Ende einer Epoche
Peak Oil und seine geostrategische Bedeutung
Von Hauke Ritz *
Teil I: Die absehbare Erschöpfung der globalen Ölreserven
In den siebziger Jahren war es eine angstbesetzte Zukunftsvision, das
Eintreten einer dauerhaften Unterversorgung auf den Ölmärkten. Die
Reaktionen, die der Club of Rome im Zuge seiner 1972 veröffentlichten
Prognose über »Die Grenzen des Wachstums« auslöste, fielen jedoch
teilweise panisch aus und führten zu unrealistischen Forderungen. So
wurde vielfach eine Politik der sofortigen Wachstumsrücknahme
propagiert. Auch stimmte der vorhergesagte Zeitpunkt nicht -- der Club of
Rome hatte bereits für die späten 80er Jahre mit einer Unterversorgung
auf den Ölmärkten gerechnet. Und so waren die Erleichterung über die
nicht eingetretene Energiekrise sowie die darauf folgende Sorglosigkeit
die Kehrseite der damaligen Warnungen. Zu guter Letzt schienen neuere
geologische Untersuchungen zu bestätigen, daß die Ölvorräte noch
mindestens vier Jahrzehnte reichen würden, lange genug also, um den
Übergang in das Post-Ölzeitalter nach und nach zu bewerkstelligen.
Mehr als zwei Jahrzehnte sollten folgen, in denen von
Ressourcenknappheit als Wachstumsgrenze moderner Industriegesellschaften
keine Rede mehr war. Umso überraschender war es für viele, als kurz nach
der Jahrtausendwende erstmals Gerüchte über eine Theorie auftauchten,
die unter dem Titel »Peak Oil« (von engl. »peak« = Gipfel, Höchstwert)
firmierte. Die Kernaussage ihrer Anhänger war, daß nicht die Reichweite
der Ölförderung entscheidend ist, sondern ihr Höhepunkt. Die Ölförderung
habe zwar eine Reichweite von 40 Jahren und mehr, doch trete ihr Maximum
spätestens im Jahre 2010 ein. Von diesem Zeitpunkt an würde die
Förderung sinken, und damit stießen auch die Grundlagen des bisherigen
Wirtschaftssystems an eine maßgebliche Grenze. Die Rede von der
mindestens vier Jahrzehnte währenden Reichweite des Öls war somit
irreführend. Und mit einem Male standen sie wieder im Raum, die
Katastrophenszenarien der 70er Jahre. Im Unterschied zum Club of Rome
fußten die Vorhersagen diesmal allerdings nicht auf fragwürdigen
kybernetischen Theoriemodellen, sondern auf vielfach bestätigten
empirischen Beobachtungen der Erdölgeologie. Welche waren das?
Phasen der Förderung
Erdölgeologen haben in den zurückliegenden Jahrzehnten eine sich
wiederholende Erfahrung bei der Ausbeutung von Ölfeldern gemacht. Diese
weist nämlich für gewöhnlich eine Förderkurve auf, die der Form einer
Glockenkurve folgt. In den ersten Jahren nach Beginn der Bewirtschaftung
steigt die Ausbeutequote steil an. Das liegt daran, daß zu diesem
Zeitpunkt der Druck im Ölfeld noch sehr hoch ist. Hinzu kommt, daß die
Geologen die Binnenstruktur einer Lagerstätte im Zuge der Förderung
immer besser kennenlernen. Je genauer ein Ölfeld vermessen wird und die
unterschiedlichen Gesteinsschichten, die Dichteschwankungen und inneren
Strömungsverhältnisse bekannt sind, desto zielgenauer kann gebohrt und
die Förderung gesteigert werden. Irgendwann wird dann allerdings ein
Fördermaximum erreicht. Auf dieses muß nicht sogleich ein Rückgang
folgen. Oft kann über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte ein
Förderplateau gehalten werden. Dennoch wird es mit der Zeit zunehmend
schwerer, die Ausbeutequote konstant zu halten. Die zweite Hälfte der
Glockenkurve, die Phase der schließlich sinkenden Förderung, hat begonnen.
Diese zweite Phase ist dadurch geprägt, daß der Druck im Ölfeld immer
mehr nachläßt. Fällt er zu stark ab, können sich Gase aus dem Öl lösen
und fortan eine Gaskuppe an der Spitze der Lagerstätte bilden, was
wiederum die Extraktion erschwert. Um dies zu vermeiden und den Druck
möglichst lange aufrechtzuerhalten, beginnt man damit, Wasser unter die
ölführende Gesteinsschicht einzuleiten. Eine Zeitlang läßt sich auf
diese Weise der Druck im Feld halten. Doch dann kommt unweigerlich ein
Zeitpunkt, an dem das eingeleitete Wasser nicht mehr unter der Ölschicht
schwimmt und diese anhebt, sondern zunehmend selbst in die ölführende
Gesteinsschicht eindringt und sich so allmählich mit dem Öl vermischt.
Fortan fördert man ein Öl-/Wassergemisch. Dies wiederum macht es
erforderlich, Energie einzusetzen, um das geförderte Öl wieder vom
Wasser zu trennen.[1]
Anfangs sind es nur geringe Wassermengen, die dem Öl beigemengt sind.
Kritisch wird die Produktivität eines Ölfeldes, wenn mehr als die Hälfte
der Förderung aus Wasser besteht. Nähert sich eine Lagerstätte ihrer
Erschöpfungsgrenze, kann der Wasseranteil schließlich den Ölanteil weit
übersteigen und teilweise über 90 Prozent liegen. Eine der letzten
Maßnahmen, die Erdölgeologen anwenden, um die Produktion eines
eigentlich schon erschöpften Ölfeldes aufrechtzuerhalten, besteht darin,
dieses gleichsam von der Seite anzubohren. Der Sinn dieser sogenannten
Horizontalbohrungen besteht darin, daß man auf diese Weise in der Lage
ist, exakt die ölführende Gesteinsschicht zu treffen und eine
Vermischung mit der oberen, gasführenden Schicht und der unteren,
wasserführenden Schicht zu verhindern. Versagt auch diese Maßnahme, so
ist der Förderrückgang praktisch nicht mehr aufzuhalten.
