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Explosive Wolke über dem Meer

Das Leck im Elgin-Gasfeld in der Nordsee ist weder gefunden noch gestopft

Von Christian Bunke *

Aus der 150 Meilen von der schottischen Ostküste entfernten Offshore Ölplattform Elgin des französischen Total-Konzerns strömt weiter ungehindert Gas aus. Daran wird sich bis auf Weiteres nichts ändern, da das Leck noch nicht geortet werden konnte. Experten gehen aber davon aus, dass die Ursache unterhalb der Meeresbodenoberfläche zu finden ist.

Von einer »kochenden See« und einer »sich ausbreitenden Gaswolke« berichten evakuierte Arbeiter von einer der Bohrplattformen des Elgin-Gasfeldes in der Nordsee. Weil das Gas-Luft-Gemisch hochexplosiv ist, können sich im Moment weder Schiffe noch Helikopter der Bohrplattform nähern. Deshalb gibt es auch keine aktuellen Bilder von der Situation vor Ort. Auch der Shell-Konzern hat vier umliegende Ölplattformen teilevakuiert. Die Elgin wurde vollständig geräumt. Das ist ein in der Geschichte der Öl- und Gasförderung in der Nordsee bisher einmaliger Vorgang.

Die Gewerkschaften UNITE und RMT fordern nun die vollständige Evakuierung und Stilllegung aller Plattformen in einem Fünf-Meilen-Radius um das havarierte Bohrloch. Die Sicherheit der Beschäftigten müsse vor kommerziellen Interessen stehen, so die Gewerkschaften in Stellungnahmen.

Derweil gerät die Informationspolitik des französischen Total Konzerns, dem die Elgin-Plattform gehört, in die Kritik. Erst am Dienstagabend gab ein Firmensprecher zu, dass die so genannte »Fackel« auf der Plattform immer noch brennt. Der Sprecher erklärte gegenüber dem Fernsehsender »Channel 4«, dies habe für die Firma keine Priorität gehabt, zumal es viel zu gefährlich wäre, Arbeiter zur Plattform zu schicken, um die Flamme zu löschen. Total zeigte sich überzeugt, dass die Fackel sich schnell ausbrennen werde. Außerdem sei sie so angebracht, dass bei der derzeitigen Windrichtung das Risiko einer Entzündung des aus dem Leck strömenden Gas sehr gering sei.

Für die Gewerkschaft RMT ist der Fakt der brennenden Fackel »jenseits der Vorstellungskraft.« Die Gewerkschaft sieht ein stetig anwachsendes Explosionsrisiko auf der Plattform. Rund um die Plattform wurde eine Zwei-Meilen-Verbotszone für Schiffe und Drei-Meilen-Verbotszone für Flugzeuge errichtet. Immerhin genüge ein Funke, um eine Katastrophe herbeizuführen, so die RMT.

Weil die Plattform nicht erreicht werden kann gestalten sich Sicherungsarbeiten als schwierig bis unmöglich. Total hat Spezialfeuerwehrleute aus den USA angefordert, diese werden aber derzeit wenig ausrichten können. Total hofft auf ein baldiges Versiegen der angezapften Gasquelle und bezeichnet diese als »nicht produktiv«. Allerdings seien Vorhersagen darüber keine »exakte Wissenschaft« so ein Total-Sprecher gegenüber der schottischen Presse.

Obwohl es sich hier um einen Unfall mit Katastrophenpotenzial handelt, hat die britische Presse im Gegensatz zu deutschsprachigen Medien bislang sehr wenig darüber berichtet. Erst am Dienstag fanden sich einige Artikel, wenn auch sehr versteckt.

Eine Lösung des Problems kann sich hinziehen. Im Gespräch ist eine Dauer von sechs Monaten. Im Elgin-Gasfeld wurde sehr tief gebohrt, zum Teil bis zu fünf Kilometer unter dem Meeresgrund. Der Druck des austretenden Gases ist sehr hoch. Experten diskutieren die Möglichkeit, einer Entlastungsbohrung, die das verbleibende Gas direkt an der Quelle ableitet. Alternativ könnte man den Austrittsbereich verstopfen. Aber auch dies dürfte sich schwierig gestalten, da die üblichen Prozeduren für diesen Vorgang hier scheinbar nicht anwendbar sind. Zuerst muss allerdings die Quelle des Gasaustrittes gefunden werden. Dazu soll ein Roboter-U-Boot vor Ort gebracht werden.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es über die Folgeschäden für die Umwelt. Das Gasgemisch wird als tödlich für Menschen, Tiere und Pflanzen beschrieben. Gleichzeitig behauptet der Total Konzern, dass es nach dem Verschwinden des Gases in die Atmosphäre keine weiteren Nachwirkungen geben würde.

* Aus: neues deutschland, 29. März 2012


"Uns geht es nicht nur um die Nordsee"

Erdgas-Katastrophe vor Schottland: Greenpeace fordert Verzicht auf Förderung in »sensiblen« Regionen. Gespräch mit Jörg Feddern **

Jörg Feddern ist Meeresexperte des deutschen Zweigs von Greenpeace.

