meisten Beobachter die Erklärungen Helena Rantas als eine
Bestätigung der Behauptungen von einer Hinrichtung aus. Wichtige Politiker
lassen keine Zweifel mehr zu. US-Präsident Clinton spricht davon, dass
"unschuldige Männer, Frauen und Kinder" aus ihren Häusern getrieben wurden, dass
sie gezwungen waren, "im Dreck zu knien, und niedergemäht wurden". In der
"International Herald Tribune" berichten anonyme westliche
Regierungsvertreter darüber hinaus, dass die schrecklichsten Details aus den
finnischen Berichten noch gar nicht veröffentlicht sind. Eine Woche später
beginnt der Krieg, die Berichte bleiben geheim.
Nachfragen bei Frau Ranta
Jetzt konnte die "Berliner Zeitung" Kopien der Obduktionsunterlagen einsehen.
Das Ergebnis: All diese Berichte enthalten keine Beweise für ein
Hinrichtungsszenarium. Bei einem einzigen Opfer haben die finnischen
Gerichtsmediziner und ihre jugoslawischen und belorussischen Kollegen Spuren
entdeckt, die auf einen Schuss aus "relativer Nähe" hindeuten könnten. In den
anderen Fällen war das Ergebnis negativ.
Auch das angebliche Fehlen von Schmauchspuren an den Händen ist nicht
dokumentiert. Damit fehlt ein Nachweis, dass es sich bei den Opfern um
Zivilisten handelte. Wir fragten Frau Ranta, wieso nicht. Nach kurzer Überlegung
löste sie das Rätsel: Das finnische Team habe gar nicht danach gesucht. Bei den
in der Pressekonferenz vom 17. März 1999 erwähnten Tests handelte es sich
vielmehr um die Suche nach Spuren einer Hinrichtung durch aufgesetzte oder
Nahdistanzschüsse. Es waren diese Tests, die negativ verliefen. "Das war in der
Pressekonferenz etwas missverständlich", gibt Frau Ranta heute zu.
In der Tat. Doch dieses "Missverständnis" berührt die wesentliche Frage des
Falles Racak. Waren die Toten tatsächlich allesamt unbewaffnete friedfertige
Dorfbewohner? Oder handelte es sich zumindest bei einem Teil um albanische
UCK-Kämpfer? Handelte es sich um eine Hinrichtung oder um ein Gefecht? In allen
offiziellen Stellungnahmen der OSZE, des Haager Tribunals oder der EU wird die
zweite Möglichkeit ausgeblendet.
Wider besseres Wissen. Bereits am Morgen des 16. Januar 1999 teilt die UCK in
einem ersten Kommunikee mit, bei Kämpfen um Racak seien acht ihrer Kämpfer
gefallen. Die Namen dieser Toten tauchen nicht in der Liste des Haager Tribunals
auf. Sonderbar auch: Ebenfalls am 16. Januar nennt die UCK 22 Hingerichtete in
Racak mit Namen. Von ihnen sind jedoch nur elf auf der Totenliste des Tribunals
protokolliert. Nur die Zahl 22 stimmt in etwa mit der Zahl der gefundenen Toten
auf dem Hügel hinter Racak überein. Wie viele Tote gab es nun wirklich?
"Die Wahrheit ist", sagt der französische Journalist Renaud Girard, "dass Racak
ein befestigtes Dorf mit vielen Schützengräben war." Davon liest man in dem
"special report" der OSZE kein Wort. Girard war am 16. Januar 1999 zum Platz der
Tragödie geeilt und erlebte OSZE-Missionschef Walker in Aktion. "Walker ist ein
Profi, was Massaker angeht", sagt Girard. "Jeder Profi weiß, was er zu tun hat
in solchen Fällen: Er sperrt das Gelände ab, damit die Beweise gesichert werden
können. Walker tat nichts dergleichen. Er trampelte selbst herum und ließ die
Journalisten an den Leichen fummeln, Souvenirs sammeln und Spuren verwischen."
Girard sandte seiner Zeitung "Le Figaro" zunächst einen Massaker-Bericht wie
alle seine Kollegen. Doch dann kam er ins Grübeln: "Ich spürte, da stimmte was
nicht."
Zweifel bei Journalisten
Zu seinen Zweifeln trug ein Kollege von "Le Monde" bei. Christophe Chatelet war
am Vortag - am Tag des angeblichen Massakers - in Racak gewesen. Zusammen mit
OSZE-Vertretern betrat er das Dorf am späten Nachmittag, als die Serben sich
zurückgezogen hatten. Die Ausländer entdeckten vier Verletzte und hörten von
einem Toten. Als es dunkel wurde, kehrte Chatelet nach Pristina zurück. In Racak
sei nichts Besonderes passiert, teilte er seinen Kollegen mit. Am nächsten Tag,
als Walker mit einem großem Pressetrupp nach Racak fuhr, winkte Chatelet ab und
blieb im Hotel. Wieso die OSZE am Nachmittag des 15. Januar im Dorf Racak nur
einen Toten registrierte, während die OSZE am Morgen darauf plötzlich mindestens
13, womöglich sogar 18 Leichen in den Straßen und Höfen entdeckte, kann sich
Chatelet nicht erklären: "Ich kann das Rätsel nicht lösen."
Fest steht, dass die 45 Toten von Racak Opfer der Serben sind. Aber wenn es eine
Massenhinrichtung gab: warum zogen die serbischen Einheiten ab, ohne den Versuch
zu unternehmen, das Geschehene zu vertuschen und möglichst viele Leichen
verschwinden zu lassen? Licht in den Fall könnte vor allem die UCK bringen.
Deren Chef Hashim Thaci erklärte vor kurzem der BBC: "Wir hatten eine
Schlüsseleinheit in der Region. Es war ein wilder Kampf. Wir hatten viele Opfer
zu beklagen. Aber die Serben auch."
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