Divergierende Schätzungen
Die Peak-Oil-Theorie basiert auf diesen praktischen Erfahrungen der
Erdölgeologie. Summiert man die Förderkurven aller derzeit
bewirtschafteten Ölquellen und addiert man die erwarteten Förderverläufe
jener hinzu, deren Ausbeutung für die Zukunft geplant ist, so ist man in
der Lage, den weltweiten Förderhöhepunkt anzugeben. Berücksichtigt man
ferner, mit wie vielen potentiellen Neufunden in den nächsten
Jahrzehnten noch zu rechnen ist, läßt sich der weltweite Förderhöhepunkt
ungefähr berechnen.[2]
Eine großangelegte Untersuchung dieser Art wurde 1994 von dem
Erdölgeologen Colin Campbell vorgenommen. Campbell war Mitautor der
Studie »World Oil Supply 1930--2050«, die ausschließlich Regierungen und
der Industrie zugänglich war. Dabei hatten Campbell und seine
Mitarbeiter Zugriff auf die Daten von 18000 Ölfeldern. Die Studie sagte
damals den Peak der Ölförderung für das Jahr 2004 voraus. Das Ergebnis
war so brisant, daß die Petroindustrie mit zahlreichen Gegenstudien
reagierte. Da Campbells Vorhersagen von der herrschenden Politik
ignoriert wurden und auch in der Öffentlichkeit keinen Niederschlag
fanden, gründete er mit anderen Erdölgeologen die »Association for the
Study of Peak Oil«, kurz ASPO. In dieser Gruppe sind heute viele der
führenden Erdölgeologen organisiert. Anhand der neuesten Daten gibt die
Vereinigung regelmäßig aktualisierte Vorhersagen über die zu erwartende
Förderung heraus. Dabei haben sich die Prognosen der ASPO in den
zurückliegenden Jahren als wesentlich genauer und unabhängiger erwiesen
als beispielsweise die der Internationalen Energieagentur (IEA) mit Sitz
in Paris. Die IEA ist eine Organisation der OECD und offiziell für die
prognostische Abschätzung von Energierohstoffen zuständig. Dabei stützt
sie sich zum großen Teil auf die Untersuchungen des United States
Geological Survey (USGS), einer US-amerikanischen Behörde für
geologische Studien.[3]
Noch in ihrem World Energy Outlook 2005 prognostizierte die IEA, daß
sich die Ölförderung bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent steigern ließe. Für
den Zeitraum bis 2030 sagte die Agentur einen Ölpreis von
durchschnittlich 39 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) voraus. Derzeit
liegt der Ölpreis bei rund 120 Dollar. Während die IEA in den letzten
Jahren immer wieder eingestehen mußte, die Ölpreisentwicklung in der
Vergangenheit in einem dramatischen Umfang falsch prognostiziert zu
haben, haben sich die Prognosen der ASPO im großen und ganzen als
richtig erwiesen.
Die in der ASPO vereinigten Geologen gehen mehrheitlich davon aus, daß
der Förderrückgang sich spätestens bis 2010 bemerkbar machen wird. Nach
dem Eintreten des Peaks wird der Förderrückgang zwischen zwei bis sechs
Prozent jährlich betragen. Wobei zwei Prozent eine sehr optimistische
Schätzung bedeuten, da bereits jetzt in einzelnen Ölfördergebieten oft
ein wesentlich stärkerer Rückgang zu beobachten ist. So hat die
Ausbeutequote in der britischen Nordsee bereits 1999 ihren Höhepunkt
erreicht und ist seitdem um bereits zirka 40 Prozent gefallen.[4]
Problematisch ist auch die Abhängigkeit der gesamten Ölförderung von
einem Prozent aller Ölfelder. 75 Prozent des geförderten Öls stammen aus
diesen besonders großen Lagerstätten. Die meisten von ihnen werden
jedoch schon seit 30 bis 50 Jahren ausgebeutet. Allein neun Prozent der
weltweiten Ölförderung kommen aus den drei größten Ölfeldern der Welt,
den sogenannten Giant Fields, nämlich Ghawar in Saudi-Arabien, Burgan in
Kuwait und Cantarell in Mexiko. Alle drei haben 2005 oder 2006 ihr
Fördermaximum erreicht. Der Rückgang der Ausbeutequote, der sich seitdem
bemerkbar macht, ist oft dramatischer als erwartet. So ging die
Ölförderung des mexikanischen Ölfelds Cantarell innerhalb des Jahres
2006 gleich um 13,1 Prozent zurück. Im Mai 2008 bestätigte der
mexikanische Energieminister Ernesto Martens, daß die Förderung 2007 um
weitere 33 Prozent gefallen ist.[5] Die Förderung in Ghawar brach
innerhalb eines Jahres um acht Prozent ein.[6] Dieses Jahr hat auch
Rußland, auf dem lange Zeit die Hoffnungen auf steigende Förderraten
ruhten, erstmals eine leichte Verringerung seiner Produktion
bekanntgegeben.[7] Die erwähnten Rückgänge haben dazu geführt, daß die
im Juli 2006 erreichte Gesamtförderung von 85,4 Millionen Barrel seither
nicht wieder eingeholt werden konnte. Die Vermutung liegt nahe, dies
könnte bereits der Peak gewesen sein. Einzig im Irak, vor der
westafrikanischen und der brasilianischen Küste, in der Arktis und
möglicherweise in der Region ums Kaspische Meer ließe sich die
Produktion noch steigern. Doch kann dies den Förderrückgang in anderen
Regionen nicht ausgleichen.
