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Die Taxierung der Welt

Hintergrund. Die in Hannover ansässige Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) beliefert Bundesregierung und Industrie mit Informationen über knapper werdende Ressourcen. Ein wichtiger Faktor im globalen Konkurrenzkampf

Von Jörg Kronauer *

Ohne die begehrten, aber raren Hightech-Metalle leidet der Profit. »Ob Photovoltaik-Module, Mikrokondensatoren oder Glasfaserkabel« – um derlei innovative Produkte herzustellen, sei die deutsche Industrie auf diverse seltene Bodenschätze angewiesen, hielt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) im Frühjahr in einer Pressemitteilung warnend fest. Germanium etwa sei unersetzlich, auch Tantal, Indium oder die heute weithin bekannten »Seltenen Erden«. Die weltweite Nachfrage nach den Hightech-Metallen steige an, einige von ihnen könnten deshalb »in den nächsten Jahren knapp werden« – mit fatalen Folgen für bundesrepublikanische Unternehmen. Was tun? Die BGR kümmert sich darum. Sie hat 2010 eine Studie erstellt, in der sie die Versorgungssituation der Wirtschaft und ihre Entwicklung bis 2030 in den Blick genommen hat. Sie hat dabei diejenigen Rohstoffe eruiert, bei denen in der Tat »ein erhöhtes Versorgungsrisiko« zu erwarten ist. Damit nun aber die im globalen Konkurrenzkampf stehende deutsche Industrie nicht nur weiß, welche wichtigen Rohstoffe wirklich rar werden, sondern damit sie auch geeignete Mittel an die Hand bekommt, sich den Zugriff auf sie zu sichern, hat die BGR eigens ein Projekt gestartet. Wie sie mitteilt, soll es Wege herausfinden, »wie man der drohenden Verknappung dieser Hightech-Metalle vorbeugen kann«.

Die BGR nimmt im Kontext der bundesdeutschen Rohstoffpolitik seit ihrer Gründung 1958 eine zentrale Stellung ein. Formal ist die Institution mit Hauptsitz in Hannover eine technisch-wissenschaftliche Oberbehörde des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Sie fungiert als »nationaler geologischer Dienst« der Bundesrepublik. Ihre Tätigkeit gründet sich letztlich auf einen Erlaß des Bundeswirtschaftsministeriums vom 26. November 1958. Demnach besteht ihre primäre Aufgabe darin – so beschreibt sie es selbst –, die »rohstoffwirtschaftliche und geowissenschaftliche Beratung der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft« durchzuführen. Diese diene »insbesondere der langfristigen Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung des Industriestandortes Deutschland«. Hinzu kommen weitere Aktivitäten, darunter die Wahrnehmung von Aufgaben der internationalen geowissenschaftlichen Kooperation und zunehmend auch Tätigkeiten im Rahmen der deutschen Entwicklungspolitik. Die Mittel, die der BGR mit ihren rund 760 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stehen, sind im aktuellen Bundeshaushalt auf 72,4 Millionen Euro erhöht worden.

Im Bund mit der Industrie

Damit die BGR bei der staatsfinanzierten Beratung von Regierung und Wirtschaft auch bestimmt nicht industriefremd agiert, ist sie strukturell mit der Crème de la crème der rohstoffhungrigen deutschen Konzerne verflochten. Das läßt sich schon an ihrem Kuratorium ablesen, das per Erlaß vom 29. Januar 1975 eingerichtet wurde und zweimal jährlich zusammenkommt. Es soll, heißt es bei der BGR, die Leitung der Anstalt »und den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie« beraten – und zwar in sämtlichen Fragen, »die die Tätigkeit und Entwicklung der BGR betreffen«. Damit hat das Kuratorium gestaltenden Einfluß auf die Hannoveraner Einrichtung. Ihm gehören zur Zeit neben mehreren Professorinnen und Professoren aus verschiedenen geowissenschaftlichen Forschungszentren Vorstandsmitglieder einer Reihe mächtiger Großkonzerne an. Vertreten sind die Kasseler BASF-Tochter Wintershall – der zur Zeit größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent –, der Energieriese RWE, ExxonMobile Europe, das Steinkohleunternehmen RAG AG, deren Vorstandsvorsitzender im BGR-Kuratorium den Vizevorsitz innehat, und der Bergbaukonzern K+S, der den BGR-Kuratoriumsvorsitzenden stellt. Dem BGR-Kuratorium gehört nicht zuletzt der designierte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Ulrich Grillo an, der bisher dessen Rohstoffausschuß leitete. Grillo ist ein Sproß der Duisburger Grillo-Dynastie, deren Familienunternehmen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewinnbringend in der Ruhrgebiets-Metallindustrie tätig ist.

