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Kundgebung in Wien gegen Schwarz-blau

Am Samstag, den 19. Februar 2000, fand in Wien die größte Kundgebung statt, die Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt: 250.000 Menschen kamen aus dem ganzen Land zusammen, um gegen Haider, Schüssel und den neuen Rechtsopportunimus, gegen Rassismus und Fremdenhass und gegen Sozialabbau zu demonstrieren.
Auf der Auftaktkundgebung auf dem Wiener Stephansplatz sprach für die österreichische Friedensbewegung der Kaplan Franz Sieder


Kaplan Franz Sieder

Ich spreche hier als Vorsitzender der Christinnen und Christen für die Friedensbewegung für die Österreichische Friedensbewegung. Ich spreche als katholischer Priester auch als Vertreter der Kirche und ich spreche als Betriebsseelsorger auch im Namen der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Ich wende mich zuerst an die Adresse des Herrn Schüssel. Herr Bundeskanzler Schüssel, Sie bezeichnen sich ständig als Christdemokrat. Ich möchte Ihnen diese Etikette "christlich" absprechen. Herr Schüssel, der politische Fasching, wo Sie Theater gespielt haben, ist vorbei und ich möchte Ihnen daher die christliche Maske vom Gesicht herunterreißen. Herr Schüssel, Sie haben immer betont, daß es Ihnen in der Politik um den Menschen geht. Es wurde aber in den letzten Wochen deutlich, daß es Ihnen nicht um den Menschen, ja nicht einmal um die eigene Partei, sondern daß es Ihnen nur Sie selbst geht. Sie haben sich als Egoist und karrieresüchtiger Mensch geoutet. Sie haben sich eigentlich selbst demaskiert. Es wurde allen Österreichern und Österreicherinnen klar, daß es Ihnen nur darum gegangen ist, Kanzler zu werden. Sie haben das Volk belogen mit Ihrer Oppositionsansage - Sie wollten nie wirklich in Opposition gehen. Sie haben nur Scheinverhandlungen mit der SPÖ geführt und die SPÖ "auflaufen" lassen. Diese Taktik ist zutiefst unchristlich und charakterlos. Sie haben als Außenminister auch gewußt, was aus dem Ausland auf Österreich zukommt - daß Sie uns in der ganzen Welt isolieren, wenn Sie den Pakt mit Haider eingehen. Sie haben es trotzdem getan.

Aber nicht nur dieses, Ihr Handeln bei der Regierungsbildung, ist für mich unchristlich und unmenschlich. Ein Politiker, der das Wort "christlich" für sich in Anspruch nimmt, hat auf der Seite der Schwachen und Zukurzgekommenen der Gesellschaft zu stehen. Sie wollen aber eine Politik für die Reichen und nicht für die Schwachen unserer Gesellschaft machen. Ihr Sanierungsprogramm zeigt deutlich, daß Sie sich das Geld nur von den kleinen Leuten holen möchten und nicht von den Reichen. Ihr ständiger Ruf vom schlanken Staat und von der Total-Privatisierung zeigt auch deutlich, daß Sie nur der Wirtschaft dienen möchten und nicht dem Menschen.

Die Bereiche, die Dienst am gesamten Volk sind, gehören nicht in die Hände von profitgierigen Privatunternehmern. Bahn, Post und Gesundheitswesen sind Dienst am gesamten Volk und gehören nicht privatisiert. Diese Bereiche haben auch ein Recht auf Defizit. Wenn Sie Geld brauchen, dann holen Sie sich das Geld bei denen, die es in Überfluß haben. Warum gibt es keine Vermögenssteuer und keine Wertschöpfungsabgabe? Abspecken soll man dort, wo Speck vorhanden ist.

Herr Schüssel, Sie haben auch gewußt, daß Haider durch seinen Ausländerhaß und seine Sympathie für die nationalsozialistische Ära eine menschenverachtende Politik betreibt. Sie haben sich trotzdem nicht gescheut mit einem solchen Politiker einen Pakt zu schließen.

Ich bin in dieser Situation nicht unbedingt unglücklich über die Reaktionen aus den anderen Ländern. Vielleicht helfen sie die Haider-Wählerinnen und Wähler wachzurütteln. Ich möchte hier auch an alle Arbeiterinnen und Arbeiter appellieren, die Haider gewählt haben. Ich möchte Euch bitten, ihm in Hinkunft nicht mehr Eure Stimme zu geben. Haider steht ganz sicher nicht auf der Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter und er hat auch noch nie etwas für die Arbeiterinnen und Arbeiter getan.

Als Vertreter der Friedensbewegung greife ich auch an, daß die neue Regierung, obwohl sparen angesagt ist - daß sie trotzdem die Militärausgaben beträchtlich erhöhen und neue Abfangjäger kaufen möchte. Ein starkes Militär ist ihnen wichtiger als den sozial Schwachen zu helfen. Sie haben in Ihrem Regierungsprogramm auch von einer Option für einen künftigen NATO-Beitritt gesprochen. Für mich ist auch diese Option zutiefst unmenschlich und unchristlich. - Nicht nur deshalb, weil ein NATO-Beitritt noch viele zusätzliche Milliarden von Schillingen verschlingen würde, die wir letztlich den ärmsten Menschen in unserem Land wegnehmen. Ich hoffe auch, daß Sie wissen, daß die NATO in ihren Grundsätzen sagt, daß sie im Eventualfall die Bereitschaft zum atomaren Erstschlag hat. Eine solche Bereitschaft zu haben ist Bereitschaft zum millionenfachen Mord. Eine solche Bereitschaft ist nicht nur unmenschlich und unchristlich, sie ist verbrecherisch. Wir bekennen uns auch weiterhin zur österreichischen Neutralität und wir brauchen auch in Zukunft keinen Beitritt zur NATO:
Der Rassismus und ein subtiler Antisemtismus ist nicht nur im Gehirn des Herrn Haider - sie sind auch in den Gehirnen von vielen anderen Österreicherinnen und Österreichern. Das kann und darf uns nicht gleichgültig sein. Der Rassismus ist wie ein Krebsgeschwür. Der Krebs muß schon bei den ersten Metastasen bekämpft werden, sonst kann es zu spät sein. Es ist daher zuwenig, wenn wir nur sagen, es soll wieder Ruhe einkehren und pflegen wir den Dialog. Sozialer Friede heißt nicht Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten unter den Teppich kehren oder nur darüber zu diskutieren. Ich bin sicher nicht für die Gewalt, aber ich bin für Widerstand und Widerstand kann in gewissen Situationen Christenpflicht sein. Jetzt befinden wir uns in einer solchen Situation. Herr Schüssel, Sie fordere ich auf, daß Sie aus Liebe zum österreichischen Volk und aus christlicher Verantwortung als Bundeskanzler zurücktreten.

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