Verhältnis Neufunde/Verbrauch
Da sich Öl nur in bestimmten geologischen Becken bildet und die Zahl
dieser Formationen auf der Erde begrenzt ist, gelten 90 Prozent aller
Ölfelder bereits als entdeckt. Der Höhepunkt an Ölfunden erfolgte in den
1960er Jahren. Mitte der 80er Jahre überstieg der Ölverbrauch erstmals
die Ölfunde. Seither verbraucht die Welt jedes Jahr mehr Öl, als an
Neufunden hinzukommt. In den 90er Jahren war der Planet bereits derart
abgesucht, daß die Ölgesellschaften durchschnittlich nur noch sieben
Milliarden Barrel pro Jahr fanden. Allein im Jahr 1997 wurde jedoch die
dreifache Menge, 21 Milliarden Barrel, verbraucht.[8] Die wenigen
Felder, die man noch findet, sind meist sehr klein, und ihre Ausbeutung
ist kostenintensiv. Ausnahmen, wie der kürzliche Fund einer sehr großen
Lagerstätte vor der brasilianischen Küste, bestätigen die Regel. Damit
sich an der Peak-Oil-Prognose wirklich etwas ändert, wäre es jedoch
erforderlich, in kurzer Zeit ein ganzes Dutzend solcher Felder zu
finden. Damit ist aber angesichts der immer kleiner werdenen Ölfunde in
den letzten zwei Jahrzehnten nicht zu rechnen. Es war somit nur eine
Frage der Zeit, bis sich dieses Ungleichgewicht zwischen Neufunden und
Verbrauch in einer sinkenden Förderung niederschlagen mußte. Dieser
Zeitpunkt ist entweder schon erreicht oder zumindest dramatisch
nahegerückt.[9]
Skeptiker, die der Peak-Oil-Theorie kritisch gegenüberstehen, wenden
häufig ein, daß der Förderrückgang durch den Fortschritt in der
Extraktiontechnik kompensiert werden könnte. Doch dieses Argument
berücksichtigt nicht die Erfahrungen, die beispielsweise mit den
Ölfeldern in Texas gemacht wurden. Diese lieferten in den 50er Jahren
einen großen Teil des weltweit konsumierten Öls. Mit ihm wurde der
Wirtschaftsboom der 50er und 60er Jahre angetrieben. Bereits 1956 sagte
der Erdölgeologe M. King Hubbert voraus, daß die US-amerikanische
Ölförderung zwischen 1966 und 1972 ihr Maximum erreichen würde. Im Jahre
1971 gelangten die texanischen Ölfelder dann auch tatsächlich an ihren
Förderhöhepunkt.
Trotz des technischen Fortschritts in der Ölförderung war es nicht
möglich, das Abfallen der Ausbeutequote in dieser Region zu verhindern.
Und auch die Erschließung neuer Lagerstätten in Alaska und im Golf von
Mexiko hat den Niedergang der US-amerikanischen Ölförderung nicht
aufhalten können. Mit anderen Worten: In der Glockenkurve sind zwei
Faktoren bereits berücksichtigt. Zum einen der technische Fortschritt
und zum anderen das Ausweichen der Förderung auf kleinere und schwerer
zugängliche Lagerstätten. Gäbe es keinen technischen Fortschritt der
Fördertechnik und würde man nicht auf kleinere Quellen ausweichen, wäre
der erwartete Rückgang noch viel drastischer.
Aus demselben Grund wird auch die vermehrte Förderung von Ölsanden in
Kanada und Schweröl in Venezuela die kommende Energiekrise nicht lösen.
Auf dem Papier sind diese Reserven zwar sehr groß. Doch aufgrund der
technischen Schwierigkeiten ist die Extraktionsrate sehr gering. Es wäre
schon viel gewonnen, wenn die kanadischen Ölsande den Rückgang der
konventionellen Ölextraktion in Kanada ausgleichen könnten. Daß sie den
Förderrückgang des Nahen Ostens und anderer Regionen auffangen könnten,
ist dagegen mehr als unwahrscheinlich.[10]
Folgen für die Weltwirtschaft
Aus dieser Sachlage ergibt sich jedoch eine Vielzahl an Fragen.
Zunächst, welche Konsequenzen hat diese Prognose für die
industrialisierte Welt? Anders als die Ölkrisen der 70er Jahre handelt
es sich diesmal nicht um eine politisch bedingte Krise. Da sie
geologische Ursachen hat, wird sie permanent sein. Entsprechend
verheerend könnten die Folgen ausfallen. Hieraus resultiert die zweite
Frage. Wie war es möglich, daß eine Hochzivilisation, die in der Lage
ist, ein gigantisches Medien- und Informationsnetz um den Globus zu
spannen, unvorbereitet in diese Krise hineingeraten konnte? Sollten die
geopolitischen Strategen in Washington, Tokio und Brüssel wirklich nicht
darüber informiert gewesen sein, daß die Ölförderung eines Tages
abnehmen wird?
Öl ist der mit Abstand bedeutendste Rohstoff der Weltwirtschaft. Seit
dem Ende des Ersten Weltkriegs steht und fällt die kapitalistische
Industrialisierung mit seiner Verfügbarkeit. Immer, wenn in den
vergangenen 90 Jahren die Weltwirtschaft gewachsen ist, hat auch der
Ölverbrauch zugenommen. Die Korrelation zwischen Ölverbrauch und
Wirtschaftswachstum ist also sehr eng. So eng, daß auch der umgekehrte
Fall gilt. Immer wenn in der Vergangenheit Versorgungsengpässe beim Öl
aufgetreten sind, mußte sich die Wirtschaftsdynamik dem verfügbaren
Ölangebot anpassen und so weit schrumpfen, bis keine Knappheit mehr
bestand. Der bekannteste Fall von Ölknappheit sind die beiden Ölkrisen
1973/74 und 1979/80. Seinerzeit löste die Unterversorgung jeweils einen
Anstieg des Ölpreises um 300 bis 400 Prozent aus. Rezession, sinkende
Börsenkurse und eine steigende Inflation waren die Folge.
Öl wird nicht nur für den Transport von nahezu 90 Prozent aller Güter
verwendet. Es ist auch der Grundstoff fast aller verwendeten
Kunststoffe. Nach Auskunft eines Experten der Chemiefirma Solvay werden
aus Öl mehrere hunderttausend organische Verbindungen synthetisiert, die
wiederum als Grundstoff für ebenso viele Kunststoffe, Farben, Lacke und
pharmazeutische Produkte dienen. Auch die moderne Landwirtschaft erweist
sich als extrem abhängig vom Öl. So werden nicht nur landwirtschaftliche
Maschinen mit Öl betrieben, Nahrungsmittel mit Hilfe von Öl
transportiert und verarbeitet, auch Pestizide und Dünger werden daraus
hergestellt. Dies führt dazu, daß in jeder Kalorie unserer Nahrung
ungefähr zehn Kalorien fossiler Energie mit enthalten sind.[11] Die
»grüne Revolution« der modernen Landwirtschaft war nur möglich, weil
durch die Verfügbarkeit billigen Öls mehr Energie in die
Nahrungsmittelproduktion eingespeist werden konnte, als wir aus der
Nahrung wiederum gewinnen. Ein Privileg, das die Menschen Jahrtausende
hindurch nicht besaßen. Hätten die Menschen des Mittelalters mehr
Energie in ihre Nahrungsmittelproduktion investiert, als sie aus ihr
gewannen, so wären sie verhungert.
