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Ethnische Säuberung im Kosovo

Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht von Alice Mahon, der in der Zeitung "junge welt" erschien (Übersetzung: Rainer Rupp).
Alice Mahon ist Labourabgeordnete im britischen Parlament und Vorsitzende des Allparteien-Ausschusses für den Balkan. Der Artikel wurde zuerst im Nachrichtenblatt des Committee for Peace in the Balkans (UK), Nr. 5, Februar 2000 unter dem Titel »Kosovo Today« veröffentlicht.

Das Kosovo heute: »Vergiß es!«
Ethnischer Terror und Vertreibung unter Schutz der KFOR.

Von Alice Mahon

Im letzten Herbst besuchte ich das Kosovo als Mitglied einer Delegation des Zivilausschusses der Nordatlantischen Versammlung (NAV - Die NAV mit Sekretariat in Brüssel setzt sich zusammen aus Vertretern aller in den Parlamenten der NATO-Mitgliedsländer vertretenen Parteien. Die NAV war ursprünglich mit dem Ziel gegründet worden, sich zu einem parlamentarischen Kontrollorgan der NATO zu entwickeln - Anm. d. Red.). Schon damals kam ich zu dem Schluß, daß das Kosovo ethnisch von allen Minderheiten gesäubert wird und daß die UCK darin tief verwickelt ist.

Seither wurde ich in meiner Ansicht durch umfangreiches und zunehmendes Beweismaterial bestärkt, und zwar aus Quellen wie z. B. Amnesty International (ai). Der letzte ai-Bericht von Ende Dezember führt auf, daß die Gewalt gegen Serben, Roma, muslimische Slawen und gemäßigte Albaner weiter wächst, was auf das Versagen der Vereinten Nationen beim Schutz der Menschenrechte zurückzuführen ist. Amnesty ist besorgt darüber, daß die UNO-Mission im Kosovo und die KFOR nicht gewillt zu sein scheinen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die UCK vor Gericht zu bringen.

Der Bericht der OSZE über Menschenrechtsverletzungen im Kosovo, der ebenfalls im Dezember veröffentlicht worden ist, bestätigt, daß mit dem Einmarsch der KFOR am 12. Juni 1999 die Provinz (Kosovo) einer systematischen ethnischen Säuberung unterzogen wurde. In dem Bericht steht zu lesen: »Kosovo-Serben, Roma, muslimische Slawen und andere sind zur Zielscheibe von Elementen der Kosovo-albanischen Bevölkerung geworden. Mit Hilfe von Schikanen, Einschüchterungen, Brandstiftungen, Entführungen und Morden sollen sie endgültig vertrieben werden.«

Der Bericht wirft Licht auf zwei entsetzliche Trends: Die Gewalt richtet sich vornehmlich gegen alte und hilflose Kosovo-Serben; zweitens sind zunehmend Jugendliche an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt, was die wachsende Intoleranz innerhalb der kosovo-albanischen Gemeinschaft unterstreicht. Der Bericht enthält zahlreiche Zeugenaussagen über Gewaltverbrechen, in die die UCK - sowohl vor als auch nach dem 19. September 1999, dem Stichtag für die Demilitarisierung der UCK - verwickelt ist und später das Kosovo-Schutz-Korps (KSK - die von KFOR geschaffene Nachfolgeorganisation der UCK - Anm. d. Red.).

Die OSZE kam zu dem Schluß, daß die UCK trotz aller Dementis hinter den gegenwärtigen Gewaltakten steckt: »Die Verwicklung der UCK, die sich nun KSK nennt, ist von einem solchen Ausmaß, daß dies nur mit ausdrücklicher Unterstützung, zumindest aber mit stillschweigende Duldung der (UCK) Führung geschehen kann, was dringend einer eingehenden Untersuchung der Internationalen Gemeinschaft bedarf.« Nach Informationen des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind seit Juni 250 000 Menschen aus dem Kosovo vertrieben worden. Nach Schätzungen des jugoslawischen Außenministeriums liegt die Zahl bei 350 000. Die Mehrzahl besteht aus Serben, aber Roma, Juden, Türken und anderen Volksgruppen, die ebenfalls das Ziel massiver ethnischen Säuberungen sind.

Der Historiker Paul Polansky, der vom Juli bis November letzten Jahres gemeinsam mit Roma im Kosovo lebte, hat die Diskriminierung der Roma-Bevölkerung durch die UNO, die NATO und die großen Hilfsorganisationen dokumentiert. Nachdem er nachdrücklich auf die fehlende Versorgung der Roma mit Medikamenten, Lebensmitteln und Sicherheit aufmerksam gemacht hatte, drohte ihm dieselbe Hilfsorganisation mit Ausweisung, die ihn ursprünglich ins Kosovo zu den Roma eingeladen hatte: das UNHCR. Vor dem NATO-Krieg - so Polansky - lebten die Roma in integrierten und gewachsenen Gemeinden gemeinsam mit anderen Volksgruppen. Jetzt werden sie »wegen ihrer Hautfarbe« ethnisch gesäubert.

Cedomir Prlincevic, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Pristina, ist ebenfalls von der UCK vertrieben worden. Er erzählt, »als zwei Dutzend bewaffnete Männer in unsere Familienwohnung stürmten, erlitt meine 80 Jahre alte Mutter einen Herzanfall, weil es sie an Hitlers SS errinnerte, die 1943 auf die gleiche Weise ihre Wohnung gestürmt hatte«. Prlincevic hob hervor, daß »der Terror gegen Nicht-Albaner erst mit der Ankunft der KFOR im Kosovo begann«. Er erinnert sich: »Ich zeigte meine Papiere, die mich als Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Pristina auswiesen, einem britischen Major. Er schaute mich nur an und sagte: >Vergiß es, das zählt jetzt nicht mehr<.«

Es ist schon eine bittere Ironie, daß der Rest Jugoslawiens weiterhin aus einer wahrhaft multi-ethnischen Gesellschaft besteht, während im Kosovo unter dem Vorsitz von KFOR das Vorhaben Fortschritte macht, mit Hilfe von Terror einen ethnisch reinen Staat zu schaffen.

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