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Keinen Trumpf im Ärmel

Erdgas aus Mittelasien soll Westeuropas Energiehunger stillen. Beim Pipelinepoker gilt EU-Favorit Nabucco jedoch inzwischen als abgeschlagen

Von Tomasz Konicz *

Die EU muß zurück auf Los beim großen Pipelinemonopoly. Noch im Juli hatten die am westeuropäischen Gasleitungsprojekt Nabucco beteiligten Staaten in Ankara den offiziellen Startschuß für dieses ehrgeizige energiepolitische Vorhaben gegeben. Doch die Aufbruchstimmung ist inzwischen verflogen. So mußte das Management des Nabucco-Konsortiums am 11. November kleinlaut eingestehen, daß die Beschlüsse über die konkreten Investitionspläne zum Bau der 3200 Kilometer langen und voraussichtlich 7,9 Milliarden Euro teuren Pipeline erst Ende 2010 zu erwarten seien - geplant war das für Anfang des kommenden Jahres. An der Leitung, die unter Umgehung Rußlands über die Türkei Erdgas nach Westeuropa befördern soll, sind die Energiekonzerne RWE (Deutschland), OMV (Österreich), MOL (Ungarn), Transgas (Rumänien), BEH (Bulga­rien) und die türkische Gesellschaft Botas mit jeweils 16,67 Prozent beteiligt.

Das kommenden Jahr werde »entscheidend« für dieses von der EU forcierte Projekt, das ab 2014 bis zu 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus den kaspischen und nahöstlichen Lagerstätten befördern soll, erklärte der frühere BRD-Außenminister Jo­seph Fischer am 2. November in Sofia. Fischer ist als Unternehmensberater auch für RWE tätig und vor allem damit beschäftigt, dem Nabucco-Projekt zum Durchbruch zu verhelfen. Diese laut Insiderberichten äußerst lukrative Beratungstätigkeit, die dem Politrentner eine sechsstellige Vergütung einbringen soll, scheint sich auch für RWE auszuzahlen. Nach Gesprächen Fischers mit Regierungsvertretern in Sofia erklärte die bulgarische Außenministerin Rumjana Schelewa, die Nabucco-Pipeline genieße in Sofia Priorität gegenüber dem russischen Konkurrenzprojekt, der durch das Schwarze Meer geplanten South Stream Pipeline. Beide konkurrierenden Vorhaben sollen von Bulgarien aus in die weiteren EU-Abnehmerländer führen.

Probleme hat das Nabucco-Konsortium mit dem wichtigsten Transitland Türkei. US-amerikanische Denkfabriken machen insbesondere eine energiepolitische Neuausrichtung der dortigen Regierung für die Verzögerungen bei der Realisierung von Nabucco verantwortlich. Ankara scheine weiterhin ein Transitabkommen zu hintertreiben, mittels dessen aserbaidschanisches Erdgas nach Europa fließen würde, resümierte z.B. die Jamestown Foundation. Dieses ungewöhnliche Vorgehen scheint dem strategischen Ziel der türkischen Regierung zuwiderzulaufen, eine Schlüsselstellung beim Energietransport zu erringen. Doch laut der Jamestown Foundation will die derzeitige AKP-Regierung dies durch die Zusammenarbeit mit Rußland erreichen. Premierminister Recep Tayyip Erdogan befindet sich in Verhandlungen mit dem Kreml über die Realisierung etlicher Pipelineprojekte, so daß Ankara inzwischen sogar vorschlägt, Nabucco zur Beförderung russischen Gases zu benutzen.

Die Türkei hat im Oktober zudem einen Kooperationsabkommen mit Iran abgeschlossen, das die Entwicklung bilateraler Projekte auch im Gassektor vorsieht. Dies könne als Vorstufe einer langfristigen energiepolitischen Kooperation zwischen Ankara und Teheran dienen, in deren Rahmen auch iranisches Erdgas durch Nabucco fließen könnte, meldete die US-Nachrichtenagentur UPI. »Sobald die politischen Umstände es erlauben, iranisches Gas nach Europa zu liefern, würde Nabucco eine natürliche Transportroute darstellen.« Anfang November mußte auch RWE Berichte zurückweisen, denen zufolge der Konzern sich bereits mit iranischen Stellen in konkreten Verhandlungen über Gaslieferungen befinde. Auch Berater Fischer schloß eine Beteiligung des Iran - die von Washington abgelehnt wird - Anfang November aus: »Solange die politische Lage im Iran so ist, wie sie ist, ist der Iran keine Option«, behauptete der Lobbyist.

Da Ankara sich weiterhin einer Beteiligung der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak an Nabucco verweigert, steht nur Aserbaidschan als zuverlässiger Erdgaslieferant für das Pipelineprojekt fest. Doch selbst in Baku wachsen die Zweifel an Nabucco, da Aserbaidschan allein jährlich die 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas nicht liefern kann, die zur Auslastung notwendig sind. Es gebe noch viele »ungelösten Fragen«, erklärte Energieminister Natiq Alijev am 14. November: »Aserbaidschan ist die einzige Ressourcenbasis für die Nabucco-Gaspipeline. Wir haben viel getan. Derzeit warten wir auf weitere Fortschritte bei diesem Projekt.«

Neue Hoffnung können die EU-Strategen in Zentralasien schöpfen, wo Turkmenistan wegen anhaltender energiepolitischer Spannungen mit Rußland bestrebt ist, die Exportrouten für sein Erdgas zu diversifizieren. Seit einer Explosion an einer Pipeline im April dieses Jahres - als die Gaspreise weltweit einbrachen - sind die Gaslieferungen aus Turkmenistan nach Rußland unterbrochen. Erst am 9. November erklärte der stellvertretende Generaldirektor der Gasprom-Tochter Gasexport, Sergej Tschelpanow, daß »die Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Lieferungen« weitergeführt würden und man wohl »in nächster Zeit Vereinbarungen treffen« werde.

Gasprom gilt in Aschagbat nicht mehr als zuverlässiger Partner, und man sucht dort neue Abnehmer für sein Gas, schrieb die Nesawissimaja Gaseta am 13. November. Im Dezember sollen zwei Pipelineprojekte abgeschlossen werden, die turkmenisches Erdgas nach China und in den Iran befördern werden. Für die Europäer könne vor allem die iranisch-turkmenische Pipeline von Interesse sein, da so turkmenisches Gas künftig über die iranischen Rohrleitungen in Nabucco-Pipeline eingespeist werden könnte.

* Aus: junge Welt, 17. November 2009


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