Kritische Töne
Zum Hufeisenplan
Im Folgenden zwei Artikel zum Hufeisenplan.
Hufeisenplan - das Kriegsrätsel
(Hamburger Abendblatt, 21.3.00)
Kein Zweifel: Die Serben haben Gräueltaten im Kosovo begangen. Aber sehr
zweifelhaft ist, dass sie dabei nach dem Hufeisenplan vorgegangen sind. Vieles spricht dafür, dass dieser Plan auf der Bonner Harthöhe manipuliert wurde. Um den Kriegseinsatz deutscher Soldaten zu legitimieren.
Von FRANZ-JOSEF HUTSCH
An diesem Tag schwelten im Süden des Kosovo in Velika
Krusa noch immer die Dachstühle. Vier Tage vorher hatten
serbische Paramilitärs im Morgengrauen dem weißen,
steinernen Löwen vor der Bar an der Hauptstraße den
Kopf abgeschlagen, hatten Schergen des Franko
Simatovic hinter dem grünen Hoftor des Hauses 48 ein
Schaf gegrillt und gegessen. An diesem 31. März 1999, so
erinnert sich Rexhep (45), haben wilde Hunde an den
Leichen erschlagener, erschossener und vergewaltigter
Albaner genagt. Und vom nahen Berghang habe ein Vogel
gezwitschert.1400 Kilometer nördlich von Velika Krusa in
Bonn "elektrisiert" an diesem Mittwoch ein Hinweis den
deutschen Verteidigungsminister Rudolf Scharping.
Offenbar liegen Beweise dafür vor, schreibt er in sein
Tagebuch, "dass das jugoslawische Vorgehen im Kosovo
einem seit langem feststehenden Operationsplan folgt".
Fünf Tage später erhält Scharping von Joschka Fischer
"ein Papier, das die Durchführung der +Operation
Hufeisen` belegt".
Dieser so genannte Hufeisenplan wurde fortan in
Bundestagsdebatten, Pressekonferenzen und Diskussionen
zum Synomym für die unbestreitbaren Gräueltaten, die
serbische Sicherheitskräfte im Kosovo verübten.
Kriegsgegner wurden mundtot gemacht, die kritisierten,
dass die Vertreibungen im Kosovo in großem Umfang erst
nach dem Abzug der OSZE-Beobachter und mit Beginn der
NATO-Luftangriffe begonnen hätten. Ein lang
vorbereiteter Plan Milosevics zur ethnischen Säuberung
des Kosovo erstickte solche Argumente im Keim. Aber gab
es den "Operationsplan" namens Hufeisen überhaupt?
"Die Widersprüche in der Beweisführung des
Verteidigungsministers sind so groß, dass man begründete
Zweifel an der Existenz eines solchen Dokuments haben
muss", schreibt Heinz Loquai in seinem Buch: "Der
Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg". Der
frühere General beschäftigt sich seit vier Jahren bei der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in
Wien mit Fragen der Rüstungskontrolle in
Bosnien-Herzegowina. Er war deutscher militärischer
Berater der OSZE im Stab für vertrauensbildende
Maßnahmen und damit auch zuständig für die
unbewaffneten Beobachter, die den Waffenstillstand
zwischen der albanischen Kosovo-Befreiungsarmee UCK
und den serbischen Sicherheitskräften aus dem Oktober
1998 überwachen sollten.
Den ersten Patzer leistete sich der Generalinspekteur
der Bundeswehr, Hans Peter von Kirchbach, als er am
8. April die "wesentlichen Ergebnisse der Auswertung des
+Hufeisen`-Planes" vorstellte. Der Plan, so las er vor,
heiße "Potkova". Das ist das kroatische Wort für Hufeisen,
das serbische Wort heißt "Potkovica". "Kann man sich
ernsthaft vorstellen, dass das serbische Militär in
kroatischer Sprache einen solchen Plan verfasst?", fragte
Gregor Gysi (PDS) im Bundestag.
Loquai stellte weitere Widersprüche fest. Am 19. April
sagte Scharping in einer Sondersendung der britischen
BBC: "Das klare Ziel (des Hufeisenplans) ist die ethnische
Säuberung des Kosovo und die Vertreibung der
Zivilbevölkerung." In der gleichen Sendung erklärte der
NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark, von einem solchen
Plan nichts zu wissen. Loquai fragt: "Warum hat der
deutsche Verteidigungsminister sein Wissen nicht an die
Bündnispartner und die NATO weitergegeben?"