Die Informationen, die die BGR der roh¬stoffinteressierten Industrie zur Verfügung stellt, sind vielfältig und umfassend; sie erstrecken sich auf Energieressourcen und mineralische Rohstoffe, auf Preise und Lagerstätten, beziehen die Polar- und die Meeresforschung ebenso ein wie Forschungen über das Grundwasser, über Erdbeben oder über die Endlagerung radioaktiven Materials. Die BGR ist zur Stelle, wenn aktuelle weltpolitische Entwicklungen sich auf die Rohstoffmärkte auszuwirken drohen. Jüngstes Beispiel: die Aufstände in der arabischen Welt seit Ende 2010. Befinden sich in der in Unruhe gestürzten arabischen Welt nicht die bedeutendsten Erdöl- und Erdgaslagerstätten weltweit?, fragte sich so mancher Unternehmer, als Anfang 2011 erst Ben Ali und dann Mubarak fielen. Das ist tatsächlich der Fall, bestätigte die BGR in ihren Anfang März 2011 publizierten Commodity Top News Nr. 34, einer übersichtlichen Kurzanalyse, die eine schnelle Orientierung darüber möglich machte, welche Rohstoffe in welchem Umfang etwa von der Revolte in Ägypten oder von dem sich abzeichnenden Krieg in Libyen betroffen waren. Ergebnis: Die Bundesrepublik habe ihre Rohstoffimporte erfolgreich diversifiziert und beziehe nur noch wenig Öl aus Nordafrika und aus Nah- und Mittelost. »Durch politische und wirtschaftliche Ereignisse bedingte Ausfälle« könnten jederzeit »durch freie Förderkapazitäten anderer Länder kompensiert werden«, beruhigte die BGR; es sei deshalb trotz aller Rebellionen nicht mit akuten Lieferengpässen zu rechnen. Gleichwohl sei ein Anstieg des Ölpreises auf dem Weltmarkt durchaus wahrscheinlich. Erdgas hingegen beziehe Deutschland überhaupt nicht aus der arabischen Welt, stellte die BGR fest – eine klare Entwarnung.

Außenpolitische Relevanz

Untersuchungen wie diese sind ganz offensichtlich nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Außenpolitik von erheblichem Interesse. Das gilt nicht nur für Themenstellungen, deren eminente tagespolitische Bedeutung so offen auf der Hand liegt wie im Falle der erwähnten Kurzanalyse über Öl und Gas in der arabischen Welt und im Iran. Ein – nur scheinbar abseitiges – weiteres Beispiel sind die BGR-Analysen über die Arktis. Experten sind sich seit Jahren einig, daß der Klimawandel zum Abschmelzen der arktischen Eisflächen führt; damit werden bislang nicht profitabel erschließbare Rohstoffvorkommen auf dem arktischen Festland oder unter dem Boden des Polarmeers leichter zugänglich. Die Arktis-Anrainerstaaten von den USA über Norwegen bis Rußland stecken längst ihre Claims im Hohen Norden ab. Schlagzeilen machte im Sommer 2007 die Drei-Mann-Besatzung eines russischen Mini-U-Bootes, die am Nordpol, 4 261 Meter unter der Meeresoberfläche, eine russische Flagge in den Boden rammte – ein symbolischer Hoheitsanspruch.