Keine sanfte Wende
Eine ähnliche Abhängigkeit moderner Wirtschaftsprozesse vom Öl besteht
auch im weltweiten Handel. Solange billiges Öl als Hauptenergiequelle
für den Transport zur Verfügung stand, konnte dieser unbegrenzt wachsen.
Die Handelswege dehnten sich auf diese Weise in den zurückliegenden
Jahrzehnten beständig aus. Immer mehr Güter unseres täglichen Bedarfs
kommen aus entlegenen Weltregionen. Billiges Öl führte dazu, daß die
Menschen mehr reisten, mehr Güter über weite Distanzen bewegten und
schließlich mehr verbrauchten. Dies wiederum schlug sich nieder in einer
Zunahme der Geldzirkulation und jahrzehntelang steigenden
Wachstumsraten. Steht billiges Öl als Grundstoff dieser Entwicklung
nicht mehr zu Verfügung, so müßte sich dieser Prozeß theoretisch
umkehren. Statt Globalisierung des weltweiten Handels wäre plötzlich
eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe erforderlich. Statt
beständigen Wachstums des Handels, der Güterproduktion, des
Ressourcenverbrauchs und der Geldzirkulation wäre plötzlich eine
Schrumpfung notwendig.
Doch eine Schrumpfung von Handel, Güterproduktion und Geldumlauf ist in
der Logik des Kapitalismus praktisch nicht vorgesehen. Dieses
Wirtschaftssystem ist auf ständiges Wachstum programmiert. So wie ein
Fahrradfahrer sein Gleichgewicht nur halten kann, solange er fährt, so
bleibt auch die kapitalistische Ökonomie nur solange im Takt, wie sie
wächst. Bereits Nullwachstum stellt für moderne Volkswirtschaften eine
Katastrophe dar. Selbst wenn der Förderrückgang des Öls mit zwei bis
sechs Prozent noch moderat ausfallen sollte, wären die Folgen für die
industrialisierte Welt dramatisch.
Zwar ist es möglich, viele Funktionen des Rohstoffs Erdöl durch Erdgas
zu ersetzen. Doch ist auch dieses nicht in unbegrenztem Umfang
vorhanden. So ist die britische Gasproduktion seit 2001 stark
rückläufig; das Königreich muß seit 2005 sogar Gas importieren. Auch die
niederländische Gasproduktion sinkt seit vielen Jahren; es könnte sein,
daß die europäische insgesamt ab 2010 rückläufig sein wird.[12] Der Peak
beim Erdgas dürfte auf dem asiatischen Kontinent zwar erst in ungefähr
20 Jahren eintreten. Doch in anderen Teilen der Welt ist es bereits
jetzt ein knappes Gut geworden, so z.B. in Nordamerika, wo die
Erdgasproduktion seit 1973 leicht zurückgegangen ist. Und in den
nächsten Jahren wird sogar mit einem weiteren Fördereinbruch gerechnet.
Da Erdgas überwiegend über Land transportiert wird, können solche
Ungleichgewichte zwischen den Regionen schwer kompensiert werden. Hinzu
kommt, daß der Förderrückgang bei Erdgas noch viel abrupter erfolgt als
beim Öl.
Auch die Umstellung auf erneuerbare Energien verspricht keine schnelle
Lösung. Denn trotz des enormen Booms von Solar- und Windenergie und
trotz des hohen Ölpreises konnte in den letzten Jahren nicht einmal der
Anstieg des Ölverbrauchs aufgehalten werden. Um einen jährlichen
Förderrückgang von zwei bis sechs Prozent ausgleichen zu können, müßten
die Investitionen in erneuerbare Energien um ein Mehrfaches steigen.
Allerdings produzieren die meisten Solarzellen und Windräder Strom. Die
durch Peak Oil ausgelöste Energiekrise ist jedoch in erster Linie eine
Treibstoffproblematik. Versucht man, den Solar- oder Windstrom in
Treibstoffe wie z.B. Wasserstoff umzuwandeln, so kommt es zu
Übertragungsverlusten. Weitere Verluste entstehen, wenn der Treibstoff
in Antriebsenergie umgewandelt wird. Am Ende kann nur ein kleiner Teil
der erwirtschafteten Energie genutzt werden. Es besteht die Gefahr, daß
die Energiebilanz sehr niedrig oder sogar negativ ausfällt. Steckt man
jedoch fast genausoviel Energie in die Energieproduktion, wie man aus
ihr gewinnt, so kommt kein volkswirtschaftlicher Nutzen zustande.[13]
Diese Probleme wären sicherlich lösbar, hätte man noch ein oder zwei
Jahrzehnte Zeit, um ein großangelegtes Forschungs- und
Entwicklungsprogramm in die Wege zu leiten. Zu diesem Ergebnis kommt
auch ein Untersuchungsbericht, der von Dr. Robert Hirsch im Jahr 2005
für das US-Energieministerium erstellt worden ist. Er konstatierte, daß
die Umstellung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Öl auf alternative
Energieträger durchaus möglich ist. Allerdings müßte damit im
allergünstigsten Fall mindestens zwei Jahrzehnte vor dem Fördermaximum
begonnen werden.[14] Begänne die Umstellung lediglich ein Jahrzehnt vor
dem Peak, so könnten nur die schlimmsten Folgen abgemildert werden. Wie
oben dargestellt, wird das Ölfördermaximum nach Schätzung der Geologen
der ASPO aber bereits in den nächsten zwei Jahren erreicht sein. Mit
anderen Worten: Für einen harmonischen Übergang ist es heute bereits zu
spät.
Dieser Ausblick verweist auf die zweite Frage. Wie war es eigentlich
möglich, daß eine technische Zivilisation, die jährlich einen hohen
Prozentsatz ihres Bruttosozialprodukts für Forschung ausgibt, relativ
unvorbereitet in diese Krise gerutscht ist? An Warnungen hatte es nicht
gefehlt. Der Geologe M. King Hubbert hatte bereits in den 50er Jahren
den Förderhöhepunkt der texanischen Ölfelder vorhergesagt. Der Club of
Rome hatte 1972 das Thema zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte
gemacht. Auch die beiden Ölkrisen wenige Jahre später boten Anlaß, sich
der Abhängigkeit der industrialisierten Welt vom Öl bewußt zu werden.
Schließlich wurde auch die empirisch sehr detaillierte Studie des
Geologen Campbell aus dem Jahre 1994 zu einem Zeitpunkt erstellt, als es
noch möglich gewesen wäre, frühzeitig zu reagieren.
