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Machtspiel mit der Kohle

Ressourcenforscher: Die Vorräte werden maßlos überschätzt

Nach Erkenntnissen der Energy Watch Group, in der sich verschiedene Wissenschaftler zusammengeschlossen haben, könnte das Fördermaximum bei Kohle bereits 2025 erreicht sein. Die Kohlereserven würden weltweit überschätzt, so die Wissenschaftler. Mit dem Ressourcenforscher und Mitglied der Energy Watch Group Werner Zittel von der Ludwig Bölkow Systemtechnik GmbH sprach für ND Susanne Götze.



ND: Sie behaupten, dass die Kohlereserven nicht mehr so lange vorhalten wie angenommen: Wie kommen Sie darauf?

Werner Zittel: Wir haben uns die Statistiken angesehen, die jedes Jahr im BP-Bericht, dem Statistical Review of World Energy, herausgegeben werden. Wenn man sich nicht nur die Zahlen von einem Jahr anschaut, sondern über viele Jahre zurückblickt, stellt man fest, dass diese sehr fehlerhaft sind. Oft werden Angaben verwendet, die sich seit 20 Jahren nicht verändert haben. Beispielsweise wurden die Reserveangaben für China seit 1992 nicht mehr geändert. Aber auch für die ehemalige Sowjetunion wurden über Jahrzehnte alte Werte unverändert fortgeschrieben. Das ist sehr fehlerhaft und unglaubwürdig.

Wie kommt es denn zu den falschen Angaben?

Die aktuellen BP-Statistiken von 2006 gelten für das Jahr 2005. Tatsächlich aber stammen die Angaben vom Weltenergierat. Dort wiederum werden nur alle drei Jahre neue Daten erhoben. Der letzte Bericht von 2004 basiert auf den Daten von 2002. Hinzu kommt, dass viele der Mitgliedsländer des Rates ihre Zahlen über Jahre nicht verändert haben. Korrigiert man dies, so müssten z.B. für China die Reserven um mindestens 20 Prozent gesunken sein. Außerdem wurden Vorräte, wenn sie berichtigt wurden, meist nach unten korrigiert, nicht nach oben.

Wie ist es denn um die Kohlereserven in Deutschland bestellt?

In Deutschland ist die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe für die Reservestatistiken zuständig. Jahrzehntelang wurden 23 bis 24 Milliarden Tonnen an Steinkohlereserven genannt. Im Jahr 2004 wurden diese dann auf 183 Millionen runtergekürzt und im letzten Jahr sogar auf 161 Millionen Tonnen. Das ist eine Reduzierung von 99 Prozent.

Warum planen die großen Energieversorger dann noch 40 neue Kraftwerke?

Zunächst glaube ich nicht, dass Kraftwerksplaner sich eingehend mit Reservestatistiken befassen. Des weiteren ist Deutschland ja vor allem ein Importland für Steinkohle. Anders sieht das mit der Braunkohle aus. Angenommen die letzten Zahlen stimmen, dann würde Braunkohle noch etwa 30 bis 40 Jahre reichen. Braunkohle kann man aber auch sehr schlecht importieren, da ihre Energiedichte sehr viel geringer ist. Doch hinter den Neubauplänen für Kohlekraftwerke stecken vor allem die Motive der Energieversorger: Viele Kohlekraftwerke müssen demnächst wegen Überalterung abgeschaltet werden. Vor dem Hintergrund der Klimadiskussion wollen die Stromkonzerne möglichst schnell Tatsachen schaffen. Das ist eindeutig ein Machtspiel.
Hintergrund der Neubaupläne scheint mir die zunehmende Konkurrenz der regenerativen Stromerzeugung zu sein. In fünf bis zehn Jahren wird Solarstrom für Tarifkunden vermutlich billiger sein als Strom aus fossilen Quellen. Das wird einen Investitionsboom auslösen, da viele Kunden auf Ökostrom umsteigen werden. Deshalb wollen die großen Stromversorger möglichst schnell neue Kohlekraftwerke bauen, die dann wieder 30 bis 40 Jahre stehen. Sind die Investitionen einmal getätigt und die Kraftwerke in Betrieb, dann könnte man die Konkurrenz mit Dumpingpreisen unterbieten. Wartet man jetzt aber fünf bis zehn Jahre, so ist abzusehen, dass man die Kohlekraftwerke gar nicht mehr brauchen wird.

Ist es angesichts des Klimawandels nicht irrelevant, wie viel Kohle noch vorhanden ist, da sowieso nicht alle Reserven verbraucht werden sollten?

Da haben sie vollkommen Recht – theoretisch. Aber in der Praxis hält sich niemand daran. Das ist das Problem. Wir wissen seit 30 Jahren, dass wir aus Klimaschutzgründen eigentlich von der Kohle weg müssen, aber jedes Jahr wird mehr verbraucht. Wir in Deutschland rühmen uns, Vorreiter in der Klimapolitik zu sein, jedoch das erste, was wir gemacht haben, war, die Zahl der Emissionszertifikate für Kohlekraftwerke zu erhöhen, oder neue Planungen für Kohlekraftwerke zu verkünden. Unser Klimaschutz ist ein Lippenbekenntnis.

Könnte es bei den Öl- und Gasvorräten der Welt nicht ähnlich aussehen?

Die Datenlage bei Öl und Gas ist zunächst mal besser als bei der Kohle. Das liegt auch daran, dass Ölfelder schneller aufgebraucht sind und ein internationalerer Markt mit viel mehr Austausch existiert. Dort werden jedes Jahr im Prinzip die Statistiken neu erhoben, auch wenn hier einige Staaten alte Zahlen fortschreiben. Der Öl- und Gasmarkt ist deshalb etwas transparenter. Offensichtlich ist jetzt aber das Maximum der Ölförderung erreicht.

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2007


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