Der frühere Brigadegeneral stellt zudem fest: "Nach
Scharping enthält der Plan alle Einzelheiten bis +zur
Nennung aller dafür einzusetzenden jugoslawischen
Einheiten`". Auf der vom Führungsstab der Streitkräfte
(FüS) erstellten Dokumentation im Internet (www.bundeswehr.de/kosovo/hufeisen.html) heißt
es, der Plan ist "in seinen Details allerdings nicht bekannt".
Hauptziel der Operation Hufeisen ist aus Sicht der
Geheimdienstexperten "die Zerschlagung bzw.
Neutralisierung der UCK im Kosovo".
Erstaunlich ist auch die Rede von Außenminister
Joschka Fischer vor dem Bundestag am 15. April - zehn
Tage zuvor hatte er die Unterlagen, die die so genannte
Operation Hufeisen belegen sollen, an Scharping
übergeben. Fischer: "Sie mögen den Plan nennen, wie Sie
wollen. Entscheidend ist doch die Frage, dass es bereits
im letzten Jahr angefangen hat."
Recherchen des Abendblatts erhärten Loquais These,
dass der Hufeisenplan dem Verteidigungsminister gar nicht
vorgelegen hat. "Wir haben nie behauptet, dass es einen
fertigen Plan gibt", sagt ein hoher Offizier des
Verteidungsministeriums süffisant lächelnd. Letztendlich
habe eine "Analyse gewisser Nachrichtendienste"
vorgelegen, nie etwas "aus erster Hand".
Österreichs Ex-Außenminister und heutiger
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel räumte im April 99 ein,
er habe Informationen des österreichischen
Heeresnachrichtenamtes (HNA) "an die Außenminister der
EU-Staaten" weitergegeben. Österreichs früherer
Verteidigungsminister Werner Fasslabend antwortet auf
eine Anfrage der Grünen, die Skizzen der Bundeswehr im
Internet "stellen nicht Planungen der Operation +Potkova`
dar, sondern eine grafische Aufarbeitung der von Januar
bis April 1999 aus offenen Quellen erkennbaren
Ereignisse".
Ein österreichischer Geheimdienstmitarbeiter sagt, bei
den Joschka Fischer überlassenen Papieren habe es sich
um "unstrukturiertes, analytisches Material eines
Wissenschaftlers des bulgarischen Geheimdienstes"
gehandelt, das die Ereignisse im Januar und Februar
1999 wiedergebe. Zudem habe das HNA in seiner
Abhörstation Königswarte bei Hainburg den militärischen
Funkverkehr in Jugoslawien abgehört. "Auch diese
Erkenntnisse sind nach Bonn gegangen."
Dort waren die Nachrichtenexperten des Referates FüS
II 3 noch kurz vor dem Krieg zu ganz anderen Ergebnissen
gekommen, als sie Scharping dem Bundestag und der
Öffentlichkeit im April präsentierte. Nach Darstellung
Scharpings ist der angebliche Hufeisenplan "von Milosevic
und seinem Regime vorbereitet, seit November
1998 organisiert und während der Verhandlungen von
Rambouillet begonnen" worden. Dazu seien die
"jugoslawischen Kräfte erheblich verstärkt" worden.
Unmittelbar vor Beginn der Luftangriffe heißt es in einem
Lagebericht des FüS II 3: Es "gibt keine Anzeichen für den
Beginn einer Großoffensive gegen die UCK". Es gebe örtlich
und zeitlich begrenzte Operationen, die auch in den
nächsten Tagen anhalten würden. "Zu einer groß
angelegten Offensive gegen die UCK im gesamten Kosovo
sind Armee und Polizei auch noch nicht fähig", heißt es
weiter in dem Papier. Um die Offensive Kosovo-weit zu
führen, bedürfe es einer umfangreichen Verstärkung durch
Infanteriekräfte.
Scharpings Fachleute sagten voraus, die UCK werde
versuchen, durch ihre bisher "angewandte
Hit-and-Run-Taktik (serbische) Polizei und Militär zu
massiven Reaktionen zu provozieren", um durch das
Ausmaß an Zerstörungen und Flüchtlingen Luftangriffe der
NATO auszulösen. Ähnlich folgert das deutsche
Außenministerium in seinem Lagebericht vom 19. März.
