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55 Milliarden Kubikmeter Geschäft

Die Bundeskanzlerin und der russische Staatspräsident eröffnen heute in Lubmin die Ostsee-Pipeline

Von Velten Schäfer *

Der erste Strang der Ostsee-Pipeline ist planmäßig fertig geworden, der zweite soll nächstes Jahr folgen - und laut Betreiber ist das Gas schon verkauft. Die Region aber profitiert bisher wenig von dem Großvorhaben.

Wenn in Mecklenburg-Vorpommern von Lubmin die Rede war, besonders im Zusammenhang mit Energie, ging es zuletzt stets um Kampf. Bis der dänische Staatskonzern Dong im Dezember 2009 aufgab, zogen Bürgerinitiativen, Linkspartei und Grüne gegen den Plan zu Felde, auf dem Areal des früheren Kernkraftwerks einen großen Meiler zu errichten, in dem Steinkohle aus Australien verstromt werden sollte.

Nur ein Jahr später schaffte es der schöne Ort bei Greifswald sogar in die internationale Presse, als Atomkraftgegner zum Protest gegen die Einlagerung westdeutschen Atommülls im »Zwischenlager Nord« trotz eisigen Winterwetters die Gleise nach Lubmin blockierten. Tausende Polizisten schützen damals den Castor-Zug, rund um Greifswald herrschte der Ausnahmezustand.

Diesmal ist alles anders: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Dmitri Medwedjew heute im Beisein weiterer Politprominenz aus Europa an der Anlandestation am Greifswalder Bodden die neue Ostsee-Pipeline mit einem Festakt einweihen, werden zwar einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Mit ernsthaften Protesten gegen die Pipeline wird aber nicht zu rechnen sein.

Im Frühjahr 2010 hatten sich die Umwelt- und Naturschützer von BUND und WWF mit dem russisch-deutschen Betreiberkonsortium Nord Stream geeinigt. Unter anderem wurden die Mittel für Ausgleichsmaßnahmen um zehn Millionen Euro aufgestockt, die Bauherren ließen sich darauf ein, den für den Meeresboden gefährlichen Mergel-Aushub an Land zu lagern - und die Pipeline auf 47 statt ursprünglich geplanten 27 Kilometern einzugraben. Beim WWF war schließlich gar von einem »sensationellen Erfolg für die Ostsee« die Rede.

Für das Betreiberkonsortium, dem neben dem Mehrheitseigner Gazprom auch die BASF-Tochter Wintershall, E.on Ruhrgas, die niederländische Gasunie und der französische Energieriese GDF Suez angehören, scheint das Geschäft mit dem russischen Gas gut anzulaufen. 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr sollen durch den fertiggestellten ersten Strang der Pipeline fließen - und seien auch fast schon verkauft, hieß es. Nächstes Jahr soll der zweite Strang fertig sein. Dann könnten jährlich 55 Milliarden Kubikmeter in Lubmin ankommen.

Für die Gemeinde und die Region sind die Impulse dagegen begrenzt. Die Anlandestation und die Weiterleitung des Gases selbst schaffen genau zwei Arbeitsplätze in der Verwaltung und zehn in Betrieb und Wartung. In Sassnitz auf Rügen, wo die Pipeline-Rohre in einem eigenen Werk mit Beton ummantelt wurden, wird nach der Fertigstellung wohl Schluss sein für die etwa 200 Beschäftigten - es gibt keine Folgeaufträge.

Spürbar mehr Arbeitsplätze könnten durch Ansiedlungen im Umfeld der Pipeline entstehen. Seit Jahren ist von bis zu drei Gaskraftwerken die Rede, die dort gebaut werden könnten. Am konkretesten scheinen dabei die Pläne des südwestdeutschen Energiekonzerns EnBW: Vor einem halben Jahr schien noch alles auf einen baldigen Baubeginn hinzudeuten, doch inzwischen ist bei EnBW von fehlenden Gaslieferverträgen die Rede, eine konkrete Investitionsentscheidung gibt es nicht. Auch von Gazprom und E.on, die 2008 eine »Absichtserklärung« für den Bau eines Gaskraftwerks unterzeichnet hatten, war diesbezüglich schon lange nichts mehr zu hören.

Hoffen kann die Gemeinde Lubmin dagegen auf Steuereinnahmen. Obwohl das Betreiberkonsortium Nord Stream in der Schweizer Steueroase Zug angesiedelt ist, müssen Teile des Gewinns nach internationalen Abkommen in Lubmin versteuert werden, weil sich dort der Betriebssitz für Deutschland befindet. Über den Umfang dieser erhofften Zahlungen will vor Ort aber noch niemand spekulieren.

Molche im Erdgasstrom

Der Bau der Ostsee-Pipeline wurde 2005 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Weg gebracht. Zum Bau wurde ein Joint Venture gegründet, das seit 2006 Nord Stream heißt.

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Durch die 1224 Kilometer lange Pipeline können mit dem Endausbau 2012 rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Europa fließen. Das reicht rechnerisch aus, um 26 Millionen Haushalte zu versorgen. Der zweite Leitungsstrang, der im Herbst 2012 in Betrieb gehen soll, liegt bereits zu zwei Dritteln auf dem Meeresgrund.

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Ein Leitungsstrang besteht aus rund 100 000 Rohren, die je zwölf Meter lang sind und mit Erzbeton ummantelt wurden. Dieser verhindert einen Auftrieb der Stahlrohre. Die rund 7,4 Milliarden Euro teure Leitung wurde mit Spezialschiffen des italienischen Pipelinebauers Saipem verlegt. Dazu wurden die Rohrsegmente auf dem Verlegeschiff Stück für Stück zusammengeschweißt und dann auf den Meeresboden abgesenkt. Die mit 210 Metern tiefste Verlegestelle liegt bei Gotland.