Teil II: Den US-Eliten kommt die drohende Ölknappheit nicht
ungelegen
Geopolitische Konkurrenz zwischen Staaten war in der Vergangenheit oft
Auslöser für große Investitionsanstrengungen des US-Imperialismus. Der
Zweite Weltkrieg hat das Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe
hervorgebracht. Und der Kalte Krieg hat gleich zu einer ganzen Reihe
umfangreicher und kostenintensiver strategischer Projekte geführt, wie
etwa dem Apollo-Programm der NASA oder der US-Rüstungsinitiative SDI
(»Strategic Defense Initiative«) zum Aufbau eines Abwehrschirms gegen
Interkontinentalraketen. Warum war es nicht möglich, ähnliche
Investitions- und Forschungsanstrengungen im Bereich der erneuerbaren
Energien zu tätigen? Sollte Peak Oil die modernen Gesellschaften abrupt
und unvorbereitet treffen, so würde dies nicht weniger bedeuten als die
größte Veränderung in der Wirtschaftsgeschichte seit Beginn der
industriellen Revolution. Umso schwerer ist es zu verstehen, daß die
Hintergründe des aktuellen Ölpreisanstiegs nicht Gegenstand einer
öffentlichen Debatte werden. Statt dessen genießt die Peak-Oil-Theorie,
obwohl vielfach anhand empirischer Fakten belegt, immer noch den Status
einer bloßen Mutmaßung, ja eines Gerüchts. Bis zum heutigen Tag hat
nicht einmal eine internationale Konferenz zum Thema stattgefunden. Wie
sind diese vielfachen Unterlassungen zu erklären?
Machtmittel US-Dollar
Um mögliche Ursachen dafür zu finden, lohnt es sich, die geopolitische
Funktion des Erdöls in unserer Zeit näher zu betrachten. Öl ist nicht
ein Naturprodukt unter anderen. Es ist der zentrale Rohstoff in der
zweiten Hälfte des 20. und in der ersten des 21. Jahrhunderts. Dieser
Sonderstatus rückte das Öl ins Zentrum der weltweiten Machtpolitik. Dies
ist schon daran ersichtlich, daß die USA als die mit Abstand mächtigste
Nation der Welt, in den zurückliegenden Jahrzehnten erhebliche
Anstrengungen unternommen haben, Einfluß auf die Verfügbarkeit dieser
Ressource zu gewinnen. So kontrollieren die Vereinigten Staaten mit
Hilfe ihrer konkurrenzlosen Kriegsmarine den gesamten Handel zur See und
damit auch den größten Teil der weltweiten Transportrouten für Öl. Damit
sich daran auch in Zukunft nichts ändert, zielen viele der derzeit
vorangetriebenen Pipelineprojekte darauf ab, Öl nicht ausschließlich
über Land, sondern auch auf dem Seeweg zum Endverbraucher zu befördern.
Schließlich hat Washington im Zuge der beiden Ölkrisen 1973/74 und
1979/80 sogar Einfluß auf die Fakturierung des Öls genommen. So soll
sich beispielsweise das saudische Königshaus in einem Geheimabkommen mit
den USA dazu verpflichtet haben, Öl nur in US-Dollar zu handeln.[15] Auf
diese Weise war es den Vereinigten Staaten möglich, die weltweite
Nachfrage nach Öl zur Stützung ihrer eigenen Währung einzusetzen. Der
Status des Dollars als Ölwährung garantiert seine Funktion als Welt- und
Reservewährung. Dies wiederum stellte in der Vergangenheit sicher, daß
die umlaufende Dollarmenge, ungeachtet der Defizite, die die
exorbitanten Rüstungsausgaben im US-Haushalt verursachten, beständig
ansteigen konnte. Solange die Welt Öl in Dollar handelt, können die USA
sich weiter verschulden. Und solange sich die USA verschulden können,
kann auch ihre militärische Macht weiter ausgebaut werden. Wächst aber
die militärische Macht der USA, so werden die Staaten der Welt auch
weiter Öl in Dollar handeln.
Auf diese Weise gründet die finanzpolitische Macht der USA zum großen
Teil auf ihrer militärischen Stärke, mit der sie Einfluß auf den
Transport und die Fakturierung des Öls nehmen können. So ist es nicht
verwunderlich, daß die US-Regierungen in den zurückliegenden Jahrzehnten
jede Gelegenheit genutzt haben, um ihre Stützpunkte im Nahen Osten
auszubauen. Die USA besitzen heute Militärbasen in Saudi-Arabien,
Ägypten, Jordanien, Irak, Oman, Katar, Bahrain, Georgien, Afghanistan,
Pakistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisien und Israel. Die
militärische Vormacht der USA in der ölreichsten Region garantiert
letztlich ihre Weltmachtposition. Diese Präsenz bietet jedoch nur dann
einen strategischen Vorteil, wenn sich der Nahe Osten und Zentralasien
in einem instabilen Zustand befinden. Denn wäre diese Region ähnlich
stabil wie heute Zentraleuropa, so wäre jede Drohung, von dieser Macht
auch Gebrauch zu machen, unglaubwürdig. So gesehen hat selbst die
Aufrechterhaltung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern
etwas mit der geopolitischen Rolle des Öls zu tun.
Von welcher Seite auch immer man das weltweite Machtgefüge in
Augenschein nimmt, stets stößt man auf die elementare Rolle des Öls. Und
möglicherweise war dessen Funktion als zentraler Machthebel der
eigentliche Grund, warum an seine Ersetzung durch andere Energiequellen
überhaupt nicht zu denken war. In den Augen der geopolitischen
Entscheidungsträger wäre ein Verzicht auf diese Ressource
gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die Weltmachtposition.
Der Umgang mit diesem strategischen Rohstoff ist somit Gegenstand eines
außergewöhnlich durchdachten geopolitischen Ordnungskonzepts. Die These,
daß die Menschheit in die Peak-Oil-Krise hineingeraten ist, weil niemand
über die Ressource Öl nachgedacht habe, ist daher wenig plausibel. Viel
wahrscheinlicher ist es, daß jene Geostrategen, die in den
zurückliegenden Dekaden auf der Basis des Ölhandels eine weltweite
Finanz-- und Währungsordnung aufgebaut haben, auch frühzeitig von der
Peak-Oil-Theorie Kenntnis hatten. Hinzu kommt, daß die Geopolitik einer
Weltmacht wie der Vereinigten Staaten notwendig in längeren Zeiträumen
kalkulieren muß. Die Vorstellung, daß Politik in Vier-Jahres-Abständen
geplant wird, mag für individuelle Politiker gelten, nicht jedoch für
die wichtigsten Think-tanks, Stiftungen und Einflußmächte hinter den
Kulissen. Ein Prozeß wie die NATO-Osterweiterung, die Ausdehnung und
Vertiefung der EU und auch militärstrategische Planungen werden auf
Zeiträume ausgelegt, die mindestens zwei bis drei Jahrzehnte umfassen.