"Die Politiker haben die ihnen vorliegenden
geheimdienstlichen Analysen wohl ein wenig
überzeichnet", bewertet ein deutscher Nachrichtenoffizier
die bevorzugte Behandlung der angeblichen
+Potkova`-Unterlagen. Fortan wedelte Scharping bei
Diskussionen mit Kriegsgegnern mit dem imaginären Plan
und fragte rhetorisch: "Soll ich Ihnen den Hufeisenplan
zeigen?"
Die deutsche Öffentlichkeit würde ihn gerne sehen.
Dieser Hufeisenplan war schließlich auch das Instrument,
mit dem der Verteidigungsminister den ersten
Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach 1945 vor dem
Parlament und der Öffentlichkeit rechtfertigte. Nicht
auszudenken, wenn er sie getäuscht hätte.
"Hufeisen-Plan gab es nicht". General bezweifelt Existenz des serbischen
Kriegskonzepts
(Frankfurter Rundschau, 22.03.2000)
Von Karl Grobe
Schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg
erhebt der ehemalige Brigadegeneral Heinz Loquai gegen die
Bundesregierung. Der Bundestag sei "im Verlaufe seiner
Befassung mit dem Kosovo-Krieg von den jeweiligen Regierungen
lückenhaft, einseitig und falsch unterrichtet" worden. Der
angebliche "Hufeisen-Plan" der jugoslawischen Regierung habe
wahrscheinlich nie existiert.
FRANKFURT A. M., 21. März. Brigadegeneral a.D. Loquai stellt in
seinem soeben erschienenen Buch "Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen
vermeidbaren Krieg" (Nomos-Verlag Baden-Baden) die Frage, ob
deutsche Soldaten unter Bezug auf Halbwahrheiten und tendenziöse
Darstellungen in den Kosovo-Krieg geschickt worden sind. Der
Kriegseinsatz war unter anderem mit einem serbisch-jugoslawischen Plan
begründet worden, die albanische Bevölkerung systematisch und nach
einem lange festgelegten Plan namens "Potkova" - als "Hufeisen" übersetzt
- aus der Region Kosovo zu vertreiben.
Das serbische Wort für Hufeisen laute jedoch "potkovica". "Die
offensichtlichen Widersprüche und Ungereimtheiten in den zu diesem ,Plan'
verfügbaren Quellen . . . lassen erhebliche Zweifel aufkommen, ob ein
solcher Plan tatsächlich existierte und dem Verteidigungsministerium
vorlag", teilt Loquai mit. Über den angeblichen Plan hatte das
Bundesverteidigungsministerium Ende April 1999 mitgeteilt, er sei
"offenbar bereits Ende letzten Jahres in Milosevics Umfeld erarbeitet"
worden. Das Hamburger Abendblatt meldete am Dienstag, die "Joschka
Fischer überlassenen Papiere" stammten jedoch aus "unstrukturiertem
analytischem Material eines Wissenschaftlers des bulgarischen
Geheimdienstes", das über Österreichs Heeresnachrichtenamt an die
Nato-Außenminister gelangt sei. Auch FR-Recherchen hatten zu
Hinweisen auf geheimdienstliche Hintergründe geführt, nachdem das
Verteidigungsministerium den angeblichen Plan zur Begründung der
Einsätze öffentlich bekannt gegeben hatte. Diese vermeintlichen
Dokumente waren zum Teil in kroatischer statt serbischer Sprache
verfasst. Mit dem "Hufeisen-Plan" begründete Verteidigungsminister Rudolf
Scharping die Kriegseinsätze auch dann noch, als mehrere Zeitungen,
darunter die FR, auf Unklarheiten hingewiesen und Zweifel an der Echtheit
geäußert hatten. Auf der Internet-Seite der Bundeswehr war der
angebliche "Hufeisen-Plan" noch am Dienstag mit begleitenden Grafiken
abzurufen.
Brigadegeneral a. D. Loquai kommentiert, die Abgeordneten des
Bundestags seien "nach objektiven Maßstäben völlig unzureichend"
informiert gewesen, als sie seinerzeit "schwerwiegende Fragen wie die über
Krieg und Frieden" zu entscheiden hatten.
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