Um Klarheit zu bekommen, was in der Arktis denn genau auf dem Spiel steht, hat die BGR in den Jahren 2009 und 2010 ein Projekt zum Thema »Das Rohstoffpotential der Arktis« durchgeführt, aus dem schließlich mehrere Teilstudien hervorgingen. Diese behandeln jeweils das »mineralische Rohstoffpotential« Grönlands sowie der nordamerikanischen (Kanada/USA), der nordeuropäischen und der russischen Arktis. Für künftige Konflikte jenseits des Polarkreises, in die die Bundesregierung durchaus in der einen oder anderen Form einzugreifen gedenkt, herrscht also hinsichtlich der Rohstofflage dank der BGR eine gewisse Klarheit.

Um ihre praktische Zuarbeit für die deutsche Industrie intensivieren zu können, hat die BGR im Oktober 2010 die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) gegründet. Die DERA ist fester Bestandteil der BGR und seit März 2012 in deren Dienststelle in Berlin-Spandau untergebracht. Wie sie mitteilt, richten sich ihre Leistungen »insbesondere an die deutsche Wirtschaft«, der sie sämtliche nötigen Informationen über Rohstoffe sowie spezifische Beratung zur Verfügung stellen will. Sie wolle, so schreibt sie über sich selbst, »die zentrale Informations- und Beratungsplattform zu mineralischen und Energierohstoffen für die deutsche Wirtschaft« sein. Zu ihren Leistungen gehören »individuelle Recherchen zu bestimmten Rohstoffen«, die vor allem mittelständische Unternehmen ohne großen Forschungsapparat bei ihren Geschäftsentscheidungen unterstützen sollen. Die DERA nimmt darüber hinaus auf Anfrage auch eine »Analyse der Angebots- und Nachfragetrends« oder eine »Bewertung der Preisrisiken« bei relevanten Ressourcen vor. Man kann bei ihr eine Untersuchung »zu neuen Rohstoffproduzenten und -lieferanten bis hin zur Bewertung von Bergbauprojekten« in Auftrag geben sowie sich ganz individuell über »unternehmerisches Engagement im Umfeld der Primärproduktion« beraten lassen. Daß die ¬DERA auch über rohstoffbezogene Industrie-Förderprogramme der Bundesregierung informiert, versteht sich von selbst.

Nationaler Schulterschluß

Im Juli 2012 hat die DERA schließlich – über all dies hinaus – unter dem Motto »Sicherung der deutschen Rohstoffversorgung« eine Kooperationsvereinbarung mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geschlossen. Das verspricht einen doppelten Fortschritt. Zum einen öffnen die vor Ort fest verwurzelten örtlichen IHKs der DERA den Zugang zu kleineren Unternehmen, die den Schritt nach Berlin-Spandau bislang nicht geschafft haben. Damit stärkt die Rohstoffagentur den nationalen Schulterschluß der deutschen Wirtschaft in Sachen Rohstoffsicherung. Ein Beispiel? Für den 4. September kündigt die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen einen »IHK-DERA-Rohstoffdialog« in den Räumen des Miele-Forums (Miele & Cie. KG, Carl-Miele-Straße, Gütersloh) an. »Experten berichten über Hintergründe der Rohstoffpreisentwicklung und geben Handlungsoptionen anhand von Praxisbeispielen, wie Rohstoffsicherung und Rohstoffbeschaffung im Unternehmen optimiert werden können«, heißt es im Einladungsschreiben. Dem ostwestfälischen Kleinunternehmer, der den Weg nach Gütersloh zu Miele nicht schafft, ist wirklich nicht mehr zu helfen. Zum anderen erleichtert die Kooperation mit dem DIHK der DERA den Zugang zum globalen Netzwerk der deutschen Außenhandelskammern (AHK), die noch enger in die nationalen Rohstoffbemühungen einbezogen werden sollen. »Auf internationaler Ebene geht es insbesondere darum, den Rohstoffzugang für die deutsche Wirtschaft zu erleichtern und die Chancen für deutsche Unternehmen als Zulieferer für den internationalen Rohstoffsektor zu erhöhen«, schreibt die DERA über die Kooperation mit den AHK.