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Die Betriebsdauer ist auf mehr als 50 Jahre ausgelegt. Die Leitung wird regelmäßig inspiziert, um Veränderungen zu erkennen. Dazu werden sogenannte Molche (Messgeräte) mit dem Gasstrom durch die Pipeline geschickt. Für den Fall einer Beschädigung, die Nord Stream für unwahrscheinlich hält, seien alle notwendigen Maßnahmen in einem Notfallschutzplan festgelegt. dpa/nd



* Aus: neues deutschland, 8. November 2011


Eine Brücke unter der Ostsee

Neues Kapitel bei der Gasversorgung der EU, aber keine dauerhafte Lösung der Energieprobleme

Von Kurt Stenger **


Energieversorgung war bisher eine wirtschaftliche und außenpolitische Gemengelage, bei dem der Umweltschutz zu kurz kam.

Fragt man Umweltschützer danach, welcher fossile Energieträger die Brücke ins Zeitalter der Erneuerbaren bilden könnte, dann ist die Antwort einhellig: Erdgas ist am klimaverträglichsten. Moderne Gaskraftwerke können flexibel hoch- und heruntergefahren werden, so dass sie die starken Schwankungen bei Windkraft und Solarstrom gut ausgleichen können. Und für die Wärmeversorgung der Privathaushalte sind Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auf Gasbasis, die gleichzeitig Strom produzieren, erste Wahl.

Allerdings muss Erdgas vorrätig sein. Nur etwa 14 Prozent des Verbrauchs im Jahr 2010 wurden in Deutschland gefördert. Und das in weitgehend erschöpften Lagerstätten im Norden, die Jahr für Jahr weniger hergeben. Gas muss also vor allem importiert werden. Mehr als die Hälfte kommt aus der Nordsee, vor allem aus den Niederlanden und Norwegen - auch hier gehen die Vorräte langsam zur Neige. Größter Einzellieferant ist längst Russland, 2010 mit einem Anteil von 32 Prozent. Mit der Ostsee-Pipeline wird dieser Trend verstärkt. Kritiker warnen vor einer Monopolstellung und der damit verbundenen Gefahr von Preissteigerungen. Allerdings ist die Abhängigkeit durchaus wechselseitig: Russland ist der größte Erdgaslieferant der EU - gleichzeitig ist die EU wichtigster Kunde.

Mit der Ostsee-Pipeline nimmt die Wahrscheinlichkeit von Lieferunterbrechungen ab. Der Hauptgrund dafür waren bisher Streitigkeiten mit den Transitländern. Erstmals kommt nun Erdgas aus Russland direkt ohne die Querung der Ukraine, Polens und von Belarus in die Bundesrepublik. Gleichzeitig wird diese zunehmend selbst zum Transitland. Die maximale Kapazität von Nord Stream übersteigt die Menge der gesamten bisherigen Gasimporte aus Russland. Und so verbinden zwei große Anbindungsleitungen (OPAL nach Süden sowie NEL nach Südwesten) die Ostsee-Pipeline mit Tschechien bzw. mit den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Großbritannien.

Dies zeigt, dass die Energiepolitik, auch wenn jedes EU-Land weiter eigene Zwecke verfolgt, allmählich europäischer wird. Gegenüber Lieferländern tritt man öfter gemeinsam auf und man bastelt an dem Milliardenprojekt Nabucco. Ziel ist es, unter Umgehung Russlands Erdgas vom Kaspischen Meer in die EU zu transportieren. Freilich wurde der Termin für den Baubeginn mehrfach verschoben (aktuell auf 2013) und die Kosten gehen in die Höhe. Auch wenn mit Joschka Fischer ein früherer Außenminister als Lobbyist gewonnen wurde, ist völlig unklar, woher das Gas kommen soll. Im Gespräch sind bisher nur Aserbaidschan und Turkmenistan - zwei despotisch regierte Länder, die bereits Lieferverträge mit Russland und China abgeschlossen haben. Und mit dem konkurrierenden Pipeline-Projekt South Stream möchte Russland Nabucco endgültig den Garaus machen.

Egal woher das Erdgas kommt - wie im Strombereich beherrschen hierzulande einige wenige Konzerne samt Tochtergesellschaften den Markt vom Pipeline-Betrieb über den Großhandel bis hin zur Versorgung des Endverbrauchers. Im Ergebnis zahlt dieser hohe Preise. Erst im August und September haben wieder 90 Versorger Tariferhöhungen vollzogen - obwohl der Weltmarktpreis gesunken ist. Begründet wird dies oft mit lange laufenden Lieferverträgen und der Bindung an den Ölpreis. Die Intransparenz beschäftigt regelmäßig die Gerichte.

Auch an der Endlichkeit der Ressource Erdgas wird sich mit der Ostsee-Pipeline nichts ändern. Bleibt die Förderung weltweit gleich, würden die bekannten Reserven etwa 60 Jahre reichen. Eine längere Zukunft verspricht hingegen die umstrittene Förderung von Schiefergas, die allerdings erheblich kostspieliger und umweltzerstörender ist.

Klar ist, dass die Brücke Erdgas nur dann trägt, wenn gleichzeitig die Nachfrage massiv reduziert wird - etwa durch verbrauchsarme, wärmegedämmte Niedrigenergiehäuser. Bei der Eröffnung der Ostsee-Pipeline heute in Lubmin werden Umweltverbände daher nicht mitfeiern.

* Aus: neues deutschland, 8. November 2011


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