An der Bohrinsel »Elgin« vor der schottischen Nordseeküste tritt eine große Menge Erdgas aus – die Besatzung wurde evakuiert, das umgebende Seegebiet wegen Vergiftungs- und Explosionsgefahr gesperrt. Bisher gibt es nur wenige Informationen über das Unglück – was weiß Greenpeace darüber?

Bisher leider auch nur wenig. Fest steht, daß erhebliche Mengen Gas ausströmen – hauptsächlich Methan, aber auch Schwefelwasserstoff und Kohlendioxyd. Wir wissen auch, daß Experten des Betreiberkonzerns Total beraten, wie sie dieses unkontrollierten Gasaustritts Herr werden können. In der Diskussion ist u.a. eine Entlastungsbohrung, um das beschädigte Bohrloch schräg von der Seite her zu stopfen. Das allerdings würde Monate dauern – und solange würde weiter Gas austreten.

Die Öffentlichkeit ist bislang noch auf Informationen von Total angewiesen. Gibt es unabhängige Quellen?

Die britischen Behörden haben das Sperrgebiet um »Elgin« herum von Schiffen und Flugzeugen aus kontrolliert – die Angaben des Konzerns werden also überprüft. Auch Greenpeace hat ein Flugzeug dorthin geschickt. Allerdings besteht weiterhin Explosionsgefahr und das Flugzeug bleibt außerhalb der Sperrzone. Wenn sich das Methan entzünden sollte, könnte es eine katastrophale Explosion geben. Es war richtig, »Elgin« sofort zu evakuieren, auch das Personal benachbarter Bohrinseln wurde in Sicherheit gebracht.

Und wie sieht es mit der Vergiftungsgefahr aus?

Der Schwefelwasserstoff ist hochgiftig, die Unglücksstelle ist allerdings über 200 Kilometer von der schottischen Küste entfernt, dort droht keine Gefahr. Mit dem Gas tritt auch Kondensat aus – also leichtes und flüchtiges Öl, das sich als Film auf der Wasserfläche absetzt. Der verdampft mit der Zeit, die Gefahr ist also gering, daß Meeresfauna, Wasser und Strände mit Öl verschmutzt werden, wie es 2010 im Golf von Mexiko nach dem Untergang der Plattform »Deep Water Horizon« geschehen ist. Wir werden das weiter beobachten.

Methan ist ebenfalls giftig, vor allem aber umweltschädlich: Es wirkt 21mal stärker als Kohlendioxyd.

Wie geht es jetzt weiter?

Total wird sicher alles tun, um das Leck schnell abzudichten. Unsere Forderungen gehen weiter – das ist ja nicht der erste Unfall dieser Art in der Nordsee. Dort gibt es insgesamt etwa 450 große Öl- und Gasplattformen, die Fördergebiete sind ein riesiges Industrierevier. Jedes Jahr passieren dort Hunderte Unfälle dieser Art – wenn auch nicht immer ganz so schlimme wie im aktuellen Fall. Die Anlagen stammen zum Teil aus den 70er Jahren und sind nicht unbedingt mit der modernsten Technik ausgestattet. Die muß dringend auf den neuesten Stand gebracht werden; sollte das nicht funktionieren, ist die betreffende Plattform stillzulegen.

Die Ölkonzerne müßten doch eigentlich gewarnt sein – hat es nicht in der Nordsee schon schlimme Unfälle gegeben?

1988 ist – ebenfalls vor der schottischen Küste – die Gasbohrplattform »Piper Alpha« in die Luft geflogen, 167 Arbeiter kamen dabei um.

Seit den 80er Jahren gibt es übrigens, wenige hundert Kilometer von »Elgin« entfernt, ein Bohrloch von Esso. Bei der Suche noch Öl hatten die Techniker eine Gasblase angestochen – seitdem blubbert und sprudelt dort Methan aus dem Meer. Das ursprüngliche Bohrloch im Meeresboden hat sich mittlerweile zu einem riesengroßen Krater ausgewachsen. Die Stelle ist in Seekarten verzeichnet, der Schiffahrt wird geraten, sie zu umfahren. Die Gasmengen, die dort austreten, sind so relevant, daß sie in den internationalen Klimaverhandlungen eine Rolle spielen.

Uns geht es aber nicht nur um die Nordsee – ich erinnere nur an die erwähnte »Deep Water Horizon«. Und jetzt schielt die Ölindustrie sogar schon auf die Arktis, Shell will in diesem Sommer nördlich von Alaska die ersten Bohrungen niederbringen. Der Konzern betont zwar, er habe technisch alles im Griff – aber der aktuelle Unfall vor Schottland zeigt, daß eben nicht alles im Griff ist. Wir fordern daher, daß die Ölindustrie ihre Finger von so sensiblen Regionen wie der Arktis läßt.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, 29. März 2012


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