Zum Beispiel die Mongolei

Das klingt abstrakt? Konkretisieren lassen sich die DERA-Aktivitäten am Beispiel der Mongolei. Das Land ist, kaum bemerkt von der verschlafenen deutschen Öffentlichkeit, zu einem Shooting Star der globalen Rohstoffwirtschaft geworden. Es besitzt riesige Vorräte etwa an Kupfer, Gold, Silber, Uran und Seltenen Erden; sogar die mongolische Kohle ist hochwertig und überaus begehrt. Ein Konsortium deutscher Konzerne beteiligt sich an der milliardenschweren Kokskohle-Förderung in Tavan Tolgoi, einer der größten Lagerstätten weltweit im Süden der Wüste Gobi; ThyssenKrupp will den Rohstoff in Europa in der Stahlherstellung einsetzen. Die mongolische Ressourcenbranche boomt gewaltig – und deutsche Wirtschaftsverbände machen mobil. Die IHK Hannover, die im März mongolische Fach- und Führungskräfte empfangen hat, um die Wirtschaftskontakte auszubauen, wirbt nun unter kleinen und mittelständischen Unternehmen für einen Trip in die Mongolei, zur »Markterkundung«, »mit Fokus auf Bergbau und Zulieferer«, wie es im Einladungsflyer heißt. Organisiert wird die Reise vom Ostasiatischen Verein (OAV), einem der großen deutschen Außenwirtschaftsverbände; bezuschußt wird sie vom Bundeswirtschaftsministerium. »Die Investitionsmöglichkeiten sind breit gefächert«, lockt der OAV; schließlich steht Bedeutendes auf dem Spiel – der deutsche Zugriff auf die reichen Bodenschätze der Mongolei.

Als äußerst vorteilhaft für profitable deutsche Investitionen erweist es sich, daß die BGR bereits seit 20 Jahren in dem Land tätig ist. Sie kooperiert dort mit dem Ministerium für Mineralische Rohstoffe und Energie und mit seinen Unterorganisationen, etwa mit der Behörde für Mineralische Rohstoffe und mit dem Geologischen Zentrallabor. Schon in den 1990er Jahren hat sie ihre Kenntnisse über die Ressourcen der Mongolei mit einem Projekt zur »Erfassung und Untersuchung nichtmetallischer Rohstoffe« erweitert; seit Januar 2008 unterstützt sie laut Eigenangabe die mongolische Behörde für Mineralische Rohstoffe »in der Bewertung ausgewählter Lagerstätten«. Nach umfassenden Forschungsreisen, bei denen BGR-Experten zwischen Mai 2008 und September 2010 mehr als 14000 Kilometer in dem Land zurückgelegt haben wollen, hat die BGR 2011 schließlich ein »Investorenhandbuch Nichtmetall- und ausgewählte Metallrohstoffe der Mongolei« vorgelegt, das die DERA nun in Unternehmerkreisen anpreist. Es kann – dem Staatshaushalt sei Dank – kostenfrei bezogen werden. Und da nicht jeder Unternehmer und Politiker über die Zeit verfügt, das Werk selbst zu lesen, stehen BGR-Experten auch persönlich zur Verfügung. Als im Dezember 2011 eine Delegation des Bundeswirtschaftsministeriums in die Mongolei reiste, um den deutschen Zugriff auf die mongolischen Rohstoffe zu stärken, da nahm Fachpersonal von BGR und DERA an der Reise teil.