Kampf um Vorherrschaft
Hieraus ließe sich die These ableiten, daß die Realität von Peak Oil in
bestimmten Kreisen -- wie z. B. der Ölindustrie und einigen
geostrategischen Planungsgruppen -- durchaus schon seit vielen Jahren
bekannt gewesen ist. Schließlich war das Phänomen 1971 an den
texanischen Ölfeldern und später in vielen anderen Regionen eingehend zu
studieren. Doch wenn diese These stimmt, dann muß man einen Grund gehabt
haben, die Öffentlichkeit und möglicherweise viele Politiker über dieses
Phänomen im unklaren zu lassen.
Das sich in unserer Gegenwart vollziehende wirtschaftliche und
weltpolitische Erstarken Rußlands und Chinas sowie Indiens und anderer
großer Teile der sogenannten Dritten Welt war spätestens seit den frühen
neunziger Jahren für jeden Geostrategen absehbar. Es war deutlich, daß
ein Land mit einem solchen Rohstoffreichtum wie Rußland und Länder, die
so reich an Menschen sind wie China und Indien, nicht dauerhaft daran
gehindert werden können, Wohlstand und weltpolitische Bedeutung zu
erlangen. Dies wird auch deutlich an einer Äußerung von Zbigniew
Brzezinski, Sicherheitsberater unter US-Präsident James Carter
(1977--1981). Brzezinski ist bis heute ein einflußreicher Stratege
amerikanischer Außenpolitik und berät auch den
US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama (siehe jW-Thema vom 28./29.
und 30.6.2008). In seinem 1997 veröffentlichten Hauptwerk »Die einzige
Weltmacht« heißt es: »Amerika als die führende Weltmacht hat nur eine
kurze historische Chance. Der relative Frieden, der derzeit auf der
Welt herrscht, könnte kurzlebig sein.«[16] Weiter analysiert er, daß
»Amerikas potentielle Herausforderer auf politischem und/oder
wirtschaftlichem Gebiet (...) ausnahmslos eurasische Staaten«[17] sind,
nämlich China, die EU, Rußland und Indien. Brzezinski leitete hieraus
ab, daß es das vorrangige Ziel der USA sein müsse, »die Gefahr eines
plötzlichen Aufstiegs einer neuen Macht erfolgreich
(hinauszuschieben)«.[18] Die USA verfolgen deshalb Brzezinski zufolge
die Strategie, »die beherrschende Stellung Amerikas für noch mindestens
eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren«. Es gelte, »das
Emporkommen eines Rivalen um die Macht zu vereiteln«.
Doch was könnte die Gefahr eines plötzlichen Aufstiegs einer neuen Macht
besser hinausschieben als eine plötzliche, durch geologische Sachzwänge
ausgelöste Verknappung des wichtigsten Rohstoffes der Welt. Sicherlich
ist die These, die sich hieraus ableiten läßt, zunächst spekulativ.
Dennoch ist sie im Bereich des Möglichen angesiedelt und sollte deshalb
auch erwogen werden. Was wäre, wenn die Vorbereitungen auf Peak Oil
deshalb unterblieben sind und bis heute weiter unterbleiben, weil man
den bevorstehenden Förderhöhepunkt beim Öl als Faktor in eine
geopolitische Strategie integriert hat? Was wäre, wenn man bereits vor
einigen Jahrzehnten Peak Oil als einen glücklichen Umstand betrachtet
hat, der es ermöglicht, große aufsteigende Schwellenländer wie China und
Indien just in dem Moment zu stoppen oder zumindest in einem Zustand der
Abhängigkeit zu halten, da sie zum großen wirtschaftlichen Sprung
anheben? Welche Indizien sprechen für diese These und welche dagegen?
Monopolisierung der Ölvorräte
Ein deutliches Indiz für diese These ist, daß die USA unmittelbar nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem (zweiten) Golfkrieg 1991 eine
Politik eingeleitet haben, die auf eine Monopolisierung der Ölvorräte
des Nahen Ostens ausgelegt ist. So äußerte der amerikanische Held dieses
Krieges, US-General Norman Schwarzkopf, bereits 1990 vor dem US-Kongreß,
daß das »Öl des Nahen Ostens (...) der Lebensnerv der westlichen Welt
sei«. »Es versorgt uns heute mit Treibstoff, und da es 77 Prozent des
Öls der freien Welt ausmacht, wird es uns auch dann noch versorgen, wenn
der Rest der Welt bereits auf dem Trockenen sitzt.«[19] Hatte der
Oberkommandierende der Operation »Desert Storm« bereits damals von Peak
Oil gewußt? Natürlich sollte man solche Äußerungen nicht überbewerten.
Sie können nichts beweisen. Gegen diese These einer geopolitischen
Einbindung des Peak Oil spricht, daß die Abhängigkeit der USA vom Öl
aufgrund ihres verschwenderischen Umgangs mit dieser Ressource und ihrer
klimatischen Bedingungen sehr viel größer ist als die der EU. Kombiniert
man jedoch die verschiedenen politischen Faktoren der letzten Dekade,
finden sich dennoch genug Hinweise, um besorgt zu sein.
Betrachtet man nämlich die Maßnahmen, die in den letzten zehn Jahren in
der internationalen Politik ergriffen worden sind, und stellt ihnen jene
gegenüber, die unterlassen wurden, so ergibt sich eine Bilanz, die
teilweise für sich selbst spricht. Wie bereits im ersten Teil erwähnt,
hat bis zum heutigen Tag keine internationale Konferenz zum Thema Peak
Oil stattgefunden. Auch die Medienberichterstattung dazu fällt sehr
dürftig aus. Substantielle Schritte, die eine friedliche Lösung der
kommenden Ölkrise vorbereiten könnten, sind nirgendwo zu beobachten.
Statt dessen erleben wir eine ständige Zunahme geopolitischer Spannungen.
