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Energie, Krieg und Frieden

Von Ilja Kramnik, RIA Novosti *

Die Preisschwankungen bei Öl und Gas auf dem Weltmarkt, der Bau neuer Kraftwerke, Erpressung mit Brennstofflieferungen sind in der Energiepolitik derzeit ein Topthema.

Viele Experten sehen darin auch die eigentliche Ursache der meisten Kriege des 20. Jahrhunderts. Was auf jeden Fall stimmt: Mit der Entwicklung der Industriegesellschaft spielen die Energieressourcen eine immer größere Rolle. Bei einem bestimmten Entwicklungsstand wird der freie Zugang zu den Energieressourcen zu einer Lebensnotwendigkeit. Eine Einschränkung dieses Zugangs kann ernsthafte Folgen für die Wirtschaft haben. Die Kontrolle über der Förderung von Energieressourcen gehörte zu den Hauptzielen der Aggressoren im Zweiten Weltkrieg.

So war für Deutschland und Italien 1942 der Durchbruch zu den Ölvorkommen des Kaukasus an der sowjetisch-deutschen Front und der Arabischen Halbinsel an der Afrikanischen Front eines der wichtigsten Ziele. Dies war vom akuten Brennstoffmangel diktiert. Für Japan war das Embargo, mit dem dem Land der Zugang zu den Ölfeldern in Südostasien versperrt wurde, der Grund für den Kriegsbeginn.

Die Öllagerstätten, die Kohlengruben, die Tankschiffe, die Zisternenzüge mit Treibstoff und Kraftwerke galten während des Kriegs als überaus wichtige Ziele. Bei den U-Booten standen die Tankschiffe auf der Liste der vorrangigen Ziele gleich hinter den Flugzeugträgern und Linienschiffen. Ölraffinerien, Kraftwerke und Treibstofffabriken auf dem Territorium des Dritten Reichs waren ebenfalls die wichtigsten Ziele für die strategischen Bomber der Alliierten.

Nach dem Krieg veränderte sich die Situation nur unwesentlich. Die Ölregionen wurden zur Arena der Rivalität zwischen den führenden Staaten in der Welt. Die Großmächte suchten sich Verbündete unter den dortigen Ländern. Zunächst wurde Erdöl dank seinen physikalischen Eigenschaften zur wichtigsten Energieressource unserer „Maschinen-Zivilisation“. Etwas später gesellte sich Erdgas dazu, das zu einer nahezu idealen Energiequelle für die Wärmekraftwerke wurde.

Die Rolle von Erdöl fand in der Geschichte der Nahost-Konflikte eine Bestätigung: Die Interessen der Großmächte machten diese Region zum Ort ewiger Konflikte, bei denen es um das „Ölfass der Welt“ ging. Nicht weniger heiß ging es um Vietnam, in dessen Wirtschaftsgewässern große Vorräte an fossilen Brennstoffen konzentriert sind.

In den kommenden Jahren wird die Arktis zur Zone von Konflikten um den Zugang zu den Energieressourcen. Die globale Erwärmung, die den Zugang zum Arktis-Schelf möglich macht, und die nachgewiesenen großen Vorräte werden unweigerlich eine harte Schlacht um einzelne Schelfabschnitte verursachen.

Hatte eine Einschränkung des Zugangs zum Öl vor dem Zweiten Weltkrieg „nur“ eine Verlangsamung der Entwicklung zur Folge (die Rolle von Kohle, Torf und Brennholz war viel größer), so würde heute ein solcher Zugang zu einem Wirtschaftskollaps des jeweiligen Staates bedeuten.

Insofern ist die Besorgnis der europäischen Länder um die Stabilität der russischen Energielieferungen verständlich. Die fossilen Brennstoffe, die in der Nordsee, im Persischen Golf und anderorts gewonnen werden, reichen für die europäische Wirtschaft längst nicht mehr aus. Diese gegenseitige Abhängigkeit der Abnehmer und der Lieferer setzt zugleich eine gegenseitige Annäherung ihrer Positionen voraus. Insofern kann die Energiewirtschaft nicht nur Konflikte verursachen, sondern heilsam für die internationalen Beziehungen sein.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti identisch sein.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 29. September 2008



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