Ihr Einstieg in der Mongolei, der sich heute als überaus nutz- und profitbringend erweist, ist der BGR 1992 im Rahmen der sogenannten Entwicklungshilfe gelungen. Nach der Übernahme der DDR, die eng mit der Mongolischen Volksrepublik zusammengearbeitet hatte, adaptierte die Bundesrepublik, wie das Auswärtige Amt in Erinnerung ruft, »auch zahlreiche Entwicklungsprojekte der DDR und die Betreuung von Hunderten mongolischer Stipendiaten in den neuen deutschen Bundesländern«. Das betraf auch den Rohstoffsektor, auf dem Bonn schon Anfang der 1990er Jahre an Aktivitäten von DDR-Wissenschaftlern anknüpfen konnte – diese hatten zahlreiche Forschungsexpeditionen in der Mongolei durchgeführt. Im Jahr 1992 entsandte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die BGR im Rahmen der sogenannten Technischen Zusammenarbeit in das Land; man wolle die staatlichen mongolischen Institutionen durch die Ausbildung ihres Personals und die Modernisierung ihrer Infrastruktur unterstützen, hieß es zur Begründung. Offiziell natürlich nur ein Nebenprodukt, fielen dabei jedoch höchst wertvolle Erkenntnisse über die mongolischen Rohstoffe ab, die heute Berlin und der deutschen Wirtschaft spürbare Vorteile gegenüber der globalen Konkurrenz beim Kampf um Zugriff auf die mongolischen Bodenschätze verschaffen. Bis heute gehört die Rohstoffbranche zu den Schwerpunktfeldern der deutschen »Entwicklungshilfe« für die Mongolei. Im offiziellen Sprachgebrauch nennt man diese für das eigene Land überaus nützliche Praxis »nachhaltige Wirtschaftsentwicklung/Förderung eines nachhaltigen Rohstoffmanagements«.

Aktiv auf allen Kontinenten

Die Mongolei ist nur ein Beispiel dafür, wie die internationale Tätigkeit der BGR die Profite deutscher Unternehmen und den Einfluß des deutschen Staates unterstützt. Die BGR ist an unterschiedlichsten Kooperationen mit anderen Staaten beteiligt. So nimmt sie Einfluß auf die EU, laut Eigenangaben »etwa bei der Mitgestaltung von EU-Richtlinien und -Programmen«. Besonders teure Expeditionen unternimmt sie gemeinsam mit ähnlichen Institutionen aus anderen Staaten, um die Kosten zu teilen; das gilt etwa für Forschungsreisen in die Antarktis, die gemeinsam mit Stellen aus Australien, Neuseeland und den USA durchgeführt werden. Besonders wichtig sind jedoch Aktivitäten im Rahmen der sogenannten Entwicklungshilfe, die das zuständige Ministerium als Technische Zusammenarbeit deklariert – wie im Fall der Mongolei. Zahlreiche verarmte Staaten, in denen die Bundesrepublik mit ihrer »Entwicklungspolitik« operiert, verfügen über umfangreiche Bodenschätze. In vielen von ihnen jedoch, erklärt die BGR, »führen Übernutzung oder falscher Umgang mit diesen Ressourcen einerseits«, aber auch »mangelnder Zugang armer Bevölkerungsschichten zu ihnen andererseits« zu »vielschichtigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Problemen«. Mit dem Argument, hier Besserung schaffen zu wollen, ist die BGR seit 1958 in aller Welt unterwegs und führt zur Zeit in rund 30 Staaten vom Entwicklungsministerium initiierte Projekte durch.

Eines dieser Länder ist Kolumbien, bekannt für seine Bananen, weniger bekannt für seine Kohle, die in rauhen Mengen nach Deutschland verkauft wird – zur Verfeuerung in Kohlekraftwerken. Die BGR leistet in Kolumbien technische Zusammenarbeit. Lange lag ein Schwerpunkt dort auf der Erkundung von Energierohstoffen, etwa Kohle; heute befaßt sie sich mit Umweltschutz im Kleinbergbau. Vietnam, ein anderes Kooperationsland der BGR, verfügt über große Vorräte an Eisenerz. Lange war die BGR dort im Auftrag des Entwicklungsministeriums im Bergbausektor tätig, beriet die staatlichen Behörden in Sachen Eisenerzexploration und beim Aufbau einer Bergaufsichtsbehörde. Aktuell bleibt sie über Projekte im Umwelt- und Ressourcenschutz in Vietnam präsent. In Côte d’Ivoire ist die BGR seit den 1990er Jahren damit beschäftigt, eine »Diversifizierung der ivorischen Wirtschaft in Richtung mineralische Rohstoffe« anzustoßen. Zuletzt wurde der geologische Dienst des westafrikanischen Landes bei der »geologischen Landesaufnahme« unterstützt. Auch im Fall Côte d’Ivoire könnten sich die detaillierten Kenntnisse der BGR noch als überaus hilfreich für die deutsche Wirtschaft erweisen. Das Land, so ist in jüngster Zeit immer häufiger zu hören, verfüge über umfangreiche Vorkommen unter anderem an Gold, Nickel, Kobalt, Bauxit, Eisenerz und Mangan, die noch kaum erschlossen seien. Unter Experten ist bereits von einem »neuen Rohstoff-Mekka« die Rede. Sollte sich die Prognose bestätigen – die BGR wird, davon ist auszugehen, die für Rohstoffgeschäfte notwendigen Informationen rasch und präzise bereitstellen können, ganz wie im Falle der Mongolei.