Neuer Rüstungswettlauf
Ein ganz anderes Bild bietet sich, wenn man die Maßnahmen betrachtet,
die durch die Anschläge vom 11. September 2001 in den internationalen
Beziehungen ausgelöst wurden. Während die kommende Energiekrise mit
einem Mantel des Schweigens umhüllt wird, werden zur »Bekämpfung des
Terrorismus« neue Geheimdienste wie die US-amerikanische
Heimatschutzbehörde (»Homeland Security Agency«) gegründet. Zudem werden
die Rechte des Staates gegenüber seinen Bürgern in allen NATO Ländern
beständig erweitert und umgekehrt Bürgerrechte abgebaut. Internationaler
Austausch zum Thema islamischer Terrorismus findet ständig statt. Auch
Videobotschaften Bin Ladens erfreuen sich -- egal welch zweifelhaften
Ursprungs sie sind -- einer regen Medienaufmerksamkeit. Zugleich ist nach
dem 11.9. allein der Rüstungsetat der USA um 60 Prozent angestiegen.
Auch China, Rußland und andere Staaten führen einen »Krieg gegen den
Terror« und weisen ebenso wie die USA explodierende Rüstungsausgaben auf.
Mißtrauisch stimmt hierbei, daß sich der Rüstungswettlauf hauptsächlich
in Bereichen vollzieht, die mit Terrorismusbekämpfung nichts zu tun
haben, wie z. B. Nuklearbewaffnung und Weltraumrüstung. Seit die USA im
Begriff sind, ein Raketenabwehrsystem zu errichten, haben die russischen
Nuklearstreitkräfte im September 2007 erstmals ihre seit 1992 einseitig
eingestellten Patrouillenflüge über dem Pazifik, Atlantik und Polarmeer
wieder aufgenommen. Washington kündigte bereits 2002 den ABM-Vertrag6
auf, was Moskau 2007 mit der Annullierung des KSE-Vertrages [20]
beantwortete. Allgemein ist seit dem 11. September 2001 eine massive
Zunahme gewaltförmigen Handelns in den internationalen Beziehungen zu
beobachten. Immer mehr Menschen kommen in Kriegen ums Leben. Der Krieg
wird mit großer Selbstverständlichkeit als Mittel der Politik
betrachtet. Zugleich befindet sich das Völkerrecht in einem Zustand der
Erosion. Ausgerechnet in einem der ölreichsten Länder der heutigen Welt,
dem Irak, haben die USA einen langwierigen Krieg begonnen. Zugleich
haben sie Afghanistan besetzt, das zwar nicht über große Ölvorkommen
verfügt, aber ein wichtiges Durchgangsland für die Pipeline vom
Kaspischen Meer bis zum Indischen Ozean darstellt. Wie der US-Journalist
Seymour Hersh recherchiert hat, sind US-amerikanische Spezialtruppen
derzeit daran beteiligt, bestimmte Regionen im Vielvölkerstaat Iran zu
destabilisieren.[21]
Ein Verdacht steht im Raum. Könnte es sein, daß die einschneidenden
politischen Maßnahmen, die im Zuge des »Kriegs gegen den Terror«
weltweit durchgesetzt worden sind, eigentlich eine innen- und
außenpolitische Vorbereitung auf Peak Oil darstellen? Innenpolitisch
führen diese Maßnahmen zum Abbau von Bürgerrechten und zur
systematischen Überwachung der Bevölkerung. Stellen diese
Rechtsverschärfungen möglicherweise auch eine Vorbereitung auf einen
durch Erdölknappheit ausgelösten wirtschaftlichen Notstand dar? Sollte
der »Krieg gegen den Terror« gezielt dazu benutzt worden sein, kommenden
sozialen Kämpfen mit einem »robusten« Recht entgegentreten zu können?
Für diese These sprechen die außenpolitischen Maßnahmen, die mit dem
»Krieg gegen den Terror« begründet werden. So sieht die militärische
Bekämpfung des islamischen Terrorismus einem auf militärische
Ressourcensicherung ausgelegten Waffengang nur allzu ähnlich. Sollte der
vorrangig auf den islamischen Kulturkreis ausgerichtete »Kampf der
Kulturen« vielleicht die ideologische Basis für kommende
Ressourcenkriege bilden? Schließlich lagern mehr als zwei Drittel aller
Ölvorräte in islamischen Ländern.
Schockstrategie
Der naheliegendste Einwand gegen diese These lautet, daß Regierungen
sich in der Vergangenheit nicht derart komplexe Strategien ausgedacht
haben. Die Entwicklung eines solchen Plans und seine Durchsetzung
innerhalb des Regierungsapparats wäre auf zu großen Widerstand gestoßen.
Er wäre schlichtweg nicht vermittelbar gewesen. Dem ließe sich jedoch
entgegenhalten, daß Regierungen in der Vergangenheit durchaus eine
Politik betrieben haben, in der Chaos und gezielte Destabilisierung als
Mittel eingesetzt wurden. Viele Beispiele dieser Art hat die bekannte
kanadische Publizistin und Globalisierungskritikerin Naomi Klein in
ihrem jüngsten Buch »Die Schock-Strategie«[22] zusammengetragen. Kleins
Untersuchung bezieht sich auf Regierungsumstürze in Ländern wie Chile,
Argentinien, Irak oder postsozialistischen Gesellschaften wie Polen und
Rußland. Ihrer Analyse liegt die These zugrunde, daß die US-Geostrategen
immer wieder gezielt politische und wirtschaftliche
Destabilisierungsmaßnahmen eingesetzt haben, um in anderen Ländern eine
Politik der vollständigen wirtschaftlichen Deregulierung durchzusetzen.
Da die meist vom Weltwährungsfonds (IWF) oder der Weltbank geforderten
wirtschaftlichen Maßnahmen eine massive Verarmung der Bevölkerung nach
sich zogen, waren sie sehr unpopulär; ihre Durchsetzung in
Friedenszeiten war und ist sehr schwierig. Im Unterschied dazu bot eine
landesweite Schocksituation die Gelegenheit zu einem enorm
weitreichenden politischen Handeln.