Ihre Kenntnisse über die weltweite Rohstofflage, gewonnen aus wissenschaftlicher Forschung wie aus praktischer Tätigkeit im Auftrag der deutschen Entwicklungspolitik, hat die BGR in zahlreichen Publikationen zusammengefaßt – unter anderem in einer 100 Seiten starken Schrift vom September 2010. Sie trägt den hübschen Titel »Rohstoffwirtschaftliche Bewertung der Länder Afrikas, Asiens, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) mit Georgien und Südamerikas im Hinblick auf die Bedeutung für Deutschland« – und sie hält, was der Titel verspricht: Sie klassifiziert den größten Teil der Welt nach seinem Nutzen für die deutsche Rohstoffversorgung. »Bewertungsgrundlagen« sind dabei die aktuelle »Rohstoffproduktion« und das künftige »Rohstoffpotential« der jeweiligen Länder mit besonderer Berücksichtigung »potentiell kritischer Rohstoffe« sowie die heutige Bedeutung der Staaten als »Investitionsstandort für die deutsche Industrie«. Zusätzlich einberechnet werden »Länderrisiken«; sie werden aus politischen Faktoren abgeleitet, die unter Umständen den freien Zugriff auf Rohstoffe einschränken könnten. Heraus kommt eine Vielzahl an kompliziert berechneten Tabellen, die jedoch übersichtlich zusammengefaßt werden – in einer »Top 10«-Liste der Rohstoff-Champions auf dem jeweiligen Kontinent.

Das Ergebnis beinhaltet einige Herausforderungen für die Berliner Außenpolitik. Denn unter den jeweiligen Top 10 befinden sich keineswegs nur Länder, die – wie etwa die Mongolei oder Kolumbien – umstandslos mit Deutschland kooperieren. Die geringsten Schwierigkeiten für das deutsche Bemühen, sich freien Zugriff auf die wichtigsten Rohstoffe zu sichern, ergeben sich wohl in Südamerika: Dort rangieren Brasilien und Chile, die allgemein eng mit der Bundesrepublik kooperieren, auf den ersten beiden Rängen; es folgt Peru, das bis heute ebenfalls keine ernsten Probleme verursacht. Anders sieht es bereits in Afrika aus: Auf den Top-Ressourcenstaat Südafrika folgt als Nummer zwei auf der Rangliste Simbabwe, dessen Staatspräsidenten die Bundesrepublik seit Jahren wegen Kooperationsunwilligkeit aus dem Amt zu befördern sucht – bislang erfolglos. Auf Platz drei findet sich die Demokratische Republik Kongo, in der Deutschland über keinen herausragenden Einfluß verfügt. Ebenfalls nicht besonders günstig verhalten sich die Dinge aus Berliner Sicht in Asien: Dort liegt China, also der wohl wichtigste Rivale der Zukunft, im Rohstoff-Ranking mit klarem Abstand auf Platz eins. Dies ist unter anderem den »Seltenen Erden« zu verdanken, Rohstoffen also, die, wie die BGR bestätigt, für die Hightech-Industrie unverzichtbar sind und die heute vor allem in der Volksrepublik abgebaut werden. Umso günstiger für die deutsche Industrie, daß die BGR in einem aktuellen Projekt bereits nach Lösungen sucht, »wie man der drohenden Verknappung« solcher »Hightech-Metalle vorbeugen kann«.

* Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler, freier Journalist und Redakteur bei german-foreign-policy.com

Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


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