Ein solcher Schock trat beispielsweise ein, als in Chile direkt nach dem
Staatsstreich Pinochets am 11. September 1973 die Massenverhaftungen
begannen. Der Schrecken, der sich in der Folge über das Land legte, bot
zugleich die Möglichkeit, eine vollständige Neuordnung der nationalen
Machtverhältnisse einzuleiten. Weitere Beispiele, die Klein anführt,
beziehen sich einerseits auf zufällige Schockereignisse, wie die
Zerstörung New Orleans' durch den Wirbelsturm »Katrina« im August 2005,
sowie absichtlich herbeigeführte, wie die Anwendung der
militärpsychologischen Strategie »Shock and Awe« (Schockieren und
Ehrfurcht einflößen) zu Beginn des Irak-Krieges im März 2003. So ist es
das Ziel der Shock-and-Awe-Strategie, durch massives, simultanes und
teilweise auch simuliertes Bombardement eine Traumatisierung der
Bevölkerung des bekriegten Landes herbeizuführen. Der Schockzustand wird
als sozialpsychologische Waffe eingesetzt, um den Zusammenhalt und die
Identität eines Landes oder Kulturkreises zu brechen. Klein stößt bei
all diesen Beispielen immer auf dasselbe Muster. Zerstörung, Chaos,
Schock und Destabilisierung wurden stets als eine Chance für die
schnelle Durchsetzung von Maßnahmen begriffen, die sonst nicht
mehrheitsfähig gewesen wären.
»Kreative Destabilisierung«
Klein bezieht sich in ihren Analysen nicht auf Peak Oil. Doch es wäre
theoretisch möglich, ihrer Argumentation die durch diese Krise
ausgelöste Destabilisierung als ein weiteres Kapitel anzufügen. Die
These, daß Regierungen in der Vergangenheit Chaos und heraufziehende
Wirtschaftskrisen nie gezielt als Mittel der Politik eingesetzt haben,
erweist sich somit als falsch. Insbesondere die USA haben während der
zurückliegenden Jahrzehnte immer wieder die Technik der »kreativen
Destabilisierung« benutzt, um ihre Macht auszubauen. Diese Praxis
basiert offenbar auf der Annahme, daß in einer geordneten und stabilen
Welt kein Staat seinen Einflußbereich im großen Umfang ausdehnen kann,
während dies umgekehrt in einer chaotischen Situation sehr leicht
möglich ist. Vor diesem Hintergrund wäre in der Tat zu überlegen, ob
sich an der Politik der vergangenen zehn Jahre hinsichtlich der
ergriffenen und der nicht ergriffenen Maßnahmen nicht bereits ablesen
läßt, wie man mit der kommenden Energiekrise umzugehen gedenkt.
Möglicherweise ähnlich, wie dies nach dem 11.September geschah? In
diesem Zusammenhang ist an ein Zitat von Donald Rumsfeld zu erinnern,
das aus einem Interview stammt, welches er am 12.10.2001, einen Monat
nach den Anschlägen, der New York Times gab. Darin erklärte der
US-Verteidigungsminister, »daß der 11. September eine ähnliche
Möglichkeit bereitstellt wie einst der Zweite Weltkrieg, nämlich die
Chance, die Welt neu zu gestalten«.
Die Beispiele zeigen, daß wir in einer Zeit leben, in der politische
Entscheidungsträger nicht davor zurückschrecken, Chaos, das unerwartet
über eine Gesellschaft hereinbricht, in den Dienst globaler Machtpolitik
zu stellen. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu unwahrscheinlich,
hätte noch niemand darüber nachgedacht, welche politischen und
ökonomischen Profite möglicherweise aus einem Phänomen wie Peak Oil zu
ziehen sind.
Fußnoten-
Vgl. Matthew R. Simmons, Wenn der Wüste das Öl ausgeht. Der kommende
Ölschock in Saudi Arabien, München 2006
- C. J. Campbell, F. Liesenborghs, J. Schindler, W. Zittel, Ölwechsel.
Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft,
München 2007
- Vgl. Hauke Ritz, »Die wunderbare Ölvermehrung«, in: taz, 4. 11. 2005
- Vgl. ASPO Deutschland, energiekrise.de
- Offshore-technology.com, »Cantarell Oil Field, Gulf of Mexico, Mexico«
- Luke Burgess, »The world's largest oil field is dying«, in: Energy
and Capital, 9.8.2006
- Zerta Blandow, »Russische Ölförderung am Peak?« ASPO-Deutschland,
16. April 2008
- Colin J. Campbell und Jean Laherrère, »The End of Cheap Oil«, in:
Scientific American, März 1998
- Vgl. Richard Heinberg, The Party's over. Das Ende der Ölvorräte und
die Zukunft der industrialisierten Welt, München 2004
- Vgl. Jörg Schindler/Werner Zittel, Energieversorgung am Wendepunkt.
Bedrohtes Klima, Knappheit bei Energie und Gas, Club Niederösterreich, 2004
- Vgl. Richard Heinberg, in: Oil, Smoke & Mirrors, Dokumentarfilm zum
Thema Peak Oil, Irland 2006
- Werner Zittel, »Ist Erdgas eine Alternative zum Erdöl?«, ASPO
Deutschland, energiekrise.de, 5. Februar 2008
- Vgl. Richard Heinberg, The Party's over, 4. Kapitel: Andere
Energiequellen, München 2004, S. 205-275
- Der Report ist im Internet abrufbar unter:
www.netl.doe.gov/publications/others/pdf/Oil_Peaking_NETL.pdf.
- Rudolph Chimelli, »Öl -- nur noch gegen Euro«, in: Süddeutsche
Zeitung, 16.3.2006 sowie International Currency Review, 6.1.1991, S. 45
- Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Berlin 1997, S. 303-305
- a. a. O., S. 57
- Dies und die folgenden Zitate a. a. O., S. 304--306
- Zitiert in: William Engdahl, Bushs »Krieg gegen die Tyrannei«,
engdahl.oilgeopolitics.net, 14.3.2005
- Der ABM-Vertrag wurde 1972 geschlossen und diente der Begrenzung von
Raketenabwehrsystemen. Am 13. Juni 2002 traten die USA einseitig aus dem
Vertrag aus.
- Der KSE-Vertrag dient der Begrenzung der konventionellen
Streitkräfte in Europa. Er wurde 1990 zwischen der NATO und den
damaligen Warschauer-Vertragsstaaten unterzeichnet und 1999 der
veränderten Lage angepaßt
- Seymour Hersh, »Preparing the battlefield«, in: The New Yorker, 7.
Juli 20
- Naomi Klein, Die Schock-Strategie, Der Aufstieg des
Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt a. M. 2007
* Hauke Ritz lebt als Publizist in Berlin.
Der Beitrag erschien in zwei Teilen in der "jungen Welt" vom 9. und 11.
August 2008
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